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„Lafka“ Die Geheimpolizei in der Ära von Esko Riekki
ОглавлениеDen Kampf gegen den Kommunismus und gegen die Handlanger von Sowjet-Russland in Finnland vertraute man der 1919 gegründeten Geheimpolizei an, deren Name später in Staatspolizei, finnisch: Valpo, geändert wurde.76
Urho Raekallio, Abteilungsleiter der Staatspolizei im August 1942
In das neuklassizistische Haus in Helsinki, Ecke Fredrikinkatu und Ratakatu, zog 1920 eine Behörde ein, die vor sich eine schwierige Aufgabe hatte, nämlich die Sicherheit der jungen Republik zu schützen. Die Adresse Ratakatu 12 wurde bald zum Synonym für die Geheimpolizei und ihre Nachfolger, die Staatspolizei und die staatliche Schutzpolizei. Auch das Bürogebäude hatte eine lange Tradition. Das Haus, das gemäß dem Friedensvertrag von Dorpat vom finnischen Staat übernommen wurde, hatte in den letzten Jahren der russischen Herrschaft der Gendarmerie zur Verfügung gestanden und es war deshalb unter dem Spitznamen „Špalernaja“ bekannt. Die neu eingezogene Geheimpolizei musste ihre Arbeit deshalb in einer Atmosphäre beginnen, die von Konflikten aus früheren Jahrzehnten geprägt war.77
Als ob die Tradition verpflichtet hätte, benutzte das Personal der Geheimpolizei unter sich den bekanten Namen der zaristischen Sicherheitspolizei „ohrana“ (russ. oxpaнa, Schutz). Es handelte sich dabei um Selbstironie, aber der Grundton war ernst. Die Mitarbeiter der Geheimpolizei verstanden sehr gut, dass sie an demselben Punkt weitermachten wie die Einrichtung, die die patriotischen Bürger nur ein paar Jahre zuvor für einen widerlichen Spitzeldienst und für einen Handlanger des Unterdrückungsapparates gehalten hatten. Im internen Sprachgebrauch hieß die Geheimpolizei „Büro“, „Laden“ oder „lafka“ und ihre Mitarbeiter „Ohranas“ und alle Tätigkeiten, die nach Konspiration rochen, wurden als „Ohranie“ bezeichnet. Gestützt auf dieselbe Tradition nannten auch die Kommunisten ihren Gegner „Ohrana“, aber das Wort wurde ohne jeglichen beschwichtigenden Humor ausgesprochen. Für sie setzte die Geheimpolizei einfach die Traditionen und die Arbeit der zaristischen Geheimpolizei fort.78
Die zum Schutz des unabhängigen Finnland gegründete Geheimpolizei hatte ihre Tätigkeit 1919 begonnen. Neben der Unterdrückung der kommunistischen Aktivitäten war sie verantwortlich für die Abwehr der gegen Finnland gerichteten Spionage und für die Überwachung der Ausländer. Die Streitkräfte waren jedoch nicht bereit, das eigene Personal von einer nichtmilitärischen Zivilbehörde überwachen zu lassen, sondern unterhielten ein eigenes Sicherheitsorgan, das oft mit der Geheimpolizei in Konkurrenz stand. So schlugen die finnischen Sicherheitsbehörden von Anfang an verschiedene Richtungen ein.79
Die Geheimpolizei suchte lange ihren Platz in der finnischen Gesellschaft. Während die Rechten ihrerseits die Befugnisse und die Ressourcen dieser Behörde gern erweitert hätten und sie immer unabhängiger von den politischen Vorgaben machen wollten, hatten die Linken es sich zum Ziel gesetzt, die ganze Behörde aufzulösen oder wenigstens ihre Betätigungsmöglichkeiten einzuschränken. Gegen Ende der 20er Jahre war die Stellung der Geheimpolizei per Gesetz klar festgelegt, aber auch das konnte nicht verhindern, dass es Reformpläne gab, welche die Zukunft der Geheimpolizei in Frage stellten. Um die Entwicklung der Rahmenbedingungen musste weiterhin ein zermürbender Kampf geführt werden und man war gezwungen, die Organisation mit sehr bescheidenen Mitteln aufzubauen. Hinsichtlich ihrer Handlungsweise entwickelte sich die Geheimpolizei so wie die in anderen westlichen Demokratien, aber sie musste den besonderen Umständen Finnlands Rechnung tragen, die von der Nähe zur Sowjetunion und ab 1941 von der Waffenbrüderschaft mit dem nationalsozialistischen Deutschland geprägt waren.80
Die Geheimpolizei verfügte über eine typisch zentralistisch geführte Hierarchie. Ihre Organisation, wie auch später die der Staatspolizei basierte auf der Zentrale in Helsinki und auf lokalen Behörden, die flächendeckend im Land vorhanden waren.81 Die Zentrale war das Nervenzentrum, welches die Arbeit der Abteilungen festlegte und überregionale Karteien unterhielt, Informationen sammelte und sie an andere Abteilungen weiterleitete sowie Gutachten herausgab.
Die Zentrale war unterteilt in Kanzlei-, Überwachungs-, Auskunfts-, Aufklärungs- und Passabteilungen, die von Abteilungsleitern geführt wurden. Ihnen unterstellt waren einer oder mehrere Referenten, die mit der Aufgabe betraut waren, die Fälle zu bearbeiten und dem Chef zur Entscheidung vorzulegen. Zum weiteren Personal gehörten auch Verhörbeamte, Passkontrolleure, die den grenzüberschreitenden Verkehr überwachten sowie Geheimpolizisten mit unterschiedlichen Dienstgraden. Zusätzlich beschäftigte die Staatspolizei eine Gruppe von Sekretärinnen, Schreibern, Hausmeistern, Jungen und Mädchen, die als Boten eingesetzt wurden sowie Beschatter, die meistens Jugendliche waren und oft Verwandte oder Bekannte des festangestellten Personals waren. Die Staatspolizei bestand ausschließlich aus Männern. Die Frauen arbeiteten nicht als Geheimpolizistin, Verhörungsbeamtin oder als Passkontrolleurin, geschweige denn in Führungspositionen. Ihr Platz war im Büro als Maschineschreiberin, als Sekretärin sowie natürlich als Sachbearbeiterin und als Assistentin.82
Die Arbeit im Außendienst der Geheimpolizei war oft monoton und hart, aber trotzdem wurde von den Mitarbeitern großer Arbeitseifer, Eigeninitiative und das ständige Streben nach beruflicher Weiterbildung erwartet. Der Verdienst für all diese Mühen war jedoch sehr gering. Die Beförderungschancen der Geheimpolizisten und der Passkontrolleure ohne Hochschulabschluss waren begrenzt, obwohl die Beförderung zum Abteilungsleiter eine noch einigermaßen erreichbare Krönung für eine lange und arbeitsreiche Dienstzeit war. Die Gehälter waren ebenfalls niedrig, obwohl manche Mitarbeiter der Staatspolizei oft eine bessere Position hatten, verglichen mit ihren anderen bei der Polizei beschäftigten Kollegen. Zusätzlich zu ihrem Grundgehalt konnten sie an der hauseigenen Kasse weiteres Geld erhalten, wenn sie die aus der Berichterstattung resultierenden Spesenquittungen vorlegten, und daher konnten auch sie sich kleine Wünsche erfüllen.
Ein junger Mensch, der bei der Geheimpolizei eingestellt wurde, sah sich schnell mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert, welche für die Karriere hinderlich waren. Die erste war die Beförderung, denn eine Grundvoraussetzung war die Zulassung zur staatlichen Polizeischule, die man nur erhielt, wenn man sich vorher in der Arbeit bewährt hatte. Es gab nur wenige Stellen für Obergeheimpolizisten, die man für eine Beförderung zum Referenten durchlaufen musste, aber diese wurden selten ausgeschrieben. Die meisten Geheimpolizisten konnten kaum damit rechnen, Karriere zu machen. Die zweite Schwierigkeit für die Besetzung von leitenden Positionen bestand im Nachweis von juristischen Kenntnissen, was besonders wichtig bei der Umstrukturierung der Geheimpolizei zur Staatspolizei werden sollte. Esko Riekki, von 1923 bis 1938 Leiter der Geheimpolizei, war weder selbst Jurist, noch legte er großen Wert auf juristische Kenntnisse, sondern mehr als abgelegte Examina schätzte er Tatkraft und Fähigkeiten in der Praxis. Die Abteilungsleiter, die in der Ära Riekki eingestellt wurden und die ihre Position auch bei der Staatspolizei behalten hatten, waren ein gutes Beispiel dafür.83 Obwohl die Beförderung theoretisch und praktisch vom einfachen Mitarbeiter bis in die Führungsebene möglich war, gelang es am leichtesten in Ausnahmezeiten, wenn die Organisationstruktur verändert wurde.84
War die Polizei schon eine beruflich isolierte Institution, so war es bei der Geheimpolizei noch viel mehr der Fall. Ihren Mitarbeitern war bewusst, dass sie sich mit Verschlußsachen beschäftigten, und das führte sowohl zu einem Überlegenheitsgefühl als auch zu einer Konkurrenzsituation in Bezug auf andere Polizeibehörden. Für die beabsichtigte Unzugänglichkeit der Behörde, die für die innere Sicherheit verantwortlich war, war bezeichnend, dass die neuen Mitarbeiter oft aus dem Verwandtenkreis eingestellt wurden. Die Väter warben ihre Söhne als Geheimpolizisten und ihre Töchter als Sekretärinnen an, und es war nicht ungewöhnlich, dass mehrere Brüder hier ihren Dienst taten. Auch die Ehepartnerinnen lernte man oft in der eigenen Behörde kennen, und sie wurden allmählich in die Geheimnisse der Staatspolizei eingeweiht, besonders in abgelegenen Orten, wo sie sowieso zwangsläufig Helferinnen ihrer Männer waren.85 Aus dem Dienst der Staatspolizei konnte man eigentlich niemals ganz in Rente gehen: „Einmal ohrana, immer ohrana.“86
Das Verhältnis dieser nach innen gewandten Einrichtung zur Öffentlichkeit war ambivalent. Die Geheimpolizei trat nicht als neutrale Behörde auf, sondern versuchte den Sinn ihrer eigenen gesellschaftlichen Ziele und der eigenen Tätigkeit mit Hilfe der Öffentlichkeit zu verbreiten. Viele Mitarbeiter verfassten eifrig Zeitungsartikel über den Kommunismus sowie die Sowjetunion, und bei Bedarf stellte die Geheimpolizei den interessierten Journalisten ausgesprochen freigiebig Material zur Verfügung.87
Die Tätigkeiten der Geheimpolizei wurden meistens in Verbindung mit wichtigen Kommunistenprozessen offengelegt, wobei beide Seiten natürlich versuchten, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Die Journalisten und die Öffentlichkeit empfand man deshalb leicht als eine feindliche Außenwelt, die nur auf eine Gelegenheit lauerte, die Arbeit der Polizei zu kritisieren. Urho Raekallio, der Leiter des Büros in Wiborg, drückte dieses Gefühl so aus, dass es zum Beruf des Polizisten gehört, „wegen Misserfolges in der Öffentlichkeit kritisiert und lächerlich gemacht zu werden“.88 Zusätzlich zu der Offenlegung über die eigentlichen Aufgaben der Staatspolizei führte dieses Gefühl zur Verschwiegenheit, die wiederum in der Außenwelt leicht als Vertuschung verstanden werden konnte. Das Misstrauen war gegenseitig.
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Fast in seiner gesamten Amtszeit in den 20er und 30er Jahren veränderte der Chef der Geheimpolizei, Esko Riekki, welcher früher verdeckt für die Jägerbewegung gearbeitet hatte und Aktivist gewesen war, in bemerkenswerter Weise die Arbeitsatmosphäre in der Behörde und die Personalstruktur. In einer späteren Aussage von Freedy Kekäläinen, der auf eine lange Karriere im Dienst der Geheimpolizei sowie der Staatspolizei zurückblicken konnte, werden die Arbeitsweise von Riekki und die Prinzipien seiner Personalpolitik wie folgt erläutert: „Riekki entließ Mitarbeiter aus folgenden Gründen: fehlerhafte Abrechnungen, unkorrektes Verhalten bei Hausdurchsuchungen, übertriebene Einbildung (= Lügen), zu heftige Politisierung.“89
Der Obergeheimpolizist Aarne Korteaho, der in den 30er Jahren und während des Krieges im Büro in Wiborg gearbeitet hatte, beschrieb Riekki als den kompetentesten Vorgesetzten, der seinen Mitarbeitern relativ viel Freiraum ließ. Während sich die Polizei um die Sicherheit kümmerte, habe Riekki das Prinzip, die Dinge sich entwickeln zu lassen, damit man sie „besser erfassen“ könnte. Vorschnelle Verhaftungen waren zu vermeiden; stattdessen sollten die Verdächtigen streng überwacht werden, um möglichst viele Indizien vor der Verhaftung zu erhalten. Der Charakterzug, der bei Riekki dominierte und der auch die Tätigkeit der Geheimpolizei geprägt hat, war jedoch seine bedingungslose Haltung gegenüber dem Kommunismus: „Er sah nur in der Kommunistischen Partei die wirkliche Gefahr für dieses Land und hielt es für seine Lebensaufgabe, diese zu vernichten.“ Riekkis Kompromisslosigkeit kam laut Korteaho so zum Ausdruck, dass er unwillig und unfähig war, auch nur über das kleinste Zugeständnis im Kampf gegen den Kommunismus nachzudenken. Als der Leiter des Büros in Wiborg in den 30er Jahren Riekki einen begründeten Vorschlag zur Zulassung der Kommunistischen Partei machte, wurde dieser wütend und „solange diese Person bei der Valpo tätig war, hasste Riekki sie wegen dieses Schreibens.“ Korteaho berichtete, Riekki 1944 zufällig getroffen zu haben, und dieser habe zugegeben, sich „in der Frage der Kommunistischen Partei geirrt zu haben“.90
Der Einfluss von Esko Riekki auf die Entwicklung der Staatspolizei zeigte sich am besten darin, dass die 1938 als Nachfolgerin der Geheimpolizei gegründete Staatspolizei hinsichtlich ihres Personals mit ihrer Vorgängerbehörde identisch war. Als die Staatspolizei ihre Tätigkeit begann, bezogen sich die Personalwechsel nur auf das Führungspersonal. Das übrige Personal setzte seine frühere Arbeit fort, und auch die Organisation blieb fast unverändert. Nach Auffassung von Freedy Kekäläinen pflegte die zu Riekkis Zeiten eingestellte „alte Garde“ ihre Tradition, und auch die frühere Arbeitsweise wurde direkt von der Staatspolizei übernommen.91
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Die Streitfragen, die die finnische Gesellschaft gespalten hatten, spiegelten sich auch in der Arbeitsweise der Staatspolizei wider. Eine davon war die Auseinandersetzung um die Stellung der finnischen und der schwedischen Sprache. Die Einstellung in der Sprachenfrage zeigte sich darin, dass die schwedischsprachigen Mitarbeiter in der Minderheit waren, die schwedische Sprache als offizielle Amtssprache verschwand und zunehmend versucht wurde, anstelle der schwedischen Bezeichnungen finnische zu verwenden.92 Die Finnisierung des Behördenpersonals dürfte in erster Linie die von der Sammlungspartei übergenommene sprachpolitische Richtung wiedergeben, die Ende der 20er Jahre immer radikaler geworden war.
Man konnte es sich jedoch nicht leisten, die Sprachpolitik zum Streitthema zu machen, das das Personal spaltete, und deshalb wurde dieses Thema auch unter den Mitarbeitern kaum diskutiert, geschweige denn, dass die Behörde dazu eine offizielle Stellungnahme abgegeben hätte. Bei den Beschäftigten war es jedoch offensichtlich, dass jeder dazu eine private Meinung hatte. Auf der Geheimpolizistentagung 1935 wurde im Vortrag des Referenten Aarne Kauhanen bezüglich der Einstellung von Mitarbeitern die Haltung zur Sprachfrage klar umrissen:
Unabhängig von den Partei- und Sprachgrenzen soll der Mitarbeiter der Geheimpolizei versuchen, überall Gleichgesinnte und Freunde zu finden, und es wäre gut, denen gegenüber nicht zu deutlich die eigene Meinung zur Partei- oder Sprachenfrage zu offenbaren. Es ist angebracht, auch demjenigen gegenüber Verständnis zu zeigen, dessen Auffassungen zu Partei- und Sprachenfragen unseren Meinungen widersprechen.93
Das zweite Thema, über das im Personal nicht gesprochen wurde, aber das von Zeit zu Zeit die Tätigkeit der Behörde und den offiziellen Ruf beeinflusste, war der übermäßige Alkoholkonsum. Der Alkohol war untrennbar besonders mit der Arbeit der Geheimpolizisten verbunden, welche die „Pflege“ der Informanten und die Durchführung der Aufträge in Restaurants beinhaltete sowie dabei half, die Widerstrebenden zum Reden zu bringen.94 Auch auf der Führungsebene sowie bei den Kontakten zu finnischen und ausländischen Partnerorganisationen war oft Alkohol im Spiel.95 Rusko Sihvonen, der im Frühjahr 1937 zum Leiter der Abteilung in Kajaani ernannt worden war, erklärte dem Polizeidirektor der Stadt Paul Ahingas die Besonderheiten dieser Arbeitsweise:
Ich antwortete, dass auch ich kein Abstinenzler sei und bemerkte, dass die Aufgaben der Geheimpolizei sich von denen der übrigen Polizei stark unterscheiden würden, denn oft würde von ihr die Anwesenheit in einer Gesellschaft verlangt, die sich in Kneipen wohl fühle. Manchmal müssten die Mitarbeiter auch mittrinken, so dass Außenstehende in dieser Hinsicht oft ihre Verwunderung zum Ausdruck bringen würden.96
Sowohl Riekki als auch sein Nachfolger waren dem Alkoholkonsum gegenüber letztlich sehr tolerant eingestellt, obwohl das offensichtlich mit Risiken verbunden war, sowohl in Bezug auf die Geheimhaltung als auch auf den Ruf der Behörde.97 Riekki musste aber schon in seinen ersten Tagesbefehlen das Personal vor übermäßigem Alkoholkonsum warnen:
Da es in der letzten Zeit sehr bedauerliche Fälle von Alkoholmissbrauch gegeben hat, gebe ich hiermit den zuständigen Vorgesetzten die Weisung, dem Personal die absolute Notwendigkeit einer geregelten und untadeligen Lebensführung einzuschärfen und darauf hinzuweisen, dass ich in so einem Wiederholungsfall die Schuldigen sofort vom Dienst suspendieren werde.98
Bei der Einstellung des neuen Personals wurde nach dem Alkoholkonsum gefragt, und die Bewerber wurden gebeten zu erklären, ob sie hochprozentige Getränke zu sich nähmen.99 Die offiziellen Reaktionen der Amtsleitung auf den übermäßigen Alkoholkonsum beschränkten sich jedoch im Allgemeinen auf die in den Tagesbefehlen enthaltenen Drohungen, auf das Versprechen, keinen Alkohol zu trinken, solange wie das Verbot von Riekki gültig war sowie auf persönliche Zurechtweisungen unter vier Augen.100 Nur in Extremfällen
wurde eine Entlassung unvermeidlich.
Ein bezeichnendes Beispiel dafür war Nils Håkansson, der es vom Hausmeister bis zum Geheimpolizisten gebracht hatte und dessen gesamte Karriere im Dienste der Geheim- und Staatspolizei von seinem Alkoholproblem überschattet wurde. Der 1922 eingestellte Håkansson musste im Frühjahr 1926 erstmalig sein Amt niederlegen, weil er wegen Trunkenheit nicht zur Arbeit erschienen war. Riekki stellte ihn aber schon im Sommer desselben Jahres wieder ein, diesmal als Mitarbeiter bei der Passkontrolle, aber auch dieses Mal scheiterte alles wegen seiner Trunkenheit. Håkansson und drei andere ehemalige sowie noch aktive Geheimpolizisten beschlossen, eine sommerliche Spritztour mit dem Auto nach Hämeenlinna zu machen, und der Ausflug wurde dadurch gekrönt, dass sie sich als Reiseproviant von einem estnischen Schiff einen Kanister mit einem Liter Schnaps holten. Im Laufe der Fahrt wurde er mit Limonade vermischt. Das führte im Auto zu einer Prügelei, die am Wegesrand fortgesetzt wurde, sobald sie den Landrücken von Hattelmala erreicht hatten. Der Polizeichef von Janakkala kam zufällig vorbei und befahl den Kontrahenten, mit ihm auf die Polizeiwache nach Hämeenlinna zu kommen. Dort wurde der am stärksten betrunkene und blutig geschlagene Håkansson in die Ausnüchterungszelle gebracht. Als diese Ereignisse Riekki zu Ohren kamen, durfte Håkansson noch die restlichen zwei Monate seinen Dienst verrichten unter der Bedingung, dass er ein schriftliches Abstinenzversprechen unterschreiben würde und dass „der Fall von Hattelmala nicht in der Zeitung mit der Geheimpolizei in Verbindung gebracht werden sollte“.101
Håkansson arbeitete danach einige Jahre in der Wirtschaft, kehrte aber Anfang der 30er Jahre zurück, mit der Bitte, wieder bei der Geheimpolizei tätig sein zu dürfen. Er berichtete, „dass er jetzt weniger trinke,“ und wurde wieder eingestellt. Obwohl sein Trinken so wie früher zu Zwischenfällen führte, die oft in der Ausnüchterungszelle endeten, konnte Håkansson durchaus in Einzelfällen seinen Aufgaben gerecht werden. Im April 1939 jedoch schleppten Håkansson und der Passkontrolleur Olavi Viherluoto, beide betrunken, den von ihnen in der Nacht festgenommenen Schneider Jalmari Penkere in das Bürogebäude der Geheimpolizei in der Ratakatu, wo sie in der Kantine damit begannen, diesen zu verhören und zu misshandeln. Dieser durch Alkoholmissbrauch verursachte Vorfall führte nicht einmal zu disziplinarischen Maßnahmen, obwohl Håkansson schon ein Jahr zuvor eine Abmahnung wegen ungebührlichen Verhaltens bekommen hatte. Die Karriere von Håkansson beendete nicht der Alkohol, sondern der kommunistische Widerstandskämpfer Martti Koivistoinen, der ihn am Morgen des Dreikönigfestes 1942 erschoss. Der Alkoholkonsum wurde sehr lange geduldet, denn fähige Mitarbeiter fand man nicht ohne weiteres. Im nüchternen Zustand war Håkansson „ein aufmerksamer Vorposten im antikommunistischen Kampf“, ein sachkundiger und fähiger Geheimpolizist.102
In der Ära Riekki bildete die Geheimpolizei durch ihre Arbeit einem effektiven Gegenpol zur kommunistischen Tätigkeit, zur Parteiorganisation der SKP sowie zur Spionage- und Umsturztätigkeit der Komintern, die von der Sowjetunion aus geführt wurde. Oft war es jedoch ein Spiel, in dem die Gegner allmählich sich immer ähnlicher wurden. Konspirieren, die Freude an illegalen Handlungsweisen und das Durchspielen von Belagerungsszenarien gehörten zur Vorstellungswelt sowohl bei den Vertretern der Staatspolizei als auch bei ihren Kontrahenten. Die Überwachung der Kommunisten, also die ständige Beobachtung ihrer Tätigkeit und die daraus folgenden Verhaftungen und Prozesse stellten zusätzlich eine besondere Herausforderung gegenüber der öffentlichen Meinung dar. Im Zusammenhang mit den Prozessen konnten sich auch die Kommunisten Gehör verschaffen und in einem Staat wie Finnland scheuten sich die Zeitungen nicht, die Handlungsweisen der Staatspolizei zu kritisieren und diese in Frage zu stellen. Es bestand die Gefahr, dass die Einnahme der Medizin schlimmere Folgen hätte als die Krankheit selbst.103