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Ich bin, der ich bin

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Mir ist es momentan egal, ob Hinz und Kunz nett zu mir ist. Ich genieße es, unterwegs zu sein. Liebe es geradezu. Denn ich lerne kennen, was ich als Ortsansässiger nie zu Gesicht bekäme. Von Schule, Elternhaus und deren Gesetzen und Regeln gezwungen, Pflichten zu erfüllen. Erlebe beim Umherstreunen eine ganz andere Welt. Und fühle mich sofort besser. Alles Interessante, für mich Neue befriedigt mich, als wäre es ein Teil von mir. Ein wunderbares Gefühl, mich selbst zu spüren, bin ich unterwegs. Bin dann bei mir selbst zuhause. Anders als in einem festen Gebäude zu wohnen. Wechsel ist meine Natur, könnte ich sonst auf meiner Geige einzelne Töne variieren, auf dass sie Melodie werden? Kämen mir sonst ganz neue Gedanken, wenn ich unterwegs bin?

Ziehe mir ein Hemd an wie andere meines Alters, die langen Haare unter einer Mütze versteckt. Damit man mich nicht gleich als Fremden erkennt und verjagt. Schlendere durch die Straßen einer fremden Stadt. Durch Alleen mit Platanen, beschnitten aussehen, als hätte ein Barbier sie gestutzt. Parkanlagen mit weißen Bänken, Enten und Schwänen auf einem Teich. Von Kindern und alten Leuten mit Brotresten gefüttert. Hier und da ein Liebespaar, das sich umarmt und küsst, wenn keiner hinsieht.

Interessante Fassaden, Dächer mit Fenstern, die wie Ochsenaugen aussehen. Erker an Hausecken angeklebte Türme mit spitzen Hüten. Schmalhohe Fenster mit Gardinen. Balkone mit Geländern aus gebogenen Eisenstäben. An denen Kästen mit roten und weißen Geranien hängen. Frage mich, wie sie wohl wohnen hinter dieser Pracht? Ob drinnen alles auch so schön und ausgewogen ist? Höre öfter als einmal Geschrei aus einem offenen Fenster. Richtige Schimpfkanonaden sogar. Sie streiten sich, ärgern einander und schlagen sich, wie ich sehe. Kein Wunder, dass sie uns und andere Fremde so schlecht behandeln. Menschen, die sich ständig streiten und ohrfeigen, können keine Friedensengel sein.

Zum Glück ist der Himmel über ihnen und uns derselbe. Sonne und Mond ziehen ihre Bahn, wie wir. Man sieht nicht, wohin sie verschwinden. Und doch sind sie da. Sonst sähen wir sie nicht wieder. Die Sonne jeden Morgen. Den vollen Mond einmal im Monat. Ob man die vier Wochen deshalb Monat genannt hat? Wüsste es gern. Die Sterne in der Nacht leuchten. Glühen die großen, glitzern die kleinen. Immer an derselben Stelle, wie es scheint. So wie auch hier auf der Erde vieles auf der Stelle bleibt.

Hunde bellen hinter Toren. Katzen überqueren die Straße, buckeln an unseren Beinen und miauen. Brombeeren an Sträuchern und Pflaumen an Bäumen an vielen Stellen. Fordern uns auf zu pflücken und zu essen. Nur wir sind unterwegs wie Sonne und Mond. Den Menschen nicht willkommen. Verachtet, verjagt. Dürfen nicht wiederkommen wie Sonne und Mond. Könnten sie Himmelsgestirne aus- und einschalten, täten sie es. Passte es ihnen in den Kram. Wir passen ihnen nie. Finden immer einen Anlass, uns Schwierigkeiten zu machen. Dulden uns lediglich eine begrenzte Zeit außerhalb ihres Dorfes, ihrer Stadt. Jagen uns davon, protestieren aufgebrachte Bewohner ihrer Gemeinde. Irgendwer muss sie aufgehetzt haben. Oder ist es die Angst?

Seltsam, dass sie uns dennoch gerne zusehen und zuhören. Wenn wir auf Märkten musizieren oder tanzen. Freuen sie sich oder tun sie nur so? Einmal verachten und verjagen sie uns. Ein andermal holen sie uns zu ihrem Vergnügen. Immer dann, wenn sie Spaß haben wollen, den Alltag vergessen. Führen uns vor wie Clowns auf ihren Festen, Hochzeiten und Jubiläen. Als Fremdlinge in traditionellen Trachten dürfen wir auftreten, tanzen, zaubern, Tricks zeigen und Geld dafür nehmen. Das sie am liebsten zuhause ließen oder auf der Bank deponierten. Aus Angst, wir könnten ihr Portemonnaie stehlen, ohne dass sie es merken.

Man holt uns, weil Roma gute Kesselflicker sind. Frauen nähen und stricken aus dem ff. Männer musikalisch begabt. Oft mehr als ein Instrument beherrschen. Perfekt Geige spielen, Akkordeon, Gitarre oder Kontrabass. Zu Tänzen spielen wir auf, dass die Röcke fliegen. Attraktiv sind wir für sie nur, weil wir ihnen bieten, was sie nicht kennen. Auch sehen wir anders aus. Mit unserer dunkleren Hautfarbe, den schwarzen Haaren. Augen, die mal blitzen, mal dunkel verschattet sind, singen wir von Liebe oder Tod.

Verstehen muss man es nicht. Musik sagt alles. Fast alles. Unsere Kleider zeigen, dass wir Farben lieben. Die Fantasie nicht ausgeht, immer Neues erfindet. Jacken und Hosen schmücken vielfarbige Biesen. Schwarze oder weiße Spitze das Hemd an Brust und Manschetten. Pailletten an den Kleidern der Frauen. Als solche engagieren sie uns, solange wir am Ort sind. Ein paarmal im Jahr vielleicht. Das war ʼs dann. Nur Männer und Jungen dürfen öffentlich auftreten. Großväter achten darauf, dass die Töchter zuhause bleiben. Um ihre Unschuld besorgt. Mütter und Omas haben das Haus zu hüten. Auch wenn ʼs nur ein Karren ist, ein Zelt. Kürzlich las ich, in Berlin treten Frauen sogar nackt in sogenannten Kabaretts auf. Hier in Österreich sah ich noch kein Schild, auf dem Kabarett steht. Es würde mich interessieren.

Bis kurz nach meinem Achtzehnten wohnte ich bei meinen Eltern. Geschwister habe ich keine, bin der einzige Sohn. Habe alles erlebt, was sie erlebten, durchmachen mussten, Enttäuscht jedes Mal, wenn man uns die Türe wies. Die Genehmigung entzog mit läppischen Argumenten. Bäcker uns altes Brot andrehten. Frisches sei ausverkauft. Im Fleischerladen uns aus der Abfallkiste bedient, hätten wir nicht bares Geld auf die Theke gelegt. Mich aber traf es nicht ins Mark.

Erlebte es mit einer gewissen Distanz. Ich war nicht enttäuscht, wenn man uns nicht in ihrem Dorf, ihrer Stadt wohnen ließ. Weil unsere Haut dunkler ist als ihre. Unsere Haare schwarz und nicht geföhnt. Zu Zöpfen geflochten bei Frauen und um den Kopf gelegt seit Generationen schon. Schön, sie anzusehen, finde ich. Madonnen sind alle Romnîja unter achtzehn. Die blasse Haut einheimischer Frauen finde ich überhaupt nicht attraktiv. Jetzt ist Bubikopf Mode, wie ich sehe. Jede Frau trägt ihn wie eine Monstranz durch die Straßen: Seht her, bin ich nicht schön? Eingebildete Frauenzimmer.

Seit Frühjahr 1929 leben wir, meine Familie und sechs andere in Österreich. Der ganze Clan mit Kindern, Omas und Opas. Gerade jetzt zwei Wochen in Kirchschlag, einem Dorf oberhalb von Linz an der Donau. Haben außerhalb auf einer nicht gemähten Wiese unsere Wagen abgestellt. Auch in Österreich lässt man es nicht innerhalb von Ortschaften zu. Wie in anderen deutschsprachigen Ländern. Nur die Ärmsten der Armen, selber am Rande von Dörfern, gewähren uns Unterkunft. Bis wir einen Platz gefunden haben. Ein paar Tage in ihren bescheidenen Hütten. Wenn ihre Männer abends nicht nachhause kommen. Auf weit entfernten Feldern oder in Fabriken die Woche über arbeiten.

Hier also die Pferde abgespannt, sie grasen zu lassen. Den zweirädrigen Anhänger schräg gestellt. Hühner und Enten tummeln sich schon bald in sattem Grün oder fließendem Wasser. Selbstversorger sind wir seit eh und je. Ein Ei jeden Morgen, Fleisch einmal die Woche. Holz gesammelt und Feuerstellen eingerichtet, zu kochen im Freien. Bei schlechtem Wetter auf dem Ofen im Wagen. Zum Glück ein Bach in der Nähe. Fließendes Wasser ist klar und sauber. Frisch wie aus einer Quelle und löscht den Durst. Am künstlich gebauten Wehr Forellen. Praktisch das Essen vor der Tür. Auch praktisch, die Wäsche zu waschen. Immer fließt sauberes Wasser nach. Meine Mama den ganzen Vormittag damit beschäftigt.

Mein Papa und andere Männer gehen durchs Dorf. Zu musizieren und Geld dafür zu bekommen. Ich bin dabei, meine Geige in der Hand. Den Kasten zuhause gelassen. Das Akkordeon hat mein Vater schon umgeschnallt vor der Brust. Lässt hin und wieder ein Glissando erklingen. Leute bleiben stehen und gehen weiter. Öffnen das Fenster, schließen es sofort wieder, erkennen sie uns. Es ist nicht leicht Geld zu verdienen. Um Brot und Wurst zu kaufen, ein Paar neue Schuhe.

Heute aber ist Markt. Und wir sind Teil des allgemeinen Trubels. Denn ein Markt ohne Musik ist kein Markt. Rund muss es gehen, die Kasse klingeln, da sind wir recht. Vater und ich spielen Stücke, die schon unsere Vorväter spielten. Leute lächeln, als kennten sie sie. Freuten sich, uns wieder zu hören. Träumen von Irgendwas im Irgendwo? Selten fragt einer, woher wir kommen, wohin wir gehen. Ob es uns gut geht, das Geld reicht für eine Woche, fragt niemand.

Oft reicht es gerade mal für ein Brot und eine Wurst. Mama muss helfen. Sie kann gut Tischdecken häkeln und Pullover stricken. Eng gewordene Kleider weiter machen oder umgekehrt. Aber auch aus Tarock-Karten die Zukunft lesen. Richtig gut aus den Linien der Hände. In der rechten Hand andere als in der linken. Beide sollen sich entsprechen, auf irgendeine geheimnisvolle Weise. Weiß meine Mama.

Auch dass es schon Jahrhunderte Tradition sei bei den Roma und Sinti, wie sie uns manchmal nennen. Menschen wollen in bestimmten Situationen im Voraus wissen, was ihnen bevorsteht. Der richtige Mann, die richtige Frau. Reich werden oder arm bleiben. Freude oder Kummer. Ein gutes Geschäft oder viele Söhne. Und zahlen dafür einen Silberling.

Besonders Frauen wollen es wissen. Kommen spät am Abend zu meiner Mama. Weil dann kaum ein Risiko besteht, einem Bekannten zu begegnen. Kopf und Gesicht mit einem Schal verhüllt. Zahlen im Voraus und verschwinden nach einer Stunde wieder. So läppern sich Groschen und Taler zusammen und wir kommen über die Runden.

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