Читать книгу Geheime Waffenbrüderschaft - Oula Silvennoinen - Страница 8
Einleitung
ОглавлениеInsidiatori vero et letroni quae potest inferri iniusta nex? Est igitur haec, iudices, non scripta, sed nata lex – ut, si vita nostra in aliquas insidias, si in vim et in tela aut latronum aut inimicorum incidisset, omnis honesta ratio esset expediendae salutis. Silent enim leges inter arma nec se exspectari iubent, cum ei qui exspectare velit, ante iniusta poena luenda sit, quam iusta repetenda.1
Marcus Tullius Cicero: Pro Tito Annio Milone ad iudices oratio IV, 10–11
„Silent enim leges inter arma“: Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze. Das war eine der wichtigsten Behauptungen Ciceros in der Verteidigungsrede für Titus Annius Milo, der des Mordes an seinem Rivalen beschuldigt wurde. Die Rede war geschickt formuliert. Milo konnte sie trotzdem nicht retten, denn er wurde des Landes verwiesen.
Den Gedanken, dass Gesetze in bestimmten extrem bedrohlichen Notsituationen keine Bedeutung haben, hat sich Cicero wohl nicht selbst ausgedacht. Cicero hat nur das ausgesprochen, was allen ohnehin klar war. Not kannte kein Gebot, und das Schicksal der Besiegten war es, der Willkür der Sieger ausgeliefert zu sein. Eigentlich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand die Auffassung, dass auch in extremen Situationen wie im Krieg Gesetze gelten sollten und auch im Krieg die kämpfenden Parteien mindestens einige Grundregeln in der Behandlung des Gegners zu beachten hätten. Zentraler Inhalt der Kriegsgesetze wurde ein auf internationalen Verträgen basierendes Regelwerk, das die Rechte der gegnerischen Soldaten und der Zivilbevölkerung nach der Gefangennahme oder der Besetzung festlegte.
Das 20. Jahrhundert bot viele Gelegenheiten, die Wirkung und die Verbindlichkeit der Kriegsgesetze in der Praxis zu erproben. Die Ergebnisse waren widersprüchlich. Die abgeschlossenen Verträge zeigten zwar deutlich Wirkung, aber der ethnische Hass, der die bewaffneten Konflikte des Jahrhunderts prägte, führte immer wieder zu groben Vertragsverletzungen. Zu den Opfern gehörten auch Zivilisten, deren Sicherheit vertragsgemäß eigentlich besonders hätte geschützt werden sollen. Die Finnen mussten am 30. November 1939 die Wirklichkeit des modernen Krieges hautnah erleben. Die über Helsinki aufgetauchten sowjetischen Flugzeuge machten den Einwohnern bald klar, auf welche internationalen Gesetze sie sich zu ihrem Schutz berufen könnten.
Mit dem Winterkrieg wurde Finnland in die größte bewaffnete Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts hineingezogen, in der die Gesetze schnell missachtet wurden. Der Angriff der übermächtigen Sowjetunion auf das kleine Nachbarland, die Bombardierungen der Siedlungen, die Beisetzung der Kriegsgefallenen in den gefrorenen Böden der Gemeindefriedhöfe, die großen Gebietsverluste und das harte Schicksal der Kriegsflüchtlinge verbitterten die Finnen tief und prägten nachhaltig die Generation, die den Krieg erlebt hatte, in ihrer Haltung zu dem östlichen Nachbarn. Als der neue Krieg gegen die Sowjetunion im Sommer 1941 begann, glaubte das finnische Volk, in diesem Krieg das Recht auf seiner Seite zu haben.
An der Seite Finnlands stand nicht nur das Recht, sondern auch ein mächtiger Verbündeter, das nationalsozialistische Deutschland, das sowohl in seiner Propaganda als auch in der Praxis einen weltanschaulichen Vernichtungskrieg begonnen hatte. Das bedeutete u.a. die völlige Auslöschung des gegnerischen politischen Systems, indem Menschen getötet wurden, die nach Auffassung der Nationalsozialisten Stützen des Systems waren: politisch aktive Kommunisten und Juden. Dieser Krieg war ein Kampf zwischen Leben und Tod, der – so die verkündete Absicht – nur mit dem totalen und endgültigen Untergang des Gegners enden könnte.
Wer kämpfte, um sein Leben zu verteidigen, war nach Cicero berechtigt, beliebige Mittel zu benutzen, um sich selbst zu schützen. Welcher Tod, hatte Cicero gefragt, könnte für Intriganten und Räuber unverdient und ungerecht sein? Bald nach dem Beginn des Fortsetzungskrieges gerieten Menschen, die scheinbar diesen Einstufungen entsprachen – politische Kommissare der Roten Armee, Sowjetfunktionäre, Politruks und Juden – auch in die Hände der Finnen. In den deutschen Gefangenenlagern in Nordfinnland erwarteten sie die Vertreter der deutschen Sicherheitspolizei, die finnische Staatspolizei sowie die Kontrollbehörde des Hauptquartiers der finnischen Armee, die beide mit den Deutschen zusammenarbeiteten und welche die Logik Ciceros in ihrer gröbsten Form verinnerlicht hatten.
Ich behandle in dieser Untersuchung die Zusammenarbeit der staatlichen Polizei mit den nationalsozialistischen Polizei- und Sicherheitsbehörden von 1933 bis zum Ende des Fortsetzungskrieges und bis zum Bruch der Beziehungen zwischen Finnland und Deutschland. Da es sich um eine Grundlagenforschung handelt, muss zuerst der Ablauf der Ereignisse beschrieben werden. Es muss gefragt werden, welche Zusammenarbeit es im beschriebenen Zeitraum zwischen der finnischen Sicherheitspolizei und ihren deutschen Amtskollegen gab. Nach der Beschreibung ist zu klären, warum die Zusammenarbeit diese Form annahm. Zum Schluss muss die Frage beantwortet werden, ob das Bild von den Beziehungen Finnlands zu den zweifellos skrupellosen Vertretern des nationalsozialistischen Deutschlands und deren begangenen Kriegsverbrechen stimmig gewesen ist. Nach Meinung des Historikers Mauno Jokipii war die gemeinsame Kriegsführung Deutschlands und Finnlands in Nordfinnland sowie in Nordnorwegen „so sauber, wie die Kriegsführung nur sein kann“. War es wirklich so oder gab es in der Kriegsführung Aspekte, die uns heute zwingen, die finnische Auffassung über die Beziehungen zu Hitlers Deutschland gründlicher zu überprüfen?
Was meine Untersuchung betrifft, habe ich ausnahmsweise die Forschungsmethoden, die Quellen und die Forschungsliteratur dem eigentlichen Text beigefügt. Damit habe ich bezweckt, den geschichtlichen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Diejenigen, die jedoch vor der Lektüre an dem Forschungsstand, an den Methoden und Quellen interessiert sind, empfehle ich, sich zunächst im Anhang zu informieren.
Damit man die Ereignisse besser verstehen kann, gebe ich anfangs einen Überblick über die internationale sicherheitspolitische Zusammenarbeit des Vorgängers der staatlichen Polizei, der Geheimpolizei, in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. In meinem Buch verfolge ich in verschiedenen Kapiteln immer wieder ein Flüchtlingsschicksal, die Geschichte des deutschen Journalisten Wilhelm Kernig. Auch wenn sie untypisch ist, so gibt doch Kernigs Geschichte ein plastisches Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit der finnischen und deutschen Sicherheitsbehörden in den Kriegsjahren die Stellung vieler Ausländer in Finnland gefährdet hat und wie sich die finnische Staatspolizei in die Politik des Terrors und des Völkermordes der Nationalsozialisten verstrickt hat.
Ich bin allen jenen zu Dank verpflichtet, die auf ihre Weise bei der Fertigstellung dieser Studie mitgeholfen haben. Die Idee zu dieser Forschungsarbeit entstand, als ich bei dem von der Regierung in Auftrag gegebenen und von Professor Heikki Ylikangas geleiteten Untersuchungsausschuss mitarbeitete und mein Mentor Professor Markku Kuisma mich von Anfang an ermutigte, diese Arbeit inhaltlich und sprachlich erfolgreich fortzusetzen. Im Laufe der Untersuchungen führten mich die Spuren immer öfter in ausländische Archive, die ich ohne Unterstützung vieler Kollegen und Helfer nicht hätte effektiv nutzen können. In Deutschland habe ich mich besonders auf die Hilfe und die Unterstützung des Historikers Reinhard Otto verlassen können. Toomas Hiio und den Mitarbeitern des von ihm geleiteten estnischen Forschungsprojekts spreche ich meinen Dank aus für die Hilfe, die sie mir bei meinen ersten Forschungen in ausländischen Archiven geleistet haben. Der Redakteur und Schriftsteller Jukka Rislakki stellte mir Interviews von bereits verstorbenen Personen zur Verfügung, die er in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gemacht hatte. Professor Tore Pryser und Martinus Hauglid haben mir dabei geholfen, Fragen über Norwegen zu beantworten. Die Freundschaft und Sachkenntnis des Historikers Valters Sčerbinski waren eine riesige Unterstützung bei den Forschungsarbeiten hinsichtlich Lettlands. Bei Maša und Viktor Pilipenko in der Ukraine bedanke ich mich für die herzliche Gastfreundschaft. Marja-Leena und Seppo Hentilä waren freundliche Seminargastgeber in Berlin.
Gute Kollegen im Nationalarchiv verdienen alle einen Dank, obwohl ich hier nur einige namentlich nennen kann. Sami Outinen und Janne Hallikainen haben mir sehr geholfen, und den Praktikanten des Forschungsprojektes Jussi Laitinen, Olli Almi und Antti Miettunen bin ich auch zu Dank verpflichtet für die umfangreiche Grundlagenarbeit, die viele neue Erkenntnisse hervorbrachte, für deren Auffinden ich selber keine Zeit gehabt hätte. Mit Michael Jonas, Matti Kosonen, Malte Gasche, Juho Kotakallio und Petrus Liukkonen habe ich Quellen ausgetauscht und die Dimension der öffentlichen und der geheimen Tätigkeit Deutschlands in Finnland erörtert. David Lewis hat mich in internationalen Fragen beraten. Professor Juha Siltala machte sich die Mühe, der Arbeit sprachlich den letzten Schliff zu geben. Den Referenten Professor Kimmo Rentola und Dozent Matti Lackman danke ich für die hilfreichen Kommentare, die die Arbeit spürbar in die richtigen Bahnen lenkten.
Peter und Johan Westerholm danke ich besonders für das Interesse und für das Verständnis an meiner Arbeit. Mein Freund Heikki Skyttä war immer wieder bereit, mit mir thematisch sachbezogene Fragen zu erörtern. Auf das Stilempfinden meiner Frau Sari habe ich mich immer verlassen können, und die Begeisterung meines Sohnes Tuure war etwas ganz Besonderes. Zum Schluss danke ich den wichtigsten Helfern: dem Dozenten Juha Pohjonen, der schon im November 2004 die Bedeutung dieser Arbeit erkannte und mich von Anfang an anspornte und unterstützte, sowie Ida Suolahti, meiner Arbeitskollegin, für deren Sachkenntnis und Geduld ich Hochachtung empfinde.
Siltavuorenranta, den 24. Mai 2008 | Oula Silvennoinen |