Читать книгу Weil wir anders sind - Otto W. Bringer - Страница 12
Das Mozarteum lockt
ОглавлениеAm nächsten Tag auf der Straße nach Salzburg. Gedanken an Jelena bewegen mich. Die erste Frau, in die ich verliebt bin. Sogar zum ersten Mal an ein festes Zuhause gedacht. Gefühle hatten mich dazu gebracht, ganz anders zu denken und zu planen als bisher. Seltsam der Mensch. Ich muss noch viel lernen über dieses Lebewesen.
Ein Fuhrwerk nimmt mich mit. Einer der nach oben offenen Karren, mit zwei Pferden davor. Ein Wagen, wie wir ihn hatten. Nur ringsum zugebaut und wie eine Wohnung eingerichtet. Der Kutscher auf dem Bock hielt mich wohl für einen, der den Bus verpasste. Lässt mich neben sich sitzen. Entschuldigt sich: „Hättʼ s lieber auf meinem Lastwagen mitgenommen. Aber der Motor sprang nicht an, als ich losfahren wollte.“
„Mir ist es recht, bin ʼs seit Jahren gewohnt, dass vier Beine von Pferden mich bequemer ans Ziel bringen als meine zwei. Nett von Ihnen, mich mitzunehmen.“
„So ein Leichtgewicht wie Sie kein Problem. Muss auf dem Rückweg schwere, weiße Kalksandsteine auf diesem Karren transportieren. Steine vom Obersalzberg, da wo sie seit mehr als tausend Jahren im Steinbruch gesprengt und in Stücke gesägt werden. Steinmetze glücklich zu machen, weil sie leichter zu bearbeiten sind als Granit. Schöne, weiße Steine, aus der Brücke und der heilige Nepomuk gebaut sind. Im Frühjahr hatte das gewaltige Hochwasser die Brücke über die Salzach zwischen Titmoning und Fridolfing stark beschädigt. Die Pfeiler müssen unbedingt repariert werden, bevor sie ganz in sich zusammenfällt.
Aus dem gleichen Gestein auch die Statue des Heiligen Nepomuk. Dem hatte dasselbe Hochwasser einen Fuß abgebrochen. Gott bewahre, dass er umstürzt, bevor ich zurück bin. Die Steinmetze werden ihn wieder ersetzen.“
Was Kutscher alles so erzählen, wenn einer neben ihnen sitzt und zuhört. Ich aber höre nicht nur zu, bin auch neugierig. Will wissen: „Was ist Nepomuk für ein Heiliger?“ „Den kennt ʼs nit? Kennt doch jedes Kind. Habt ʼs ihr denn keine Flüsse mit Brücken zum Rüberkommen auf die andere Seiten?
„Die Donau haben wir und viele Brücken. Bei Linz und Wien. Breite Brücken, über die sogar Eisenbahnen fahren und Autos. Fast alle nach dem Krieg erneuert aus Stahl, weil die alten aus Stein bröckelten. Ein Brückenbogen war schon eingestürzt.“
„Das kommt davon, wenn man keinen Nepomuk hat, den Schutzpatron der Brücken, wie wir. Schutzpatron muss man haben. Den Teufel soll er abwehren, der keine Brücken mag, die zu Kirchen führen. Scharwenzelt im Wasser mit ʼner großen Axt. Schlägt Steine aus den Pfeilern unten, dass sie krachen. Wenn die Salzach im Frühjahr tobt und braust. Sagʼ, wirklich keinen Nepomuk?“
„Nein! Wir beten zur Heiligen Sara. Pilgern einmal im Jahr nach «Saintes-Maries-de-la-Mer» in Südfrankreich. Um sie anzuschauen und um Beistand zu bitten. Sara ist die Schutzheilige für“ – Roma wollte ich sagen, sag ʼs nicht, er könnte Zigeuner nicht mögen:
„Für alles Unglück zuständig: Hagel, Blitz und Donnerschlag, Hochwasser, Niedrigwasser. Erdbeben und Vulkanausbrüche, Einbruch und Diebstahl. Hitzewellen und kalte Füße. Und jetzt, bittschön, lassen ʼs mich in Ruhe weiter nachdenken. Muss mich auf meine Prüfung am Mozarteum vorbereiten.“
Der macht mich verrückt mit seinem Nepomuk. Hab genug zu tun mit Jelena. Das Probespiel im Mozarteum beschäftigt mich. Mozarts Rondo in Es – Dur muss ich noch intensiver üben. Damit ich aufgenommen werde. Zuerst wollte ich mit Paganini glänzen. So perfekt aber wie dieser Virtuose bin ich noch lange nicht. Mozart ist wie eine Verbeugung vor dem großen Meister. Das muss die Herren Professoren überzeugen. Kennen sie das Stück doch. Und hören es von mir so locker, so brillant wie noch nie vorher von einem, der erst noch studieren will.
Zum Glück schweigt der Kutscher jetzt. Hab ganz schön raffiniert geschwindelt mit den Patronaten. Die Menge muss ihm aufs Mundwerk geschlagen sein. Er schweigt und steckt sich eine Pfeife an. Der Tabak stinkt gotterbärmlich, die Pferde trappeln und wiehern vor jeder Kreuzung: Achtung, wir haben Vorfahrt! Gut trainiert hat er sie.
Eigentlich müsste ich ihn dafür loben. Lass es lieber, sagt mein Verstand. Sonst fängt er wieder mit Nepomuk an. Zeit vergeht, Gewissen oder wer oder was meldet sich. Nepomuk hin, Nepomuk her, ich muss mich doch mal um ihn kümmern. Und a bisserl freundlicher zu meinem Kutscher sein. Ist er schon so nett, mich mitzunehmen.
„Hören ʼs, der Name Nepomuk klingt so fremd. War er kein deutscher Heiliger? Oder hat man ihn eingedeutscht?
Wie so viele Personen und Völkerstämme. Eure bayrischen Politiker waren auch nicht gerade zimperlich. Südtirol wollt ihr euch einverleiben, las ich in der Wiener Tageszeitung.“ „Hör auf mit der Politik. Die ist überall gleich kratzig. Geld scheffeln sie und versprechen das Blaue vom Himmel, um Stimmen zu fangen. Wie man Äschen und Gründlinge fängt in der Salzach. Nix da, die Politik kann mich mal.“
„Ich wollt gern wissen, wo der Nepomuk herkommt. Sein Name klingt so böhmisch.“
„Richtig geraten, im Prager Dom steht ein riesiges Denkmal von ihm. Hab ʼs einmal auf einer Wallfahrt gesehen. Bis an die Gewölbe reicht es und ist versilbert. Ganz und total versilbert. Die Figur, das Postament und all die Engel um ihn herum. Alles versilbert. Damit ʼs schön glänzt und heilig aussieht. Auch vor der Veitsbrücke steht eine Figur. Aus rotem Sandstein gehauen wie die Brücke, das Silber ist ihnen wohl ausgegangen.“
Jetzt juckt es mich: „Unsere Schutzpatronin ist die heilige Sara, eine Äthiopierin. Dunkelhäutig wie wir. Schwarz ihr Haar. Schwarz wie unseres. Doch rein ist ihr Gemüt, diente zwei Jüngerinnen Jesu. Kochte, wusch die Wäsche, damit sie alle Zeit der Welt hatten, Heiden zum Christentum zu bekehren. Außerdem ist unser Gemüt von Musik bewegt und dem innigen Wunsch, alle Menschen miteinander zu versöhnen.“
Ob er ʼs versteht? Ich jedenfalls bin froh, dass wir keinen Nepomuk haben. Dann müssten wir immer Brücken mit seiner Statue suchen, um ihn zu verehren. In muslimischen Ländern gäbe es keinen. Auch eine Statue der Sara, unserer Schutzpatronin, finden wir nicht überall. Die Kirche hält sie nicht für eine Heilige. Zum Glück aber gibt es sie in Saintes-Maries-de-la-Mer. Besuchen sie jedes Jahr. Stelle mir vor, sie wäre wie Nepomuk von Kopf bis Fuß versilbert. Gesicht, Haar und Körper mit Armen und Beinen müssten jede Woche blank geputzt werden. Wie man versilberte Schalen und Bestecke putzt. Unsere Sara solange wienert, bis sie glänzt und wie eine Überheilige aussieht.
Dennoch wäre es noch lange nicht wie beim Nepomuk. Denn der ist aus Stein gehauen mit allem Drum und dran. Von Sara sichtbar nur ihr Gesicht, geschnitzt aus Ebenholz. Die Iris weiß aufgemalt, damit wir uns in die Augen sehen können. Das halbe Gesicht, Körper und Glieder von Kleidern, Halstüchern und Schals verdeckt. Versilbern unmöglich. Diese Arbeit können wir uns also ersparen. Sie lassen, wie sie ist und wo sie ist. Da, wo wir sie besuchen einmal im Jahr. Dunkelhäutig wie eine der unseren. Äußerlich betrachtet.
Wie ʼs drinnen aussieht, geht niemand was an. Franz Lehar hat es 1917 in seiner Operette «Das Land des Lächelns» in Töne gesetzt. Wir haben es gespielt auf Festen, wenn die Leute es wollten. Einer aus dem Männerchor die Arie so laut schmetterte, als wäre es ein Tanzlied. Dabei klingt es so wie ich mich jetzt fühle:
«Immer nur lächeln – immer vergnügt – immer zufrieden, wie ʼs immer sich fügt – lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen – Doch wie s da drinnen aussieht, geht niemand was an.»
Jelena kann ich nicht vergessen. Nie und nimmer will ich sie vergessen. Jelena, die schöne, süße, verführerische mit ihrem Klatschmohnmund. Ob sie an mich denkt? Oder hält sie mich für einen unreifen Jungen, der zum ersten Mal von Liebe träumt. Ich bin kein Junge, ich bin ein Mann, der weiß, was er will. Und dieser Mann will Jelena zur Frau.
Verdammt nochmal. Enis! Enis! Nicht fluchen. Lächeln bitte. Und wenn ʼs noch so weh tut. Lächeln!
Am Elisabeth-Kai lässt mich der Kutscher aussteigen:
„Gehen ʼs da links die Straße rauf, I glaub, die heißt Josef Friedrich Hummel Straße. Bis zum Markartplatz. Von da sehen ʼs schon die Universität an der Dreifaltigkeitsstraße.“
„Danke für Ihre selbstlose Hilfe und kommen ʼs gut wieder heim nach Titmoning.“
Dahin, wo auch meine Jelena ist. Ihr Leben lebt und nicht weiß, ob sie mich lieben darf. Immer nur lächeln, ja, ja ich weiß. Hole die Geige aus dem Kasten und spiele das Lied vom verlorenen Groschen. Von Beethoven für Klavier geschrieben. Jage das Rondo über die Saiten GDEGADAE, sodass Leute stehen bleiben und klatschen. Dabei ist mir überhaupt nicht nach Klatschen. Zum Heulen eher. Ach, könnte ich sie doch herbei geigen, sie umarmen mit Tönen. Und küssen alle ihre Saiten.
Da wirft mir einer einen Schilling in den Geigenkasten.
„Danke, danke vielmals“. Ein anderer lässt zwei Groschenstücke fallen. Bin bereits auf Salzburger Boden. Die Leute hier lieben Musik. Eine Frau bückt sich, legt einen Zwanzig-Schilling-Schein auf den Kastenboden. Beschwert ihn mit meinem Stück Kolophonium. Damit der Wind ihn nicht fortweht. „Merçi, merçi bien Madame.“ Französisch hören sie gern. Auf Bällen in Vorstädten von Wien hörte ich ihr «avec Plaisir». Jedes Mal, wenn der Kellner vorbei ging. Fühlten sich wie Prinzessinnen, obwohl sie nur die Frau eines Sekretärs, Unterinspektors, Metzgers oder Bäckers sind. Einen eigenen Fischstand haben auf dem Wochenmarkt. Und immer ein wenig fischig riechen.
Etliche Schillinge in der Tasche suche ich zuerst ein Zimmer, in dem ich die Nächte verbringen kann. Da, ein schmales Haus mit einer Treppe hinauf bis vor die Haustür. Ein Schild im Fenster: «Zimmer zu vermieten». Zuerst zögert die Frau, öffnet die Tür nur einen Spalt. Klinke in der Hand, sie rasch wieder zu schließen. Schaut mich an, als wäre ich vom Dach gefallen. Erst als ich ihr die Zwanzig-Schilling-Note in die Hand drücke, verwandeln sich ihre Gesichtszüge. Lächelt, zeigt mir Sofa, Schrank, Kochplatte, die Toilette im Flur. Für die zwanzig Schillinge kann ich einen Monat bei ihr wohnen. Gibt mir die Schlüssel. Ein paar Häuser weiter, auf dem Weg zum Mozarteum die Buchhandlung «Rupertus» mit eigenem Antiquariat. Mein Gott, was habe ich Glück heute. Dann wird es auch auf der Uni klappen.