Читать книгу Quintarrh - Patricia Gasser - Страница 15

Оглавление

Der Wirbelsturm

Die Sonne in der weiten Ebene schien ein anderes Licht zu verbreiten als in ihrem strahlenden Tal. So kam es Serah zumindest vor. Sie wurde morgens vom grellen Licht unsanft geweckt. Apollonia schlief noch. Das Elfenmädchen streckte sich ausgiebig und krabbelte dann vorsichtig aus ihrem Zelt. Sie wollte erst die Drachen versorgen. Dann sammelte sie etwas Holz, um ein neues Feuer zu entfachen. Die Lichtelfin trat gerade aus dem Zelt, als Serah den Kessel an die Kette über dem Feuer hängte, um einen stärkenden Tee zu brauen. Aus ihrem Gepäck holte sie zwei Portionen Springkraut, um ihren morgendlichen Brei anzurühren. Dann setzte sie sich wartend vor die Feuerstelle.

»Ich kann mich nicht erinnern, ob mir je jemand mein Frühstück zubereitet hatte. Außer meiner Mutter natürlich. Mein Dank sei Dir gewiss, fleißige Waldamazone!«

Das Elfenmädchen errötete, freute sich aber sehr über die Worte Apollonias.

»Gern geschehen«, sagte sie schlicht.

»Nachdem wir unser morgendliches Mahl zu uns genommen haben, beginnen wir gleich mit Deinen Unterweisungen. Als Erstes wirst Du versuchen, mit einem leichten Windhauch unser Feuer zu löschen.«

»Das kann ich nicht! Ich habe wirklich zu üben versucht. Alles was geschah, war, dass alle Laubbäume verfrüht kahl wurden!«

»Lausche in Dich rein. Fühle den Wind und lenke ihn dahin, wo Du ihn haben möchtest.«

Als die beiden sich gestärkt hatten, begannen Serahs Instruktionen. Sie stellte sich vor das Feuer und schloss ihre Augen. Mit all ihren Sinnen versuchte sie, das Feuer zu löschen. Dabei dachte sie allerdings nicht an Wind, sondern an Wasser. Doch Wasser war nicht ihr Element, sondern das von Juwen. Sie hatte absolut keine Kontrolle darüber. Was zur Folge hatte, dass einfach nichts geschah. Serah öffnete die Augen und guckte enttäuscht auf das lodernde Feuer vor ihr.

»Serah, fühle den Wind in Dir. Es ist, als ob Du eine sehr große Kerze auspusten wolltest!«

Das Elfenmädchen schloss erneut ihre Augen, und versuchte sich genau dies vorzustellen. Dabei fiel ihre Kerze wohl etwas zu klein aus. Das Feuer flackerte bloß kurz, und alles blieb wie zuvor. Jetzt presste sie ihre Augen zu festen Schlitzen zusammen und stellte sich eine riesige Kerze vor. Dann pustete sie. Der Windhauch, den sie dadurch heraufbeschworen hatte, war leider so stark, dass ein paar Gluttröpfchen zum Zelt geweht wurden, und ihr Zelt, ohne dass Apollonia und Serah es merkten, entzündete. Erst als Poesia mit ihrem Drachenschwanz wild auf das Zelt eindrosch, merkten die beiden, was geschehen war. Unwillkürlich stellte sich Serah vor, wie sie mit einem angemessenen Windhauch die vermeintliche »Kerze« löschen wollte, und wie von Geisterhand war das Feuer gelöscht. Die Lichtelfin lächelte anerkennend.

«Gut gemacht. Scheinbar brauchst Du bloß reale Situationen, um Deine inneren Kräfte zu aktivieren. Damit kann ich dienen!«

Apollonia schaute nun um sich, und bückte sich, um ein Ahornblatt aufzuheben. Es war beinahe so groß wie sie selbst.

»Nun sollst Du dieses Blatt durch die Luft schweben lassen. Lass es einmal um unser Zelt wehen, bis es wieder zu uns findet.«

Das Blatt lag nun vor Serah auf dem Boden. Sie versuchte es mit ihren Gedanken anzuheben. Es gelang ihr auf Anhieb, dass es sich vom Boden abhob, doch es sank auch gleich wieder dahin zurück, als sie kurz durch etwas abgelenkt wurde. Sie meinte, Stimmen gehört zu haben. Eher unwahrscheinlich. Diese Gegend war weder besiedelt, noch schienen irgendwelche Reisende sie oft zu durchqueren. Sie musste sich getäuscht haben. Serah versuchte, ihre Aufmerksamkeit uneingeschränkt dem Ahornblatt zu widmen. Und es gelang ihr sogar ohne weitere Behinderungen. Apollonia war sprachlos. Dieses Elfenmädchen besaß wirklich Talent. Es meisterte die Übungen mit einer Leichtigkeit, die bemerkenswert war. Sie wollte nun etwas Größeres wagen.

Unweit von Serah und Apollonia zogen die Flüchtlinge entlang. Sie hatten diese Gegend gewählt, weil sie als verlassen galt. Sie kamen gut voran, auch wenn sie nun eine zusätzliche Last bei sich trugen. Das Drachen-Ei wurde abwechselnd von dem Eisenpanzer- und dem Wolkenbruchdrachen getragen. Nachts brütete einer der beiden das Ei weiter aus. Die Flüchtlinge wussten nicht, ob es ihnen tatsächlich gelingen würde, das Geschenk unbeschädigt an ihr Ziel zu führen. Es stand viel auf dem Spiel. Sie wollten, wenn möglich, noch vor Wintereinbruch, das strahlende Tal erreichen. Die Flucht war so schon anstrengend und kraftraubend. Die Elfenkinder sollten die kalte Jahreszeit nicht frierend überstehen müssen. Bisher haben alle tapfer die Strapazen durchgestanden. Sie konnten jetzt sogar schon die Hügel am Ende des Horizonts erkennen. Wenn sie ihr Auge nicht täuschte, war sogar die strahlende Festung leicht umrissen zu sehen. Annelin ließ die Gruppe rasten. Es standen nur wenige Bäume in der weiten Ebene. Karges Land mit einigen Büschen und vereinzelten Steinen boten wenig Abwechslung. Sie legten ihr Gepäck ab und schnallten das kostbare Geschenk von Visnimbor ab. Auf der Weiterreise sollte Caprizelon den Transport übernehmen. Ein paar stärkere Elfen hoben das Drachenei vorsichtig von dem Wolkenbruchdrachen herunter und legten es, an einer ihrer Meinung sichere und geeignete Stelle ab, damit es noch bebrütet werden konnte. Sie gönnten auch den Drachen eine Pause und kümmerten sich um ihr Wohl. Die Flugwesen, die sich in der Luft am wohlsten fühlten, waren dazu genötigt, zu Fuß die Flüchtlinge zu begleiten. Dies war äußerst anstrengend, und verlangte ihnen viel Kraft ab. Die Elfen dankten es ihnen, mit einer extra Portion Futter, was diese in kürzester Zeit verschlangen. Ein kleiner Flusslauf in ihrer Nähe löschte ihren Durst. Annelin hatte sogar eine Quelle gefunden, an der sie ihre eigenen Wasservorräte auffüllen konnten. Es war kurz vor dem Höchststand der Sonne. Die fünf Familien setzten sich alle zusammen, entfachten ein kleines Feuer und nahmen eine stärkende Mahlzeit zu sich. Sie setzten sich in den Schutz eines noch reichlich belaubten Busches, denn es wehte ein eisiger Wind um ihre spitzen Ohren. Nun flatterten immer mal wieder ein paar Blätter auf sie herab. Trotz Müdigkeit konnten sich die Elfenkinder nicht auf ihren Plätzen halten. Das Blattsurfen war auch in der Stadt jenseits des Flusses ein beliebtes Spiel. Allerdings hatte es Tyrannok verboten. Nun kletterten sie fleißig auf den Busch, sprangen auf ein Blatt und segelten damit gekonnt zu Boden. Die Elfeneltern liessen ihren Kindern den Spaß. Es machte ihnen sogar Freude zuzuschauen. Stefok und Joak konnten nicht widerstehen. Auch sie kletterten hoch hinauf, um ein wenig zu surfen. Klusok ließ sich schlussendlich auch mitreißen. Rasmoks Eltern hielten sich zurück. Sie waren keine Abenteurer. Die Flüchtlinge waren so ins Blattsurfen vertieft, dass sie nicht bemerkten, was auf sie zukam.

Apollonia ließ Serah nun einen Sturm heraufbeschwören. In dieser elfenleeren Gegend konnten sie damit keinen verletzen, und keiner konnte zu Schaden kommen. Die Lichtelfin wusste nicht, dass unweit von ihnen die Flüchtlinge rasteten. Das Elfenmädchen hatte in geringster Zeit beste Fortschritte gemacht, den Wind zu kontrollieren, weshalb sie jetzt eine Windhose einmal um ihr Lager zirkeln lassen sollte. Die blondgelockte Waldamazone stellte sich auf einen freien Platz in der Nähe ihres Lagers und ließ vor ihrem inneren Auge den Wind kreisen und in die Höhe klettern. Sie hatte es wirklich geschafft. Vor ihr türmte sich ein baumhoher Tornado auf. Er schien nur darauf zu warten, von ihr Befehle zu erhalten. Serah legte ihre ganze Energie in diesen Wirbelsturm und schickte ihn los, das Lager zu umkreisen. Doch die Waldamazone hat die Kraft des Tornados unterschätzt. Er bewegte sich nicht nur um ihre Schlafstätte, sondern erhöhte den Radius durch die frisch entfachte Energie Serahs um das Doppelte. Er zog wild seinen Kreis, und weder Serah noch die Lichtelfin schafften es ihn zu zügeln. Der Wirbelwind stürmte unentwegt auf die Flüchtlinge zu, und riss den Wolkenbruch-Drachen, der gerade das Drache-Ei bebrütete, mit sich. Visnimbor packte in letzter Sekunde das Drachen-Ei mit seinen Krallen. Drachen und Ei wurden mit der immensen Kraft des Windes hoch hinauf in den Himmel gezogen, wo Visnimbor in den Wolken einen unwillkürlichen Regenguss auslöste. Dadurch wurde Apollonia erst darauf aufmerksam, dass die Windhose nicht alleine ihre Kreise zog. Die Lichtelfin legte vorsichtig eine Hand auf Serahs Schulter, in der Hoffnung, dass diese dadurch die Kraft des Sturmes mäßigen konnte. Der Wind flaute tatsächlich ein wenig ab. Nun erblickte auch Nebula den Wolkenbruchdrachen mit dem Drachen-Ei. Sie zogen hoch über ihnen vorbei. Es regnete weiterhin, weil Visnimbor immer noch in der Höhe der Wolken herumgewirbelt wurde. Apollonia sprach nun leise auf Serah ein.

»Lass Deinen Wind langsam und vorsichtig abflauen. Wir haben einen Gast, der unfreiwillig auf dem Sturm reitet!«

Das Elfenmädchen hörte die Worte und versuchte mit all ihrer Willenskraft und Vorstellung, den Wirbelsturm kleiner werden zu lassen. Visnimbor war gelähmt vor Angst, als er durch die Luft geschleudert wurde. Die Flüchtlinge hatten augenblicklich mit dem Blattsurfen aufgehört, als sie beinahe mit der Windhose mitgerissen wurden. Um Haaresbreite waren sie davon verschont worden. Nun starrten sie alle dem grausamen Naturschauspiel zu, dem ihr kostbarer Wolkenbruchdrachen zum Opfer fiel. Und leider auch das Drachenei. Sie glaubten nicht, dass sie auch nur einen der beiden heil wiedersehen würden.

Nebula erkannte die aussichtslose Lage des Drachens. Auch wenn der Wirbelsturm nun langsam abflaute, so war die Orientierung des Wolkenbruchdrachens dermaßen aus dem Lot gebracht, dass er es trotz seiner riesigen Schwingen nicht schaffte, sich aus dem Sturm zu befreien. Plötzlich ging alles ganz schnell. Wie aus heiterem Himmel schienen sich Nebelschwaden zu einer dicken Nebelfront zu verdichten und über dem Boden auszubreiten, knapp über der Stelle an der Visnimbor aufschlagen würde. Keinen Moment zu früh, wie sich herausstellte. Trotz des Wolkenkissens, das Nebula geistesgegenwärtig herbeigezaubert hatte, landete der massige Wolkenbruchdrache noch mit einem kräftigen »Wums« auf der Erde. Drache und Ei schienen trotzdem gerettet geworden zu sein, zeigten aber deutliche Spuren ihres stürmischen Abenteuers. Visnimbor hob kurz seinen Schädel, um ihn dann mit schmerzverzerrtem Blick gleich wieder zu Boden sinken zu lassen. Dann verlor er sein Bewusstsein. Die rettenden Nebelschwaden um ihn verflüchtigten sich mit den Ausläufern des starken Windes. Keiner hätte geglaubt, dass sich eben noch eine Tragödie abgespielt hatte.

Die ganze Truppe der Flüchtlinge kam, ohne groß nachzudenken, zu Visnimbor gerannt. Der Wolkenbruchdrachen lag schwer atmend auf den spärlichen Resten des Nebelkissens. Es war kein Drachenblut zu sehen oder eine schwere äußerliche Verletzung. Das Ei sah ordentlich ramponiert aus, aber es waren keine Risse zu erkennen. Das beruhigte die Flüchtlinge ein wenig.

Nachdem sich alle ein wenig von dem Schrecken erholt hatten, bemerkten sie erst, dass sie doch nicht alleine in der weiten Ebene waren. Vorsichtig beäugten sie sich gegenseitig.

»Schaut, da sind noch mehr von uns!«

»Sind die auch abgehauen?« fragten ein paar der Elfenkinder, als sie in die schuldbewussten Gesichter der beiden Elfinnen des strahlenden Tales blickten.

Wären es nicht nur zwei ungefährlich wirkende Elfinnen gewesen, die ihnen da gegenüber standen, hätte die Situation ungemütlich werden können. Doch die Flüchtlinge fühlten sich keineswegs von Apollonia und Serah bedroht.

»Entschuldigt uns, werte Elfen eines fremden Reiches. Wir waren hier mit persönlichen Übungen beschäftigt und hatten keineswegs mit Besuch gerechnet. Kaum einer durchwandert in der Regel diese Gegend, weshalb wir sie ausgesucht hatten. Umso mehr bedrückt es uns, Euch in diese Gefahr gebracht zu haben. Bitte verzeiht uns!«

»Geehrte Elfen, es hat sich alles zum Guten gewendet. Euer Drache hat unseren gerettet. Damit habt Ihr Eure Schuld schon gesühnt.«

»Ihr seit zu großzügig, werte Elfen eines fernen Reiches! Was meinen Eure Kinder mit ihren Worten?«

Einer der Elfenväter konnte nicht anders. Ein starker Sog ging von dieser ätherisch schönen Elfendame aus, die ihn dazu bewog, die Wahrheit zu sprechen. Auch die anderen spürten diese Kraft. Nach einem fragenden Blick in die Runde, nickten ihm alle uneingeschränkt zu, und veranlassten ihn, ehrlich zu antworten.

»Wir kommen aus der Stadt jenseits des Flusses, wo Angst und Schrecken herrschen. Unser Führer Tyrannok ließ uns keine Wahl. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Untergehen oder das Schicksal selbst in die Hand nehmen. So beschlossen einige von uns zu fliehen. Über längere Zeit bereiteten wir uns heimlich auf diese Reise vor. Wir setzten unser Leben und das unserer Kinder dabei aufs Spiel. Alles war besser, als unter der Schreckensherrschaft Tyrannoks weiter zu leiden. Wir hörten von einem Elfenvolk vom strahlenden Tal, das von einem gerechten Oberhaupt geführt wird. Dorthin wollen wir, und um Zuflucht bitten!«

»Ihr habt richtig gehört. Wir kommen aus dem strahlenden Tal. Es ist noch nicht lange her, da waren wir selbst in schwerer Not, doch wir konnten unsere Magie zurückerobern, die uns einst gestohlen wurde. Nun leben wir wieder glücklich und zufrieden in unserem wunderschönen Tal.«

Apollonia erzählte ihnen nicht, dass die Tochter des Oberhaupts höchstpersönlich zugegen war.

»Könntet Ihr uns den Weg in euer strahlendes Tal weisen?«

»Das werden wir. Doch nun sollten wir uns um Euren Drachen kümmern. Er scheint wieder etwas zu sich zu kommen. Was für ein außergewöhnliches Drachen-Ei er bei sich trägt! Ein solches habe ich bisher nie zuvor gesehen!«

»Es soll das Ei eines Dornenrankendrachens sein. Wir haben es von Drachen-Ei-Händlern geschenkt bekommen.«

»Bei uns gibt es keinen Handel mit Dracheneiern. Jeder, der zu einem Drachen kommt, hat ihn zuvor durch sein eigenes großmütiges Handeln zu verdienen.«

»Eine schöne Tradition habt ihr in eurem Volk. Bei uns ist der Handel mit Drachen der einzige Weg, je einen zu besitzen. Viele Familien sparen über Generationen, um sich eines Tages einen leisten zu können. Oft legen einige Familien zusammen, um schneller ihren Wunsch zu erfüllen. Das war schon vor Tyrannok so.«

Nun meldete sich eine der Flüchtlingsmütter. Sie schilderte weiter die Gepflogenheiten ihres Volkes. Apollonia und Serah konnten schnell erkennen, dass diese Elfen guten Grund hatten, zu fliehen. Sie wollten ihnen helfen und fassten einen Plan.

Quintarrh

Подняться наверх