Читать книгу Quintarrh - Patricia Gasser - Страница 16
ОглавлениеTyrannoks Bedingung
Tyrannok wandte sich mit vor Ungeduld triefender Stimme an Jentusalin, die Elfin aus dem Norden.
„Zeige mir Deine Magie!«
Von einer höflichen Bitte hatte der Herrscher der Stadt jenseits des Flusses wohl noch nie gehört. Die Dritte im Bunde, die Elfenschönheit, schaute Tyrannok etwas verständnislos an. Der herrische Ton löste in ihr aus, dass sie augenblicklich unsichtbar wurde. Aber innerhalb kürzester Zeit erschien sie wieder vor seinen Augen. Sie hatte ihre Magie nicht willkürlich ausgeführt, was Tyrannok nicht wusste. Er befand diese Gabe als äußerst interessant, weshalb das hübsche Elfenmädchen vorerst bleiben durfte. Tyrannok hatte noch weitere Prüfungen für die drei Brautanwärterinnen. Ohne Umschweife erklärte er den Dreien seine Bedingung:
»Im strahlenden Tal, ein paar Drachenschwingen entfernt von hier, nennt ein Elfenvolk Magie ihr Eigen. Sie wurde unnötigerweise auf fünf Elfenbälger verteilt. Diese Magie steht nur mir zu! Ich bin der Einzige, dem diese gebührt! Bringt mir die fünf Erwählten, die der Magie mächtig sind. Lebendig! Diejenige, die diese Aufgabe mit Erfolg meistert, werde ich zur Frau nehmen. Sie wird die Ehre haben, mir einen würdigen Nachfolger zu gebären! Wagt es nicht, mit leeren Händen auf der Schwelle meiner Festung zu erscheinen! Nun ziehet los. Meine Zeit ist kostbar, verschwendet sie nicht. Die magische Zahl des Volkes des strahlenden Tales sei die fünf, wurde mir zugetragen. Sie hat ihnen Macht geschenkt, so werde ich diese Ziffer auch wählen. Ihr habt fünf Monde Zeit, um meiner Bedingung gerecht zu werden! Wir sind schon am Ende des achten Mondes. Bei Beendung des ersten Mondes im neuen Jahr ist Eure Zeit um!«
Die drei Anwärterinnen machten sich gleich auf den Weg zurück zu ihrem Volk, um sich angemessen auszurüsten. Sie wurden von Tyrannoks Untertanen mit deren Eisenpanzerdrachen in ihr eigenes Reich zurückgebracht. Tyrannok gab ihnen keinerlei weitere Unterstützung. Man überließ sie nun ihrem Schicksal. Der hoffärtige Herrscher zweifelte nicht einen Moment daran, dass seinem Wunsch Folge geleistet wurde.
Die Katzenäugige, das Energiebündel und die Desinteressierte wandten sich in ihrer Heimat an ihre Erzeuger, denen es sehr am Herzen lag, dass eine ihrer Töchter die Braut Tyrannoks wurde. Denn eine Allianz würde ihr eigenes Reich vergrößern.
Jede wurde von ihrem eigenen Volk mit einem Drachen und einer geeigneten Kampfausrüstung ausgestattet.
Die siebte der Bräute Tyrannoks, die Elfin mit den schwarzen Katzenaugen und der etwas zu großen Nase kam aus einem Reich, das in Richtung der aufgehenden Sonne lag. Ihr Namen war Superbah. Die Herrschaft ihres Volkes hatte vor einiger Zeit ihre ältere Schwester übernommen. Das Leben ihrer Mutter hatte ein allzufrühes Ende gefunden. Superbah war sich nicht sicher, ob ihre Schwester, ein wenig nachgeholfen hatte. Als zweite Tochter hatte sie keine Chance an die Macht zu kommen. Sie hätte dazu ihre Schwester beseitigen müssen. Doch ihre Schwester war die Einzige, der sie Gefühle entgegenbringen konnte, und die sie auch erwiderte. An ihre Mutter konnte sie sich kaum noch erinnern und den gemeinsamen Vater wurde zurück in seine Heimat geschickt, denn es gab keine Verwendung mehr für ihn. Die Männer in ihrem Reich zählten kaum etwas und wurden meist nur zum Zwecke der Fortpflanzung genutzt. Und nun war es an ihr, die eigene Zukunft zu sichern, wenn das auch hieß, ihre Weltanschauung zugunsten von Macht zu verändern oder einfach anzupassen. Sie hatte nun die Möglichkeit, im Schatten ihrer Schwester zu leben, oder ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Superbah entschied sich für Zweiteres. Sie legte nun ihren ganzen Ehrgeiz in die Bedingung Tyrannoks. Ihr gefiel seine Gier nach Macht. Sie wollte an seiner Seite die Stadt und das Reich jenseits des Flusses regieren.
Superbahs Schwester unterstütze sie dabei. Sie setzte alles in Bewegung, dass sie die bestmögliche Ausrüstung bekam. Ihr Volk besaß auch einige fähige Drachen. Ein Schmied stellte für dieses Abenteuer eigens Waffen für Superbah her. Für die Reise wurde praktisch über Nacht eine Rüstung genäht. Ihr Volk hielt eigens dafür Drachen, deren widerstandsfähige Haut, nach deren Häutung für ihre Kleidung verwandt wurde. Diese Drachen häuteten sich öfters als andere. Ihre Haut war von Millionen kleinster Schuppen bedeckt. Sie hielt sogar Pfeile davon ab, in die zarte Haut der Elfen einzudringen.
Die Flugdrachen ihres Volkes waren die gleichen wie die Tyrannoks. Gut zähmbar, und sehr robust, aber ohne die eiserne Panzerausrüstung, die diesen Drachen den Namen gab.
Bestens ausgerüstet startete Superbah nur wenige Tage nach ihrer Rückkehr in Richtung der untergehenden Sonne, wo von ihrem Volk aus das strahlende Tal lag.
Über der weiten Ebene, am Fuße des strahlenden Tales, spannte sich ein wunderschöner Regenbogen. Ein kurzer Regenschauer wurde von der herbstlichen Sonne verdrängt, und tauchte alles in das unverkennbare Licht der Jahreszeit. Die Tropfen auf den Blättern schienen golden zu schimmern. Apollonia sah es als hervorragendes Omen. Sie zog Serah beiseite und führte ein kurzes eindringliches Gespräch mit ihr. Die Flüchtlinge sahen den beiden amüsiert zu. Sie gestikulierten wild mit ihren Händen, als sie ihren Plan diskutierten. Einige der Flüchtlinge kümmerten sich um den Wolkenbruchdrachen. Heilkräfte hatte leider keiner von ihnen. Visnimbor hatte den Wirbelsturm zwar lebend überstanden, und auch das Ei war nicht zerbrochen, doch war er sehr entkräftet. Eine Weiterreise mit dem verletzten Wolkenbruchdrachen war für die Flüchtlinge so nicht möglich. Kein Elf, der etwas auf sich hielt, würde einen Drachen seinem Schicksal überlassen. Die beiden Elfen des strahlenden Tales beendeten ihr Gespräch, dann gingen sie auf die Flüchtlingsfamilien zu. Während Apollonia sprach, packte Serah ihr Gepäck zusammen und bereitete Poesia auf ihren Rückflug vor. Dann bewunderte sie noch ein wenig den farbigen Bogen über ihr, der langsam verblasste.
»Geehrte Elfen, wir stehen nach wie vor in Eurer Schuld, da wir Eurem Drachen Leid angetan haben. Serah, die Tochter unseres Oberhauptes, wird mit ihrem Drachen zurück in die Siedlung fliegen und Verstärkung holen. Ihr jüngerer Bruder ist ein äußerst talentierter Heiler. Er wird sich um Euren Wolkenbruchdrachen und das Ei kümmern. Wir werden in dieser Zeit etwas bauen müssen, damit wir die beiden unversehrt ins strahlende Tal transportieren können.«
»Ich habe Seile dabei!« rief Rasmok, eins der Elfenkinder der Flüchtlinge.
»Hervorragend!«
»Wir sammeln Holz und Binsen«, kam es postwendend von den anderen jungen Elfen.
»Wir sammeln Moos, um Visnimbor eine weiche und warme Unterlage zu schaffen.«
Nach und nach kamen viele hilfreiche Vorschläge zusammen. Apollonia organisierte mit Annelin eine sinnvolle Arbeitsaufteilung, damit keiner benachteiligt war. Diese Elfen von jenseits des Flusses waren wirklich fleißig und zuvorkommend. Deren bösartiger Herrscher hatte einen großen Verlust erlitten, dessen war sich Apollonia sicher.
Serah kletterte auf Poesia und wurde mit lauten Jubelrufen verabschiedet. Sie winkte aus der Luft hoheitsvoll auf die vielen Elfenkinder hinunter, und konnte es sich nicht verkneifen, mit einer waghalsigen Sondervorstellung deren Atem stocken zu lassen. Es machte ihr immer höllischen Spaß in die erschrockenen Gesichter zu blicken, wenn sie nur knapp über deren Köpfen, entlang flog. Die Flüchtlinge warfen sich zum Schutz zu Boden. Nur Apollonia blieb stehen. Sie kannte Serahs Eskapaden, und war darauf vorbereitet. Die Waldamazone flog in atemberaubendem Tempo davon, so dass sie bald nur noch als kleiner Punkt am Horizont zu erkennen war. Als sich die Flüchtlinge von ihrem Schreck erholt hatten, machten sich alle an die Arbeit. Rasmok holte die Seile aus seinem Gepäck. Die Töchter des Elfen Klusok kümmerten sich um die Binsen, und flochten eine Matte mit Schlaufen an zwei Seiten. Dort zogen sie zwei Weidenäste durch, die stabil und gleichzeitig elastisch genug waren. Einige Elfenjungs kümmerten sich um die Weidenzweige und Binsen, die von einem Geschwisterpaar zu einem Tragekorb für das Drachenei verarbeitet wurden. Andere wurden gemeinsam zum Sammeln von Moos verdonnert. Jeder, auch die ausgewachsenen Elfen, war beschäftigt. Sie fühlten sich alle sicher und unbeobachtet, doch nicht unweit von ihnen schaute ein vorwitziger Gnurf dem emsigen Werken zu.
Das Energiebündel, Tyrannoks heimliche Favoritin, wurde von dem Kundschafter, der sie hergebracht hatte, wieder in ihre Heimat im Süden zurückgeflogen. Der Abgesandte Tyrannok war erleichtert, dass er sich von ihr trennen konnte. Dieses Elfenmädchen raubte ihm durch ihren unaufhörlichen Bewegungsdrang jeden Nerv. Während des Rückfluges auf seinem Drachen versuchte sie unentwegt, das Flugwesen selbst zu steuern. Es gelang diesem nur unter Aufbringung seiner größten Selbstbeherrschung, sie nicht vom Drachen zu stoßen. Wenn er ehrlich zu sich war, da war er nicht sicher, ob er diesen Kampf gewinnen konnte. Sie beherrschte Magie, die er nicht einzuschätzen vermochte. Zum Wohle seiner eigenen Familie beließ er es dabei, das Elfenmädchen mit höflichen Worten dazu aufzufordern, bitte von ihren Eigenlenkungsversuchen abzulassen, um ihm den Drachen nicht weiter zu verwirren. Erstaunlicherweise hörte sie unmittelbar danach auf, sich in den Flug einzumischen. Der Weg zu ihrem Verstand schien durch Höflichkeit zu gelingen. Der Kundschafter wusste um des Tyrannoks Eigenheiten. Höflichkeit war jedenfalls ein Fremdwort für diesen. Sollte er dieses hübsche Elfenmädchen tatsächlich eines Tages heiraten, was er sich beileibe nicht vorstellen konnte, so würde es mit Sicherheit eine nervenaufreibende Verbindung werden. Für beide Seiten! Er war jedenfalls heilfroh, als er sie wohlbehalten in ihrer Heimat absetzen konnte. Ohne großen Aufenthalt flog er wieder zurück.
Seditiobra, das Energiebündel, wurde von ihrer Familie nicht gerade freundlich empfangen. Ihre Verwandten hätten es liebend gerne gesehen, wenn sie gleich von Tyrannok zur Frau genommen worden wäre. Die Unruhe, die das Elfenmädchen stets mit sich brachte, ermüdete selbst ihre eigene Familie. Aus purem Eigennutz, um sie schnellstmöglich wieder loszuwerden, rüsteten sie Seditiobra innerhalb kürzester Zeit nur mit dem Besten aus, um ihren erhofften Sieg zu unterstützen. Einer ihrer Brüder opferte seine Kampfausrüstung, ein anderer seine Waffen und sogar der am besten ausgebildete und talentierteste Drachen ihres Volkes wurde ihr zur Verfügung gestellt. Das Elfenmädchen war weder in ihrer Familie, noch bei ihrem Volk besonders beliebt. Eigentlich war sie weder bösartig noch herrisch. Ihr war einfach eine übermäßige Energie angeboren, die sie nie zu ermüden lassen schien. Keiner wusste, ob sie je schlief, den niemand schaffte es bisher, längere Zeit in ihrer Nähe auszuhalten. Das machte Seditiobra zu einem einsamen Elfenmädchen. Tyrannok war der Erste, der ihr das Gefühl vermittelte, dass sie etwas wert war. Das war der Grund, warum sie seiner Bedingung nachkam. Sie wollte endlich Anerkennung um ihretwillen. Mutig schwang sie sich in ihrer Rüstung und den Waffen auf den Drachen ihres Bruders und flog ihrem Glück entgegen. In ihrem Herzen die Hoffnung, nie mehr zurückkehren zu müssen.
Serah flog mit Poesia auf direktem Wege in die Fari-Siedlung, wo sie ihren jüngeren Bruder anzutreffen hoffte. Sie landete mit ihrer Drachendame gleich hinter dem Häuschen, wo Quirion mit Teauh in der Regel die meiste Zeit verbrachte. Doch sie hatte kein Glück. Keiner der beiden befand sich im Heilerrefugium, weshalb sie gleich den Weg zu sich nach Hause wählte. Vielleicht konnte ihr Vater ihr weiterhelfen. Sie stürmte grußlos ins Haus, um nach dem Oberhaupt ihres Elfenvolkes Ausschau zu halten. Doch auch er war nicht zugegen. Aber immerhin ihren älterer Bruder Arion konnte sie vorfinden. Er war, wie so oft, in seine Bücher vertieft.
»Wo ist Quirion?«
»Na, schon zurück, werte Schwester?«
»Ja, wie Du siehst. Ich brauche Quirions Hilfe!«
»Wozu?« fragte der stets neugierige Bruder.
»Das kann ich Dir jetzt nicht erzählen, das würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Du wirst es zu gegebener Zeit erfahren!«
»Ich will´s aber jetzt wissen!«
»Geduld, Brüderlein!«
Ein dumpfes Grollen entfuhr Arion. Weder Geduld noch die Anrede »Brüderlein« war in seinem Sinne. Doch bevor er Serah in eine seiner geliebten Diskussionen verstricken konnte, war seine Schwester schon verschwunden. Sie hatte auf schnellstem Wege das heimische Häuschen verlassen. Ihre Mutter traf sie unterwegs, in Richtung von Teauhs Zuhause. Sie konnte ihr auch keine Auskunft geben. Aber nun hatte sie doch noch Glück. Sie fand Teauh, der auch als Heiler ausgebildet wurde. Und Arturion war bei ihm. Welch ein Glück! Damit hatte sie gleich zwei der Freunde gefunden, die sie um Hilfe bitten wollte. Etwas außer Atem legte sie gleich los:
»Gut, dass ich Euch gefunden habe. Ich brauche dringend Eure Hilfe!« Sie wandte sich an den zweiten Heilerelfen. »Teauh, kannst Du helfen, einen verletzten Drachen zu behandeln? Und Du Arturion, könntest Du mit Heron mitkommen?«
»Was ist denn geschehen? Welcher Drache ist verletzt?«
»Keiner der Unsrigen!«
Erleichtert atmet Arturion, der bei Serahs Worte unwillkürlich den Atem angehalten hatte, aus.
»Wo müssen wir denn hin?«
»Ich werde Euch den Weg weisen, doch erst muss ich noch Juwen, Liuson und Deliah finden. Auch ihre Hilfe brauche ich. Vor allem die ihrer Drachen.«
»Was ist mit Deinem Bruder und Celerio?«
»Nun, leider kann der Drache meines Bruders nicht fliegen. Dadurch wird er keine Hilfe sein, so leid es mir tut.«
»Ich benötige mindestens zwei starke Drachen, die den verletzten Drachen fliegend hierher transportieren können. Poesia scheidet dabei leider auch aus. Sie ist nun mal zu klein. Weitere Drachen aus den anderen Siedlungen zu rekrutieren, würde zu lange dauern. Die Strecke ist nicht allzu weit. Könnt Ihr mir helfen, die anderen zusammenzutrommeln?«
»Machen wir. Soll ich Quirion suchen?« fragte Teauh.
«Dazu ist keine Zeit, Du musst den Drachen untersuchen! Vergiss aber Deine Heilertasche nicht!«
»Wo sollen wir uns treffen?«
»Bei Liuson.«
Arturion lief nach draußen und schwang sich auf Heron, dessen Flugstil nach wie vor gewöhnungsbedürftig war. Kräftig wie er war, konnte er beim Transport des Verletzten mithelfen. Auf dem kurzen Flug zu Liusons Häuschen stoppte er kurz, um auch Deliah abzuholen. Sie folgte Arturion ohne Fragen auf ihrem Drachen. Auch Liuson war ohne Umschweife flugbereit. Es fehlte nur noch Juwen. Serah hatte ihn beim Schmied gefunden, wo er von Apollonia hingeschickt wurde. Nun waren sie komplett. Die blondgelockte Waldamazone gab Poesia ihr Zeichen zu starten, und die Freunde kamen auf ihren Drachen mit etwas Abstand hinterher. Teauh kam mit seinem Bruder. Heron trug die beiden mit Leichtigkeit.
Serah hatte nicht gelogen. Ihr Flug dauerte nicht allzu lange. Zu Fuß wären sie sicher mindestens einen Tag unterwegs gewesen. Aber sie kamen erstaunlich schnell an ihrem Ziel an, wo sie eine Überraschung erwartete. Das Elfenmädchen hatte kein Wort über die Flüchtlinge verloren. Alle dachten, es ginge bloß um den verletzten Drachen, den sie notgedrungen bei Apollonia zurücklassen musste. Auf die vielen, es musste vier Mal die magische Zahl fünf sein, waren sie nicht vorbereitet. Wer waren diese Elfen? Sie gehörten nicht zu ihrem Volk des strahlenden Tales. Sie schauten sich alle neugierig an, bevor einer es wagte, ein paar Worte zu sprechen. Teauh kümmerte sich gleich um den verletzten Wolkenbruchdrachen. Er konnte nicht erkennen, ob sich dieser auf dem unfreiwilligen Ritt auf der Spitze des Windes Knochenbrüche zugezogen hatte. Dazu brauchte er Quirion, der mit seiner Gabe solche Verletzungen durch bloßes Handauflegen erspüren konnte. Teauh sprach beruhigend auf den Drachen ein, als er ihn nach seinen besten Möglichkeiten untersuchte. Dann gab er ihm ein Beruhigungs-und Schmerzmittel, damit er zur Ruhe kommen konnte. Der Transport würde kein Leichtes für Visnimbor werden, denn er stand immer noch unter Schock.
Währenddessen entsannen sich die Elfen des strahlenden Tales wieder ihrer Manieren. Sie begrüßten die Fremden mit respektvollen Worten.
»Werte Elfen eines unbekannten Reiches, wir grüßen Euch!«
»Seid auch Ihr gegrüßt, Elfen des strahlenden Tales.« Klusok hatte kurzerhand das Reden übernommen. Annelin, die eigentliche Anführerin ihres Trupps, bat ihn mit einem auffordernden Blick darum.
»Wir kommen aus dem Elfenreich jenseits des Flusses. Tyrannok war unser Herrscher. Das Grauen hatte uns dazu getrieben, eine neue Heimat zu finden, unter einem gerechten Anführer. Wir haben vom strahlenden Tal gehört, und von seinem friedliebenden Volk, was uns dazu bewog, bei Euch um Zuflucht zu bitten.«
»Durch mein unwissendes und unbeherrschtes Handeln wurde ihr Drache von meinem Tornado erfasst und ist verletzt worden. Ich wollte dem Elfenvolk von jenseits des Flusses meine Hilfe anbieten«, wandte Serah bekümmert ein.
»Es war nicht Serahs alleinige Schuld«, ergänzte Apollonia Serahs Erzählung. »Ich forderte sie zu dieser Windhose auf, und vergewisserte mich davor unzureichend, ob jemand in Gefahr gebracht werden konnte. Serahs Magie trieb den Tornado in größerem Radius um unsere Wirkungsstätte, als es angedacht war, und erfasste, wie schon gesagt, den Wolkenbruchdrachen. Dessen wurde ich erst gewahr, als er die Wolken berührte, und damit einen Wolkenbruch auslöste! Nebula, meine werte Drachendame, rettete dem Drachen das Leben, da sie aus Nebel ein dichtes Kissen wob, das ihn sanft landen ließ. Sie rettete sein kostbares Leben, und beschützte dadurch das Drachen-Ei, das er in seinen Krallen hielt.«
Erst jetzt nahmen die vier Erwählten und ihr Freund das Drachen-Ei war. Liusons Herz schlug bei dem Anblick gleich um einiges schneller. Sie machten große Augen, denn so ein Drachen-Ei hatten sie bisher nicht gesehen. Und sie konnten den nachfolgenden Erzählungen von den Drachen-Ei-Händlern kaum glauben. Die Vorstellung, dass Drachen auf dem Markt erstanden werden konnten, oder Dracheneier sogar verschenkt wurden, lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Doch nun hatten sie den lebhaften Beweis vor sich. Jetzt, wo soweit alles gesagt war, kam wieder Leben in die Elfen. Sie unterteilten die Flüchtlinge in Gruppen, um zu klären, wer wen auf den Drachen ins strahlende Tal fliegen sollte. Heron und Amnision wurden für den Transport von Visnimbor verpflichtet. Sie sollten als Erstes in Begleitung von Serah mit Poesia und Teauh zurückfliegen. Die Waldamazone würde dann gleich wieder umkehren, sobald der Wolkenbruchdrachen wohlbehalten in ihrer Siedlung angekommen war, und von ihrem jüngeren Bruder und Teauh behandelt werden konnte. Liuson und Deliah sollten auf ihren Drachen die ersten Flüchtlinge in ihr Tal transportieren. Nach zwei bis drei Flügen sollten sie es geschafft haben. Und wenn alles gut ging, noch vor Sonnenuntergang. Die Zeit wurde eng, denn es war schon die Zeit der blattlosen Bäume. Bald würde der erste Schnee fallen, und ihr strahlendes Tal in strahlend weißen »Puderzucker« tauchen. Wie in früheren Zeiten, als ihr Tal diesen Namen bekam.
Auch die Desinteressierte wurde in ihre Heimat zurückgebracht. Superbah lebte in der Richtung der aufgehenden Sonne, Seditiobra kam aus dem Reich der heißen Sonne, und Jentusalin, die dritte Auserwählte Tyrannoks kam aus einem Gebiet, wo meist eine weiße Pracht den Boden bedeckte. Das erklärte vielleicht auch ihre unterkühlte Art, denn nicht alle ihres Volkes besaßen diese kalte Ausstrahlung. Jeden, dem Jentusalin in der Regel in die Augen schaute, überzog eine frostige Gänsehaut. Tyrannok schien dagegen gefeit zu sein. Das gefiel dem Elfenmädchen aus dem hohen Norden, was sie dazu bewog, die Herausforderung um Tyrannoks Gunst anzunehmen.
Die Bediensteten ihres Heimes brachten ihr Gewänder, Waffen und auch ihren geliebten Drachen, den sie selbst großgezogen hatte. Er wurde ihr eines Tages in Form von einem Drachen-Ei geschenkt. Das war eines der kostbarsten Geschenke, das man in ihrem Reich bekommen konnte. Drachen waren nur selten in dieser kalten Umgebung zu finden. Nur sehr robuste Rassen konnten überleben. Sie bevorzugten wärmere Landstriche. Jentusalins Drache war zudem schwer zu zähmen gewesen. Doch mit viel Geduld hatte sie es geschafft. Er respektierte sie, und sie fand einen treuen Freund in ihm, der bei ihrem Anblick nicht gleich zu erstarren schien. Sie verbrachten die meiste Zeit miteinander, denn Jentusalin hatte keine Freunde. Ihre Andersartigkeit verhinderte dies. Doch war sie im Tiefsten ihres Inneren eine warmherzige Elfin, deren Äußeres darüber hinwegtäuschte. Keiner aber wollte ein Blick hinter die angeborene kalte Fassade wagen. Zudem hatte sie die Angewohnheit, sich plötzlich in Luft aufzulösen. Das Elfenmädchen hatte bis heute nicht gelernt, diese Gabe zu kontrollieren. Es geschah einfach.
Selbst ihre Eltern brachten kein Verständnis für ihre angeborenen Fähigkeiten auf. Die Magie war in ihrem Volk verpönt. Die Chancen auf eine gute Partie war dadurch sehr gering, weshalb die Hoffnung nun umso größer war, dass Tyrannok die kühle Schönheit wählen würde, da er explizit nach einer Braut mit magischen Kräften Ausschau hielt.
Ihre Familie wollte nicht kaltherzig erscheinen, weshalb sie Jentusalin unterstützten, indem sie ihr Elfenkind bestens ausrüsteten. So konnte Jentusalin, bestens vorbereitet, ihre Reise gen Süden in Angriff nehmen, wo sie die nächsten fünf Monde Zeit hatte, die Bedingung Tyrannoks zu erfüllen. Kein einfaches Unterfangen!