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An diesem Tag fuhr die Schöne Frau nirgendwo mehr hin. Sie öffnete auch nicht mehr die Tür, nachdem der Umzugswagen abgefahren war und lange die Klingel schellte, als sich die Suchomels wahrscheinlich verabschieden wollten, wie es sich gehört. Für diesen Fall hatte sie vorher Herrn Hedvábný gebeten, ihnen zu öffnen und sie zu entschuldigen, sie habe sich hingelegt, weil ihr unwohl war, was verursachte, dass sie leider zu einer für die Abreisenden so ungelegenen Zeit zurückgekehrt war.

Es wehte ein Südwind, und so hörte sie die Kakofonie der Rufe und des Lärms der Nichtanpassungswilligen nicht, die wieder in Richtung Sachsen getragen wurde, und der Inhaber des Istanbul hatte schon vor geraumer Zeit ihrer Bitte entsprochen, das Wolfsgeheul, das er Musik nannte, nicht auf den kleinen Platz zu übertragen. Die Bitte überbrachte ihm von der Schönen Frau ebenfalls der Professor; er wagte es nicht, es ihr abzuschlagen, dann aber auch nicht zu verraten, dass er dem Türken mit der Polizei drohen musste und nun Angst vor seinen Jungs habe, die, wann immer er das Haus verließ, das gegenüberliegende Tor sperrangelweit öffneten, damit er sah, wie gekonnt sie im Hof Messerwerfen übten. Nach einer schlaflosen Nacht schrieb er dann in Panik einen Brief, in dem er nach vielen Jahren bei einer Person demütig Buße tat.

An diesem Tag wurde sich die Schöne Frau erst dank der Stille des quälenden Fehlens von Geräuschen bewusst, die sie früher gestört hatten. Auch bei Malešík hatte ab und zu bis in die Nacht hinein die Blasmusik gespielt, und auch der gefällige Klang der Harfe konnte nervtötend sein, wenn die Nachbarin eine ganze Stunde lang ein und denselben Akkord übte. Es fehlten ihr auch die quietschenden Streitereien der drei Mädchen, von denen sie manchmal Kopfschmerzen bekam. Dankbar war sie wiederum Herrn Hedvábný, der die Türken ruhiggestellt hatte. Warum, so fragte sie sich vorwurfsvoll, berechne ich ihm Miete, wenn all mein Eigentum der Staat erbt? Und Valtr!, berichtigte sie sich. Sie glaubte daran, dass er sie überleben würde, und so musste der Notar Julius Mádr, dessen Vater bereits ihrem Vater als Rechtsbeistand gedient hatte, ein Testament aufsetzen, in dem sie mit ihrem gesamten Vermögen das Tierheim bedachte, das sich verpflichtete, ihrem Liebling Valtrchen ein ruhiges Alter zu gewähren.

Dieser traurige Freitag schien ihr gerade dafür geschaffen zu sein, einen Vorschlag zu unterbreiten, wie sie auch den Professor für die Zeit nach ihr absichern könnte. Sie beschloss, eine Klausel im Testament zu erweitern: statt in einem Altenheim sollte er in der unteren Wohnung seinen Lebensabend verbringen, umsorgt von netten, weil gut bezahlten Pflegern. Sie entschloss sich, die ungeschriebene Ordnung ihres Hauses zu stören, und klopfte zu ungewöhnlicher Zeit an die Tür im Erdgeschoss, was ihr überwältigendes Angebot wiedergutmachen sollte.

Der Professor meldete sich auch auf das zweite Klopfen hin nicht, was sie so beunruhigte, dass sie aufschloss. Der alte Mann saß im Sessel, bekleidet mit einem schwarzen Anzug, eine Fliege um den Hals, an den Füßen Lackschuhe, so wie er zu Konzerten oder in die Messe ging und auch jedes Mal, wenn er ihr die Miete zahlte, dann überreichte er ihr mit einer Zeremonie eine Blume und küsste ihr die Hand. Die Schöne Frau bekam einen Schreck. So hatte ihr Mann ausgesehen, als sie ihn tot aufgefunden hatte, nachdem er drei Tage lang nicht über den Flur in die Praxis gekommen war und alle glaubten, er sei auf einer seiner Trinktouren. Doch er hatte sich selbst mit einer Gallone Whiskey hingerichtet, so als habe er noch den Eindruck eines Gentlemans bei der Frau hinterlassen wollen, die er geliebt und verloren hatte.

Der Untermieter aber stand sogleich überstürzt auf und erzählte verstört, so sitze er da, seit die Suchomels abgefahren seien, und er spreche sich Mut zu, um sie zu besuchen. Sie verstand, dass er sie angesichts des sich verschlechternden Umfeldes bitten wollte, ihm die Miete zu senken, und war froh, ihm zuvorzukommen, um ihm einen peinlichen Moment zu ersparen.

»Sehr geehrter, lieber Herr Professor«, sagte sie, »dass ich Sie einfach so überfalle, wird wohl der Vorschlag entschuldigen, der Sie bitte nicht kränken soll, weil er von Herzen kommt. Nach all den Jahren, in denen unser Zusammenleben lediglich eine Vertragsbeziehung war, wird es durch das heutige Ereignis endgültig zu einer Goethe’schen Wahlverwandtschaft. Sie und ich sind ab diesem Moment auf unserem kleinen Platz so etwas wie Robinson und Freitag, nur der treue Valtr ist bei uns geblieben, der bei Ihnen genauso zu Hause ist wie bei mir. Es erscheint mir unmöglich, ja, unmoralisch, von Ihnen Miete zu nehmen, und wiederum notwendig, ja, unabdingbar, dass diese tschechische Insel, so unerwartet von einem fremden Meer umspült, ebenso die Ihre wie die meine ist. Deshalb möchte ich gleich morgen beim Freund der Familie, Doktor Mádr, die entsprechenden rechtlichen Schritte unternehmen.«

Sie erwartete nicht, dass Professor Hedvábný dankbar auf die Knie fallen würde, aber auch nicht, dass er sich wieder setzte, als hätte ihn ein schwerer Schlag getroffen. Ehe sie fragen konnte, betrachtete er sie mit gequältem Blick und erklärte es selbst.

»Sehr verehrte, teure Frau Rosa, was ich jetzt aus Ihrem Munde gehört habe, reicht für alle Orden, die mir das Leben nicht vergönnt hat. Die Jahre unter Ihrem Dach, wenn Sie schon das Gleichnis des Meeres verwendet haben, waren für mich ein Ankerplatz im sicheren Hafen, wo ich, vor dem Taifun versteckt, meine Wunden lecken durfte, die ich mir leider zumeist selbst zugefügt habe. An diesem Schicksalstag, ich würde ihn als dies irae bezeichnen, kann ich nicht anders, als Ihnen zu gestehen, dass ich heimlich zu Ihnen entflammt bin, seit ich Sie in meiner Klasse gesehen habe. Wenn Ihr heutiges königliches Angebot nicht gekommen wäre, hätte ich es nie gewagt, mich dazu zu bekennen, dass mich Ihre Schönheit und Weisheit bereits ergriffen haben, seit ich Sie zum ersten Mal vom Katheder aus in der ersten Bank rechts sah!«

Die Schöne Frau öffnete vor Schreck den Mund, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Sie haben mir die Kraft gegeben, auch die russische Sprache zu unterrichten, als man Latein zur proletariatsfeindlichen Sprache erklärte. Sie waren für mich die prima inter aliis, dass ich sogar davon krank wurde, als Sie, de mortuis nihil nisi bene! einen Mann heirateten, der Sie nicht verdient hatte. Ich erlebte das Gribojedow’sche Gore ot uma, Wehe dem Verstand, solange ihre Verbindung andauerte, und als er dann plötzlich starb, habe ich meine Frau und meine Tochter verlassen, um für Sie frei zu sein. Für mich hat Ihr Vater diese Wohnung hergerichtet, darauf vertrauend, dass ich Sie nach ihm beschützen würde, was er Ihnen nicht mehr mitteilen konnte!«

»Aber ...«, wendete die Schöne Frau ein, er aber hob dramatisch die Stimme.

»Ja, sehr verehrte, teure Frau Rosa, Ihr Aber hat ins Schwarze getroffen! Trotz der vielen Jahre unter Ihrem Dach habe ich es nicht vermocht, tschort poberi, der Teufel soll mich holen!, auszusprechen, was ich Ihnen gegenüber empfinde, um nicht Gefahr zu laufen, dass mir unterstellt würde, ich wolle durch ein vorgetäuschtes Gefühl erlangen, was Sie mir heute selbst angeboten haben. Leider posdno! posdno! zu spät! denn inzwischen ist ein verzweifelter Brief meiner ehemaligen Gemahlin eingetroffen, ich solle zu ihr und unserer geschiedenen Tochter zurückkehren, die sich ohne mich mit ihrem Leben keinen Rat weiß. Da ich Ihr edles Angebot nicht vorhersehen konnte, habe ich versprochen, mich ihnen zu opfern, somit alea iacta est, die Würfel sind gefallen, der Rubikon ist überschritten ...!«

Und die Schöne Frau befielen Herzschmerzen, als sie diesen edlen Mann sah, wie er aus einfacher menschlicher Angst heraus so erbärmlich log.

Der Fremde und die Schöne Frau

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