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Kapitel 14

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Am 20. April um zehn Uhr morgens kam pünktlich der Kleinbus, um uns abzuholen. Es war ein Bus mit sechs Plätzen, außer uns vier kamen aber keine weiteren Reisenden dazu.

Der Fahrer war bester Laune und bot uns gleich Sekt aus dem Bordkühlschrank an, nachdem er unsere Koffer verstaut hatte.

Anna saß entspannt neben mir. Sie machte es sich bequem. Ich fühlte mich noch nicht sehr locker. Ich wollte zwar glauben, dass wir jederzeit das Hotel wieder verlassen konnten, um notfalls auch die Fähre nach Dänemark zu nehmen. Aber vielleicht wussten sie es zu verhindern. Vielleicht sperrten sie uns ein, sobald wir im Hotel ankamen. Konnte man wirklich wissen, was uns erwartete?

Der Bus fuhr nahezu geräuschlos. Die Landschaft flog vorbei. Es war ein sonniger Tag. Hier und da schwammen ein paar Wölkchen im Blau, die der Wind zerrupfte. Fred und der Fahrer hatten ein Gespräch begonnen.

„Bringen Sie viele Leute in die Sterbehotels?“, fragte Fred den Fahrer.

Der Fahrer kicherte. „Sterbehotels? Was ist denn das für ein Wort? Klingt ja wie in einem Horrorfilm.“

„Wie nennen Sie denn diese Hotels mit den Sterbeseminaren?“

Der Fahrer zögerte einen Moment lang. „Also Ihr Hotel auf Fehmarn heißt Hotel Paradies.“

„Und fahren Sie die Gäste hin und auch wieder zurück?“

Der Fahrer brauchte wieder einen Moment, bis er antwortete. „Ich fahr die Leute hin.“

„Sie fahren niemanden zurück?“

„Ich fahr nur drei Tage die Woche. Das sind immer die Hinfahrten.“

Fred räusperte sich. „Und wer holt uns wieder ab?“

Der Fahrer musste nachdenken. „Da müssen Sie sich an die Hotelrezeption wenden, denk ich.“

Der Fahrer fuhr die Leute nur hin, überlegte ich. Es gab keine Rückfahrt vom Sterbehotel. Das hier war eine One-Way-Fahrt. Eine Fahrt in die Sackgasse. In den Tod … Meine Gedärme rumorten. Ich musste den Fahrer bitten, dringend an der nächsten Raststelle anzuhalten. Zum Glück waren wir bereits auf der Autobahn, und es waren nur noch sechs Kilometer bis zur nächsten Toilette.

„Sie müssen jetzt schon? Wir sind doch eben erst weggefahren“, konnte der Fahrer sich nicht verkneifen zu bemerken. „Sind Sie krank?“, fragte er dann noch frech.

Ich stammelte: „Nein, nein. Es hat mir zu Hause nur nicht mehr gereicht.“

Ich hatte glatt Durchfall bekommen. Um ein Haar schaffte ich es auf dem Rastplatz noch auf die Toilette. Als ich mich wieder beruhigte und mein Blick über die weißen Kacheln wanderte, spürte ich auf einmal eine große Erleichterung bei dem Gedanken, jetzt durch den Hintereingang der Toilette einfach abzuhauen. Ich war hier drinnen noch ein freier Mensch. Niemand würde es verhindern, wenn ich jetzt floh … Aber wo sollte ich hin? Ohne Jacke, ich hatte meine Jacke im Bus gelassen. Nur mit meiner Handtasche …?

Als ich wieder im Bus saß, war ich frustriert. Als hätte ich eine Klausur nicht bestanden. Ich war eben niemand, der das Schwierige und fast Unmögliche in Angriff nahm.

Fred war mutiger. Sobald wir wieder auf der Autobahn waren, fragte er den Fahrer weiter aus: „Wie lange machen Sie das schon?“

„Was?“

„Die Leute in die Sterbehotels fahren.“

Der Fahrer kratzte sich im Nacken. „Seit drei Jahren ungefähr.“

„Gefällt Ihnen der Job?“

Der Fahrer zögerte wieder. Er antwortete unwirsch: „Ist ein Job wie jeder andere.“ Dann besann er sich: „Die Fahrten sind schon ganz schön. Man kommt über Land.“

„Wissen Sie denn, was in den Hotels so abläuft, in die Sie die Leute bringen?“

Der Fahrer hustete jetzt laut. Dann antwortete er ruppig: „Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich Sie unterhalte“, und drehte das Radio auf.

Lautes Musikgedudel ertönte. Und er stellte den unseligen Apparat nicht mehr ab, bis wir auf Fehmarn waren.

Die Fahrt dauerte viele Stunden. Ich konnte mich kaum auf die Landschaft konzentrieren. Meine Gedanken waren woanders. Ich bekam gerade mal mit, wie das Land irgendwann abflachte, wie sich der Horizont weitete und das Licht heller wurde. Erst als wir die Brücke zur Insel überquert hatten, wachte ich quasi auf und musterte ganz genau meine Umgebung.

Rechts und links waren weite Äcker, manche gesäumt von Blühstreifen. Wir fuhren an einer riesigen Mastanlage für Hähnchen vorbei. Es stank auf einmal nach Mist. Ein paar kleinere Fabriken gab es auch, mit schwarz rauchenden Schloten. Ansonsten wirkte alles wunderbar leer. Man sah keine Menschen und es gab auch keinen Gegenverkehr.

Da glitzerte die Landschaft vor meinen Augen unter einem weiten Himmel in einer Luft angereichert mit Salzkristallen.

Irgendwann verließen wir das Niemandsland und man sah auf der Seite die Inselhauptstadt in rotem Klinker.

Richtung Marienleuchte bogen wir von der Autobahn ab. Und da war es wieder, das Meer. Es erstrahlte silbern und träge im Abendlicht. Eine frisch geteerte Straße führte uns am Leuchtturm vorbei, und dort, zwischen Marienleuchte und Puttgarden, lag ein völlig neues Hotel, etwas zurückversetzt vom Strand, mitten in der Landschaft.

Der Strand hatte etwas Wildes. Es gab keine Restaurants oder Cafés, keine Promenade, es war einfach ein langer, naturbelassener Streifen. Man war mitten in der reinen Natur, wenn da nicht die riesigen Windräder gewesen wären. Die störten nicht nur optisch. Als wir vor dem Hotel ausstiegen, trug der Wind ein unheimliches Geräusch von ihnen herüber; es machte dumpf und in Staccato-Abständen wusch, wusch.

Sterbewohl

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