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WIE SIE ZUR JANE GOODALL IHRES WOHNZIMMERS WERDEN

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Eine Sache gibt es, die unter Hundefreunden nicht umstritten ist: Wir möchten schlicht und einfach wissen, was im Kopf unserer Hunde vorgeht. Wir erwarten gar nicht, dass sie das Gleiche über die Welt denken und fühlen wie wir. Eher möchten wir wissen, wie viele Erfahrungen wir mit unseren Lukes, Gingers und Goldies gemeinsam haben. Also stellen wir alle Mutmaßungen über die Gedanken und Gefühle unserer Hunde an. Das ist unvermeidlich.

Unsere Mutmaßungen fußen auf verschiedenen Faktoren. Manche davon sind gut und objektiv, wie zum Beispiel eine sorgfältige Beschreibung der Mimik unseres Hundes, seiner Körperhaltung und seines Verhaltens. Andere Faktoren können von unseren eigenen Erfahrungen und Erwartungen eingefärbt sein und zu Fehlannahmen darüber verleiten, was im Verstand unserer Hunde vorgeht. Solche Fehler verschaffen dem Thema »Denken bei Tieren« neue Kritiker – Überzeugungen wie die, dass Pferde Mathematik beherrschen könnten oder dass der Hund vor dem Besuch der Mutter aufräumen helfen würde, haben nicht gerade dazu beigetragen, Skeptiker davon zu überzeugen, dass man das Thema objektiv betrachten könne.14

Es stimmt, dass wir alle bis zu einem gewissen Maß unsere eigenen Gefühle in unsere Hunde hinein projizieren. Das ist die schlechte Seite unserer bemerkenswerten Fähigkeit zum Mitfühlen und kann zu endlos vielen Problemen führen, wie wir im Verlauf des Buches noch sehen werden. Das entgegengesetzte Problem – die Nichtbeachtung dessen, was Hunde ausdrücken – ist aber ebenfalls nur zu verbreitet, selbst unter Menschen, die ihre Hunde wirklich sehr lieben. Auch wenn man schon viele Jahre als Hundetrainer arbeitet, ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, wie Menschen, die ganz verschossen in ihre Hunde sind, ganz offensichtliche Signale in deren Gesicht entgehen. In jeder einzelnen Stunde werden Sie jemand sehen, der seinen Hund enthusiastisch »lobt«, während der Hund vor Angst oder Abscheu regelrecht zusammenschrumpft. In gewissem Maße passiert das aus Unkenntnis dessen, was der jeweilige Körper- und Gesichtsausdruck beim Hund bedeutet. Manchmal liegt es aber auch daran, dass wir einfach zu wenig darauf achten, was der Hund uns mitzuteilen versucht – genauso, wie wir manchmal zu wenig auf das Gesicht unserer menschlichen Freunde achten, wenn wir zu sehr mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt sind. Exakte, objektive Beobachtung ist eine Fertigkeit, die man üben muss, aber sie beginnt damit, dass Sie Ihren Verstand bitten, sich darauf zu konzentrieren, was Sie sehen – und nicht darauf, was das Ihrer Meinung nach bedeuten könnte. Wenn Sie nur ein wenig Zeit und Energie darauf verwenden, Ihr Gehirn daran zu erinnern, doch bitte exakte und objektive Beobachtungen zu machen, kann das die Beziehung zu Ihrem Hund radikal verbessern. Der folgende Abschnitt möchte Sie ermutigen, Ihr eigener Feldbiologe zu werden und zu üben, wie Sie durchdachte, detaillierte Beschreibungen des Verhaltens Ihres Hundes anfertigen. Je besser Sie darin werden, desto besser werden Sie auch Probleme vermeiden können, die damit zu tun haben, Hunden Gefühle zuzuschreiben. Und außerdem werden Sie jener Art von Beziehung zu Ihrem Hund näher kommen, die wir uns alle wünschen.

Sie werden in guter Gesellschaft sein. Alle Studenten des Tierverhaltens, egal ob sie sich auf das Lernverhalten spezialisieren oder auf die Einflüsse von Genetik und Umwelt auf das Verhalten, werden streng dazu ausgebildet, in der Beobachtung von Verhalten genau zu sein. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Es braucht Konzentration und Übung, um die Aktionen eines Tieres genau zu beobachten, aber noch viel schwieriger ist es, die nötige Disziplin zu entwickeln, um ein Verhalten objektiv zu beschreiben anstatt eine Annahme darüber wiederzugeben, was das Tier dabei denken oder fühlen könnte. Als Beispiel hier ein sehr häufiges Szenario: »Was tut denn Ihr Hund Murphy genau, das Ihnen Probleme bereitet?«, könnte ich zum Beispiel einen Kunden fragen. »Na ja,« sagt der Kunde, »er wird wahnsinnig, wenn Besuch kommt.« »Was genau tut er, wenn Sie sagen er wird wahnsinnig?« Ich frage nach und versuche mir ein Bild davon zu machen, was der Hund eigentlich wirklich tut. »Na ja, er verliert einfach völlig den Verstand, wissen Sie, er gerät total außer Kontrolle.« »Könnten Sie mir bitte genau sagen, wie Murphy sich verhält, wenn Besuch kommt und er so aussieht als wäre er außer Kontrolle?« frage ich. »Ich sage Ihnen doch, er wird einfach verrückt …«

Dieses Gespräch könnte endlos fortgesetzt werden und ich hätte noch immer keine Ahnung davon, was genau der Hund eigentlich tut. »Wahnsinnig werden« sagt mir nichts über seine Handlungen – »wahnsinnig werden« könnte bedeuten, dass er sich zitternd in eine Ecke drückt, oder ebenso gut, dass er dem Besuch auf die Schulter zu springen versucht, oder vielleicht, dass er mit hervorquellenden Augen in die nächstbeste fassbare Wade zu beißen versucht. Ich habe mir deshalb angewöhnt, meinen Kunden zu sagen: »Stellen Sie sich vor, dass Sie ein Video anschauen und beschreiben Sie mir genau, was Sie sehen, wenn Ihr Hund Gäste begrüßt.« Das hilft ein wenig, wenn auch der beste Weg in diesem Fall wäre, selbst einmal den Besucher für diesen Hund zu spielen. Deshalb betonen viele meiner Berufskollegen immer wieder, dass Haustermine vor Ort die effektivste Möglichkeit ist, Hunden mit problematischem Verhalten gegenüber Gästen zu helfen. Trotzdem sind wir alle bis zu einem gewissen Maß auf die Beschreibungen des Besitzers angewiesen, und je genauer diese Beschreibung ist, desto besser.

Wir lassen uns sehr leicht von der Neigung überwältigen, Vermutungen über die Gedanken und Gefühle des Hundes anzustellen, anstatt einfach nur sein Verhalten zu beschreiben. Das gilt offenbar universell für alle von uns, Sie müssen sich also nicht schuldig fühlen, wenn Sie sich selbst dabei ertappen. Eigentlich ist das im Grunde ja eine interessante Fähigkeit, die uns oft nützt. Dass wir zum Mitfühlen fähig sind oder dazu, uns selbst an die Stelle eines anderen zu versetzen und uns vorzustellen, was in dessen Kopf vorgehen könnte, ist eine sehr praktische Eigenschaft. Sie können diese Information dazu verwenden, das zukünftige Verhalten eines Individuums vorauszusehen und dann entscheiden, wie Sie selbst sich verhalten werden. Nehmen wir einmal an, Ihr Hund verhält sich genau so, wie Sie sich verhalten würden, wenn Sie Angst vor Besuchern hätten. Mit Ihrer Fähigkeit, sich seine Gefühle vorstellen zu können, positionieren Sie ihn gedanklich vielleicht in seine Box anstatt einen Hund vor Ihrem inneren Auge zu sehen, der sich gegen eine erzwungene Interaktion wehrt. Anschließend können Sie Ihre Annahme bezüglich seiner Gefühle an der Haustür dazu verwenden, ihm dabei zu helfen, sich bei der Ankunft von Gästen wohler zu fühlen. Wir nehmen diese Fähigkeit zum Hineinversetzen als etwas Selbstverständliches an und setzen sie ständig ein, dabei ist sie eine fortgeschrittene geistige Leistung – so fortgeschritten, dass wir nicht einmal wissen, in welchem Maß andere Lebewesen sie auch haben.

So hilfreich dieses Mitfühlen auch ist, so kann es doch auch der Weg ins Verderben sein. Falsche Annahmen darüber, was im Kopf eines anderen Individuums vorgeht, haben so manche Ehe zerstört und eine große Anzahl von Mensch-Hund-Beziehungen durcheinander gebracht. Ich hatte Kunden, die mir berichteten, ihr Hund sei »ärgerlich«, wenn sie das Haus verließen, dabei drückte er mit sämtlichen visuellen Signalen Angst und Unruhe aus. Manche Hunde, die bei der Ankunft von Besuch »wahnsinnig werden«, handeln so, als hätten sie Angst, während andere, die mit den gleichen Worten beschrieben werden, ganz außer sich vor Freude sind. Weil uns das also so enorme Schwierigkeiten machen kann, könnte man durchaus mit den radikalen Behavioristen sympathisieren, die immer wieder betonen, Vermutungen zum inneren Zustand von Tieren seien zu vermeiden. Gefühls- und Geisteslage eines Tieres zu ignorieren, um keine falschen Annahmen über sie zu machen, ist aber so, als würde man das Kind mit dem Bade ausschütten. Es gibt immer einen Weg, das schmutzige Wasser abzulassen und das Kind trotzdem in der Wanne zu behalten. Eine Möglichkeit dazu ist, zwischen objektiven Beschreibungen von Verhalten und Vermutungen darüber, was im Kopf des Hundes vorgehen könnte, unterscheiden zu lernen.

Der erste Schritt ist leicht – fangen Sie einfach damit an, auf Ihre eigenen Beschreibungen des Verhaltens Ihres Hundes zu achten. Sind es klare Beschreibungen darüber, was genau der Hund tut, oder springen Sie schon zu Schlussfolgerungen über, warum Ihr Hund sich auf diese Weise verhält?

Führen Sie ein geistiges Notizbuch, wie oft Sie das Verhalten Ihres Hundes objektiv beschreiben (»Wenn es an der Tür klingelt, beginnt er im Kreis zu rennen und an der Tür hochzuspringen. Er bellt wiederholt in hoher Tonlage und wedelt so heftig mit dem Schwanz, dass sein ganzer Körper mitwackelt, seine Augen sind irgendwie halb geschlossen und sein Maul ist geöffnet.«) und wie oft Sie beschreiben, was der Hund Ihrer Meinung nach denkt oder fühlt (»Er liebt Besuch! Er wird ganz verrückt, wenn Gäste kommen.«). Missverstehen Sie mich nicht: Ich behaupte nicht, dass wir zwangsweise falsch liegen, wenn wir beschreiben, wie wir uns den Gefühlszustand eines Hundes vorstellen. Ich habe jeden Grund zu der Annahme, dass der oben beschriebene Hund es tatsächlich liebt, wenn Besuch ins Haus kommt. Ich lege Ihnen auch nicht nahe, dass Sie künftig im Alltag nur noch in der Sprache einer Wissenschaftszeitung reden sollen. Wichtig ist nur, dass Sie wissen, was der Unterschied zwischen einer Beschreibung eines Verhaltens und Ihrer Interpretation dazu ist, was es bedeuten könnte.

Und wenn Sie schon dabei sind, könnten Sie das Gleiche vielleicht auch einmal in den Interaktionen mit Ihren Mitmenschen ausprobieren und sich fragen, wie oft Sie gedanklich das Verhalten eines anderes objektiv beschreiben (»Ihre Stimme war flach; ihre Lippen lächelten, aber ihre Augen nicht.«) und wie oft Sie sofort zu Deutungen (»Sie hasst mich.«) oder Beurteilungen (»Sie ist so eine Hexe.«) springen. Ich sage das nicht als Hundetrainerin/Ethologin, die zur Autorin von »Wie-helfe-ich-mir-selbst«-Ratgebern mutieren möchte, sondern deshalb, weil Sie vieles für Ihren Umgang mit Hunden lernen können, indem Sie in all Ihren sozialen Interaktionen aufmerksamer sind. Eine meiner Kundinnen deutete das Verhalten Ihres neuen Hundes andauernd so, dass er sie »testen« wolle. Mit jeder Missetat versuchte dieser Hund angeblich, über sie »Dominanz« zu gewinnen und die Grenzen im Haus zu seinen Gunsten zu verschieben. Aber jedes Mal, wenn ich diesen Hund sah, bog er sich fast in Bretzelform zusammen, weil er versuchte, den Schwanz unten zu halten, den Kopf tiefer als die Schultern und dabei ein unterwürfiges Grinsen zeigte. Gegenüber der Kundin verhielt er sich genauso, woraus ich schloss, dass er deshalb durch die Tür drängelte, auf Betten sprang und die Katzen jagte, weil er es nicht besser wusste. Als ich seine Besitzerin nach und nach besser kennen lernte, fiel mir auf, dass sie das Verhalten aller ihrer menschlichen Freunde genauso deutete. Genau wie sie haben wir alle Filter, durch die wir die Welt interpretieren – passen Sie auf, dass Ihre nicht abfiltern, wer Ihr Hund wirklich ist.

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