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In dieser Nacht träumte sie von nichts. Am Morgen kamen zwei Frauen, angeblich Mutter und Tochter, die von den Waden bis zu den Schultern wie übervolle Mehlsäcke aussahen, um den Professor und seine Sachen abzuholen. Gegenüber der Schönen Frau verhielten sie sich so wie zu einer Bordellbesitzerin, doch ihr tat der Feigling leid, weil er wahrscheinlich bereits seinen tragischen Irrtum begriffen hatte und sich lieber den türkischen Messern ausgesetzt hätte. Es war jedoch, wie er sagte, posdno, zu spät! – seine Würfel waren auf ewige Zeiten falsch gefallen. Als das alte Vehikel um die Ecke quietschte, verbannte sie den Unglückseligen aus ihrem Kopf; ihre Mutter hatte sie mit ihrem Tod bereits als Kind eine Lebensweisheit der Erwachsenen gelehrt, dass das, was geschehen ist, man nicht ungeschehen machen kann, man muss es am besten abwerfen, wie den Ballast eines Luftschiffes.

Noch einen Tag zuvor hatte sie vor dem Einschlafen die Zeitung aufgeschlagen und sich die Adresse eines Maklerbüros eingeprägt, das darin die größte Annonce einnahm. Jetzt brachte sie im Bad ihre Augen in Ordnung, die aus Wehmut doch etwas feucht geworden waren, und überprüfte, ob sie für ihre Mission angemessen angezogen sei. Der Rock ihres Frühlingskostüms reichte bis zur Hälfte der Knie, und sie freute sich, dass sie es ruhig auch in diesem Jahr würde tragen können. So kleine Eitelkeiten halfen ihr über große Hindernisse.

»Valtr«, sagte sie auf der Treppe zu ihrem Liebling, der sich wie immer nicht bequemt hatte, ins Erdgeschoss hinabzufliegen, sondern ihre Schulter als Aufzug genutzt hatte, »liebes Valterchen, heute bist du zum ersten Mal ganz allein im Haus, ich schließe dich ordentlich ein, doch du musst mir versprechen, dass du niemandem öffnest, auch wenn er dieselbe Stimme haben sollte wie ich, versprichst du mir das?«

»Soforrrt, Herrr Karrrl!«, krächzte Valtr; manchmal kehrte er greisenhaft in seine Muttersprache Deutsch zurück, die er wahrscheinlich zusammen mit dem Futter von seinem ersten Herrchen aufgeschnappt hatte.

»Ich bin deine Rosa und ich verspreche dir dafür, dass ich einen Untermieter mitbringe, der nicht so ein Feigling ist wie der Herr Hedvábný und der weder Türken noch sonst jemanden fürchtet.«

»Rrrrosa, an die Arrrbeit!«, murmelte Valtr und flog auf den Küchenschrank, um zu schlafen.

Die Agentur hatte ihren Sitz auf der Hauptstraße und war größer als die Post in S. Die Schöne Frau holte sich am Eingang eine Nummer, konnte sich aber nicht näher umschauen, denn es blinkte schon über einer der gläsernen Kojen. Der ältere Angestellte war wohl eine Aushilfe aus Prag, denn er kannte sie nicht. Er fragte sie nach ihrem Namen, betrachtete mit geübtem Blick die Pläne und Fotos des Hauses und strahlte dann nur noch.

»Schön, sogar sehr schön, und wahrscheinlich gemütlich, gnädige Frau, loben muss ich auch die veranschlagte Miete, Hauseigentümer sind heute alle recht unverschämt.«

Er schaltete den Computer an und drehte den Monitor zu ihr, damit sie verfolgen konnte, was er tat.

»Ich habe hier mehrere solvente Interessenten für eine gute Untermiete, alle Ihre Klasse, Gnädigste, ausländische Developer oder einheimische Topmanager!«

Dabei tippte er blind auf der Tastatur, weil seine Augen an ihr hingen. Wenngleich er eine Frau im späten Alter sah, verfiel er ihrem Zauber wie so viele vor ihm. Er verglich sie mit seiner jungen Frau, und sein Verstand konnte vor Traurigkeit die Finger nicht mehr befehligen. Da sie an ähnliche Reaktionen gewöhnt war, lächelte sie nett, und er vergegenwärtigte sich, dass er nicht wusste, was er schrieb, dass er schon zu lange schwieg und vielleicht sogar rot geworden war. So begann er schnell zu sprechen.

»Ja, Topmanager ... und Topdev ... und überhaupt Top ... also ... entschuldigen Sie, ich ... ich habe noch keine Objektadresse eingetragen ... wo liegt die Immobilie eigentlich?«

Es kam ihm zupass, seinen roten Kopf in den Unterlagen vergraben zu können, doch nun erbleichte er.

»Das ist doch wohl nicht ... das kann doch nicht sein ... einen Moment, gnädige Frau ...«

Er tippte ein paar Sekunden gezielt, und auf dem Monitor erschien ein bunter Stadtplan von S., auf dem sich ein weißer Pfeil bewegte. Die Kreise wurden enger, bis der Pfeil in einer rot eingefärbten Zone stehen blieb. Der Makler sah jetzt aus wie ein Arzt, der seinem Patienten eine bösartige Krankheit mitteilen muss.

»Das ist ... das ist leider ... gnädige Frau, Sie belieben in Kleinasien zu wohnen?«

Als ihm ihre verwirrten Augen sagten, dass die reizende Dame keine Ahnung hatte, klärte er sie auf.

»Unsere Gebiete sind nach der Verkäuflichkeit der Immobilien eingefärbt, grün sind die gefragtesten, über blau und gelb bis hin zu rot, den unverkäuflichen. Als Kleinasien bezeichnet man hier in der Branche das dunkelrote Gebiet, und das ist, gnädige Frau, eben Ihres ...«

»Entschuldigen Sie!«, endlich kehrte ihr das Blut in den Kopf zurück und damit auch die Sprache, »all diese Häuser auf unserem Platz und in den angrenzenden Straßen wurden in der ersten Republik von Bankiers, Anwälten, Künstlern und anderen Zelebritäten errichtet, auch mein Vater war ein bekannter Arzt!«

Er wollte Mitleid zeigen, doch er musste unbarmherzig sein, auch mit einem netten Tonfall zerstörte er die Hoffnung.

»Das ... war einmal, gnädige Frau, schauen Sie, ich mache Ihnen einen Ausdruck ... das sind die Angebote aus Ihrer Umgebung, die schon monatelang nicht weggehen. Es sei denn, was ich Ihnen empfehlen würde, dass Sie das Haus verkaufen und sich ein anderes woanders suchen. Das Problem ist dann aber immer noch der Preis, doch bei vernünftigen Vorstellungen finde ich sicher jemanden ... gerade vor einer Woche hat sich hier ein Levantiner gemeldet, dass er sich gern unter die Seinen einkaufen würde!«

Sie schaute ihn prüfend an, als könne sie in seinen Augen Ironie finden, doch er war sichtlich bereit, alles für sie zu tun, damit sie ihn wertschätze.

»Verraten Sie mir«, sagte sie, »bin ich hier wirklich in meinem Böhmen?«

Um sie zu beruhigen, rief er mit dem Finger auf dem Bildschirm eine weitere Spalte mit Namen und Zahlen auf.

»In dieser Datei, schauen Sie, gnädige Frau, habe ich wiederum viele erfolgreiche Leute von hier, die schon so viel verdient haben, dass wir für sie teure Immobilien in Kroatien, Spanien, Portugal und sogar in Florida suchen! Wir Tschechen sind im ehemaligen Osten die Zweitplatzierten hinter den uneinholbaren Russen, die jetzt gerade den Rest von Karlsbad aufkaufen, um etwas zu haben, wo sie von Las Vegas aus übers Wochenende hinfliegen können.«

Als sie ihre Unterlagen ordnete, um sie wieder einzustecken, zitterten ihr die Hände. Und als sie sich erhob, stand auch er auf, um sich nicht im Sitzen zu verabschieden. Dabei fügte er hinzu:

»Früher hat man diese Erscheinung Völkerwanderung genannt, heute nennt man sie Globalisierung ...«

Zurück fuhr sie wie im Trance. Als sie vor dem Haus ihren Schlüssel lange nicht in der Handtasche finden konnte, bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde. Die Vietnamesen unterbrachen den Verkauf, der Bosnier stand neugierig neben seinem Grill, die Türken im Hof des Gasthauses hörten mit dem Messerwerfen auf, und die kleinen Roma warteten mit dem Abstoß ihres Lumpenballs vor dem Tor, dessen rechte Stange der Abfallcontainer und die linke die ehemalige Gottesmarter ohne den geklauten Johann bildeten. Nachdem sie endlich mit dem hervorgefischten Schlüssel aufgeschlossen hatte, flüsterte sie mit Dante:

»Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren ...«

Der Fremde und die Schöne Frau

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