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MIT IHREN AUGEN BETRACHTET

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Im November 2003 wurde Tammy Ogles Kopf von dem Auto überrollt, mit dem sie unterwegs war. Sie fuhr eine Landstraße entlang, als ihre drei Labradors hinten herumzuspringen begannen und den Geländewagen so zum Schlingern und Drehen brachten, dass sie aus dem Fenster und unter die Räder ihres eigenen Wagens geschleudert wurde. Als sich der Staub verzogen hatte, lag sie bewusstlos mit zehn gebrochenen Rippen und schweren Kopfverletzungen da. Tammys drei Labradore, Double, Lily und Golly, blieben von ernsthaften Verletzungen verschont und krabbelten aus dem Auto. (Tammy sagte mir, dass sie die Hunde normalerweise nur in der Box im Auto mitnahm und selbst keine Ahnung hatte, warum sie sich an diesem Morgen entschieden hatte, sie frei im Auto mitfahren zu lassen.) Double, ein hübscher dreijähriger Rüde, blieb bei Tammy, während Lily und Golly eine halbe Meile weit bis zum nächsten Haus liefen, wo sie so lange an der Tür bellten und kratzten, bis jemand herauskam. Golly packte den Hausbesitzer am Ärmel und zog ihn bis zur Straße, von wo aus er Tammys umgekipptes Auto sehen konnte.

Wenn Sie gerne in eine Debatte geraten möchten, dann fragen Sie verschiedene Menschen, ob sie glauben, dass Tammys Hunde ihrer Besitzerin bewusst das Leben gerettet hätten. Einige werden sagen: »Na klar haben sie das. Es ist absolut vernünftig, anzunehmen, dass (1) die Hunde erkannten, dass Tammy schwer verletzt war und dringend Hilfe brauchte; (2) dass die Hunde Tammy liebten und ihr helfen wollten; (3) dass sie wussten, dass sie selbst ihr nicht helfen konnten und sich deshalb entschieden, die Straße entlangzulaufen und Hilfe bei jemandem zu suchen; (4) dass sie, als sie am Haus ankamen, an der Tür bellten und kratzten, um den Bewohner aufmerksam zu machen; und (5) dass Golly, als sie merkte, dass der Hausbewohner den Unfall nicht gesehen hatte, ihn in die richtige Richtung am Ärmel zog.«

Andere werden diese Geschichte als Paradebeispiel dafür betrachten, wie dumm vermenschlichend Hundenarren doch denken, wenn sie ihren Hunden Denkvorgänge unterstellen, zu denen nur Menschen fähig sind. Menschen mit dieser Sicht der Dinge werden vielleicht sagen, dass die Hunde deshalb die Straße entlangrannten, weil sie völlig verschreckt waren und von der Unfallstelle fliehen wollten. Ihr Bellen vor dem Haus geschah nicht aus strategischer Absicht, sondern deshalb, weil sie unbewusst gelernt hatten, dass Bellen in der Anwesenheit von Menschen ihnen deren Aufmerksamkeit einbringt – oder deshalb, weil sie einfach nur sehr aufgeregt waren, ohne genau zu wissen, warum. Vielleicht begrüßt Golly Menschen öfter, indem sie sie am Ärmel packt – wir wissen ja nur zu gut, wie gerne Labradore alles Mögliche zwischen die Zähne nehmen und wie viele Hunde dieser Rasse es gibt, die einem freundlichen »Händeschütteln« mit dem Fang nicht widerstehen können.

Wie Sie sehen, ist es sehr leicht, eine Geschichte darüber zu erzählen, warum ein Tier etwas tut. Beide Geschichten sind nämlich genau das – nur Geschichten. Keiner von uns kann weder beweisen, dass die jeweils eigene Version die richtige ist noch das Gegenteil davon. Wenn uns keine weiteren Informationen zur Verfügung stehen, ist es sehr verführerisch, die eigene Version zu glauben und die andere zu verwerfen. Dies ist einer der Gründe dafür, warum Wissenschaftler in der Vergangenheit immer wieder betont haben, dass Vermenschlichungen um jeden Preis zu vermeiden seien. Es ist sehr einfach, eine Geschichte darüber zu erfinden, was wohl im Kopf eines Tieres vorgeht, wenn man sich vorstellt, selbst in dessen Lage zu sein. Genauso einfach ist es, damit sehr, sehr falsch zu liegen.

Es gibt zahllose Beispiele für die Schwierigkeiten, in die wir geraten, wenn wir uns Tiere als bepelzte Menschen vorstellen – und das gilt nicht nur für Hunde. Ich hätte damals fast meine erste eigene Schafherde umgebracht, weil ich sie in der fälschlichen Absicht, sie nicht frieren zu lassen, im Winter im Stall einsperrte. Ich konnte mir nicht vorstellen, die Schafe ohne meine Hilfe bei minus zwanzig Grad draußen zu lassen – aus dem einzigen Grund, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich es nachts da draußen aushalten sollte, ohne zu erfrieren. Aber Schafe sind nun mal keine wolligen Menschen. Solange sie genug Heizöl in Form guten Futters haben, ist es für sie viel gesünder, draußen an der frischen Luft zu sein anstatt eingesperrt im Stall. Wenn man sie in einen geschlossenen Raum sperrt, erkranken sie sehr leicht durch die von ihrem eigenen Atem angefeuchtete Luft an Lungenentzündung (und genau das passierte meinen Schafen). Heute bin ich schlauer und lasse ihnen die Wahl. In den meisten Nächten entscheiden sie sich dafür, draußen zu liegen und dösen oft von einer Schneedecke bedeckt zufrieden vor sich hin, und das bei einem Wetter, in dem ich bis ins Mark hinein frieren würde.

Dies war in dem gleichen Jahr, als ich auch wie besessen frisches Stroh in die Hundehütten draußen stopfte, zu Tode besorgt, dass die im Zwinger schlafenden Hunde nachts frieren könnten.7 Morgens stellte ich dann fest, dass Bess, eine wunderbare und willensstarke Border Collie Hündin, alles bis auf den letzten Halm herausgescharrt hatte. Nach ein oder zwei Wochen, in denen ich das Verhalten meines Hundes unerbittlich ignorierte und mit dem Versuch fortfuhr, die Hundehütten weicher und wärmer zu machen, begann Bess schon mit dem Herausscharren des Strohs, bevor ich es fertig hineingelegt hatte. Endlich dämmerte es mir – ich glaube, es war an dem Morgen, als es minus fünf Grad kalt war und Bess zufrieden draußen vor der Hundehütte schlief, auf einem Flecken Schnee und Eis zusammengerollt und offensichtlich so warm wie eine Scheibe Toast.

Nicht nur Hundehalter machen sich unangebrachte vermenschlichende Sorgen um ihre Tiere. In einem klassischen Fall war ein britisches Komitee damit beauftragt, die Haltung von Käfighühnern zu verbessern. Es war gerade dabei, eine Regelung zu verabschieden, nach der die Hühner auf aus dickerem Draht bestehenden Böden als bisher gehalten werden sollten. Der üblicherweise verwendete Draht sah so dünn aus, dass man dachte, es müsse schmerzhaft sein, barfuß darauf zu stehen. Also dachte das Komitee zwar nicht daran, den Hühnern Turnschuhe auszuteilen, aber daran, den Käfigherstellern dickeren Draht vorzuschreiben. Bevor Millionen von Pfund für neue Käfige ausgegeben wurden, setzte sich Gottseidank gutes wissenschaftliches Denken durch und man machte einige objektive Versuche, um zu sehen, welchen Draht die Hühner tatsächlich bevorzugten. Entgegen allen Erwartungen wählten die Hühner den Draht, der den Menschen intuitiv am unbequemsten vorgekommen war. Folgetests zeigten, dass der dünnere Draht den Druck tatsächlich besser verteilte und viel angenehmer für die Hühnerfüße war als man annehmen würde.

Hundefreunde machen oft den Fehler, zu vergessen, dass andere Säugetiere keine bepelzten Menschen mit Pfoten sind. In meinem vorigen Buch Das andere Ende der Leine habe ich erzählt, wie sich Menschen gern als Zeichen gegenseitiger Zuneigung umarmen, während Umarmen bei Hunden eine Demonstration des sozialen Status ist. Hunde lieben es zwar, gestreichelt und massiert zu werden, aber um Schulter und Brust herum umarmt zu werden, ist etwas, das die meisten Hunde höchstens im Austausch gegen ein bequemes Sofa und ein garantiertes Abendessen hinnehmen. Ich habe gelernt, vorsichtig zu sein, wenn ich über das Umarmen von Hunden spreche, weil manche Menschen sich über mich ärgern, wenn ich ihnen sage, dass ihr Hund es gar nicht genießt, um die Schultern herum gedrückt zu werden. Umarmen ist innerhalb unserer Spezies ein so wichtiger Teil des Ausdruckes von Zuneigung, dass manche Menschen sich unmöglich vorstellen können, ihr Hund könnte das vielleicht anders sehen. Dazu kommt noch die Tatsache, dass wir den Gesichtsausdruck unserer Hunde nicht sehen können, wenn wir sie umarmen. Wenn Sie einmal die Perspektive wechseln und einem Hund ins Gesicht schauen, der gerade von jemand anderem umarmt wird, bekommen Sie ein völlig anderes Bild. Ich habe ungefähr fünfzig Fotos von Menschen, die Hunde umarmen, auf denen die Menschen strahlen und die Hunde elend aussehen.

Meistens führt diese unterschiedliche Interpretation der Dinge nicht zu größeren Problemen, aber traurigerweise tolerieren viele Hunde unser seltsames Bedürfnis nicht, sie um die Schultern herum zu drücken. Sie fassen unsere Umarmung als ernsthafte Verletzung hündischer Anstandsregeln auf und brechen in Protest aus. Das hat schon zu zahllosen gebissenen Hundefreunden geführt und dazu, dass viele Hunde eingeschläfert wurden, weil sie ein Kind ins Gesicht gebissen hatten. Natürlich steht es außer Frage, dass wir uns in Zucht und Aufzucht um Hunde bemühen sollten, die typisch menschliches Verhalten tolerieren, aber wenn wir schon die Klügeren sind, sollten wir doch den Hunden etwas weiter als bis zur Hälfte des Weges entgegenkommen. Tatsache ist, dass Hunde sich nicht immer das wünschen, was wir uns wünschen. Das zu vergessen, kann viel Schmerzen und Leid verursachen.

Die meisten Beispiele dafür sind nicht ganz so dramatisch, können aber trotzdem großen Schaden anrichten. Ich bin regelmäßig baff, wie viele Menschen immer noch glauben, ihr Hund würde sich deshalb im Haus lösen oder die Stuhlbeine zerbeißen, weil er es ihnen »heimzahlen« wolle. Sie stellen sich vor, dass der Hund sauer darüber ist, dass sie ihn alleine zurückgelassen haben und dass der im Wohnzimmer zurückgelassene Kringel brauner Wurst als eine Demonstration der empfundenen Verachtung dort hingesetzt wurde. Aber mit diesem Szenario gibt es einige Probleme – von denen nicht das kleinste ist, dass Hunde an Exkrementen nichts Verachtenswürdiges finden. Sie lieben das Zeugs. Es zu fressen, egal ob es sich um die Ausscheidungen anderer Hunde oder die von Schafen oder Pferden handelt, scheint für viele Hunde ein Glanzpunkt des Tages zu sein. Wenn Leute zu mir auf die Farm kommen, stellen sie sich meistens vor, wie ihr Hund, endlich von der Leine befreit, auf vielen Hektar sicher umzäunten Landes wie Lassie im Fernsehen umherrennen, mit vor Freude glänzenden Augen über umgestürzte Bäume springen kann und sich seines Lebens freut. Während sie noch diese herzerwärmende Szene vor ihrem inneren Auge sehen, schlingt ihr Hund vermutlich schon so schnell er kann Schafsköttel in sich hinein. Hunde sind keine Menschen, und wenn sie eine eigene Vorstellung vom Himmel haben, dann kommen darin mit ziemlicher Sicherheit braune Häufchen vor.

Warum um alles in der Welt sollte also ein Hund ins Haus machen, um sich an Ihnen zu rächen? Wenn er versuchen würde, mit seinen Besitzern zu kommunizieren, indem er sich löst (was ich bezweifle), dann würde die Botschaft eher lauten »Schau mal, was ich dir dagelassen habe! Ein richtig schön großes Häufchen!« Genauso wenig Sinn macht es, dass ein Hund das Sofabein (oder die Fernbedienung – übrigens das Lieblingskauspielzeug aller Hunde) zerbeißen sollte, um Sie zu bestrafen. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Hund entweder frustriert, ängstlich oder gelangweilt ist. Wenn er schon nicht ins Internet gehen und keine Seifenopern im Fernsehen anschauen kann, was soll er denn dann machen, außer an etwas her- umzukauen?

Und wie oft denken Menschen, ihr Hund wisse genau, dass er nicht ins Haus machen dürfe, weil er sie doch mit einem »schuldbewussten« Gesichtsausdruck an der Tür begrüße, wenn sie heimkämen – mit hängendem Kopf und Schwanz und ganz und gar unterwürfigem Blick. Diese Haltung drückt allerdings Beschwichtigung aus, nicht Schuldbewusstsein. Der arme Hund hat gelernt, dass sein Besitzer ihn anschreien wird, wenn er beim Nachhausekommen eine Pfütze auf dem Teppich vorfindet. Das ganze Kriechen und Ducken ist das Schwenken einer weißen Flagge, um dem Zorn des Besitzers zu entgehen und nicht etwa ein Zeichen dafür, dass er sich bewusst ist, irgendeinen Moralkodex der Mensch-Hund-Beziehung gebrochen zu haben. Der Hund, der arme Kerl, duckt sich vor dem heimkommenden Besitzer an der Tür, weil er nicht angeschrieen werden möchte – und es ist bestimmt das Letzte, woran er denkt, wenn er nächste Woche wieder einmal dringend muss und er allein im Haus ist. Aber Menschen schreien nach wie vor ihre Hunde an und drücken deren Nasen in die Urinpfützen, in dem Glauben, der Hund habe ein schlechtes Gewissen gezeigt und damit bewiesen, dass er genau »wisse«, was falsch und was richtig sei.

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