Читать книгу Der Fremde und die Schöne Frau - Pavel Kohout - Страница 10

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Sie öffnete nur, so weit es die Sicherheitskette zuließ. Der Fremde war etwas älter als sie, noch ein recht stattlicher Mann. Das Gesicht mit dem mächtigen, aber gepflegten Schnurrbart war fest, die dunklen Augen unter der schwarzen Mähne ohne graue Strähnen strahlten innere Kraft aus. Er trug einen dunklen, etwas abgetragenen Anzug, auf dem Kopf einen breiten Hut und in der Hand eine altmodische Aktentasche, was es ihr erlaubte, ihn einzuordnen. Jaromír hatte für sie einen ehemaligen Versicherungs- oder Staubsaugervertreter auferstehen lassen, wie sie sie noch aus ihrer Kindheit vor dem Krieg kannte. Der Fremde bestätigte ihr dies mit einer Frage auch selbst.

»Guten Tag, Madame, erlauben Sie, dass ich Sie einen kleinen Moment belaste?«

Sein Tschechisch war so altmodisch wie die Aktentasche, und sie entgegnete energisch, aber höflich, wie es ihr der Vater beigebracht hatte, der meinte, jedes Geschöpf habe eine verletzliche Seele.

»Ich kaufe nichts mehr, denn ich habe alles, und versichert bin ich auch gegen alles.«

Da war sie sich schon sicher, dass er kein Tscheche war, und konnte sich einen ironischen Seitenhieb nicht verkneifen.

»Wenden Sie sich lieber an Ihre eigenen Leute, hier in der Gegend wohnen mehr als genug davon!«

Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu und musste lachen, wie ernst sie Jaromírs Versprechen genommen hatte, das sie sich doch auf dem Friedhof selbst ausgedacht hatte. Doch ehe sie an der Treppe angekommen war, klingelte es wieder, diesmal sogar dreimal scharf. Sie dachte einen Augenblick nach, doch dann zwang sie ihr plötzliches Gefühl der Enttäuschung, die Tür erneut bis zum Kettenanschlag zu öffnen, um dem Störenfried etwas Gepfeffertes entgegenzuschleudern. Doch der Fremde hatte in der Zwischenzeit seinen breitkrempigen Hut abgenommen und zeigte entschuldigend auf ihn.

»Verzeihen Sie mir meine Unhöflichkeit von vorhin, bei uns zu Hause sind wir es nicht gewohnt, den Hut zu lüpfen.«

Sie verstand dies allerdings als Routinetrick eines gewieften Handelsreisenden.

»Mein Herr, ich habe Ihnen doch schon sehr deutlich gesagt, dass ich überhaupt nichts brauche!«

»Aber ich biete Ihnen doch überhaupt nichts an, Madame, ich will doch nur bei Ihnen Unterkunft ...«

Und er zeigte auf das Plakat, das sie vor einer Weile aufgehängt hatte. Sie war verwirrt.

»Na ... hier aber ... hier ist doch keine Gemeinschaftsherberge ...«

»In der will ich eben nicht mehr verbleiben, weshalb ich eine solide Untermiete suche.«

»Das ist allerdings ... ich denke nicht, dass Sie ... es ist nicht gerade eine billige Wohnung ...«

»Wie viel kostet sie?«, fragte er einfach, so als sei er gekommen, um sich eine Kinokarte zu kaufen.

Es gab kein Entrinnen. Sie musste antworten. Zumindest schob sie es mit der nächsten Frage hinaus.

»Sie sind ... sind ... Sie sind direkt in unserer Stadt tätig ...?«

»Ja, schon lange, ich bin Polier, wissen Sie?«, und als er sah, dass sie es nicht verstand, erklärte er es, »ich bin Vorarbeiter bei einer großen Baufirma. Habe festes Gehalt. Darf ich die Wohnung sehen? Madame, Sie brauchen sich vor mir nicht ängstigen, alle hier sehen doch, dass ich bei Ihnen klingelte!«

Sie blickte hinter ihn. Die Erwachsenen und die Kinder auf dem kleinen Platz schauten schon wieder neugierig hierher. Es war ihr auf einmal peinlich, dass sie mit ihm in der Tür verhandelte, und so forderte sie ihn auf einzutreten.

Trotz allem fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut, als sie ihn über den unteren Flur führte und die Wohnung aufschloss, in der jahrelang Herr Hedvábný gelebt hatte. Der Fremde aus einem bisher noch unbekannten Land überraschte sie dann das erste Mal, als er auf der Schwelle stehen blieb und höflich an den Türrahmen klopfte, ehe er eintrat. Mit einer kurzen Erklärung zeigte sie ihm die Kochnische, öffnete die Tür zum Schlafzimmer und dann auch zum Bad mit Toilette. Dort berührte er die Spülkette und fragte.

»Darf ich einmal ...?«

Als sie wieder überrascht nickte, zog er fast feierlich an der Kette und verfolgte erfreut das Wasser, wie es schnell in die weiße Schüssel schoss. Dann drehte er sich zu ihr um.

»Dies ist fürwahr eine hübsche Wohnung. Kann ich sie also mieten?«

»Sie wissen doch immer noch nicht, wie viel sie kostet!«, wandte sie ein, immer verwirrter.

»Das weiß ich nicht, aber ich ahne, dass der Preis davon abhängt, ob Sie mich hier wollen oder nicht.«

Die Schöne Frau erschrak, dass ihr Gesichtsausdruck verraten haben mochte, was sie dachte.

»Wie meinen Sie das, ob ich Sie hier will oder nicht ...?«

»Bisher war das bei mir immer so, wo ich persönlich vorstellig war. Heute lief ich zufällig an Ihrem Haus vorbei, aber früher habe ich verschiedene Wohnungsfirmen und auch Inserate ausprobiert. Jede Wohnung war zu haben, solange man mich nicht gesehen und gehört hatte. Aber ich verstehe das und bin auch gar nicht böse. Bei uns daheim hätten Tschechen dasselbe Problem. Die Menschen sind einfach so. Alles, was anders ist, schreckt.«

»Woher kommen Sie?«, fragte sie, weil sie der seltsame Mann faszinierte.

»Eigentlich von nirgendwo. Ich bin Kurde, und Kurden haben vier Orte, wo sie zu Hause sind, die Türkei, den Iran, den Irak und Syrien, also keine Heimat, aus jedem werden sie Knall auf Fall, wie Sie sagen, in den nächsten geschickt. Und wenn sie alles ausprobiert haben, bleiben sie, wohin der Zufall oder die Gelegenheit sie brachte.«

»Und ... und sind Sie ...«, sie brach ab, beendete dann aber den Satz, »Moslem?«

»Wie man bei Ihnen sagt, jein!« Sein Lächeln ließ Zähne wie Reißzähne aufblitzen, – »ich bin gläubig, damit Allah es sieht und nicht sein Personal, das oft meint, an seiner Statt das Reich zu verwalten, in dem Gläubige Leibeigene sind ... so heißt das doch, oder?«

»Ja ... und wie kommt es, dass Sie so gut Tschechisch sprechen?«

»Ich wollte nicht immer der Blöde bleiben, und so habe ich es vom ersten Tag gelernt. Für Ausländer sind die Kurse hier kostenlos, warum also sollte ich meine Abende in Kneipen leben?«

Die Schöne Frau schüttelte über alles, was sie gehört hatte, nachdenklich den Kopf.

»Haben Sie denn keine Familie?«

»Nein ... ich bin schon sehr lange Witwer.«

»Aber Kinder haben Sie doch? Oder Enkel?«

»Die sind ...«, er suchte angestrengt nach einem Wort, »entsetzlich weit weg.«

Im selben Atemzug wechselte er das Thema.

»Eben weil ich allein bin, möchte ich meine Zeit mit Lernen verbringen, und das geht in der Gemeinunterkunft nicht, die Leute streiten sich dort und rauchen und ... waschen sich nicht. Deshalb suche ich schon lange eine Untermiete, wie Ihr Aushang verspricht, und bin bereit, anständig dafür zahlen, solange es in meiner Macht steht. Sagen Sie mir nun, wie viel mich das hier kostet?«

Endlich war ihr Gedanke gereift, der ihr schon lange auf den Lippen lag.

»Und sind Sie hier ... danach muss ich leider fragen! Sind Sie legal bei uns?«

»Natürlich, Madame! Sonst hätte ich es doch überhaupt nicht gewagt, Sie zu belasten!«

Als hätte er darauf gewartet, öffnete er die Aktentasche und zog daraus Papiere hervor, doch da erschien ihr ein Gespräch im Stehen bereits würdelos. Wenn dieser Mann nicht aus der Totenwelt gekommen war, dann doch dank ihrer fixen Idee, die durch den Zufall Wirklichkeit geworden war und den man nicht wegwerfen durfte. Sie hörte sich zu ihm sagen:

»Gehen wir doch hinauf in den Salon ...!«

Der Fremde und die Schöne Frau

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