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Kindheitsevangelien nach Matthäus und Lukas als komplexe, theologisch hoch aufgeladene Bildergeschichten

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Die beiden Kindheitsevangelien nach Matthäus und Lukas wurden so ausführlich vorgestellt, weil sie im deutschen Sprachraum nicht nur in der traditionellen Volksfrömmigkeit, sondern auch in ihrer heute weitgehend säkularisierten Form im Hinblick auf die Familie, auf den Kommerz und als „Fest des Friedens“ tief verankert sind. Das erscheint merkwürdig angesichts des inzwischen verbreiteten Wissens, dass es sich hier nicht um Tatsachenberichte, sondern um mehr oder minder frei erfundene Bildergeschichten handelt. Wenn aber der „holde Knabe im lockigen Haar“, die Krippe, der Gesang der Engel, der „Stern von Betlehem“, die „heiligen drei Könige“ und schließlich der Mord an den „unschuldigen Kindern“ alles nur Produkte einer frommen Fantasie sein sollen, dann muss man sich doch fragen, wie es trotzdem möglich ist, dass auch in unseren Tagen noch aufgeklärte, kritisch denkende Menschen das Weihnachtsfest feiern und guten Gewissens in die Kirche gehen können. Offenbar werden mit den Inhalten der Kindheitsevangelien in jedem Menschen Schichten angesprochen, die sich trotz Aufklärung und Säkularisierung nicht austreiben lassen.

Matthäus und Lukas haben eine Antigeschichte zu den damals umlaufenden gloriosen und fantastischen Kindheitsgeschichten der politischen Größen ihrer Zeit geschrieben. Der Jesus, den die Evangelisten vorstellen, ist kein Tausendsassa, kein Wunderkind, kein Übermensch.71 Er ist genau das Gegenteil von dem, was man von einer historisch bedeutsamen Gestalt erwartet. Er kommt nicht in einem Palast zur Welt, sondern irgendwo „draußen“; seine Wiege ist kein Himmelbett, sondern eine Futterkrippe; er wird nicht von der Staatsmacht gehegt und gepflegt, sondern muss schon bald nach seiner Geburt im Ausland in Sicherheit gebracht werden.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Schrift, dass sie bisweilen fiktive Elemente in ihre Erzählungen einbaut, um zu zeigen, was wirklich geschehen ist. Die Evangelien verbergen hinter dem vordergründig Erzählten und der vielfach archetypischen Bildersprache tief verwurzelte anthropologische Einsichten und theologische Aussagen. Jeder Satz, ja fast jedes Wort besitzt hinter der scheinbar leicht für jedermann verständlichen Oberfläche noch eine Tiefendimension, die sich erst bei genauerem Hinsehen erschließt und die auch etwas Hintergrundwissen voraussetzt.

Jesus von Nazaret

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