Читать книгу Geheime Waffenbrüderschaft - Oula Silvennoinen - Страница 16
„Wie könnte ein Finne?“ Die Einstellung des Personals zu Gewalt
ОглавлениеAus gegebenem Anlass verbiete ich unter Androhung der Entlassung strengstens, die Verhafteten zu misshandeln.133
Der Chef der Geheimpolizei Ossian Holmström am 13.1.1920
Die Mitarbeiter der Staatspolizei bestritten in ihren später erschienenen Memoiren mit Bestimmtheit, Gewalt als Verhörmittel angewendet zu haben, genauso wie die damaligen verhafteten Linken fest behaupteten, dass die Schmerzensschreie der Gefolterten in den Gängen des Polizeigefängnisses widerhallten.134 Die Reaktion des ehemaligen Abteilungsleiters Freedy Kekäläinen auf die Frage, die der Journalist und Schriftsteller Jukka Rislakki im Januar 1981 an ihn über das Problem der Gewaltanwendung gestellt hatte, war bezeichnend:
Hat die Staatspolizei gefoltert? Wie könnte ein Finne? Auch der Polizist ist ein Mensch, immer geschieht etwas, was man nicht akzeptieren kann. Immer gibt es Ausnahmen. Es gibt kein System. Es gibt Schlechte und Schwache, das hängt ganz vom Verhörbeamten ab. Wer schnell eine Waffe oder seine Faust benutzt, ist schwach.
Damit hat Kekäläinen jedoch zugegeben, dass es dann und wann zu Grenzüberschreitungen gekommen ist: „Es kam vor, dass ein Polizist zugeschlagen hat, wenn die Kommunisten auch noch im Auto versuchten, sich darüber abzusprechen, was sie im Verhör sagen würden.“135
Die Einstellung der Staatspolizei hinsichtlich der Gewaltanwendung war widersprüchlich, und dieser Widerspruch wurde auch deutlich bei der Frage, auf welcher Stufe man Gewalt anwenden dürfe. Die Gewaltanwendung beinhaltete die Möglichkeit, auf den zu Verhörenden Druck auszuüben, damit er seine Informationen preisgibt, in der Hoffnung, die Ermittlungen erfolgreich abzuschließen. Besonders bei den Verhaftungen, die in Zusammenhang mit geheimen kommunistischen Organisationen standen, war es wichtig, dass man möglichst schnell an Informationen kam. So konnten die anderen Beteiligten ihre Spuren nicht verwischen. Falls aber Gewaltanwendung öffentlich gemacht wurde, schadete das dem Ruf der Institution und verminderte ihre Leistungsfähigkeit.136 Schon früher war damit gedroht worden, die Behörde zu schließen, denn die Geheimpolizei hatte bis 1927 noch keinen festen legalen Status. Die ihr zugewiesenen Mittel wurden von Jahr zu Jahr vom Parlament geprüft; außerdem gab es von Zeit zu Zeit Vorschläge, sie aufzulösen oder mit einer anderen Behörde zu verschmelzen. Endgültig wurde die Existenz erst 1938 gesetzlich geregelt und amtlich anerkannt, als die Organisation den Namen Staatspolizei erhielt und neu geordnet wurde.137
Daher kann es nicht überraschen, dass strittige Fragen in Bezug auf die Gewaltanwendung beim Verhör beständig erörtert werden mussten. Es war bezeichnend, dass Ossian (Ossi) Holmström, ab 1920 Leiter der Geheimpolizei, als seine erste Amtshandlung die Misshandlung von Verhafteten verbot.138 Das Verbot blieb nicht das einzige seiner Art; Holmström gab im Oktober 1921 einen neuen Tagesbefehl heraus, in dem er auf „einige von mir mündlich gegebene Bestimmungen“ hinwies und strengstens verbot,
die Verhafteten zu foltern. Schon wegen der kleinsten Misshandlung werde ich die nötigen Maßnahmen ergreifen und den Schuldigen unverzüglich bestrafen.139
Diese Bestimmungen machen natürlich deutlich, dass Misshandlungen vorkamen, obwohl man die Angelegenheit auf keinen Fall vor Außenstehenden zugeben oder in der Öffentlichkeit behandeln wollte. Es war jedoch schwer, auf Gewalt zu verzichten, solange sie beim Personal für ein wirksames Druckmittel gehalten wurde.140
Das im März 1926 von Riekki verfasste Rundschreiben beschrieb sehr gut eine Art von Belagerungsmentalität, unter deren Einfluss die Geheimpolizei ihren geheimen Krieg führen musste. Nach Bemerkungen von Riekki hatte die Zentrale oft die Abteilungen ermahnt,
an der unerlässlichen Forderung festzuhalten, dass die Geheimpolizei bei den Verhafteten in keiner Situation und in keiner Weise Gewalt ausüben darf, sondern sie soll sich bei Festnahmen, Ermittlungen und Überwachungen beherrscht, gesetzestreu und menschlich verhalten.141
Riekki war auch der Meinung, dass „gegen die innerhalb der Geheimpolizei durchgeführten Untersuchungen sowie gegen die Behandlung der Verhafteten lange Zeit nicht mehr eine einzige sachliche Anschuldigung habe vorgetragen werden können“. „Bestimmte Kreise“ sowohl in Finnland als auch außerhalb der Landesgrenzen beobachteten jedoch ständig die Tätigkeit der Behörde und „lauerten nur auf eine Gelegenheit, um die Aktivitäten und die Handlungsweisen der Geheimpolizei in Verruf zu bringen“. Als Beispiel dafür führte Riekki den Fall des Sozialistischen Jugendverbandes an, der kürzlich vor dem Berufungsgericht in Turku verhandelt worden war. Georg Branting, der schwedische Anwalt des Angeklagten hatte nach Auffassung von Riekki
wider besseres Wissen und mit Unterstützung der schwedischen Presse vorsätzlich schwere Anschuldigungen gegen die Geheimpolizei verbreitet, nämlich, dass sie beim Verhör eines Zeugen diesen bedroht, mit Nahrungsentzug gequält und misshandelt habe.
Der Zeuge war allerdings nach Aussagen von Riekki zuvor „von einem Polizeichef in irgendeiner Form diszipliniert worden“, bevor er der Geheimpolizei überstellt worden war. Die Behandlung bei der Geheimpolizei musste tadellos sein, wenn auch nur aus keinem anderen Grund als dem, dass die Außenwelt die Tätigkeit der Behörde mit Argusaugen beobachtete.142
Die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Behandlung der Verhafteten schien auch Erfolg zu haben. Die Geheimpolizei der 30er Jahre war in der Lage so zu agieren, dass manchmal sogar die Gegenseite die Arbeit anerkennen musste, wenn auch widerwillig.143 Der Chef der Überwachungsbehörde Kaarlo Löfving verhörte im Frühjahr 1938 in Stockholm Yrjö Enne, der zu dieser Zeit das Büro der Finnischen Kommunistischen Partei in der schwedischen Hauptstadt leitete und der ein Jahr zuvor von der schwedischen Polizei verhaftet worden war. Enne, der seine Parteiarbeit aufgegeben hatte, empfing Löfving in seiner Wohnung und die Unterhaltung verlief nach seinem Bericht durchaus ruhig und sachlich. Nach Aussagen von Löfving
sagte Enne, dass die finnische Staatspolizei im gesamteuropäischen Rahmen den Ruf habe, kompetent zu sein und dass dies auch in Russland anerkannt würde. Die Geheimpolizei beschränke sich nicht ausschließlich auf Misshandlungen und Folter wie die Gestapo in Deutschland, sondern sie erreiche auch Ergebnisse durch andere Mittel, obwohl man allgemein der Auffassung sei, dass auch bei der Geheimpolizei in einigen Fällen bei Verhören Gewalt angewendet worden wäre. Ich wies Ennes letztgenannte Behauptung entschieden zurück und, daraus entstand eine Auseinandersetzung, weil Enne fortwährend seine Ansichten und sein Wissen über angebliche Misshandlungen bei der Geheimpolizei wiederholte. Er wollte diese Informationen von Personen erfahren haben, die selbst misshandelt worden wären, und er könne nicht glauben, dass sie nur Geschichten erzählen würden.144
Die Verhältnisse während des Krieges veränderten jedoch die Arbeitsatmosphäre und eine Gegenreaktion entstand erst nach dessen Beendigung, als Anzeigen hinsichtlich der Gewaltanwendung bei der Staatspolizei immer öfter erstattet wurden. Sie stammten meistens von Linksradikalen, die in den 30er und 40er Jahren verhaftet worden waren. Die Berichte über das Erlebte waren wenigstens teilweise politisch gefärbt, aber ihr Wirklichkeitsgehalt lässt sich kaum in allen Teilen abstreiten.145
Um eventuelle missbräuchliche Amtshandlungen der Staatspolizei zu untersuchen, wurde Anfang 1945 ein vom Rechtsphilosophen Otto Brusiin geleitetes Komitee gegründet, welches jedoch bei der Befragung des früheren Personals auf eine Mauer des Schweigens stieß. Der Fall des Künstlers Georg Krasnostovsky war ein typisches Beispiel dafür. Im Februar 1946 beklagte sich dieser darüber, dass er von November bis Dezember 1942 während seiner Verhaftung von der Staatspolizei misshandelt worden sei. Nach Aussagen von Krasnostovsky hätten der Referent Aarne Kauhanen und der Polizist Tuure Lammentaus beim nächtlichen Verhör mit Fäusten auf ihn eingeschlagen; beide hätten ihn gezwungen, für längere Zeit mit ausgestreckten Armen zu stehen, und sie hätten seine Rippen mit Fäusten traktiert. Auf Nachfrage bestritt Lammentaus, dass die Staatspolizei jemanden misshandelt habe, aber er gab zu, dass Kauhanen befohlen habe, Krasnostovsky stehen zu lassen. Kauhanen konnte dazu nicht befragt werden, denn er hatte schon im September 1944 Finnland verlassen. Lammentaus gestand schließlich ein, dass es vielleicht doch zu Misshandlungen hatte kommen können. Auch er habe „in letzter Zeit Gerüchte gehört, dass Verhaftete bei der Staatspolizei schlecht behandelt worden seinen, auch wenn er selbst so etwas nicht gesehen habe“.146
Weitergehende Geständnisse waren aber vom früheren Personal der Staatspolizei nicht zu bekommen. Zu den ungeschriebenen Gesetzen gehörte es, über interne Vorgänge zu schweigen, denn über bestimmte Angelegenheiten wurde nicht einmal mit den eigenen Leuten offen gesprochen. Stattdessen hatte der Mitarbeiter der Staatspolizei zu lernen, zwischen den Zeilen zu lesen, Hinweise, versteckte Bemerkungen und Umschreibungen zu verstehen sowie den Unterschied zwischen den schriftlich festgehaltenen Notizen und anderen Fällen zu begreifen. Brisante Angelegenheiten wurden unter vier Augen und in mündlicher Absprache behandelt. Der Anlass zur Verschwiegenheit, zur Verheimlichung und dazu, die Zahl der Eingeweihten möglichst zu begrenzen, fand seine Begründung darin, die Aufklärungsergebnisse zu schützen: die verschlüsselte Sprache und die knappe Ausdrucksweise verringerten vom Standpunkt der Behörde aus die Gefahr, dass ungewollte Informationen nach außen dringen könnten.
Durch ihr Schweigen schützte die Organisation die eigenen Mitarbeiter. Der Tod von Kalle Joutsijärvi, einem Deserteur aus Kolari, ist einer der Todesfälle von Verhafteten während der Kriegszeit, dem nicht weiter nachgegangen wurde. Nach Ende des Krieges, als die Staatspolizei der Kontrolle von „demokratischen“ Kräften unterstellt worden war, stießen die Erklärungsversuche jedoch ausnahmslos ins Leere. Die Beteiligten verwiesen auf ihre Abwesenheit, auf ihre Vergesslichkeit oder sie schwiegen. Bei der Aufklärung des Todesfalles von Joutsijärvi wies der Chef der Abteilung in Rovaniemi Risto Linna im Januar 1945 die diesbezüglichen Nachfragen der Zentrale zurück: Der Versuch, dem Geheimpolizisten [Vilho] Tolppanen wegen des Todesfalles des Deserteurs Joutsijärvi eine Teilschuld zu geben, sei völlig grundlos, und – der Geheimpolizist T[olppanen] sei absolut unschuldig.“147
In Friedenszeiten war es jedoch noch möglich gewesen, ehrlich zu versuchen, fragwürdige und unpassende Methoden in den Handlungen der Behörde auszuschließen. Der langgediente stellvertretende Leiter der Behörde Ville Pankko hatte in einem Rundschreiben, das er im Mai 1926 an die Abteilungen verschickt hatte, immer wieder betont, wie wichtig die korrekte Behandlung von Verhafteten sei. Anlass für diese Ermahnung war ein Fall in der Zweigstelle in Kajaani, wo man eine Person, die verhört werden sollte, mit Handschellen an der Herdstange festgebunden hatte:
Wenn man an unsere Epoche denkt, dann dürfte diese Art von Behandlung bei der Geheimpolizei nicht in Frage kommen, denn sie sollte sich auf keinen Fall beim Umgang mit Verhafteten, nicht einmal, wenn eine gute Absicht dahinter steht, zu Handlungsweisen hinreißen lassen, die dem Geist des aufgeklärten Zeitalters fremd sind.148
Als Panko diese Zeilen schrieb, war das „aufgeklärte Zeitalter“ fast zu Ende. Das Spiel würde bald härter werden, sowohl in der übrigen Welt als auch in Finnland. Im Laufe der 30er Jahre veränderte sich erneut das alte Feindbild der Roten, der Bolschewisten und der Kommunisten. Hinzu kam auch noch bis zum Beginn des Fortsetzungskrieges ein ethnischer Aspekt. Anstelle der finnischen Kommunisten wurde der Hauptgegner die Sowjetunion, die Heimat des Weltkommunismus, in der Sowjetrussen und jüdische Bolschewisten lebten.