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Morde im Eis. Ein Vorwort

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Es war an einem sonnigen Sommersamstag 2009, als ich mit meinem Freund Rüdiger Haußmann, Lehrer in Kornwestheim und Finnland-Freund, sowie unseren beiden Hunden über die Felder und Wiesen von Hoheneck streifte. „Sag mal“, fragte Rüdiger unvermittelt, „was weißt Du eigentlich über das deutsche Einsatzkommando in Finnland?“ Ich dachte kurz nach. „Ich weiß, daß es existiert hat, aber kaum mehr“, antwortete ich. Die Einheit würde zweimal im Verteiler von Erlassen des Reichssicherheitshauptamtes erwähnt. Außerdem gäbe es einen knappen Bericht ihres namentlich nicht genannten Kommandeurs über seine Ankunft in Finnland in einer „Ereignismeldung UdSSR“ im Sommer 1941. Soweit ich wisse, existiere mehr dazu nicht in deutschen Archiven. Auch die Akten der Zentralen Stelle Ludwigsburg hülfen da nicht weiter. Denn die Staatsanwälte hätten das Einsatzkommando komplett übersehen. Kein einziger seiner Angehörigen sage darüber auch nur eine Silbe aus, falls man ihn überhaupt jemals vernommen habe. Rüdiger hörte aufmerksam zu, wechselte dann geschickt das Thema und ließ mich zappeln. Vor dem Abendessen zog er dann die Juni-Nummer der „Deutsch-Finnischen Rundschau“ aus seinem stets mitgeführten Bücherbeutel und schlug den Artikel „Schmerzhafte Erkenntnisse“ von Klaus Reichel – nunmehr Übersetzer des vorliegenden Bandes – auf. So begann meine Bekanntschaft mit Oula Silvennoinen.

Einige Wochen später hatte der Verlag auf meinen Wunsch hin das Buch besorgt, und wir beide brüteten in der Sommerhitze vor unserer Stammkneipe mit einem Finnisch-Wörterbuch über dem Inhaltsverzeichnis. Anschließend intensivierten wir unsere Lektüre über das deutsch-finnische Verhältnis im Zweiten Weltkrieg, und es begann die Recherche im Internet, um alles zu erfahren, was über Silvennoinens Werk in uns wirklich zugänglichen Sprachen zu finden war. Das Ergebnis war unterm Strich ebenso eindeutig wie sensationell: 2008 – 63 Jahre nach 1945 – hatte ein junger Historiker die finnische Nationallegende zum Zweiten Weltkrieg zerpflückt und der Geschichte der Judenvernichtung ein neues, grausiges Kapitel hinzugefügt. Damit stand fest, daß ‚der Silvennoinen‘ thematisch unbedingt in die Ludwigsburger Reihe gehört. Also begann der Kampf gegen die Zeit: Expertise dazu, Überzeugungsarbeit gegenüber dem Verlag, Wettlauf um die Rechte und Einwerbung der nötigen Sponsorengelder, die dankenswerterweise zu fast gleichen Teilen von deutschen und finnischen Institutionen aufgebracht wurden. Nun ist das Werk vollbracht, und die historisch interessierte Leserschaft im deutschen Sprachraum kann sich auf eine atemberaubende Lektüre einrichten. Mein Dank aber geht – neben dem an Autor, Übersetzer, Lektor und Sponsoren – insbesondere an meinen Freund Rüdiger. Ohne ihn wäre dieses wichtige Buch nicht in der Ludwigsburger Reihe und damit im Programm der WBG.

Bei der Lektüre gilt es, sich einige Besonderheiten der Geschichte Finnlands im 20. Jahrhundert ins Gedächtnis zu rufen, die Silvennoinen gelegentlich voraussetzt, da sie dem finnischen Leser selbstverständlich, dem deutschen aber eher unbekannt sind: 1809 war das Land durch den Frieden von Hamina aus seiner fast 700 Jahre andauernden Verbindung mit Schweden herausgelöst und durch Zar Alexander I. als autonomes Großfürstentum seinem Reich einverleibt worden. Die Februarrevolution 1917 und den Thronverzicht des Zaren nutzten die Finnen, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend als eigene Nation definiert hatten, dazu, sich vom verhaßten russischen Joch zu befreien. Da es in St. Petersburg keinen Großfürsten von Finnland mehr gab, das dynastische Band also zerrissen war, erklärte das Parlament in Helsinki am 6. Dezember 1917 die Unabhängigkeit des Landes. Kurz danach – im Januar 1918 – brach jedoch der Finnische Bürgerkrieg aus, der weitreichende Folgen haben sollte. Obwohl Sozialdemokraten und keine Bolschewisten an der Spitze standen, besetzten rote Garden die zentralen staatlichen Behörden und bildeten eine Revolutionsregierung, den Rat der Volksbeauftragten, während sich in Vaasa die Regierung des weißen Finnland konstituierte. Geführt von dem ehemaligen zaristischen General Carl Gustav von Mannerheim und gestützt auf die einheimischen Schutzkorps, die in Deutschland militärisch ausgebildeten finnischen „Jäger“ und die deutsche Ostseedivision, wurde der Aufstand bis Mai blutig niedergeschlagen. Der von beiden Seiten ausgeübte Terror und die dem Bürgerkrieg folgende Abrechnung forderten fast 30.000 Todesopfer, darunter 25000 „Rote“. Im Frühjahr 1918 war die finnische Nation schroffer gespalten als je zuvor.

Nur vor diesem Hintergrund ist die von Silvennoinen geschilderte Entwicklung der finnischen Geheimpolizei und ihrer Nachfolgerin, der Staatspolizei (Valtiollinen poliisi–Valpo), zu verstehen. Während im Moskauer Exil Ende August 1918 die Kommunistische Partei Finnlands gegründet wurde, das Land sich nach der deutschen Niederlage aus dessen Einflußsphäre löste und sich einer an den skandinavischen Staaten orientierten Neutralitätspolitik zuwandte, war gleichzeitig die Gefahr eines rechten Umsturzes akut und real, insbesondere während der Jahre 1919–1921 und 1929–1932. Vor allem die Lapua-Bewegung, die sich in vielem am italienischen Faschismus orientierte, brachte das Land mit Entführungen, gewaltsamen Krawallen und der offenen Putschdrohung, ein „vaterländischer Aufstand“ sei besser als eine „vaterlandslose Gesetzlichkeit“, mehrfach an den Rand eines erneuten Bürgerkrieges. Hinzu kam die „Nachbarschaft des Bären“, der aggressiven Sowjetunion, die sich im geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt am 23. August 1939 freie Hand gegenüber Finnland zusichern ließ und am 30. November auf breiter Front angriff. Die finnische Armee unter dem Oberbefehl Mannerheims wehrte sich erbittert, doch im Frieden von Moskau mußte die Republik am 13. März 1940 das industrialisierte Karelien an die Russen abtreten.

Daß das Land im Winterkrieg gleichwohl seine Selbstständigkeit verteidigt hatte, wurde allgemein auf eine neue nationale Geschlossenheit zurückgeführt, die die Wunden des Bürgerkrieges von 1918 geheilt habe. Weil das Resultat des Waffenganges aber von Anfang an als „Zwischenfrieden“ begriffen wurde und das Dritte Reich durch den Überfall auf Norwegen im April 1940 zudem als neuer Grenznachbar im äußersten Nordwesten auftauchte, lag der Gedanke an eine gemeinsame Allianz bald schon nahe und wurde um so wahrscheinlicher, je mehr sich das deutsch-sowjetische Verhältnis verdüsterte. Als einer hochrangigen finnischen Militärdelegation bei einem Besuch in Deutschland Ende Mai 1941 endgültig klar wurde, daß dessen Angriff unmittelbar bevorstand, faßte der „innere Kreis“ der Regierung die Entscheidung zur Teilnahme am „Unternehmen Barbarossa“. In der ersten Juniwoche begannen die Deutschen mit dem Transport ihrer Angriffstruppen nach Nordfinnland. Ende des Monats traten die Finnen an der Seite des Dritten Reiches selbst in den Krieg ein. Als Begründung für diesen als „Fortsetzungskrieg“ bezeichneten Überfall dienten neben den Gebietsverlusten im Jahr zuvor sowjetische Luftangriffe gegen das Land, in dem mittlerweile bereits sechs deutsche Divisionen stationiert waren. Es bildeten sich zwei Fronten heraus: die gegen Leningrad gerichtete Karelien-Front mit dominant finnischen Verbänden unter einheimischem Oberbefehl und die gegen Murmansk gerichtete Lappland-Front mit Verbänden der Wehrmacht, Waffen-SS und einem finnischen Armeekorps unter deutschem Kommando.

Um es sich nicht nach Kriegsende mit den USA und Großbritannien sowie mit der Sowjetunion zu verderben, mit der man am 19. September 1944 einen separaten Waffenstillstand schloß, ersann man parteiübergreifend ein Entschuldungsgebäude, um nicht gemeinsam mit dem Dritten Reich auf die Anklagebank gesetzt zu werden: Finnland habe zwar in militärischer Absprache, nicht aber im Bündnis mit den Nationalsozialisten gehandelt. Der Staat sei während des gesamten Zweiten Weltkrieges eine funktionierende parlamentarische Demokratie geblieben. Seine Kriegführung habe sich grundlegend vom rassenideologischen Vernichtungskrieg der Deutschen unterschieden. In der finnischen Armee hätten jüdische Finnen als gleichberechtigte Soldaten gekämpft. Und nicht zuletzt: An der Karelien-Front habe man sich auf die Rückeroberung der verlorenen Gebiete beschränkt, stoppte den Angriff 10 Kilometer hinter der einstigen Grenze und ging dann zum Stellungskrieg über, besaß also nicht die Absicht zur Unterwerfung russischen Territoriums. Diese Konstruktion bewahrte die Finnen vor einem ‚Nürnberg‘, führte nur zu kurzen, symbolischen Haftstrafen unter eigener Gerichtshoheit und blieb bis faktisch 2008 in Gebrauch.

Natürlich konnte diese Argumentation auch damals schon Zweifel erwecken: Denn lediglich die Finnen waren siegreich in der Offensive, während die Deutschen so gut wie keinen Schritt vorankamen. Was aber wäre geschehen, wenn diese Murmansk, den enorm wichtigen Hafen an der Barentsee, über den große Teile der amerikanisch-britischen Unterstützungsgüter für die Sowjetunion liefen, und erst recht Moskau genommen hätten? Aber dies war eine hypothetische Frage und kein Faktum. Tatsache war allerdings bald schon, daß die Finnen am 6. November 1942 acht jüdische Emigranten an die Nationalsozialisten ausgeliefert hatten, von denen nur einer Auschwitz überlebte. Doch dies ließ sich als ‚bedauerlicher Einzelfall‘ kleinreden. Und man zitierte gerne, daß Ministerpräsident Rangell Himmler bei dessen Finnland-Visite am 4. August 1942 entgegenhielt: „Wir haben keine Judenfrage.“ Ernster wurde es dann 2003, als die finnische Journalistin Elina Sana nachwies, daß etwa 3000 sowjetische Kriegsgefangene an die Deutschen überstellt worden waren – eine Zahl, die damals auch in der deutschen Presse Aufmerksamkeit erregte. Dies wurde mittlerweile auch von einer Kommission unter dem renommiertesten Zeithistoriker des Landes, Heikki Ylikangas, Autor von „Der Weg nach Tampere“, des auch auf Deutsch vorliegenden Standardwerkes über den Finnischen Bürgerkrieg, wissenschaftlich verifiziert. Silvennoinen war Mitarbeiter dieses Untersuchungsausschusses, riß auf dieser Basis den Rest des Legendengebäudes ein und zeichnete so ein völlig neues Finnland-Bild während des Zweiten Weltkrieges.

Demnach funktionierte zwischen 1933 und 1944 eine friktionslose Zusammenarbeit zwischen Valpo und Gestapo. Sie beruhte zunächst auf einem gemeinsamen antikommunistischen Feindbild und persönlicher Freundschaft – Heinrich Müller sowie Arno Anthoni und Bruno Aaltonen, die Chefs der Valpo, duzten sich – und unterlief konsequent Vorgaben der finnischen Regierung. Da die beiden Finnen zudem erklärte Antisemiten waren, kam spätestens mit Kriegsbeginn auch das Feindbild vom „jüdischen Bolschewismus“ hinzu. Im Juli 1941 erschien dann das deutsche „Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD beim Armeeoberkommando Norwegen (Befehlsstelle Finnland)“ – so seine offizielle Bezeichnung – unter SS-Sturmbannführer Gustav vom Felde, einst Chef der Stapo-Stellen Bielefeld und Erfurt, der ursprünglich als Kommandeur des Sonderkommandos 1b im „Unternehmen Barbarossa“ vorgesehen gewesen war und später für seine Taten mit dem „Finnischen Freiheitskreuz“ dekoriert wurde. Vom Feldes Kommando operierte bis Ende 1942 an der Lappland-Front. Dann wurde es zurückgezogen, weil durch die erstarrte Frontlage keine Kriegsgefangenen mehr anfielen. Seine Aufgaben umfaßten gewissermaßen das volle Vernichtungsprogramm wie auch sonst in der Sowjetunion: Liquidierungen von Juden, Kommissaren, Kommunisten, Partisanen (verdächtigen). Diese fanden in zwei Kriegsgefangenenlagern unter deutschem Kommando statt, im Stalag 309 in Salla auf finnischem Boden und im Stalag 322 in Elvenes unmittelbar hinter der nordnorwegischen Grenze. Die Valpo stellte dort die Dolmetscher und Vernehmer. Angeliefert wurden die Opfer ebenfalls durch sie, aber auch durch das finnische Heer und natürlich die deutschen Verbände.

Daß diese Erkenntnisse in Finnland viel Staub aufwirbelten, versteht sich von selbst. Aber auch in Deutschland dürften sie auf beträchtliches Interesse stoßen. Denn ein deutscher Kampfgefährte im Zweiten Weltkrieg erscheint nunmehr in deutlich verändertem Licht. Zudem gewinnt unser Bild vom Vernichtungskrieg durch die Entdeckung eines deutschen Mordkommandos 63 Jahre nach Kriegsende einen neuen Schauplatz hinzu. Nicht zuletzt aber – und dies verleiht den historischen Fakten eine in Gegenwart und Zukunft reichende Dimension – demonstriert das Buch eindringlich, daß auch Demokratien totalitär ausgehebelt werden können, wenn Institutionen wie Geheimdienst, Polizei und Armee verrückt spielen, Kontrollen unterlaufen und politische Vorgaben ignorieren. All dies sollte Oula Silvennoinen auch bei uns zu einer breiten Leserschaft verhelfen.

Ludwigsburg, im April 2010 Klaus-Michael Mallmann
Geheime Waffenbrüderschaft

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