Читать книгу Sterbewohl - Olivia Monti - Страница 11
Kapitel 9
ОглавлениеFred hatte uns wie versprochen zum Abendessen eingeladen. Sobald ich im Kreis der anderen war, fühlte ich mich fast behaglich. Nichts schien mehr so schlimm zu sein, wie es einem beim alleine vor sich hinbrüten vorkam.
Fred machte sein übliches Abendessen, Toast Hawaii, in der Mikrowelle. Dazu gab es einen kühlen, fruchtigen Weißwein. Sein Alternativessen war Räucherlachs mit Zwiebeln, Senfsoße und Toast. Zum Nachtisch servierte es meistens Vanilleeis mit Whiskey. Ab und zu drückte er eine Schokoladensoße aus der Tube darüber.
Als wir bereits am Tisch saßen, klingelte es. Ich war sehr überrascht: Marwa kam dazu, Freds Journalistenfreundin. Hatte Fred doch tatsächlich sein Versprechen wahr gemacht! Sie war hager, elegant gekleidet und hatte ein intelligentes Gesicht. Sie hatte sich sogar schon auf Fehmarn angemeldet und es war völlig problemlos gewesen. War man, wie Marwa, über 65 und meldete sich auf eigene Initiative zum Sterbeseminar an, durfte man das Hotel frei wählen. Solche Leute mochte der Staat ganz besonders. Sie wurden bevorzugt behandelt.
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung erfuhren wir, für welche Zeitungen Marwa Artikel geschrieben hatte. Es waren zwar nicht viele, dafür aber wichtige Zeitungen. Seit die BP am Ruder war und die Meinungsfreiheit eingeschränkt hatte, schrieb Marwa nur noch über unverfängliche Themen wie Käferplagen, Waldsterben, Mülltrennung ... Wobei die unverfänglichen Themen mit der Zeit immer weniger wurden. Je unfreier der Staat wurde, desto mehr Bereiche wurden politisch.
Was uns alle sehr erstaunt hatte: Bevor Marwa sich zu Tisch setzte, ging sie mit einem kleinen Gerät durch Freds Wohnung. Wie sie uns hinterher erklärte, prüfte das Gerät alle erdenklichen Frequenzbereiche und zeigte bestimmte Anomalitäten an. Sie tastete sogar Freds Esstisch von unten ab. „In den meisten Privatwohnungen sind noch keine Minispione installiert. Das wäre einfach zu aufwendig“, war ihr Fazit.
Ich war sehr beeindruckt von Marwa. Bei Anna hingegen bemerkte ich ein kleines Grinsen. Sie hatte ihren Mundwinkel verzogen, während sie Marwa den Tisch abtasten sah. Vielleicht glaubte sie ihr nicht. Vielleicht glaubte sie auch nicht, dass der Staat seine Bürger abhörte.
Obwohl Freds Wohnung abhörfrei zu sein schien, traute Marwa der Sache doch nicht ganz. Waren die Abhörspione abgeschaltet, konnte ihr Gerät sie nicht erkennen. Nur in Funktion sendeten sie Frequenzen aus. Daher sprachen wir nicht über das Wichtigste: wie wir im Sterbehotel auf Fehmarn vorgehen wollten, um den Staat zu entlarven. Wir diskutierten allerdings darüber, wie wahrscheinlich es war, dass aus den Sterbehotels niemand mehr lebend zurückkam.
„Ihr werdet sehen, wir fahren hin, haben auf Staatskosten unseren Spaß im Hotel und sind nach den zwei Wochen wieder zu Hause“, flötete Anna.
Mir war nicht ganz klar, worauf sich ihre harmlose Sicht der Dinge stützte, und ich erwähnte unsere Nachbarn, die Lehmanns.
„Das mit den Lehmanns war wirklich ein bisschen seltsam“, gab nun auch Anna zu. „Aber kennst du sonst noch Leute, die nicht mehr zurückkamen?“
Ich musste zugeben, außer den Lehmanns niemanden zu kennen.
Anna bezweifelte dann auch, dass wir überall ausspioniert würden.
Auf belebten Straßen und öffentlichen Plätzen waren zwar Überwachungskameras angebracht. Die stammten aber noch aus der Zeit vor der Regierung der BP und hatten mit den terroristischen Anschlägen zu tun, die das Land erleiden musste.
Marwa beurteilte es pragmatisch: „Jeder Staat, der gegen die Interessen der Bürger arbeitet, zum Beispiel ihre wichtigsten Rechte einschränkt, muss seine Bürger überwachen, um sich am Ruder zu halten. Der Bürger eines übergriffigen Staates ist immer ein potenzieller Staatsfeind, den der Staat in Schach halten muss.“
Anna zuckte nur mit den Schultern. Und Max murmelte dunkel: „Zum Glück muss das meine Irmgard nicht mehr miterleben.“