Читать книгу Der Fremde und die Schöne Frau - Pavel Kohout - Страница 12
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ОглавлениеDieses Bild prägte sich der Schönen Frau so ein, dass es sie bis in die Bewusstlosigkeit begleitete: Ihr Liebling Valtr, so klein und zerbrechlich, verlassen, ohne Hilfe auf der groben Schulter des dunklen Fremden, der zum absoluten Herrn über ihre Wohnung geworden war. Mit dem Gefühl verzweifelter Ohnmacht fiel sie also in die Umnachtung. Als sie wieder aufwachte, beugte sich das runde Gesicht einer Krankenschwester in weißer Tracht über sie, doch auch die Verzweiflung kehrte zurück.
»Polizei«, stieß sie hervor, »war die Polizei schon da? Wenn nicht, rufen Sie sie!«
»Sie sind im Krankenhaus, Frau Čechová, Sie sind bei uns in Sicherheit. Was soll die Polizei hier?«
»Sie muss einschreiten! In meiner Wohnung ist ein Fremder geblieben. Vielleicht hat er mich schon ausgeraubt!«
»Beruhigen Sie sich, Sie haben das nur geträumt. Unser Herr Chefarzt – Sie kennen sich wohl recht gut – hat Ihnen ein Schmerzmittel gespritzt, damit Ihnen nichts weh tat, als wir Sie beim Röntgen hin und her bewegten. Sie hatten wirklich Glück, es sind nur Prellungen. Ein paar Tage werden Sie noch hier bleiben, zwei Wochen zu Hause herumhumpeln, dann können Sie wieder über Pfützen springen.«
»Aber ich muss sofort nach Hause! Ich weiß doch gar nicht, was mit Valtr ist!«
»Ach, der ist mit Ihrem Ausweis zurückgekehrt, und darin haben wir auch einen Vermerk gefunden, dass Sie Anspruch auf Klasse haben. Sie sind also hier, und er wartet seit geraumer Zeit auf dem Gang, bis Sie aufwachen.«
»Wer wartet?«, immer noch kam sie sich benebelt vor, weil sie die Schwester nicht verstand.
»Na, Ihr Mann. Er ist Slowake, nicht wahr? Aber er spricht sehr gut Tschechisch. Wir waren alle gespannt auf ihn, weil Sie im Schlaf immerzu seinen Namen gerufen haben, aber jetzt wundern wir uns nicht mehr. Ein toller Kerl! Passt prima zu Ihnen ...«
Einen Anflug von Neid unterdrückte die beleibte Schwester mit einer Frage. »Ich kann ihn also reinlassen, nicht wahr! Damit Sie sich etwas freuen ...«
Schon stand sie in der Tür und antwortete sich eigentlich selbst. Die Schöne Frau ahnte schon schwach, wer eintreten würde, doch der Anblick des Fremden überraschte sie trotzdem. Den Mantel, den Hut und auch die Aktentasche hatte er offensichtlich auf dem Gang gelassen, dafür hielt er ein dickes Buch in der Hand, aus dem ein Lesezeichen herausschaute. Über seinem Handrücken konnte sie den ungewöhnlichen Titel lesen: Anatomie.
»So, Herr Čech«, sagte die Schwester, »nun ist es soweit, hier haben Sie Ihre schöne Gattin wieder, aber drücken Sie sie nicht allzu sehr, das könnte ihr weh tun.«
Mit diesen Worten war sie verschwunden. Neben Verzweiflung verspürte die Schöne Frau nun plötzlich ein starkes Unwohlsein, somit fauchte sie statt eines Grußes den Fremden gleich an.
»Wo sind meine Schlüssel? Sie müssen sie doch haben. Oder haben Sie das Haus nicht abgeschlossen?«
Er hielt den Bund jedoch in der anderen Hand und reichte ihn ihr schnell.
»Doch ... man hat mich nicht früher zu Ihnen gelassen ... ich habe gewartet, bis Sie aufwachen.«
Sie griff nach den Schlüsseln, als habe er sie ihr gerade entrissen, und sprudelte ihre Hauptsorge hervor.
»Und was ist mit Valtr? Ist er in Ordnung? Ist er in diesem Chaos nicht aus dem Haus entkommen?«
»Wer ...?«, fragte er, so als habe er von seiner Existenz keine Ahnung.
»Mein Valtr ...«, erschrak sie, erneut beschlich sie ein Verdacht, »ist ihm was passiert?«
»Niemand ist im Haus gewesen«, sagte er verschreckt, »ich habe alles dort durchgesucht ...«
Endlich begriff sie, dass dieser Name so wie die Schwester auch ihn in die Irre führte.
»Mein Papagei doch! Sie haben ihn doch gesehen! Ist er nicht weggeflogen, als man mich rausgetragen hat?«
»Das ist also Valtr?! Nein, bevor man Sie geholt hat, habe ich ihn in den Käfig zurückgebracht, Wasser nachgefüllt, auch Futter, und den Salon lieber abgesperrt, damit er sich in dem Chaos nicht verliert. Und als mir hier die Dame in Weiß sagte, dass man Sie hierbehalten wird, bin ich zurückgegangen, um zu schauen, ob eventuell in der Küche nichts angeschaltet ist. Tut mir leid, dass ich ohne Ihre Erlaubnis dort war ...«
Ihre Panik verflog, und das Unwohlsein wich dem Gefühl, dass sie ihm wohl eher danken sollte.
»Das haben Sie ... das haben Sie alles gut gemacht, auch das mit dem Ausweis, und ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr ... wie heißen Sie nochmal?«
»Nennen Sie mich ruhig Kemal, das ist für Tschechen einfacher.«
Sie erinnerte sich an eine Wendung, die er bei seinem Besuch mehrmals verwendet hatte.
»Das gehört sich bei uns nicht, dazu kennen wir uns zu wenig.«
»Ja, entschuldigen Sie, ich habe wieder etwas vergessen ...«
»Gut, also Kemal ... das ist sicher der Vorname. Und weiter?«
»Kemal Ötcölan. Jedes o mit Umlaut, mein Großvater war Türke.«
»Ich verstehe ... dann danke ich Ihnen aufrichtig, Herr Etschelan.«
»Keine Ursache, eigentlich war es meine Schuld.«
»Wieso Ihre? Ich bin gestolpert und selbst gestürzt!«
»Sogar bei uns soll ein Mann vor der Frau die Treppe unter gehen, eben damit er sie auffangen kann. Aber ich habe es nicht gewagt, weil Sie gerade so gewütet haben.«
»Ich habe gewütet?«
»Nein, nein! Sie waren wütend! Diesen Fehler mache ich sehr oft.«
»Das weiß ich nicht mehr. Warum war ich ...?«
»Wegen meinem Alibaba ... weil Sie keine Katzen mögen.«
»Na, so was. Wahrscheinlich hat mich genau deshalb der Herrgott bestraft.«
»Das wäre nicht gerecht von ihm, weil Sie Vögel mögen ... und auch Fremde. Mit mir haben Sie geredet, als wäre ich ein Tscheche, das werde ich Ihnen nicht vergessen. Aber ... ich habe auf dem Gang noch etwas, halten Sie bitte aus!«
Er eilte fort, war aber einen kurzen Moment später mit ihrer Einkaufstasche zurück. Darin lagen auf dem sorgfältig zusammengelegten Morgenmantel Pantoffeln, in einer durchsichtigen Tüte, in der sie normalerweise Gemüse im Kühlschrank aufbewahrte, lagen eine Zahnbürste und Zahnpasta, in einer weiteren zwei Äpfel, die sie sich am Morgen für das abendliche kalorienarme Abendessen zurechtgelegt hatte. Sie schaute auf die unerwartete Ausstattung und wusste nicht, was sie sagen sollte. Er schon.
»Wenn etwas fehlt, kann ich noch mal bei Ihnen vorbeischauen, also ... wenn Sie mir vertrauen.«
»Nein, nein ... also ... doch, ich vertraue Ihnen, aber ich habe jetzt wirklich alles. Noch einmal vielen Dank, und ich wünsche Ihnen bei uns viel Glück.«
»Und ... haben Sie schon jemanden, der sich in der Zwischenzeit um Ihren Vogel kümmert?«
Nun schaute sie ihn an und spürte, wie ihr Herz höher schlug. Sie hätte natürlich Doktor Mádr anrufen können, damit er eine seiner Sekretärinnen schickte, um nach Valtr zu sehen, doch gleich stellte sie sich die Reaktion dieser aufgetakelten Blondinen vor, wenn er sich ihnen auf die Frisur setzen würde. Die erschrockene Frau Suchomelová hatte ihn beim ersten Mal mit ihren vom Harfenspiel harten Fingern so energisch weggescheucht, dass er eine Woche lang nicht fliegen konnte. Ihr Liebling hatte also keine andere Hoffnung zu überleben als diesen Fremden.