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Verstärkung aus Majdanek

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Im Januar 1944 scheiterte ein Fluchtversuch – beteiligt waren der Kapo Daniel Obstbaum173 aus Frankreich, der Stubendienst Majorczyk aus Warschau, Ferro Langer aus der Slowakei und zwei weitere Mitglieder des Sonderkommandos aus den Reihen französischer Juden. Als Vergeltung wurden rund 200 Mitglieder des Sonderkommandos nach Majdanek geschickt, angeblich um dortigen Kollegen zu helfen. Am 16. April 1944 aber kam die Verstärkung hingegen von Majdanek nach Auschwitz: 19 sowjetische Kriegsgefangene, angeführt von Karl Töpfer, einem deutschen Kapo aus Majdanek. Als die Mitglieder des Sonderkommandos von Birkenau an einigen der Neuankömmlinge die Kleidung „ihrer“ im Februar verlegten Kollegen sahen, wurde ihnen alles klar. Die Neuen bestätigten auch: Die Auschwitzer „Brigade“ war in der Tat nach Majdanek gebracht und dort liquidiert worden, hatte vor dem Tod jedoch heftigen Widerstand geleistet.

Diese Verstärkung hat eine besondere Geschichte und Vorgeschichte. Denn die Idee, Juden als Sonderkommando einzusetzen, war nicht gleich und nicht überall umgesetzt worden. Der SS-Oberscharführer Erich Mußfeldt, Mitte November 1941 bis Anfang April 1944 erst Kommandoführer, dann Krematoriumsleiter in Majdanek, gab im Prozess von 1947174 an, dass sein Bestattungskommando in Majdanek – im Grunde das erste Sonderkommando – anfangs gar nicht aus KZ-Häftlingen bestanden hatte, sondern aus polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen, die dem Konzentrationslager von den Deutschen Ausrüstungswerken DAW gewissermaßen geliehen worden waren aus dem Bestand des entsprechenden Stalags, das sich im Zentrum Lublins175 befand. Doch wurden sie alle vom Typhus befallen, der auch vor Mußfeldt nicht haltmachte: Zwar starb er damals nicht, verließ das Krankenhaus aber erst im April 1942. Nach dem Krankenhausaufenthalt waren 20 sowjetische Kriegsgefangene176 in seiner Mannschaft – nicht „geliehene“, sondern eigene, die er auch bei Bestattungen im Krepiec-Wald einsetzte, wo die Erschießungen177 stattfanden.

Im Juni 1942 wurde in Majdanek zwischen den „Feldern“178 I und II ein eigenes Krematorium (der Firma Kori) in Betrieb genommen. Für die Einäscherung einer Leichenladung ging eine Stunde drauf: Zwei bis fünf Leichen passten in eine Retorte; die Tageskapazität eines Ofens betrug 100 Leichen; zwei Öfen179 gab es.

Das Krematorium wurde von einem Sonderkommando bedient, bestehend aus mehreren (drei bis sechs) sowjetischen Kriegsgefangenen der „alten“ Mannschaft und einem Kapo. Dieser war anfangs ein slowakischer Jude, dessen Name in den Quellen nicht erhalten ist. Sein Nachfolger war der deutsche Strafhäftling Hans Fischer aus Wien, der eine festgelegte Haftstrafe im Lager verbüßte. Die Mitglieder dieser ersten Sonderkommandos wohnten in gewöhnlichen Baracken zusammen mit anderen Häftlingen. 1943 wurden sie isoliert und in das Krematorium verlegt. Dort wohnte, wohl aber gesondert, auch Seitz, Mußfeldts Stellvertreter. Mußfeldt wohnte im SS-Wohnheim180. Später wurde zwischen den Feldern V und VI, unweit des neuen Krematoriums, eine eigene Baracke für das Sonderkommando gebaut.

Zu den Pflichten des Bestattungskommandos zählte ursprünglich wohlgemerkt nicht nur die Einäscherung, sondern auch die Ausübung der Henkersfunktion. Im Leichenhaus gab es zwei oder drei Haken, an denen die zum Tod verdammten Häftlinge aufgehängt wurden. Dies waren in der Regel keine kräftigen Schlägertypen, sondern aufs Skelett ausgehungerte Gestalten, die von den Blockführern zur Hinrichtung geführt wurden. Nachdem einer der Kriegsgefangenen aus dieser Mannschaft im Herbst 1942 geflohen war, wurden alle anderen liquidiert. An ihrer Stelle arbeiteten 1943 20 französische und deutsche Juden sowie drei sowjetische Kriegsgefangene. Zusätzlich ein deutscher Kapo: anfangs jener Fischer, später dann ein anderer. Über ihn ist weiter nur bekannt, dass er ein jüdischer Medizinstudent war und aus Wien stammte.

Im Februar 1943 schickte Florstedt, der Lagerkommandant von Majdanek, Mußfeldt nach Auschwitz, um zu erfahren, wie sie dort Leichen auf offenem Feld verbrannten. Höß trug dem Schutzhaftlagerführer Aumeier und dem Leiter der Politischen Abteilung Grabner auf, sich dessen Anliegen anzunehmen. Erforderlich wurde diese Erkundung, um im Rahmen der „Aktion 1005“ selbst damit anzufangen, die Leichen der im Krepiec-Wald Erschossenen auszugraben und zu verbrennen. Damit sie besser brannten, wurden die Leichen mit Methanol begossen. Zeitgleich konnten bis zu 100 Leichen verbrannt werden. Damals wurden im Wald rund 6000 „alte“ Leichen verbrannt und hinter dem fünften Feld 3000 „neue“, doch sind diese Zahlen höchstwahrscheinlich stark untertrieben. Der Deutsche Bruno Horn korrigierte einen anderen „Fehler“: Er öffnete den halbverwesten Leichen die Münder und zog ihnen für das Dritte Reich die Goldzähne.

Ende Oktober 1943 wurden hinter den Feldern V und VI eilends Gruben ausgehoben. Rund 100 SS-Männer kamen von überall her nach Majdanek, darunter auch zwölf Schützen aus Auschwitz, unter ihnen Moll und Hößler. Am 4. November 1943 wurden an den Gruben 17.000 bis 18.000 Juden erschossen – eine der Rekordziffern aller Massenerschießungen, wo auch immer sie vorgenommen wurden.

Die Juden aus Mußfeldts Sonderkommando wurden ebenfalls erschossen. Mußfeldt soll angeblich zum neuen Lagerkommandanten Thumann gegangen sein und ihn gebeten haben, ihm „seine“ Juden zu lassen, was dieser jedoch ablehnte. Er verwies darauf, dass Frank fordere, in Lublin endlich ohne Juden auszukommen. Also musste Mußfeldt sich ein neues Sonderkommando zusammensuchen – wieder aus sowjetischen Kriegsgefangenen: Sie arbeiteten an der Verbrennung der Leichen bis Weihnachten 1943.

Im November 1943 wurde hinter dem Feld V von derselben Firma Kori181 ein neues Krematorium in Betrieb gesetzt. Zwar war es schon im Juni fertiggestellt worden, lief bis Januar 1944 aber mit Unterbrechungen, wobei es von derselben Mannschaft sowjetischer Kriegsgefangener bedient wurde, die zuvor mit der Einäscherung alter Leichen beschäftigt gewesen war.

Als Mußfeldt am 6. April nach Birkenau versetzt werden sollte, bat er Martin Weiß, den neuen Majdanek-Kommandanten, diese 20-Mann-Truppe mitnehmen zu dürfen, damit sie in Birkenau „normal“ arbeiten könnten – sie könnten ja nichts anderes. Weiß schrieb mit der Bitte um Arbeit für diese 20 Mann sogar an den Kommandanten von Auschwitz, SS-Obersturmbannführer Liebehenschel. Entweder hatte Mußfeldt diesen ungewöhnlichen Transport persönlich begleitet, der am 16. April in Auschwitz ankam, oder zumindest empfing er ihn an der Rampe. Der Transport ist in allen drei Chroniken der Ereignisse festgehalten: in den beiden von Majdanek und in jener von Auschwitz. In allen drei werden sowjetische Kriegsgefangene – Mitglieder des Sonderkommandos – erwähnt, andere Berichte bestätigen sich allerdings nicht gegenseitig.

Dennoch wollen wir sie anführen. Laut Zofia Leszczyńska, der ersten Majdanek-Chronistin, ging am 13. April ein großer Transport von 4.200 Häftlingen nach Auschwitz, darunter 1.288 Frauen. In jenem Zug befanden sich auch drei sowjetische Generalmajore: Timofej Jakowlewitsch Nowikow, Georgij Wassiljewitsch Susmanowitsch und Dmitrij Michailowitsch Karbyschew – und zudem sowjetische Kriegsgefangene aus dem Sonderkommando. Die Letzteren wurden – wie auch die Frauen – laut Leszczyńska in Auschwitz getötet182. In einer anderen Chronik, jener von 1991, ist von 2.566 Menschen in dem Transport die Rede, davon 1.239 Männer, 1.287 Frauen und 40 Kinder183.

In der Auschwitz-Chronik von Danuta Czech finden wir zum 16. April Angaben, die gut zu dem passen, was Mußfeldt vor Gericht erzählte: Mit dem Transport aus Majdanek kamen 299 Juden (bei Mußfeldt: 275), zwei Kinder und 20 Mitglieder des Sonderkommandos (ein deutscher Häftling und 19 sowjetische Kriegsgefangene), wobei die Letzteren nicht getötet, sondern registriert wurden184. Empfangen wurde der Transport von Liebehenschel, dem Standortältesten und Lagerkommandanten von Auschwitz, der Mußfeldt an den Lagerkommandanten von Birkenau, Hartjenstein, verwies. Dieser erklärte, sie am Leben zu lassen, sei unmöglich, weil die Neuen vom Sonderkommando in ein wichtiges Staatsgeheimnis eingeweiht seien. Nachdem er auch beim Schutzhaftlagerführer Schwarzhuber kein Verständnis gefunden hatte, verabschiedete sich Mußfeldt von jedem Angehörigen „seines“ Sonderkommandos per Handschlag und fuhr nach Lublin, um seine Sachen zu holen.

Als er nach drei, vier Tagen nach Birkenau zurückkehrte, wartete eine Überraschung auf ihn. Liebehenschel, damals Standortältester, leitete ihn an Kramer weiter, den neuen Lagerkommandanten von Birkenau. Dieser ernannte ihn zum Chef der Krematorien IV und V – eine Entscheidung, die nachkorrigiert wurde: Der SS-Oberscharführer Peter Voss, Kommandoführer aller Gaskammern und Krematorien, und Otto Moll, Verantwortlicher für den Betrieb aller Krematorien (er war der unmittelbare Chef des Sonderkommandos), ernannten Mußfeldt zum Leiter der Krematorien II und III.

In den Krematorien IV und V traf er unerwartet auf die Mitglieder „seines“ Sonderkommandos, heil und unversehrt185. Hier setzte Mußfeldt dann durch, dass sie alle zu ihm in die Krematorien II und III versetzt wurden. Nachdem das gesamte Sonderkommando zur Arbeit in diesen Krematorien eingeteilt worden war, wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen zu ungefähr gleichen Teilen zur Unterbringung auf die Krematorien II, III und IV verteilt (das Krematorium V war unbewohnt).

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