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Politisch-zeitgeschichtliche Aspekte

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Matthäus berührt in seiner Erzählung von den Weisen aus dem Osten die Heuchelei und die ungezügelte, brutale Machtausübung karrieresüchtiger Despoten, die auch vor einem Mord an unbeteiligten Kindern nicht zurückschrecken, um ihren Machterhalt zu sichern. Wer sich etwas in der Geschichte auskennt, weiß freilich, dass derartige „Herren“ – wie hier der König Herodes – letztlich meist kläglich enden. Er weiß um die Ohnmacht der Mächtigen und die Macht der Ohnmächtigen.

Der Evangelist, der ja sein Werk aus der Perspektive des Jahres 85 oder 90 schreibt, erinnert mit der Huldigung der Sterndeuter daran, dass die vielen „Heiden“ – vor allem aus Syrien und Griechenland –, die inzwischen zu Anhängern des unbekannten Kindes aus Betlehem wurden, allesamt Menschen sind, die in ihrer Suche nach dem Eigentlichen und Letzten, das ihr Leben erfüllen kann, fündig geworden sind, die ihr Lebensziel erreicht haben.

Lukas holt wesentlich weiter aus. Er verknüpft die Geburt Jesu mit der Geschichte der damals bekannten Welt. Was in einem kleinen Winkel des großen römischen Imperiums geschieht, steht nicht im Abseits, ist nicht unbedeutend. Hier geschieht das eigentliche Ereignis der Weltgeschichte. Durch die Geburt des Messias wird Betlehem zum eigentlichen Mittelpunkt der Welt. Das Heil ist nicht vom damals regierenden Kaiser Augustus, sondern vom Kind in der Krippe zu erwarten.

Das ist ein geradezu tollkühner Gedanke. Kaiser Oktavian Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.) war der Großneffe und Haupterbe Caesars. Er hatte die Machtkämpfe, die auf dessen Ermordung im Jahr 44 v. Chr. folgten, gewonnen und war von 31 v. Chr. an zum Alleinherrscher des römischen Imperiums aufgestiegen. Er hatte dem Jahrhundert der römischen Bürgerkriege ein Ende gesetzt. Seine Herrschaft mündete in eine lang anhaltende Zeit inneren Friedens, die als Pax Augusta verklärt wurde. Vom römischen Senat wurde ihm zu Ehren ein Jahr vor seinem Tod der noch heute zu bewundernde „Altar des Friedens des Augustus“, die „Ara Pacis Augustae“, errichtet. Sein Bild wurde mit göttlichen Hoheitszeichen geschmückt. Der Senat der Stadt Rom zeichnete ihn mit dem Würdenamen „Augustus“ aus: der Anbetungswürdige. Überschwänglich wurde er von zeitgenössischen Dichtern gepriesen. So sah man in ihm den von Vergil (70–19 v. Chr.) in seiner 4. Ekloge erwarteten Heilsbringer: „Das letzte Zeitalter […] ist schon gekommen. Die große Reihe der Jahrhunderte wird von neuem geboren. Schon kehrt auch die Jungfrau, kehrt Saturnus’ Reich wieder. Schon wird ein neuer Spross hoch vom Himmel herabgesandt […] O tritt an die hohen Ehren – gleich wird die Zeit da sein –, teures Götterkind.“72

Die griechischen Städte der Provinz Asia beschlossen, vermutlich im Jahr 9 v. Chr., den Julianischen Kalender und mit ihm eine neue Zeitrechnung einzuführen. Der Neujahrstag wurde auf den neunten Tag vor den Kalenden des Oktober, auf den 23. Oktober, festgelegt. In vier kleinasiatischen Städten fand man Fragmente des Erlasses, der die neue Zeitrechnung einführte, darunter auch die 1890 entdeckte „Inschrift von Priene“.

Dieser Tag, der Geburtstag des Kaisers, hat der ganzen Welt ein anderes Aussehen gegeben. Sie wäre dem Untergang verfallen, wenn nicht in dem heute Geborenen für alle Menschen ein gemeinsames Glück aufgestrahlt wäre […] Wer richtig urteilt, wird in diesem Geburtstag den Anfang des Lebens und der Lebenskräfte für sich erkennen. Unmöglich ist es, in gebührender Weise Dank zu sagen für die großen Wohltaten, die dieser Tag gebracht hat. Die Vorsehung, die über allem Leben waltet, hat diesen Mann zum Heil der Menschen mit solchen Gaben erfüllt, indem sie ihn uns in den kommenden Geschlechtern als Heiland gesandt hat. Allem Krieg wird er ein Ende setzen und alles herrlich ausgestalten. In seiner Erscheinung sind die Hoffnungen der Vorfahren erfüllt. Er hat nicht nur die früheren Wohltäter der Menschheit alle übertroffen, sondern es ist auch unmöglich, dass je ein Größerer käme. Der Geburtstag des Gottes war für die Welt der Anfang der Evangelien, die seinetwegen ergangen sind.73

Der offenbar weitverbreitete Text ist ein bemerkenswertes Zeugnis für die göttliche Verehrung, die dem Kaiser zuteil wurde. Er wirft aber auch ein deutliches Licht auf die Erlösungssehnsucht der gesamten damals bekannten Welt.

Lukas hat die Sprache dieser Erlösungssehnsucht für seine Darstellung der Geburt Jesu aufgenommen. Er lässt die Engel auf den Feldern von Betlehem die Geburt des Heilands, des Retters, des Friedensbringers verkünden. In ihrer Botschaft verbirgt sich ein erstaunliches Sendungs- und Selbstbewusstsein der christlichen Gemeinden. Diese spielten ja zu der Zeit, als Lukas sein Evangelium schrieb, eine politisch völlig unbedeutende Rolle. Es ist schon erstaunlich: Allein aus dem Glauben an die Bedeutung dieses Jesus von Nazaret und der von ihm ausgelösten Bewegung konnten Lukas und die Mitglieder seiner Gemeinde zu einer derartigen Aussage kommen!

Die Geschichte hat Lukas Recht gegeben. Der liturgische Geburtstag Christi, der am 25. Dezember gefeiert wird, war lange Zeit der Anfang des neuen Jahres. Im Jahre 525/26 wurde in Rom, vor allem auf Betreiben des Mönches Dionysius Exiguus, die bisherige Zeitrechnung, die von der Gründung der Stadt Rom an zählte, auf die Zeitrechnung nach der Geburt Christi umgestellt. Dabei wurde das Jahresdatum der Geburt Christi versehentlich um sieben Jahre zu spät angesetzt. Die Jahre der Weltgeschichte werden ab jetzt von der Geburt Christi an gezählt: In Christus ist der wahre Retter der Welt erschienen.

Jesus von Nazaret

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