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„Von Russen und Juden“. Feindbilder und rassistische Stereotypen innerhalb der Geheimpolizei

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[Der Ausländer] ist fast immer eher dazu bereit, etwas Schlechtes zu tun, als der Bürger des eigenen Landes – und der Jude gehört keineswegs zu den zuverlässigsten.149

Referent Aarne Kauhanen im September 1939

Der Russenhass als solcher, wie er nach dem Bürgerkrieg in Finnland entstand, war ein neues Phänomen, das praktisch erst in den Unterdrückungsjahren Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam. Die Einstellung der Finnen zu den Russen war geprägt von Erinnerungen, Mutmaßungen und Vorstellungen, die sich während der gemeinsamen Geschichte gebildet hatten, und die lange und vielfältige Erfahrung mit den Russen und dem Russentum hatte zu keiner eindeutig negativen oder positiven Bewertung geführt.150

Ein weit verbreiteter und aggressiver Russenhass entstand erst als Folge von Russifizierung und Bürgerkrieg. In den ersten Jahrzehnten der Unabhängigkeit verschärfte sich der finnische Russenhass dadurch, dass das Russentum mit dem politischen System der benachbarten Sowjetunion gleichgesetzt wurde. Die Erfahrung im Bürgerkrieg hatte eine mit Furcht vermischte Aversion gegen die Roten aufkommen lassen und in Zusammenhang mit den nach Sowjet-Russland geflüchteten Roten wurde nach dem Bürgerkrieg dieses Gefühl der Abneigung auf den „russischen Bolschewismus“ und die ganze Sowjetunion übertragen. Den Russenhass schürten auch die Rechtsaktivisten, die von den Streitigkeiten im politischen Leben des gerade unabhängig gewordenen Finnlands enttäuscht waren und die von einem starken und innerlich geeinten Nationalstaat geträumt hatten. In ihren Wunschvorstellungen sollte das bewusst geschaffene Bild von einem äußeren Feind die innere Einigkeit ermöglichen.151

Der dogmatische Russenhass durchdrang fast die ganze finnische Gesellschaft wie auch die Geheimpolizei und ihre Nachfolgeorganisation. Wie damals üblich, war „der Iwan“ im internen Sprachgebrauch der Behörde das gängige Synonym für den Russen an sich. Die Gefühlsskala, die vom antikommunistischen Russenhass bis hin zum Misstrauen gegen die Sowjetunion reichte, war ein Teil des gesellschaftlichen Konsenses im Finnland der Vorkriegszeit. Diese Abneigung beeinflusste in irgendeiner Weise alle Parteien und bürgerlichen Gruppierungen von der Akademischen Karelien-Gesellschaft und der Vaterländischen Volksbewegung bis hin zu den Sozialdemokraten.152

Zwar stellte der Antikommunismus eine Art Nationalglauben dar, aber die Bewertungsmaßstäbe, um das bolschewistische Sowjetsystem und ihre politischen Lehren abzulehnen, waren unter den Bürgern sehr uneinheitlich.153 Der Antikommunismus bei den meisten Finnen war weder intellektuell differenziert noch von mitmenschlicher Empörung geprägt. Die meisten dürften den Kommunismus für irgendeine allgemeine und undefinierbare Boshaftigkeit gehalten haben, die vor allem geprägt war durch Faulheit und Schmutzigkeit sowie durch die Absicht, den Leuten ihr ganzes Vermögen wegzunehmen, die Kinder vom Staat erziehen zu lassen und jeden zu erschießen, der mehr als eine Kuh hatte.154

In gleicher Weise wie der finnische Kommunismus seine Kraft aus den Erinnerungen an den Bürgerkrieg schöpfte, genauso beinhaltete für die Rechten der Antikommunismus das Erbe der Jahre 1917 und 1918, verbunden mit einer bedrückenden, bitteren und hasserfüllten Grundstimmung. Die Roten hatte man schon während des Bürgerkrieges in der weißen Presse als „Vaterlandsverräter“ abgestempelt, weil sie den Erzfeind nach Finnland zu Hilfe geholt hätten. Trotz der erlittenen Niederlage der Roten und obwohl in Finnland an ihnen unerbittlich Rache verübt wurde, nahm die Verbitterung ihnen gegenüber nach Ende des Bürgerkrieges weiter zu. Dabei verwandelten sich die Roten von einem konkreten Feind hin zu einem undefinierbaren, nicht fassbaren Bösen, das sich hinter der Grenze in Sowjet-Russland versteckt hielt. Sie konnte man zwar nicht direkt fassen, aber aus ihren unablässig geschmiedeten Intrigen ließen sich furchterregende Vorstellungen ableiten. So wurden die Vorstellungen, die man von den Roten hatte, einfach teilweise auf die Bolschewisten, die „Sowjetrussen“ übertragen, die das wahre Wesen des Kommunismus angeblich verkörperten. Aus der Sowjetunion wurde sowohl der Träger des roten Erbes als auch das Objekt des Hasses.155

Der Russenhass und der Antikommunismus der Ultrarechten waren geprägt vom ideologischen Erbe der Aktivisten, das gekennzeichnet war von der Abneigung gegen den Sozialismus, durch elitäre gesellschaftliche Zukunftsvisionen und durch einen expansiven Nationalismus.156 Je radikaler die politischen Kreise waren, desto mehr wurde aus dem Antikommunismus in seinen unterschiedlichen Schattierungen ein spontaner und religionsähnlicher Kommunistenhass.157 Der Rektor der Universität Helsinki, der Professor und spätere Premierminister Edwin Linkomies, gab diesem Gefühl Ausdruck, als er im Mai 1942 in Rom eine Rede hielt:

Tief in unserem Innersten waren wir davon überzeugt, dass der Bolschewismus im Gegensatz zu all dem stand, was für uns im Leben wertvoll war. Er ist eine Pest, und alle menschlichen Instinkte zwingen uns dazu, ihn zu bekämpfen.158

So einen Feind bekämpfte man nicht mit Reden und Mehrheitsbeschlüssen und wenn man sich gegen diese Art von Kommunismus wehrte, so hatte das nichts mit Demokratie oder Parlamentarismus zu tun und noch weniger mit der Verteidigung humanistischer Wertvorstellungen. Da es auch in den gebildeten Kreisen keine differenziertere Bewertung des östlichen Nachbarn und seines politischen Systems gab, führte das einen Teil der finnischen Antikommunisten auf einen gefährlichen Irrweg. Folglich entstand der Antikommunismus nicht aus der Absicht, das demokratische Gesellschaftssystem zu verteidigen, sondern speiste sich aus den Erinnerungen des Jahres 1918 und aus den bitteren Erfahrungen der Aktivisten. Für die zukünftigen Ereignisse war es somit entscheidend, dass diese Art von Kommunistenhass überdurchschnittliche Zustimmung fand, sowohl bei der Armee als auch in besonderem Maße beim Personal der Staatspolizei.159

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Innerhalb des Personals gab es auch ein anderes, ethnisch bedingtes Vorurteil, das für Finnland eigentlich ungewöhnlich war: Judenfeindlichkeit und Antisemitismus. Am meisten kamen in dieser Zeit solche judenfeindlichen Einstellungen und Vorurteile als typischer „alltäglicher“Antisemitismus zum Ausdruck, nämlich in der Form von unterschiedlichen abwertenden Bemerkungen, als Misstrauen gegen die Juden und als beständige Wiederholung von rassistischen Stereotypen. So beschrieb etwa Vilho Kojo, zu dieser Zeit Geheimpolizist in Wiborg, einen Agenten der sowjetischen Sicherheitspolizei OGPU160 wie folgt:

Ein korpulenter kleinwüchsiger Mann, schwarze Haare und Augenbrauen, etwa 35 Jahre alt, im Mund viele goldene Zähne und soweit ich mich erinnern kann, ein Muttermal auf der rechten Wange, die linke Schulter höher als die rechte, und er zuckte oft mit den Schultern. Ein absoluter Judentyp.161

Bei der Geheimpolizei war es schon früh üblich, Bolschewismus und Judentum in einen Zusammenhang zu bringen. In seinem Tagesbefehl zu Beginn des Jahres 1920 legte der gerade zum Chef der Geheimpolizei ernannte Ossi Holmström fest, dass die Mitarbeiter beim Verhör von Ausländern, besonders wenn sie aus Russland stammten, gründlich die möglichen Verbindungen zu den Bolschewisten klären solle: „Besonders hinsichtlich der Juden sei äußerste Genauigkeit angebracht, denn nach den erhaltenen Informationen dürften mindestens 80 % aller führenden Bolschewiki Juden sein.“162

Tatsachen und Vorstellungen vermischten sich allerdings. Die russischen Juden waren durchaus in den letzten Jahren der zaristischen Herrschaft in unterschiedlichen sozialistischen Gruppierungen politisch aktiv gewesen. Ein extremes Beispiel dafür ist der 5. Parteitag der russischen sozialdemokratischen Partei im Jahre 1907. Fast 30 Prozent der Teilnehmer waren Juden, auch wenn die Mehrheit eher auf Seiten der Menschewiki als der Bolschewiki war. Etwa vier Prozent der sowjetischen Bevölkerung waren Juden, und in Bezug auf ihren Anteil in der Gesamtbevölkerung waren sie in den 20er und 30er Jahren innerhalb der Parteiorgane leicht überrepräsentiert. Bedeutende Bolschewistenführer wie Lev Trotzki (eigentlich Bronstein), Zinovjev (eigentlich Radomylski) oder Lev Kamenev (eigentlich Rosenfeld), deren Judentum in der gegnerischen Propaganda immer wieder betont wurde, vermittelten jedoch den Eindruck, dass die ganze revolutionäre Bewegung von Juden geleitet würde. Die vermeintliche Überzahl der Juden innerhalb der Bolschewiki konnte einen natürlich auf den Gedanken bringen, dass die revolutionäre Tätigkeit eine für die Juden typische ethnische oder rassische Eigenschaft sei.163

Bei der Geheimpolizei stellte der Antisemitismus jedoch kein großes Thema dar, aber er war dort in gleicher Weise vorhanden, wie er überall zu dieser Zeit in der westlichen Kultur verankert war.164 So hatten die Verhafteten der Geheimpolizei in Sortavala Mitte der 20er Jahre in ihren Zellen als Lektüre zusätzlich zu den verschiedenen antikommunistischen Werken auch solche Schriften wie „Das geheime Programm der Juden“ von Sergei Nilus, d.h. die Protokolle der Weisen von Zion, „Der internationale Jude“ von Henry Ford und „Wenn Juda das Zepter übernommen hat“ von Jérôme und Jean Tharaud zur Auswahl. Im letzteren Buch konnten die Gründe und die Folgen für den kommunistischen Umsturzversuch in Ungarn leicht mit den Judentum in Verbindung gebracht werden.165

Eine antisemitistische Einstellung war in der Welt vor dem Zweiten Weltkrieg auch sonst nichts, was man schamhaft verschweigen musste, sondern sie war durchaus ein gängiges Thema in der gesellschaftlichen Diskussion. Antisemitische Äußerungen stellten keinen ins intellektuelle Abseits; noch wurde man dafür aus den Kreisen verbannt, die sich selbst für gebildet hielten. In den Briefen von Urho Kekkonen aus dem Berlin der 30er Jahre, als er für die Geheimpolizei tätig war, kann man ebenfalls diese judenfeindlichen Erscheinungsformen finden, wie sich überhaupt auch bei den finnischen Intellektuellen dieser typische gesamteuropäische Antisemitismus feststellen lässt. Kekkonen verfasste seine Briefe kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, als er in Deutschland studierte. Trotz der kritischen Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus sind die Bemerkungen in den Briefen in Bezug auf die Juden fast immer negativ. Es finden sich Zitate wie: „Der abstoßende jüdische Kaplan“, oder „Jussi [Kekkonen] sollte hier sein, damit er lernt, die Juden zu hassen“, oder „Niemals die Gesellschaft von Juden suchen, wenn man mit Christen zusammen sein kann“.166

Es war keineswegs nötig, die Finnen mit diesen antisemitischen Einstellungen aus dem Ausland besonders vertraut zu machen. Als Europäer kannten die Finnen sie schon von früher her.167 Trotzdem hatte die deutsche antijüdische Propaganda wahrscheinlich im Laufe der 30er Jahre auch bei den Finnen einen gewissen Erfolg, die dem Nationalsozialismus zunächst kritisch gegenüber gestanden hatten.168 Die junge Geschichtsstudentin Aira Kemiläinen schrieb im November 1939 in ihrem Tagebuch folgendes über die Themen Deutschland, Hitler und die Judenverfolgungen:

Hitler habe ich von Anfang an gehasst, zunächst natürlich wegen irgendwelcher äußerlichen Gründe, aber auch den Nationalsozialismus wegen seiner abstoßenden Handlungsweisen. Was die Judenverfolgungen angeht, ist auch der Hass gegen sie zu verstehen, aber in diesem Punkt ist man über das Ziel hinausgeschossen.169

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Die andere Hauptaufgabe der Geheimpolizei war neben dem Kampf gegen den Kommunismus die Ausländerüberwachung, die für die Behörde immer wichtiger wurde, nachdem man in der 30er Jahren neue gesetzliche Rahmenrichtlinien verabschiedet hatte. Die Sicherheitspolizei entwickelte sich in Finnland während der Zwischenkriegszeit zur einzigen kompetenten Behörde, die ausschließlich mit der Ausländerüberwachung beauftragt war. Die Tatsache, dass sie gänzlich im Verantwortungsbereich der Geheimpolizei blieb, führte jedoch dazu, dass die rein polizeiliche Sichtweise immer dominierender wurde, wenn es darum ging, die Maßnahmen der Geheimpolizei hinsichtlich der Ausländer zu begründen. So waren die Ausländer in den Augen der sie überwachenden Behörde von Anfang an potentielle Unruhestifter. Die Aufgabe der Geheimpolizei bestand darin, die Einreise und die Aktivitäten der Ausländer zu überwachen sowie, wenn nötig, Maßnahmen zu ergreifen, um sie auszuweisen.170

In den Augen der Geheimpolizisten wurden die Juden mit den Russen gleichgesetzt, und in der Gruppe der Ausländer galten sie als höchstverdächtig. Die ausländischen Juden erregten schon allein wegen ihrer Herkunft erhöhte Aufmerksamkeit, was bedeutete, dass die antisemitische Haltung immer stärker verinnerlicht wurde.171 Mit den Juden wurden Eigenschaften wie Geldgier und Hinterlist verbunden, so wie es im Vortrag des Referenten Aarne Kauhanen auf der Tagung der Geheimpolizei 1935 zum Ausdruck kam. Kauhanen beschrieb in seinem Vortrag die Schwierigkeiten, welche das Anwerben von zuverlässigen Informanten unter dem Personal der Hotels und Restaurants verursachte. Manche wollten Geld, bevor sie überhaupt bereit waren zu reden:

Wenn man über einen Hotelgast Informationen haben will, ist oft die einzige Antwort, dass sich der Portier kurz angebunden äußert, wobei er wie ein Jude die Arme ausbreitet und sagt, dass „es schwer ist, etwas Besonderes zu berichten, er kommt und geht, hm, ihn hat niemand besucht usw.“172

Wie Kauhanen berichtete, versuchte man das Misstrauen des Personals zu zerstreuen, indem man sich unter dem Vorwand der formellen Kontrolle nach „Iwans und Juden“ erkundigte, also nach allgemein bekannten Personengruppen, die man sowieso routinemäßig überwachte. Kauhanen schilderte zusätzlich in zwei Beispielen, wie die Ausländerüberwachung funktionierte. In beiden Fällen ging es einerseits um die Kontrolle der Juden und andererseits darum, wie man das Personal der Beherbergungsbetriebe dazu bringen könne, die Ziele der Geheimpolizei wohlwollend zu unterstützen. In einem Beispiel ging es um zwei jüdische Hotelgäste, von denen einer sich beim Portier wegen der Abgabe des Passes beklagte. Der Kern der Sache bestand jedoch darin, dass die Juden nicht davor zurückschreckten, einander zu bestehlen: „Die Juden benahmen sich sehr ausfallend und anmaßend. Sogar die Geheimpolizei wurde zum Hotel gerufen. Man kontrollierte das Gepäck der Juden, und beide wurden so in die Enge getrieben, dass der Pass schließlich ‚gefunden wurde‘. Der eine von den beiden Juden hatte den Pass gestohlen.“173

Die ethnischen Vorurteile sollten die schon latent vorhandenen Gefühle noch verstärken, als der im Sommer 1941 ausgelöste gemeinsame Krieg mit Deutschland der Staatspolizei die Möglichkeit bot, den eindeutigen und langjährigen ideologisch-ethnischen Gegner, „den Iwan“, endlich zu bekämpfen. In den Plänen und in der praktischen Zusammenarbeit mit der deutschen Sicherheitspolizei, die vom Berufskollegen zum Waffenbruder geworden war, ging man deshalb sehr viel weiter, als es dem Ideal, der Praxis und der Tradition eines Rechtstaates entsprochen hätte. Die Art der Zusammenarbeit mit den Behörden von Hitler-Deutschland wurde jedoch durch die Zeit beeinflusst, als die Geheimpolizei und die Sicherheitsbehörden der beiden Länder erste Kontakte geknüpft hatten.

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