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Eine aufrechte antikommunistische Demokratie. Die finnische Gesellschaft der 30er Jahren
ОглавлениеDie Freiheit bedeutete in jenen Jahren für die Arbeiterklasse eine Freiheit, über der der Schatten der Geheimpolizei lag und die zusätzlich von den am europäischen Himmel aufgetauchten dunklen Kriegswolken verfinstert wurde. Den vorläufig ausgestellten Pass musste man jeden Monat der Polizei vorzeigen. Auch sonst schien die Überwachung sehr streng zu sein, denn in dem Malerbetrieb von Paavo Kivikoski, wo ich nach meiner Freilassung als „Geselle“ arbeitete, tauchten solche „Kunden“ auf, deren Spuren eindeutig zur Staatspolizei führten. Abends hielten sich in der Nähe unserer Wohnung Typen auf, die nach ihrem Verhalten und Auftreten mit ziemlicher Sicherheit zur Wachmannschaft der „Demokratie“ gehörten.47
Nestori Parkkari über die Atmosphäre der 30er Jahre aus der Sicht eines Kommunisten
Auch Finnland wurde Anfang der 30er Jahre Opfer der internationalen Wirtschaftskrise. Die wirtschaftlichen Folgen der Depression waren hier nicht so stark zu spüren, aber auch in Finnland war damit eine Zeit der politischen Krise verbunden, die sowohl durch die schwierige Lage der Linken als auch durch die rechtsradikale Lapua – Bewegung hervorgerufen worden war. Der größte Sieg dieser Bewegung und der Gipfelpunkt ihres Einflusses waren 1930 der sog. Bauernmarsch nach Helsinki und die Verabschiedung der Kommunistengesetze, durch welche die politischen Handlungsmöglichkeiten der Ultralinken einschränkt wurden. Die Möglichkeiten des außerparlamentarischen Einflusses schienen einer Machtübernahme nach dem Vorbild Italiens auch in Finnland den Weg zu ebnen. Die Tage nach den aggressiven Ereignissen bei dem Bauernmarsch machten jedoch schnell die Grenzen für die Möglichkeiten des Rechtsradikalismus deutlich.48
Auch wenn die unmittelbare Bedrohung durch die Rezession und die Machtübernahme in den Hintergrund trat, lagen in den 30er Jahren dunkle Schatten über Finnland. Es gab große Auseinandersetzungen über den Einfluss der beiden Sprachgruppen, über die Klagen wegen des Verstoßes gegen das Druckund Publikationsgesetz, über die Todesstrafe, über das Tragen von Uniformen der Radikalen von links und rechts bei öffentlichen Veranstaltungen, über den Kulturkampf und über die Veröffentlichung von Büchern. Der Sprachenstreit tobte besonders in den Universitäten, und das Parlament war nicht imstande, das Problem zu lösen, das nach der Meinung von denen, die sachkundiger und weitblickender waren, die Beziehungen zu Schweden verschlechterte.49
Zusätzlich zu den innenpolitischen Problemen musste Finnland während der gesamten Zwischenkriegszeit das durch die Sowjetunion verursachte Sicherheitsproblem lösen. In den ersten Jahren der Unabhängigkeit suchte man zuerst die Lösung in der sog. Grenzstaatenpolitik; mit anderen Worten: Man wollte durch gemeinsame Absprachen mit den anderen Nachbarstaaten der Sowjetunion sowie durch internationale Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Völkerbund mehr Sicherheit erlangen. Die politische Wirklichkeit dieser Zeit machte jedoch die Voraussetzungen zum Erreichen dieser beiden Ziele zunichte. Die Grenzstaatenpolitik scheiterte spätestens an dem fehlenden Willen, die Hand für den anderen ins Feuer zu legen. Der Völkerbund erwies sich als zu schwach, seine Resolutionen kraftvoll durchzusetzen, wenn nicht dahinter die Großmächte standen, die ernsthaft nach einer Lösung suchten. Finnland war von Anfang an dem Völkerbund beigetreten, um Schutz vor der Sowjetunion zu bekommen und um zu vermeiden, bei den Lösungen in der internationalen Politik ausgesperrt zu bleiben. Nachdem Deutschland aus dem Völkerbund ausgetreten war und die Sowjetunion 1934 als Mitglied aufgenommen wurde, schien dieser Gedanke obsolet zu sein.50
Als die weltpolitische Lage sich weiter zuspitzte, begann Finnland Ende der 30er Jahre, die Rettung in der Neutralität, in enger Anbindung an Schweden und in der nordischen Zusammenarbeit zu suchen. Diese Politik basierte auf einer realistischen Lagebeurteilung, aber zeigte gleichzeitig, wie besorgniserregend gering die sicherheitspolitischen Alternativen Finnlands geworden waren. Der Glaube an die Möglichkeiten einer Sicherheitspolitik, die sich auf Schweden stützte, stand von Anfang an auf wackligen Füßen. Die bedrückenden Alternativen beschrieb Juho Kustaa Paasikivi im April 1939 in seinem Brief an den Journalisten und Wortführer der Nationalen Sammlungspartei Kaarle Nestori Rantakari:
Ich habe gehört, dass Du zu Hitlers 50. Geburtstag nach Deutschland fährst. Das ist gut so. Auch wir müssen „Realpolitiker“ sein, denen bewusst ist, dass, falls die Neutralitätspolitik nicht gelingt, wir uns entweder den Bolschewiki oder den Deutschen unterwerfen müssen. Und die letztere Alternative ist besser, obwohl auch nicht so erfreulich.51
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Auch wenn bei den bürgerlichen Finnen das Leben unter bolschewistischer Herrschaft die schlechtestmögliche Zukunftslösung war, so erwies sich die Situation bei den Linken noch undurchsichtiger. Der Bürgerkrieg und seine Beurteilung waren zu einem Streitobjekt geworden, das die finnische Linke spaltete. Diese unterschiedliche Bewertung bestimmte letzten Endes auch die Beziehung zur Sowjetunion.52 Die überwiegende Mehrheit der finnischen Arbeiterbewegung schloss sich nach dem Bürgerkrieg der gemäßigten sozialdemokratischen Partei an. Die Mehrheit der Sozialdemokraten war relativ schnell bereit, die infolge des Bürgerkrieges entstandene finnische Republik zu akzeptieren. Sie verwarf allmählich völlig den traditionellen Internationalismus der Arbeiterbewegung sowie den Revolutionsgedanken und setzte sich für gesellschaftliche Erneuerungen auf parlamentarischem Weg ein.53
In der Partei gab es jedoch eine innere Opposition. Einige Mitglieder der Sozialdemokraten gehörten dem radikalen Flügel an. Diese waren eigentlich Kommunisten, die im Schutz der legalen Linkspartei ihre öffentlichen Aktionen fortsetzten. Zum Linksflügel der Partei zählte auch eine heterogene Gruppe von unabhängigen Denkern, sozialistischen Theoretikern und Unentschiedenen, die es vermieden, eine klare Wahl zu treffen, weder für den Parlamentarismus noch für die Revolution. Gemeinsam war jedoch diesen Linksabweichlern innerhalb der Sozialdemokratie, dass sie eine Sonderbeziehung zur Sowjetunion pflegten. Der erste sozialistische Staat in der Welt wurde gegen mögliche Kritiker verteidigt, mit seinen scheinbaren Errungenschaften wurde starrsinnig geprahlt oder das Geschehen wurde teils verlegen, teils verschämt erklärt. Der zu den linken Sozialdemokraten gehörende Journalist und Schriftsteller Raoul Palmgren musste 1937 sich selbst und den Lesern der Kulturzeitschrift „Soihtu“ (Die Fackel) die in der Sowjetunion stattfindenden Säuberungen erklären:
Wie wir schon am Anfang erwähnten, ist das Klima allgemein in den demokratischen Kreisen der Welt erschüttert worden, nicht nur wegen des Tuhatševski-Prozesses54, sondern wegen der ganzen Serie der „Säuberungen“. Unter diesen Umständen sind der stetige soziale und wirtschaftliche Fortschritt, der dritte Fünfjahresplan, die neue Verfassung und das Wahlgesetz in der Sowjetunion leicht in den Hintergrund gedrängt worden, Fakten, die jedoch wichtig sind, wenn man über die zukünftige Richtung der Geschichte diskutieren will. Und vor allem müssen wir trotz der Enttäuschungen, die die Innenpolitik der Sowjetunion uns Sozialdemokraten bereitet hat, daran denken, dass dieses Land jetzt, wenn die Flammen der faschistischen Kriegsprovokationen in Spanien und im fernen Osten lodern, mehr denn je der stärkste Stützpfeiler des Weltfriedens ist.55
So zerrissen und widersprüchlich wie das ideologische und intellektuelle Spektrum der finnischen Ultralinken auch war, so strebte die Kommunistische Partei Finnlands (SKP) doch danach, sie unter ihrer Führung zu vereinigen. Die Partei war von den finnischen Roten, welche in die Sowjetunion geflüchtet waren, im August 1918 in Moskau gegründet worden, und sie stand völlig unter dem Einfluss der Bolschewiki und später unter dem der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und war wirtschaftlich von ihr völlig abhängig. Die Aufgabe der Partei war es, die gewaltsame Machtübernahme vorzubereiten, die höchstwahrscheinlich Finnland sowieso unter die Vorherrschaft der Sowjetunion gebracht hätte. Zu diesem Zweck versuchte sie in Finnland eine geheime Organisation aufzubauen, während ihre Anhänger entweder offen oder verdeckt in finnischen politischen Organisationen und im Parlament agierten.56
An der Wende von den 20er zu den 30er Jahren gab es jedoch Schwierigkeiten. Die Geheimpolizei versetzte 1928 der in Finnland arbeitenden Organisation der SKP einen schweren Schlag, indem sie den größten Teil der Mitglieder und Kreisvertreter ihrer Führung, des sog. Finnland-Büros, verhaftete.57 Schicksalhaft erwies sich auch Ende der 20er Jahre die rigorose Taktik der „dritten Phase“, die auf Befehl der Komintern übernommen worden war. Gemäß ihr begannen die Kommunisten den Klassenkampf zu beschleunigen, da sie die unmittelbar bevorstehende Krise des Kapitalismus erwarteten. Die Folge war ein Zerwürfnis sowohl mit den Sozialdemokraten, die als Handlanger des Kapitalismus oder Faschismus bezeichnet wurden, als auch die Ohnmacht vor dem Terror der Lapua-Bewegung.58
Die Zeit der uneingeschränkten politischen Tätigkeit endete mit den Kommunistengesetzen, die auf Drängen der Lapua-Bewegung 1930 verabschiedet wurden. Mit anderen Worten gab es Veränderungen bei der Parlamentsordnung und beim Wahlgesetz, die dazu führten, dass die überzeugten Kommunisten für wahluntauglich erklärt wurden. Übrig blieb die Untergrundtätigkeit, gestützt auf Scheinorganisationen und Einschleusungen. Ende der 30er Jahre wurde jedoch die Führung der SKP durch die Terrorwelle in der Sowjetunion fast völlig vernichtet. Die Anzahl der aus Finnland geflüchteten Roten wurde so stark dezimiert, dass die Partei nicht mehr imstande war, die Aktionen in Finnland zu lenken. Die Verbindungen der finnischen Kommunisten zur Sowjetunion brachen ab.59
Obwohl die Geheimpolizei das Ausmaß der Säuberungen nicht erfasst hatte, bemerkte sie Anfang der 30er Jahre, dass der Gegner schwächer geworden war. Der Kampf gegen den Kommunismus wurde dennoch auf der Basis der früheren Feindbilder fortgesetzt. 1935 veränderte die Komintern ihre politische Ausrichtung, und mit dem Beginn der Volksfrontpolitik schienen die Ultralinken wieder Auftrieb zu bekommen, aber die aus der Sowjetunion geführte Organisation der SKP konnte diese nicht zu neuem Leben erwecken. In Finnland bot die Volksfrontpolitik den Kommunisten jedoch kurzzeitig neue Möglichkeiten in dem Maße, wie die finnischen Linksintellektuellen und Sozialdemokraten wieder potentielle Kooperationspartner wurden.60
Trotzdem konnte die Staatspolizei Ende der 30er Jahre die Organisation der SKP in Finnland zerstören, die Wiederbelebungsversuche der Partei verhindern sowie die unterentwickelte Basis der Partei so unterminieren, dass die Sicherheitspolizei oft über die Angelegenheiten der Partei besser informiert war als die Partei selbst. Ende der 30er Jahre brach der Winterkrieg aus, der eine große Enttäuschung hinsichtlich der Sowjetunion verursachte. Gleichzeitig wurden die wichtigsten Funktionäre in Schutzhaft genommen, einige wurden in die Armee eingezogen oder evakuiert, und all das lähmte die Aktivitäten der Kommunisten während des Winterkrieges so vollständig, dass sich auch die Staatspolizei über die Untätigkeit wunderte. Nicht nur die Führung der SKP saß in finnischen Gefängnissen, sondern auch die übrigen einfachen Parteimitglieder schienen all ihre Tatkraft verloren oder sie sogar gegen die Sowjetunion eingesetzt zu haben. Der finnische Kommunismus war endlich – für einen Moment – geschlagen.61
Die Erfahrung des Winterkrieges bestimmte endgültig die Richtung der finnischen Sozialdemokratie und schuf zwischen den Sozialdemokraten und den Kommunisten für lange Zeit einen unüberbrückbaren Gegensatz.62 Die Ultralinken erholten sich jedoch schnell von den Folgen des Winterkrieges und kehrten zu ihren früheren ideologischen Prinzipien zurück. Der im Sommer 1940 gegründete „Verein für Frieden und Freundschaft zwischen Finnland und der Sowjetunion“ (SNS) ermöglichte die öffentliche Tätigkeit der Kommunisten und entwickelte sich zu einer schnell wachsenden revolutionären Protestbewegung, die von den Behörden zwischen dem Ende des Winterkrieges und dem Beginn des Fortsetzungskrieges besorgt beobachtet wurde.63
Als der Fortsetzungskrieg ausbrach, war es mit der durch den Winterkrieg entstandenen ideologischen Unsicherheit endgültig vorbei. Die finnischen Kommunisten identifizierten sich wiederum zweifellos mit den Zielen der Sowjetunion und versuchten stellenweise sogar Widerstand mit Hilfe von Deserteuren zu leisten. Die Tätigkeit blieb jedoch uneinheitlich und wirkungslos hauptsächlich deshalb, weil das organisatorische Netzwerk der Kommunisten schon während der 30er Jahre zerstört worden war. Das hinderte jedoch die Staatspolizei nicht daran, die Kommunisten, die sich im Wald versteckten und den Deserteuren halfen, weiterhin für einen gefährlichen Gegner zu halten und sie als eine beträchtliche Bedrohung in Bezug auf die Kriegsführung und Sicherheit Finnlands anzusehen.
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Die größte Gruppierung der finnischen Rechten war die Nationale Sammlungspartei, die das traditionell- konservative Bürgertum vertrat, das zeitweise autoritär und antiparlamentarisch geprägt war. Im Laufe der 30er Jahre verlor die Partei in der finnischen Politik an Bedeutung, aber ihr Rückhalt war weiterhin bedeutend in bestimmten zentralen Institutionen, wie z.B. bei den Streitkräften und bei der Polizei.64
Die Nationale Sammlungspartei war ursprünglich die integrierende Kraft der finnischen Rechten, deren Anhänger von den gemäßigten Konservativen bis zu den Rechtsradikalen und Aktivisten reichte. Die Aktivisten- und die Jägerkreise hielten sich für die eigentlichen Schöpfer und Bewahrer der Unabhängigkeit, die deshalb auch das Recht hätten, die zukünftige Richtung des Landes zu bestimmen. Die erste Ernüchterung geschah jedoch schon 1919 in der Auseinandersetzung um die Regierungsform. Statt eines Königreiches wurde Finnland eine parlamentarische Republik. Das politische Leben der 20er Jahre mit seinen kurzlebigen Minderheitsregierungen und dem parteipolitischen Taktieren führte zu einer immer stärkeren Frustration. Die Kommunisten kehrten schnell in die finnische Politik zurück, und es gelang ihnen immer wieder, sich mit ihren aus dem Boden gestampften Scheinorganisationen über die wirkungslosen Gesetze lustig zu machen. Paavo Susitaival, der zum Kern der Aktivisten gehörte, schilderte später die politische Entwicklung während der ersten Jahre der Unabhängigkeit aus der Sicht der Ultrarechten, und er beschrieb die unter ihnen herrschende Enttäuschung über die Demokratie, den Parlamentarismus und die Rechtstaatlichkeit:
Obwohl das Verdienst an der finnischen Unabhängigkeit in erster Linie den Aktivisten und den Jägern zukommt, gingen die ganze Beschlussfähigkeit und die Regierungsmacht an die Politiker und die Parteien über. Schon Anfang der 20er Jahre ließ man sich zu Parteistreitigkeiten hinreißen. Die „Demokratie“ war so in Mode gekommen, dass auch die kommunistische Partei, die den Landesverrat förderte und einen Aufstand vorbereitete, als eine legale Partei angesehen wurde.65
Das politische System der Republik war nicht imstande, das zentrale Ziel der Rechten, die Schaffung eines vereinten und starken Nationalstaates, zu realisieren und deshalb zerbröckelte die sowieso schon von Anfang an nur gering vorhandene Treue zur Republik.66 Die Generation, die in der Zeit des Unabhängigkeitskampfes und des Bürgerkrieges aufwuchs, betrachtete die Arbeit von 1918 als unvollendet. Anfang der 30er Jahre schien es nur zwei Alternativen zu geben: entweder die „vaterländische Gesetzlosigkeit“ der Lapua-Bewegung oder die „vaterlandslose Gesetzlichkeit“ der Republik.67
Anfang der 30er Jahre erstarkten die Rechten, was in der letzten Phase dazu führte, dass sich der radikale Flügel von der Sammlungspartei abspaltete und eine neue politische Partei bildete. Die 1932 gegründete Vaterländische Volksbewegung (IKL), der Nachfolger der aufgelösten Lapua-Bewegung, übernahm einen großen Teil der Wählerschaft von der Nationalen Sammlungspartei und begann, die politischen Ziele der Lapua-Bewegung parlamentarisch zu vertreten. Die IKL übernahm als Erkennungszeichen die Parole „Heim, Religion, Vaterland“ und glaubte diese politischen Ziele zu verteidigen, ohne sich zu genieren, ausländische Einflüsse aufzugreifen und für die Durchsetzung ihrer Politik Parteiuniformen zu tragen.68
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 in Deutschland zwang sowohl das finnischen Bürgertum wie auch die antikommunistische Linke zu einer langen und von unterschiedlichen Emotionen geprägten Erörterung über ihre Beziehung zu dem neuen Deutschland. Bei den Rechten sah man Deutschland wegen der Ereignisse im Jahre 1918 weiterhin irgendwie als Garant für die finnische Unabhängigkeit. Es wurde jedoch verstanden, dass die Weimarer Republik weder fähig noch willens war, diese Garantie einzulösen. Die Wiederaufrüstung und die aggressive Außenpolitik von Hitler-Deutschland hielt man deshalb nicht zwangsläufig für bedrohlich, sondern als einen ermutigenden Wechsel hinsichtlich der politischen Situation. Wenn überhaupt, dann war sie in den finnischen Offizierskreisen willkommen, wo die Tradition der Jägerbewegung lebendig war und weiterhin wirkte.69
Dennoch empfand die Mehrheit der Finnen in Bezug auf das nationalsozialistische Deutschland keine besondere Begeisterung. Als die wahren Ziele von Hitlers Politik immer deutlicher wurden, beurteilte man sie in Finnland hauptsächlich negativ.70 Der politische Terror und die Unterdrückungsmaßnahmen z.B. gegen die Juden wurden durchaus bemerkt und verurteilt, obwohl man im Namen des Antikommunismus und im Hinblick auf eine „ausgewogene“ Nachrichtenübermittlung auch bereit war, sie zu erklären und zu verstehen.71 Nur bei den radikalen Rechten war die Situation eine völlig andere, und z.B. in der Parteizeitung der IKL „Ajan suunta“ (Richtung der Zeit) erhielten auch die Vertreter der Rechtsradikalen und der finnischen Nationalsozialisten breiten Raum. Diese Artikel, in denen begeistert über die Ereignisse in Deutschland berichtet wurde, sollten beweisen, dass die zukünftige Entwicklung wirklich unaufhaltsam auf die „einzige, die Gesellschaft rettende neue Weltanschauung“ zulief.72
Der schrille Antikommunismus des nationalsozialistischen Deutschlands traf vielleicht bei den gewöhnlichen Finnen auf das meiste Verständnis und die größte Zustimmung. Hitlers Diktatur, geprägt von gewaltsamen Äußerungen und rigorosem Vorgehen hielt man – anders als die Sowjetdiktatur – für ein Phänomen, welches sich zum Ziel gesetzt hatte, das Gesetz, das Gesellschaftssystem und die bürgerlichen Werte zu bewahren und das deshalb im Kern gesund sei. In einem Land wie Finnland, wo die Bedrohung durch den Sowjetkommunismus ein tägliches Gesprächsthema war, konnte dies nicht ohne Wirkung auf das allgemeine Deutschlandbild bleiben:
Es kam einem vor, als ob mitten in Europa eine ungezähmte Naturkraft begonnen hätte zu toben, eine Kraft, die in ihrem Bestreben nach einem unbekannten Ziel alle Hindernisse beiseite räumt. Die Gedanken flogen sorglos und leicht wie die Tennisbälle umher; aber immer kam man in der Diskussion zu einem Punkt, wo es plötzlich ernst wurde. Man hörte auf, spöttisch über geheiligte Themen zu reden und jemand aus der Gruppe stellte fest, dass Deutschland immerhin Europa vor dem Bolschewismus gerettet habe. Alle falteten die Hände und auch die größten Kritiker nickten andächtig mit dem Kopf. Und damit endete die Diskussion. Ungezählt waren die Siege, die Hitler auf diese Weise an den finnischen Kaffeetafeln errungen hat.73
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Das Finnland der 30er Jahre, das von innenpolitischer Labilität und von zunehmenden außenpolitischen Schwierigkeiten geprägt war, schwamm trotzdem in seiner gesellschaftlichen Entwicklung in bemerkenswerter Weise gegen den gesamteuropäischen Strom. Gegen Ende des Jahrzehnts erholten sich die finnische Gesellschaft und die Demokratie von den ersten Jahren, die durch die Zeiten der Not und der Lapua-Bewegung geprägt waren, auf eine Weise, die sich fast sonst überall in Europa als undurchführbar erwies. Man hatte sich von der Wirtschaftskrise erholt, die Ausfuhr begann sich zu beleben und der Lebensstandard stieg. Trotz der lauten Propaganda der Radikalen und der politischen Unsicherheit unterstützte die überwiegende Mehrheit der finnischen Wähler die traditionellen Parteien.74
Gegen Ende der 30er Jahre hatte die finnische „Bauerndemokratie“ ihre Probe bestanden und die politischen Verhältnisse waren im europäischen Maßstab gesehen außerordentlich stabil. Die finnische Mehrheit akzeptierte die Einschränkungen der politischen Bürgerrechte wie die Kommunistengesetze, das Gesetz gegen das Tragen von politischen Uniformen und das Agitationsgesetz wegen des Antikommunismus und um die Sicherheit zu gewährleisten. Als Zeichen der bevorstehenden politischen Versöhnung waren die Sozialdemokraten bereit, 1937 die erste finnische Mitte-Links-Regierung zu bilden. Nach Auffassung des Schriftstellers Matti Kurjensaari war deutlich zu sehen, dass im Volk eine große Selbstzufriedenheit vorherrschte: „Die patriotischen Bürger sind der Ansicht, dass es in unserem Land eine stabile antikommunistische Demokratie gibt.“75
Ende der 30er Jahre brach jedoch ein Krieg aus, und es entstand eine bedrohliche Situation, die die ganze Existenz Finnlands zu gefährden schien. Die Erfahrung mit dem Winterkrieg verschärfte den finnischen Antikommunismus. Gleichzeitig verbitterte und radikalisierte er die Finnen spürbar in ihrer Haltung zur Sowjetunion und zu deren politischem System. Die folglich größte Radikalisierung erfolgte unter den Organisationen, die sich beruflich mit dem Antikommunismus auseinandersetzten, wie z.B. die Staatspolizei. Sie ging mit ihren Maßnahmen oft über die gesetzlich festgelegten Grenzen hinaus und stieß gleichzeitig den finnischen Rechtsstaat in seine tiefste Krise seit 1918 und seit den Tagen, als die Lapua-Bewegung ihren größten Einfluss hatte.