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Die Geheimpolizei zwischen Lapua-Bewegung und Legalität

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Sechsundzwanzig Jahre lang wurde in Finnland eine Organisation mit Staatsmitteln finanziert, nämlich die allseits bekannte Geheimpolizei, deren Tätigkeit sich fast ausschließlich auf die Verfolgung der Kommunisten und auf die Zerstörung ihrer Parteitätigkeit konzentrierte. Hunderte „Ohranas“ wurden dafür bezahlt, dass sie an den Straßenecken Personen beobachteten, den „Verdächtigen“ tageund monatelang folgten und dafür, dass sie vor Gericht „bezeugten“, dass der Verhaftete Hochverrat begangen habe oder bei Tätigkeiten aktiv gewesen sei, die „Landesverrat zum Ziel gehabt hatten“. Die Ohranas bekamen Zulagen, falls sie die Kommunisten richtig in die Mangel nehmen konnten. Manche Straßenohranas wurden zu Vernehmungsbeamten befördert, wenn sie sich als fähig erwiesen, überhart durchzugreifen oder erfolgreich zu „bezeugen“.104

„Työkansan Sanomat“ im August 1946

Die Auffassung der finnischen Ultralinken über die Rolle und die Aufgabe der staatlichen Polizeibeamten richtete sich nach der Dialektik der klassenspezifischen historischen Sichtweise. Demnach war die Geheimpolizei die Waffe des Kapitals gegen die Arbeiterklasse. Die „reaktionären Rechten“, die Lapua-Bewegung mit ihren Nachfolgeorganisationen sowie die Staatspolizei bildeten folglich die schmutzige Dreieinigkeit, welche die „faschistische Ordnung“ in Finnland aufrechterhielt.105 Nach Meinung von Nestori Parkkari, in den 30er Jahren maßgeblich an der Organisation des Finnischen Kommunistischen Jugendverbandes beteiligt,

hatte das große Geld die Bühne betreten und das Gesetz sowie die Behörden, die Geheimpolizei und die Schutzkorps korrumpiert. Es hetzte die Gewaltverbrecher der Lapua-Bewegung auf jeden, der es wagte, anders zu denken als die Finanzmonopole.106

Die Analyse in dieser Form entsprach der marxistischen Auslegung über das Wesen des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus.107 Da die Geheimpolizei nach dieser Auffassung als Vorkämpfer des Faschismus galt, war die Beurteilung der Ultralinken ausnahmslos negativ. Nach ihrer Auffassung war die Staatspolizei repressiv, sie manipulierte Gerichtsprozesse und misshandelte Verhaftete, indem sie die Rippen der Opfer mit Fäusten traktierte. Klassenspezifisch bedingt zögerte sie weder zu schlagen noch zu töten.108 Die Auffassung der klassenbewussten Kommunisten über den Zustand der finnischen Gesellschaft und über den Charakter bestimmter finnischer Behörden wurde letztlich von Moskau aus vorgegeben, jeweils in Abhängigkeit von der politischen Zweckmäßigkeit. Einige wichtige Beziehungen zur Wirklichkeit hatte sie jedoch hinsichtlich der Geheimpolizei. Die konfliktreiche Beziehung der Geheimpolizei zum Rechtsaktivismus wurde wieder deutlich bei der Aufklärung einer willkürlichen Verhaftung zu winterlicher Morgenstunde, zu einer Zeit, als der Höhepunkt der Lapua-Bewegung schon vorbei war.

* * *

Am 18. Januar 1931 gegen Mitternacht stiegen zwei betrunkene Abiturienten in Helsinki an der Ecke Museokatu und Caloniuksenkatu in ein Taxi ein. Sie kamen vom Hotel Fenix in Töölö, wo sie jeweils einen Toast mit Boulette und Spiegelei gegessen und Kaffee mit Schuss getrunken hatten. Als das Restaurant des Hotels geschlossen wurde, stand ihnen der Sinn nach Frauen. Die Abiturienten hielten das Taxi von Yrjö Lintunen an und nannten ihr Ziel. Vielleicht gerade wegen ihrer Betrunkenheit wurde die Adresse jedoch unklar ausgesprochen. An der angegebenen Adresse der Abiturienten befand sich jedoch kein Freudenhaus, sondern die Botschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Finnland. Lintunen und seine Fahrgäste ahnten noch nichts von einem nächtlichen Abenteuer, das sie sowohl mit dem Rechtsaktivismus als auch mit der Geheimpolizei in Verbindung bringen würde. Sie wussten noch nicht, dass darüber ausführlich in den Zeitungen berichtet werden würde und dass es noch zu außenpolitischen Spannungen kommen würde.109

Kurz nach Mitternacht hatte der andere Beteiligte des Geschehens, der ehemalige Geheimpolizist John „Jukka“ Janné gerade die Sitzung des Valvoja-Vereins (Bewacher, Wächter; eine Unterorganisation der Lapua-Bewegung) verlassen und ging mit zwei Kameraden die Albertinkatu entlang. Janné gehörte mit zu den treibenden Kräften der Lapua-Bewegung. Gerade war er landesweit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten, da er wegen seiner Beteiligung an der Entführung von Präsident K. J. Ståhlberg zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Janné war schon in den 20er Jahren aus dem Dienst der Geheimpolizei ausgeschieden, aber seine Tätigkeit in verschiedenen rechtsradikalen Organisationen brachte ihn immer wieder in Verbindung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. Janné und die anderen Rechtsradikalen bewegten sich ständig in einer Grauzone am Rande der Legalität, die von den Behörden gerade noch geduldet wurde. Sowohl bei der Geheimpolizei als auch bei Jannés Gesinnungsgenossen wurde dies als Ermutigung für ihre Aktivitäten verstanden, da man davon überzeugt war, dass der eingefahrene Mechanismus der Geheimpolizei und der finnischen Behörden unfähig und unwillig sei, sich effektiv für ihre Ziele einzusetzen.110

Als sie an der Sowjet-Botschaft vorbeigingen, bemerkten Janné und seine Begleiter, dass ein Wagen anhielt. Ein unbekannter Mann stieg aus dem Auto aus, betrachtete lange das Botschaftsgebäude und – nachdem er Janné und seine Begleiter gesehen hatte – stieg er wieder ein. Der Fall schien klar zu sein: Nächtliche Passanten beabsichtigten in die Botschaft zu gehen, aber da Patrioten zufällig vor Ort waren, änderten sie im letzten Moment ihre Pläne.111

Janné und seine Mitstreiter behielten das merkwürdige Fahrzeug und seine Insassen weiterhin im Auge. Als der Wagen die Uudenmaankatu erreicht hatte, hielt er wieder an, und der Fahrer ging in die Telefonzelle an der Ecke. Dort standen auch zwei Polizisten, und „Janné mischte sich ein, indem er sowohl den Fahrer als auch die Fahrgäste zu ihnen brachte.“ Alle Beteiligten wurden zum Polizeirevier in der Ratakatu im Stadtteil Eira gefahren, wo der ganze Fall geklärt werden sollte. Janné rief den gerade diensthabenden Referenten Jalmari Sinivaara im Nachbarhaus – im Gebäude der Geheimpolizei – an und berichtete über den Fall. Jannés Geschichte begeisterte Sinivaara, und dieser war überzeugt davon, „dass Janné endlich einen guten Fang gemacht hätte“, denn der Cousin des Fahrers Lintunen war nach den Unterlagen der Geheimpolizei früher einmal bei der Sowjetbotschaft angestellt gewesen, und seine Verwandten schienen Verbindungen zu Kommunisten zu haben. Sinivaara steckte die Informationen über Lintunen, die er der Kartei der Geheimpolizei entnommen hatte, in seine Tasche und ging damit sofort zum Polizeirevier in Eira.112

Zu dem schriftlichen Bericht, den Sinivaara später über die Ereignisse der Nacht verfasste, nahm der stellvertretende Leiter der Geheimpolizei, Hugo Penttilä, Stellung. Seine Bemerkungen machten deutlich, wie unterschiedlich innerhalb der Behörde die Beurteilung hinsichtlich der Lapua-Bewegung und des Rechtsaktivismus war. Penttilä nahm Bezug auf die gesetzwidrige Verhaftung: „Er (Janné) habe kein Recht Beute zu machen! Lintunen könne auf eine Entschädigung bestehen – falls er wegen der geplatzten Abholung der Mädchen keine Einnahmen habe – und J(anné) würde dann bestraft“.113

Nach der Ankunft auf der Polizeiwache verhörte Sinivaara die Verdächtigen, aber der Fall schien sich in nichts aufzulösen. Lintunen erklärte, dass er nicht beauftragt worden sei, zur Sowjetbotschaft zu fahren, sondern habe nur an der falschen Straßenecke angehalten, als er nach einer Telefonzelle suchte, von wo aus er die Frauen hätte anrufen können. „Nach der Unterzeichnung des Protokolls bemerkte Sinivaara, dass statt eines guten Fanges ein größerer Skandal zu erwarten sei“, und er beschwichtigte Lintunen und seine Fahrgäste mit der Erklärung, dass sie Opfer eines unglücklichen Missverständnisses geworden seien. Er ließ sie jedoch verstehen, dass sie mitschuldig an dem Geschehen seien, da sie sich in den Nachtstunden in verdächtiger Weise nahe bei der Sowjetbotschaft aufgehalten hätten. Um weitere Zuspitzungen zu vermeiden, griff er zu einem besonderen Besänftigungsmittel:

Als wir wieder auf der Straße waren und die Herren (Abiturienten) den Wunsch geäußert hatten, dass das interessante nächtliche Abenteuer noch irgendwo fortgesetzt werden sollte, lud ich sie sowie Janné zu mir nach Hause ein. Es war morgens kurz vor sieben. Ich weckte meine Frau zum Kaffeekochen, und am Kaffeetisch wetterte ich über Jannés frühere Entführungen sowie über seinen letzten Missgriff, um zu beweisen, dass die Geheimpolizei sowohl in der Theorie als auch in der Praxis versucht habe, sich davon möglichst weit zu distanzieren.114

Penttiläs bitterer Kommentar dazu lautete: „Quatsch! Du weißt ja, dass J(anné)s Verhalten uns gegenüber nicht korrekt ist.“ Jannés eigenmächtige Verhaftung und die Stellungnahme der Geheimpolizei dazu konnten vor der Presse nicht geheim gehalten werden. Ein Journalist der Zeitung „Suomen Sosialidemokraatti“ (Der finnische Sozialdemokrat) rief wegen dieses Falles bei der Geheimpolizei an, die zuerst bestritt, dass ein Mitarbeiter ein derartiges Verhör durchgeführt hätte. Ein wenig später wurde die Beteiligung von Sinivaara an den Vorkommnissen auch der Leitung der Geheimpolizei klar, und er wurde aufgefordert, Riekkis Stellvertreter Ville Panko und Penttilä einen Bericht über das Geschehene vorzulegen. Jannés Spitzeltätigkeit und die Tatsache, dass sich die Behörde immer wieder als Sympathisant der Lapua-Bewegung erwies, hatte letztlich die schlimmsten denkbaren Folgen.

Die Zeitung der Sowjetregierung „Izvestija“ mischte sich am 26. Januar in die Angelegenheit ein:

Wenn man sich an die Drohungen der Lapua-Bewegung erinnert, Terror gegen die Sowjetbotschaft auszuüben, so zeigt dieser letzte Fall, dass die finnische Reaktion eifrig daran arbeitet, neue Zwischenfälle mit der Sowjetunion zu provozieren.115

* * *

Die Geheimpolizei war hinsichtlich der antikommunistischen Tätigkeit ein Profi. Die grundlegende Berechtigung ihrer Existenz basierte auf den Ereignissen des Jahres 1918, auf der Angst vor einem neuen Aufstand, auf der Zerschlagung der von Sowjet-Russland aus geführten Agitation unter den finnischen Kommunisten und auf der Abwehr der Sowjetspionage. Nach der Gründung wurde die Geheimpolizei mit der landesweit aufgestellten Schutzkorpsorganisation, mit einer den Streitkräften unterstellten Aufsichtsbehörde (YE 111) sowie mit dem „Zentrum“, das für einige Zeit über eigene Aufklärungsabteilungen der Aktivisten verfügte, und mit anderen Polizeibehörden ein Teil des weißen bürgerlichen Finnlands. Dieses undurchsichtige Netzwerk war geschaffen worden, um Finnland zu schützen und seine allgemeine Zielsetzung bestand darin, „die Rotgardisten unter uns unschädlich zu machen“. Es handelte sich also um die Fortsetzung des Bürgerkrieges mit anderen Mitteln, gestützt auf die Verfassung der Republik.116

Allerdings blieb die Entwicklung des rechtsstaatlichen Denkens innerhalb der Geheimpolizei unzureichend. Solange die Behörde existierte, konnte man sich nicht über das Primat von Inhalt und Form einigen, wobei aber der Inhalt unaufhörlich die Oberhand gewann. Im Sommer 1930 hatte die Geheimpolizei die Lapua-Bewegung noch freudig begrüßt, denn mit ihrer Hilfe schien es möglich zu sein, den finnischen Kommunismus endgültig zu zerschlagen. Die Lapua-Anhänger hielt man für Verbündete im gemeinsamen Kampf und wegen ihrer hehren Ziele war man bereit, auf Gesetzesverstöße mit Verständnis und Nachgiebigkeit zu reagieren.117 Zwischen der Lapua-Bewegung und der Geheimpolizei herrschte ein zwiespältiges und verstecktes, jedoch weitgehendes Einverständnis über die gemeinsame Aufgabe, die als wichtiger angesehen wurde als die parlamentarische Rechtsstaatlichkeit. Die Lapua-Bewegung und die Geheimpolizei tauschten untereinander Informationen aus, und beide Seiten wollten die Lapua-Bewegung als eine inoffizielle Erweiterung der Geheimpolizei verstanden wissen, die sowohl Informationen sammelte und der Polizeibehörde weiterleitete als auch ungestörter tätig sein konnte, ohne so genau auf die gesetzlichen Bestimmungen achten zu müssen.118

Folglich musste sich die Geheimpolizei am Rande der Legalität bewegen, und eine deutliche Entscheidung für den Rechtsstaat blieb aus. Stattdessen zog man sich in der Öffentlichkeit auf Ausreden, Bemäntelungen und Beschönigungen zurück, damit die Außendarstellung wichtiger war als die Realität. Auf der Führungsebene verfolgte man offiziell noch die Linie, nach der die Sympathien für die Rechten nicht zu offen hervortreten sollten, aber eine deutliche politische Affinität für die Lapua-Bewegung oder für die anderen ihr nah stehenden Organisationen war bei den Geheimpolizisten nicht ungewöhnlich.119 Eines der eklatantesten Beispiele war die Person des Geheimpolizisten Kosti Paavo Eerolainen, der offen für die Lapua-Bewegung tätig war und landesweit als Entführer der Abgeordneten Jalmari Rötkö und Eino Pekkala bekannt wurde.120

Der Aufstand von Mäntsälä wurde zum Wendepunkt, in dessen Zusammenhang die Geheimpolizei zumindest eine deutliche Wahl zwischen „der vaterlandslosen Legalität und der patriotischen Illegalität“ treffen musste. Die klarste persönliche Entscheidung traf Esko Riekki selbst, der zugeben musste, dass es neben den Kommunisten auch andere Strömungen gab, die die Geheimpolizei aktiv unterwandern wollten.121 Obwohl er selber den Aktivisten nahe stand und mit den Rechten sympathisierte, kam es schließlich doch zum Bruch zwischen Riekki und den rechtsradikalen „Fanatikern“. Dies bedeutete jedoch nicht, dass Riekki zu einem klaren Befürworter der Legalität wurde, sondern hatte in erster Linie mit praktischen Gesichtspunkten zu tun. Er verzichtete auf rechtsradikale Methoden, da er ein größeres Ziel im Auge hatte – die Einigkeit der Rechten und das Wohl des Vaterlandes.122

Sowohl für Riekki und seine Mitarbeiter gab es höhere und verpflichtendere Werte als die demokratische Legalität. Schon Mitte der 20er Jahre hatte Riekki geschrieben, dass „zum richtigen Ohranageist“ außer Mut auch „der Wille gehört, sich gegebenenfalls außerhalb der gesetzlichen Paragrafen zu bewegen“.

Wenn die Schutzpolizei über ihre Tätigkeit und ihr Handeln nachgedacht hätte, dann wird deutlich, dass „ihr Einsatz und ihre Macht während der Unruhen ungeahnt groß gewesen sind. Im Gegensatz zu den anderen, die hektisch agieren, bewahrt sie kühlen Kopf; sie bestimmt die Gesetze und lenkt die Politik.“123

Auch in Fragen der bürgerlichen Freiheiten war der Inhalt wichtiger als die Form. Dieses macht auch ein Protokoll deutlich, das der Leiter des Überwachungsbüros Kaarlo Löfving im März 1933 von einem Gespräch auf Chefebene verfasst hatte. Darin wurden neue Maßnahmen gegen den Kommunismus erörtert. Nach der Meinung von Löfving hatten die Kommunisten die Bürgerfreiheiten und die Rechte ausgenutzt, die früher, vor der Entstehung der kommunistischen Lehre, arglos formuliert worden waren:

Die Umstände haben sich seitdem geändert und die erwähnten wichtigen, in ihrer Weise als heilig und unveränderbar tabuisierten Freiheiten und Rechte der westlichen Gesellschaftsordnung wurden unter den neuen Umständen hinfällig und zu einer Bedrohung für die Gesellschaft. Indem der Kommunismus als eine politische Bewegung in Finnland diese Freiheiten in großem Maße zu seinem eigenen Vorteil nutzte, hatte er ziemlichen Erfolg, bevor man es wagte, sich an jene „Tabus“ heranzumachen, um dadurch die Möglichkeiten der kommunistischen Bewegung zu unterbinden. Dies geschah im Jahre 1930 auf Drängen der Öffentlichkeit, als mit Verboten und Gesetzesänderungen der Kommunismus vor aller Augen ausgelöscht wurde und man war davon überzeugt, dass dadurch dem Kommunismus die Möglichkeiten zum öffentlichen Auftreten genommen worden waren.124

Die Geheimpolizei betrachtete sich selbst als eine Behörde, deren Existenz weniger das Resultat von vorgegebenen, durch die gesetzliche Ordnung gedeckten Anweisungen war, sondern die ihre Berechtigung von etwas unvergleichlich Größerem und Wichtigerem erhalten habe, nämlich von der Aufgabe, die Substanz und das Erbe des weißen Finnlands zu schützen. Bei dieser Aufgabe wurden die Gesetze und Verordnungen der Republik in erster Linie als notwendiges Übel und als ein bedauerlicher Nachteil angesehen, den Auftrag effizient durchzuführen. Die Legalität war mit anderen Worten kein Ziel oder kein erstrebenswertes Ideal an sich. Das Ziel war das Vernichten der landesverräterischen Tätigkeit der Kommunisten; wenn das Gesetz diesem Ziel diente, gut, wenn nicht, gehörte es zum „Ohranageist“, dieses zu umgehen.

Die Probleme der Rechtstaatlichkeit spiegelten sich auch teilweise in der Rechtsprechung wider, die als Mittel im Kampf gegen den Kommunismus eingesetzt wurde. Die Kommunistenprozesse eröffneten den Behörden inoffizielle Einflusskanäle, die sie auch nutzten.125 Die Geheimpolizei konnte selbst nicht beschließen, Anklage zu erheben, aber sie zögerte auch nicht, auf die Tätigkeit des Rechtswesens Einfluss zu nehmen; sie „arbeitete der Staatsanwaltschaft eifrig zu, und sie unterstützte allgemein das Vorgehen gegen die Kommunisten“.126 Der Verdacht der Manipulation des Rechtwesens hatte seinerseits den Sturz von Riekki und die Auflösung der Geheimpolizei zur Folge.127

Von den Linken wurden die Geheimpolizei und ihr Nachfolger beschuldigt, ständig die Prozesse manipuliert zu haben. Dies lag hauptsächlich an zwei Gründen, die eng mit den Prozessen gegen die Kommunisten verbunden waren: einerseits mit der Nutzung von geheimem Beweismaterial, andererseits mit den wirklichen oder angeblichen Versuchen der Geheimpolizei, die Entscheidungen des Rechtwesens zu beeinflussen, besonders hinsichtlich der Urteile.

Auf geheimes Beweismaterial stützte man sich, wenn es von Informanten stammte, die mit den Kommunisten zusammengearbeitet hatten. Folglich versuchte die Geheimpolizei ihre V-Leute zu schützen und zu verhindern, dass sie entdeckt wurden, damit sie weiterhin ihre Arbeit fortsetzen konnten. Die Erlaubnis, geheimes Beweismaterial zu verwenden, war jedoch hinsichtlich der garantierten Rechte des Angeklagten eindeutig problematisch. Ein bezeichnendes Beispiel für Riekkis „Willen, an den Gesetzesparagraphen vorbei zu gehen“, war ein Kommentar zu einem Bericht, den ein unbekannter Referent des Kanzleibüros im August 1931 für ihn verfasste. In dem Bericht ging es darum zu klären, ob in den Personalakten der Geheimpolizei überhaupt Informationen gesammelt werden sollten, von denen man schon im Voraus wusste, dass sie aus formalen Gründen vor Gericht nicht verwendet werden könnten. Der Referent war der Meinung, dass man auf die Rechtsprechung auch mit eigentlich für den Prozess untauglichem Material Einfluss nehmen konnte:

Man kann weder anklagen noch verurteilen, aber eine Tat, die vor einem früheren Urteil verübt, jedoch nicht angeklagt wurde, kann, wenn das Gericht darüber informiert ist, sicherlich das Urteil negativ beeinflussen. Es lohnt sich nicht [in ein Verhörprotokoll] diese unpassenden Beweismittel aufzunehmen, aber diese Protokollaufzeichnungen dem Ankläger zu geben, könnte nützlich sein.128

Schon das offizielle Bild und der Ruf der Geheimpolizei hatten Einfluss darauf, dass unabhängig von dem politischen Standpunkt der strikte Antikommunismus das Personal miteinander verband. Zusätzlich versuchte man auch die ideologische Ausrichtung der neuen Mitarbeiter aktiv zu steuern. Auf Befehl von Riekki wurde ab 1926 damit begonnen, über die Bewerber verschiedene Informationen zu sammeln, die von vorgefertigten Formularen stammten, in denen nach dem Familienhintergrund, der politischen Ausrichtung, der wirtschaftlichen Lage, der Haltung zum Alkohol, dem Verhalten „während des Aufstandes 1918“ und nach möglichen Beziehungen zur politischen Linken gefragt wurde.129

Das Personal, das in der Ära Riekki eingestellt wurde und auch nach seinem Ausscheiden bei der Staatspolizei blieb, war politisch ausgesiebt worden, mit dem Ziel, die Ungeeigneten, d.h. die Verdächtigen auszusondern, welche mit den Linken sympathisierten. Ein Beispiel dafür ist Tauno Helín (späterer Name Heliara), der sich 1931 bei der Geheimpolizei beworben hatte. Er war der Sohn eines Polsterers, von dessen vier Söhnen drei den Beruf des Vaters gewählt hatten. Als Helín nach seiner politischen Einstellung gefragt wurde, gab er keine klare Antwort. Der Vater war Anhänger der liberalen Fortschrittspartei, aber seine Position als Besitzer einer privaten Polsterei war vielleicht der Grund dafür, warum sein Sohn meinte, sich immer „von der politischen Linken fernhalten zu wollen“.130

Anhand der Informationen in den Fragebögen gaben die in der Ära Riekki eingestellten Mitarbeiter an, ihrer politischen Einstellung nach überwiegend Anhänger der Nationalen Sammlungspartei zu sein. Dieses entsprach jedoch nicht unbedingt ihrer ehrlichen Meinung: Ihnen war sicherlich bewusst, dass es besser wäre, ihre eventuellen Aktivitäten bei den Rechten, auf keinen Fall in der zweiten Hälfte der 30er Jahre, an die große Glocke zu hängen. In der Behörde von Riekki, selbst ein bekennender Anhänger der Sammlungspartei, war es vorteilhafter, sich als gemäßigter Anhänger der Rechten zu outen. Auf jeden Fall bildete das Gedankengut der Sammlungspartei im Laufe der 30er Jahre den vorrangigen ideellen Bezugsrahmen der Geheimpolizei.131

Die einheitliche politische Einstellung des Personals garantierte natürlich, dass man bei den politischen Fragen der Zeit einer Meinung war, auch wenn diese Einäugigkeit das Ansehen der Behörde beim breiten Publikum schmälerte. Das ausgesuchte und politisch gleichgesinnte Personal der Geheimpolizei arbeitete unter der starken Leitung von Riekki ausgesprochen effektiv, aber das Fehlen einer internen Opposition erwies sich spätestens beim Ausbruch des Krieges als eine Belastung.

Als Kehrseite dieser einheitlichen Ausrichtung erwies sich auch die Tatsache, dass die Behörde nicht in der Lage war, die unterschiedlichen Schattierungen bei den Roten zu unterscheiden. Die Haltung zur sozialdemokratischen Mehrheit unter der Führung von Tanner, welche im Laufe der Jahre mehrmals ihre antikommunistische Haltung bewiesen hatte, blieb, solange die Geheimpolizei und die Staatspolizei existierten, äußerst gespannt. Über den wahren Charakter der Sozialdemokratie wurde zwar innerhalb der Behörde debattiert, aber die meisten waren der Ansicht, dass die Sozialdemokraten mit ihren Aktivitäten „der kommunistischen Partei den Weg bereiteten“.132 Auch die Einschätzung der Geheimpolizei über das Wesen des Kommunismus blieb daher grundlegend unvollständig. Der Antikommunismus des Personals basierte auf einer Haltung, die alles andere war als eine unvoreingenommene Bewertung der Roten.

Trotz alledem war das Bild, welches die Linken von der Geheimpolizei und von ihrem Nachfolger gezeichnet haben, durchaus fehlerhaft. Die Behörde konnte keineswegs so eigenmächtig handeln, und sie war auch kein Mittel des politischen Terrors wie bei den nationalsozialistischen Amtskollegen in Deutschland oder wie bei den Faschisten in Italien. Die Befugnisse der Behörde hatten auch bei Zwangsmaßnahmen gegen die Kommunisten eine Grenze, welche sie im Gegensatz zu ihren totalitären Kollegen nicht übertreten durfte. Die Geheimpolizei konnte sich nicht willkürlich in Angelegenheiten einmischen, welche die Lebensumstände oder die Wohnumgebung der überwachten Personen betrafen. Die Verhafteten durften nicht systematisch gefoltert und misshandelt werden, weder in den Zellen noch in Zusammenhang mit den Verhören. Die Geheimpolizei und ihr Nachfolger, die Staatspolizei, fühlten sich einerseits bedroht, andererseits traten sie dafür ein, die Zwangsmittel des demokratischen Rechtsstaates voll auszuschöpfen. In der europäischen Atmosphäre während der Zwischenkriegsjahre waren Konflikte dieser Art durchaus nichts Ungewöhnliches.

Geheime Waffenbrüderschaft

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