Читать книгу Der Fremde und die Schöne Frau - Pavel Kohout - Страница 16

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Nachdem das Gütertaxi abgefahren war und der Fremde die Haustür hinter sich zugezogen hatte, flog Valtr sofort wieder in seinen Käfig, und die Schöne Frau hatte den Eindruck, als sei unter dem Fenster das verschlafene Königreich Dornröschens aus dem gleichnamigen Märchen zu neuem Leben erwacht. Die kleinen Roma prügelten sich um den Lumpenball, die türkischen Jugendlichen setzten das Messerwerfen fort, und die Erwachsenen gingen ihrer Wege. Sie selbst schickte sich an, den neuen Untermieter zum vereinbarten Treffen zu empfangen, den ihr doch sicher Jaromír vom Himmel aus verschafft hatte, und sie verstand anfangs nicht, warum es ausgerechnet ein Kurde sein musste. Doch langsam gestand sie Jaromír zu, dass er wohl seine Gründe dafür gehabt hatte. Seit sie diesen Fremden kannte, war ihm nur ein einziger Fehler unterlaufen: er hatte vor ihr den Hut nicht abgenommen. Dafür hatte er sich dann ausreichend entschuldigt.

Das unangenehme Gefühl, dass unter ihrem Dach ein Mensch aus einer fremden Welt wohnen sollte – und mit ihm noch ein Kater! –, war immer noch nicht abgeklungen, doch musste sie seine Eigenschaften wertschätzen, die so gar nicht tschechisch waren, dafür aber positiv. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Tscheche, den sie nicht kannte, so zuverlässig und opferbereit gewesen wäre wie er. Natürlich!, brachte sie sich in Erinnerung, es ging ihm um seinen eigenen Vorteil, er hätte nie bei ihr zur Untermiete einziehen können – und darüber hinaus noch mit einem Kater! –, wenn er ihr nicht in allem entgegengekommen wäre.

Doch es war noch weitaus mehr in ihm als nur Entgegenkommen und Anstand! Es waren die Bilder nicht verschwunden, wie höflich hatte er sich vor den Nachbarn und vor ihr verbeugt, wie würdevoll war er mit der schweren Last den Weg entlanggeschritten, und wie reichlich hatte er den Mann entlohnt, der ihm vorher so hochmütig die kalte Schulter zeigte. Nachdem sie alle Pros und Contras abgewogen hatte, musste sie anerkennen, dass die Vorzüge überwogen. Nun musste man nur noch sehen, was es mit dem verdammten Kater auf sich hatte ...

Als der Fremde eine Stunde später klopfte, wartete er erneut, bis er hereingerufen wurde. Er hatte sich umgezogen und seine Cordhosen und seinen dünnen Rollkragenpullover gegen den dunklen Anzug eingetauscht, in dem er das erste Mal gekommen war. Doch es verschreckte sie, dass er den Korb mitbrachte.

»Ich denke, dass ich mir Ihren ... Ihr Tier lieber bei Ihnen unten angeschaut hätte ...«

»Sie brauchen keine Angst um Valtr zu haben«, sagte er wissend, »aber wenn Sie wollen, schließen Sie den Käfig.«

Sie hörte gern auf ihn und sah dabei, dass ihr Liebling reglos auf der Schaukel saß, den Kopf dem Korb zugewandt und in einer Spannung, die normalerweise mit seinem angestrengten Bemühen einherging, ein neues Wort zu lernen. Der Fremde benahm sich nun plötzlich wie ein Zauberer. Er stellte den Weidenkorb auf den Tisch neben Valtrs Käfig, öffnete die Gittertür, schnalzte und sagte:

»Alibaba ... hörst du mich? Komm raus! Na komm ...!«

Aus dem Korb drang kein Geräusch, auch zitterte er durch keine noch so geringe Bewegung. Der Fremde beugte sich hinab und sprach ruhig ein paar Worte in einer unbekannten Sprache. Wenig später lugte schnell ein kleiner Kopf mit schrägen grünen Augen aus dem Korb hervor. Dahinter schob sich ein graublauer Rumpf mit einem mächtigen Kragen und einem festen Hinterteil hervor. Als er ganz draußen war, betrachtete der Kater den Fremden und miaute schwach. Die Schöne Frau wollte wissen:

»Was haben Sie ihm da gesagt? Was für eine Sprache war das?«

»Ich habe ihn in meiner Muttersprache gebeten, Ihren Vogel zu mögen. Und er hat es mir versprochen.«

Der Kater streckte erhaben seinen Rücken und wirkte dabei wie ein kleiner Löwe. Der Fremde schlug vor:

»Wollen Sie nicht ihn streicheln? Das mag Alibaba sehr und vergilt es mit Achtung.«

»Um Gottes willen, nein ...!«, fast schrie sie auf, »ich kann nicht, schauen Sie doch, was für Gänsehaut ich habe!«

Er zeigte auf den Käfig, und sie staunte. Valtr saß nicht auf der Schaukel, sondern hing wie immer in den Käfigstangen, wenn er sie nachdrücklich rief, dass sie ihm die Tür öffnen sollte. Diesmal erstarrte sie wieder vor Angst, als sie den Kater beobachtete, dessen dichtes Fell eher an einen Panzer erinnerte; er hörte auf, sich zu dehnen, und näherte sich mit dem faulen Schritt eines Raubtiers dem Käfig, so dass ihn nur noch die Drähte von ihrem Liebling trennten. Und Valtr wich trotzdem kein Stück zurück und sprang auch nicht auf seine Schaukel, um auf sicheren Abstand zu gehen, sein Schnabel berührte fast die Nase des Katers. Die Schöne Frau konnte weder reden noch sich bewegen.

Dann miaute Alibaba leise. Und Valtr, weiter an die Käfigstangen gepresst, dass seine Flügelspitzen herausschauten, antwortete mit einem Krächzen, das sie als Liebesgeräusch bezeichnete, weil er genau so reagierte, wenn sie ihn zärtlich auf den Schnabel küsste.

»Sehen Sie?«, strahlte der Fremde, »sie mögen sich beide auf Anschlag sehr gern!«

»Herr Etschelan«, beruhigte und versicherte sie sich gleichzeitig, »in den wenigen Tagen haben Sie sicher gemerkt, dass Valtr das einzige mir nahestehende Wesen ist. Legen Sie wirklich für Ihren Kater die Hand ins Feuer?«

»Gnädige Frau Čechová«, sagte er, als würde er schwören, »ich gebe für Alibaba meinen Kopf. Doch damit Sie sich beruhigen, verspreche ich bei Allah, dass er nur durch das Toilettenfenster meiner Wohnung nach draußen geht und auch, wie vertraglich vereinbart, andere Räume des Hauses nicht betritt, es sei denn ... es sei denn, Sie ändern Ihre Meinung und es wird Ihnen gefallen!«

»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nichts gegen Katzen habe, sondern eher sie was gegen mich.«

»Da hatten Sie wahrscheinlich Pech, dass Sie bisher die richtigen nicht getroffen haben.«

»Aha ...«, sie verstand das als vergeblichen Versuch, sie zu trösten, »und welche sind die richtigen?«

»Katzen sind eigen darin, dass im Unterschied zu Hunden, Pferden und anderen Haustieren sie nicht der Mensch aussucht, sondern sie den Menschen. Ein Hund hört auf jeden, ein Pferd dient jedem, eine Katze aber sucht einen Charakter, der dem ihren ähnlich ist. An Ihnen sind bisher die erhabenen vorbeigezogen. Solche wie Alibaba.«

Die Schöne Frau, die die ganze Zeit durch das Gitter Valtrs Köpfchen gekrault hatte, blickte den Kater an. Er saß aufrecht da, gestützt auf die langen Vordertatzen wie ein Denkmal.

»So streicheln Sie ihn doch«, wiederholte der Fremde eindringlich, »gleich werden Sie es erleben.«

Es kam ihr dumm vor, sich erneut herauszureden, umso mehr, als von der Gänsehaut nichts mehr zu sehen war. Sie führte also ihre Hand vom Kopf ihres Lieblings zum graublauen Rücken und hatte den Eindruck, sie habe Watte berührt, die einem leichten Druck wich, ehe sie verstand, dass sich der Kater lang machte und leicht zu zittern begann. Dabei drang das leise Geräusch einer alten Nähmaschine zu ihr. Er schnurrte.

»Er hat Sie angenommen«, sagte der Fremde, »hat in Ihnen ein Wesen gefunden, das zu ihm gehört.«

Er hypnotisiert mich wohl, dachte sie bei sich, sie beide! Schnell wechselte sie das Thema.

»Was war denn das für ein großer Gegenstand, den Sie zuletzt ausgeladen haben? Ich will mich ja nicht in Ihre Privatangelegenheiten mischen, ich frage nur als neugierige Frau.«

»Ich habe das schon ausgepackt, um es Ihnen vorzuführen. Darf ich Sie nach unten tragen?«

»Keinesfalls!«, protestierte sie, »ich bin in Ordnung und muss trainieren!«

»Dann aber gehen Alibaba und ich vor Ihnen, damit wir Sie auffangen!«

Er schnalzte. Der Kater sprang elegant vom Tisch und lief mit aufgestelltem Schwanz vor ihnen her wie ein Fahnenträger, der eine Prozession anführt.

Der Fremde und die Schöne Frau

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