Читать книгу Aneurysma - Patricia Grotz - Страница 16
11. Falsche Entscheidung
ОглавлениеIch ging zurück ins Haus und sah nach unserem Sohn. Er hatte alles verschlafen, wie immer. Bewundernswert, sich von einer Horde vorbeitrampelnder Sanitäter nicht stören zu lassen! Ich erinnerte mich an den Silvesterabend, der gerade mal zweiundzwanzig Tage her war. Auch die lautesten Böller hatten seine Kinderträume nicht stören können.
Als mich um vier Uhr nachts gerade die Müdigkeit übermannt hatte, klingelte das Telefon. Peter war am Apparat und klang sehr konfus. Das CT hatte folgende Diagnose ergeben: Dissezierendes, teilthrombosiertes Aneurysma im Bereich der Aorta thoracalis.
Was war das wieder? Ich lernte: Die Aorta besteht aus drei Wänden. Bei Peter war nur die innerste gerissen. Schwein gehabt! Weniger erfreulich war, dass sich der Riss vom Aortenbogen bis zu den Nierenarterien erstreckte. Wiederum günstig war, wenn man das überhaupt so sagen kann, dass der Riss von der 1996 eingesetzten Prothese gestoppt wurde. Ich dachte dankbar an den Professor, der ihn damals operiert hatte. Schade, dass er schon in Rente war, er wäre in dieser Lage eine vertrauensvolle Anlaufstation gewesen.
Es war also genauso, wie Peter es erlebt und beschrieben hatte. Er plärrte ins Telefon, dass ich mich nicht aufregen, aber sofort einen spezialisierten Chirurgen mit der entsprechenden Klinik suchen solle. Die Kreisklinik, in die er eingeliefert worden war, wolle ihn so schnell wie möglich loswerden, da, falls auch noch die Außenwand reißen würde, (ob damit zu rechnen sei, war gänzlich unklar), sie ihm nicht helfen könnten.
Mir wurde schlecht und ich fühlte mich vollkommen überfordert. Ich fragte, ob das Krankenhaus nicht die besseren Möglichkeiten hätte. Die hatten es angeblich schon versucht, es war nirgends ein Bett frei. Das konnte ich nicht glauben. Peter schrie mich an, ich solle unsere Hausärztin anrufen. Aber dort hatte ich bereits um zwanzig und um zweiundzwanzig Uhr auf den Anrufbeantworter gesprochen.
In meinem Kopf wurde es wieder wirr: Mercy, please be merciful to me. Ich wurde erhört.
Peter bat mich, einen Moment zu warten. Im Hintergrund vernahm ich Stimmen. Man hatte eine Klinik gefunden, die Peter aufnehmen würde. Die Verbindung wurde unterbrochen.
Ich setzte mich im Bett auf und war nicht sicher, ob ich mich gleich übergeben musste. Warum liebte ich ausgerechnet diesen Mann? Manchmal könnte ich wahnsinnig werden!
Das Telefon klingelte wieder. Es gäbe jetzt doch verschiedene Optionen, sagte mir ein Arzt. Peter hatte wählen dürfen und sich für das Cor City Krankenhaus entschieden. Er würde unverzüglich in Begleitung eines qualifizierten Notfallmediziners in einem Krankenwagen und selbstverständlich mit Blaulicht dorthin gebracht. War das nicht merkwürdig? Erst wollte ihn keiner, jetzt gleich mehrere. Hatte sich endlich herumgesprochen, dass er Privatpatient war? Für einen Hubschrauber reichte es dennoch nicht. Aber in der Rechnung über diesen Krankentransport, die ungewöhnlich schnell schon wenige Tage später eintraf, wurde der dreifache Satz verlangt. Begründung: Erschwerte Bedingungen. Meinen Recherchen zufolge wäre ein privat gecharterter Hubschrauber wesentlich preisgünstiger gewesen.
Aber zurück zu jener Nacht. Ich stand auf und schüttete Kaffee in mich hinein, er bekam mir nicht. In zwei Stunden würde mein Arbeitsbeginn sein. Ich war als Maskenbildnerin nicht angestellt, konnte mich also weder krankmelden noch einfach nicht zur Arbeit erscheinen. Ich suchte die Unterlagen heraus, um mich daran zu erinnern, was anstand. Es war ein Werbefilm. Dann sah ich mir die Route zum Drehort an. Weit über eine Stunde würde ich für diese Strecke benötigen. Beruhigend war, dass ich bereits in der Nacht die Nachbarn gebeten hatte, meinen kleinen Jonas zu wecken und ihn in die Schule zu bringen. Ich sah in den Spiegel. Beim Film sollte man gut aussehen. Meine Augen waren rot unterlaufen und tränten. Ich malte mit einem schwarzen Stift drüber und suchte etwas einigermaßen Passendes zum Anziehen, das auch später für das Krankenhaus noch zweckmäßig sein würde.
Stunden später machte ich meine Arbeit, wie immer. Doch als alles drehbereit war, entschied ich mich, Prioritäten zu setzen. In dem Bewusstsein das Risiko einzugehen, viele Aufträge zu verlieren, packte ich alles Schminkmaterial zusammen, was man für den laufenden Drehtag benötigen würde und drückte es dem Produzenten in die Hand. Ich fasste meine Situation in drei Sätzen zusammen und verließ vorzeitig meinen Arbeitsplatz, das erste Mal nach zwanzig Berufsjahren.