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»Ich werde wahnsinnig«, suchte die Schöne Frau in ihrer Verzweiflung weiter Trost bei ihrem Liebling Valtr, »jetzt noch Türken, wie ist das nur möglich, wer hat denn das erlaubt, verstehst du das, Valtr? Von heute ab sind wir auf dem Platz hier zusammen mit den Suchomels und Herrn Hedvábný die letzten Tschechen ... komm zu mir, lass mich nicht allein!«

Er hörte mit der Morgentoilette auf und antwortete mit einem mächtigen Flügelschlagen. Als er auf ihrer Schulter landete, sprach er mit seiner krächzenden Stimme, die sie über alles vergötterte.

»Rrrosa! Rrrosarrrosa! Rrrosarrrosarrrosa!«

Fast verliebt schloss sie die Augen und berührte leicht sein rauhes Gefieder.

»Ja, das bin ich, deine Rosa, und du bist mein wer? Na sag es, mein wer?«

»Valtrrr! Valtrrr! Valtrrr!«, kostete der Vogel den klangvollen Buchstaben aus.

»Was für ein Valtr? Na was für einer? Sag schon, ich will es hören!«

Der Papagei plusterte sich voller Stolz auf. Alle Federn sträubten sich.

»Herrrlicherrr Valtrrr! Herrrlich!«

»Ja, ganz herrlich, der herrlichste, und was noch ...? Na ...? Na ...!«

»Teuerrrr! Teurrrerrr Valtrrrr!«

»Ja, der teuerste, und? Na? Schäm dich nicht, gr ... gr ... gr ...? Na komm schon!«

»Grrraf! Grrraf Valtrrr! Valtrrr Grrraf!«

»Ja, mein herrlicher, teurer, artiger, großartiger Graf, Graf Valtr ...!«

Sie drückte ihn vorsichtig an ihr Gesicht und küsste ihn dann auf den Schnabel. Dabei beobachtete sie weiter bestürzt vom Fenster aus, wie dort fröhlich der Leichenschmaus für den alten Platz zelebriert wurde.

Das Gasthaus U Malešíka war wohl der Grundstein eines Bollwerkes gewesen. Als man es aus ihm herausriss, zerfiel es vollständig zu Quadern. Einige wurden gleich mit der Flut hinweggetragen, andere wiederum zu Rammklötzen, die in die Mauer geschlagen wurden, die vorher fast einhundert Jahre standgehalten hatte. Die am häufigsten auftauchenden Autos waren nun Umzugswagen. Die einen brachten enttäuschte Tschechen weg, aus den anderen stiegen gut gelaunte Männer, Frauen und Kinder, die einen Wirrwarr an Sprachen redeten, wie er einst den Turm zu Babel zum Einsturz gebracht hatte, doch S. sollte es vor dem Schicksal längst untergegangener Orte schützen, deren ursprüngliche Bewohner wegen Völlerei und Faulheit ausgestorben waren. Nach dem jüdischen und dem deutschen floss nun auch das tschechische Blut ab; die ewige Pumpe des Lebens ersetzte dies jedoch stark mit fremdem, um die abebbende Kraft der schnell alternden Stadt zu erneuern.

Die Schöne Frau erwarb auch dadurch allgemein Achtung, dass sie mit niemandem Kontakt pflegte, der sich ihr nicht vorstellte, was nunmehr nur wenige wagten; deshalb blieb sie auch etwas abseits des Verdachts, Tratsch zu verbreiten, doch sie erfuhr auch nie rechtzeitig, was sie hätte warnen können. Ein weiteres trügerisches Licht der Hoffnung aus Čapeks Stück wurde für sie eine Familie, die schon in zweiter Generation neben ihr wohnte; mehrere Jahre hatte sie versucht, das ehemals deutsche Haus von der Gemeinde zu kaufen, doch erst in diesem Jahr hatte die Direktorin der Bauabteilung zum Bakschischangebot genickt. Die Suchomels waren junge Leute mit drei kleinen Kindern, und das war ein Anker, auf den man sich doch verlassen konnte.

Die Freitage liefen für die Schöne Frau immer ganz besonders ab. Sie wusch Valtrs gläsernes Bad aus und schüttete ihm besonderes Futter in den Napf, das ein Elixier für Papageienleben sein sollte. Die Früchte der Balsamine kosteten ein Vermögen, doch sie hatte um Valtr umso größere Angst, je mehr Wörter er beherrschte. Der Leiter des Tierheims hatte ihr einst verraten, dass ihn der deutsche Antifaschist, der nach dem Krieg hierbleiben durfte und den Papagei erst kurz vor seinem Tod an das Heim abgab, geerbt hatte, bevor das tschechische S. zu einer uralten Stadt des ›Dritten Reiches‹ wurde. Valtr bekräftigte seine loyale Herkunft dadurch, dass zu seinen aufgeschnappten deutschen Wörtern nicht auch Heil und Hitlerrr gehörten. Bei der Schönen Frau erwachte in ihm der Patriot: nach und nach fand er an fünfundzwanzig tschechischen Wörtern Gefallen, und sie wollte verhindern, dass sein überanstrengtes Gehirn wie eine zu stark erhitzte Glühbirne zerbarst.

Auch am darauf folgenden Freitag versorgte sie ihn deshalb, verabschiedete sich für einen halben Tag und fuhr auf den Friedhof, um ihre beiden Gräber zu säubern. Die hatte sie für ihren Mann und ihren Vater an den jeweils gegenüberliegenden Enden gekauft, damit ihnen der alte zivile und menschliche Streit nicht auch noch die ewige Ruhe verdarb; auf zwei Bänken redete sie dann immer schweigend mit jedem von ihnen über etwas anderes. Vor der Endstation befiel sie diesmal die Angst, ob sie nicht zu Hause gleichzeitig Käfig und Fenster geöffnet hatte. Viele Jahre hatte sie bei jedem Lüften in der Angst gelebt, den aus der Wohnung entflogenen gefiederten Exoten drohten beim Eintauchen in eine unbekannte Natur die Schnäbel der heimischen Vogelrassisten. Von den tschechischen Spatzenproleten erwartete sie fast einen Märtyrermord.

Sie blieb also im Bus sitzen, der dieselbe Trasse zurückfuhr. Als sie auf dem kleinen Platz ausstieg, stockte ihr der Atem. Ihre Fenster waren geschlossen, doch vor dem Nachbarhaus stand ein Umzugswagen. Sie kam Schritt für Schritt näher in der naiven Hoffnung, dieser würde sich wie ihre häufigen Träume in Luft auflösen. Doch vor den beiden Kerlen, die an Gurten die Harfe zum Auto schleppten, auf der Frau Suchomelová zu Hause geübt hatte, lief ihr Mann und dirigierte sie ähnlich wie die Musiker des Stadtorchesters, das er leitete. Als er die Schöne Frau erblickte, sanken seine Arme herab, so als würde er bei einem Fehler abklopfen.

»Maestro ...«, stieß sie schließlich hervor, »Sie ... Sie ziehen weg?«

»Ja, gnädige Frau ... uns hat sich ... plötzlich eine Möglichkeit aufgezeigt ... und so ...«

»Aber Sie haben doch gesagt ... Sie und Ihre Frau haben doch behauptet, dass sie nie das Feld räumen ...«

»Ja ... das haben wir ... gesagt ... aber ... dann haben wir überlegt ... wir mussten überlegen ... dass ...«

Seine Frau kam mit Taschen voller kleiner Dinge aus dem Haus und blieb verwundert stehen.

»Eliška ... ich versuche gerade der Frau Doktor zur erklären, warum ...«

Die normalerweise nette Frau gab sich aufgrund ihres schlechten Gewissens übertrieben resolut.

»Hier gibt es nichts zu erklären, Frau Čechová, wir als Künstler sind sicher nicht fremdenfeindlich, das ganz gewiss nicht, aber unsere Kinder können hier – das wissen Sie ja selbst! – nicht mal mehr draußen spielen, ohne dass sie jemand beklaut oder anmacht, und Sie können wir ja auch nicht ewig belästigen!«

Die Schöne Frau hätte jetzt lieber bitterlich geweint, als sich herumzustreiten.

»Ihre Mädchen haben mich nie gestört, im Gegenteil, ich hatte alle drei sehr ...«

»Sicher würden Sie auch gehen, wenn das Haus nicht Ihnen gehören würde! Unseres hier konnten sie uns glücklicherweise nicht rechtzeitig verkaufen, und so haben wir erst einmal eine Wohnung im Zentrum gemietet. Da können Sie die Kinder ja auch weiterhin besuchen.«

»Und hier«, sagte ihr Dirigent, »haben Sie ja noch den Herrn Professor, nicht wahr!«

»Und vor allem Ihren Valtr!«, sagte die Harfenistin schon unter Tränen, »wir alle hier haben Sie sehr gern, nur deshalb wollten wir Ihnen diesen Abschied ersparen ...«

»Ja«, sagte die Schöne Frau, »danke, das war sehr rücksichtsvoll von Ihnen ...«

Und sie lief schnell ins Haus, um sich dort auszuweinen.

Der Fremde und die Schöne Frau

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