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Hergang des Aufstands

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Laut dem neuen Plan sollte der Aufstand in den Krematorien IV und V beginnen – und zwar still und leise. Es war vorgesehen, Waffen in einem Kokskarren in die Krematorien II und III zu bringen. Doch nicht mal das klappte, vermutlich wegen Verrats durch Polen oder Deutsche aus dem Sonderkommando333. Als für den Aufstand geeignete Tage galten solche, an denen kein Transport an der Rampe ankam. Sonntag, der 7. Oktober, war so ein Tag. Doch auch an diesem Datum war der Aufstand unpassend.

Der SS-Oberscharführer Busch, einer der Chefs in den Krematorien IV und V, versammelte Anfang Oktober 1944 die Kapos dieser Krematorien und befahl ihnen, binnen 24 Stunden eine Selektionsliste für insgesamt 300 Mann zu erstellen. Angefertigt wurde diese Liste nachts. Der überwiegende Großteil der gelisteten Männer setzte sich erwartungsgemäß aus ungarischen und griechischen Häftlingen sowie allen sowjetischen Kriegsgefangenen zusammen, worauf Busch ausdrücklich bestanden hatte. Das war der Moment, an dem ein Aufstand unausweichlich schien. In aller Hektik gingen die polnisch- jüdischen Kapos ihre spärlichen Möglichkeiten gedanklich durch und entschieden sich letztlich doch dagegen, aufzubegehren. Zum Aufstand kam es dennoch, nur verlief dieser für die Aufständischen nach dem denkbar ungünstigsten Szenario. Über den Anfang, den Verlauf und die Niederschlagung des Aufstands sind Berichte erhalten geblieben – der erste ist wohl der, den Joschua Eiger 1945 verfasste334. Eigers Beruf – er war Elektriker – ermöglichte es ihm, sich relativ frei im Lager zu bewegen.

„An einem Septembertag 1944335 wurde ich nach Birkenau gerufen, über die Leitung des Lagers D. Ich befand mich im Zigeunerlager, das vom Lager D durch Stacheldraht getrennt war. Dort auf der anderen Seite wartete Jankiel Rosenzweig auf mich (er ist jetzt in Österreich). Er sagte, dass ich sofort zu ihm in den Block 8 des Lagers D gehen muss, was ich auch unverzüglich tat. Als ich dort ankam, sah ich die Mitglieder der Widerstandsorganisation: die Gebrüder Godel und Lejbl Silber, Jankiel Rosenzweig und Jankiel Handelsman336 sowie den Russen Filatow. Sogleich fing ein Streit an. Handelsman, ein Pariser (geboren im polnischen Radom), Vertreter der Widerstandsbewegung des Sonderkommandos, verlangte, dass der Aufstand, dessen Vorbereitung noch Zeit erforderte, unverzüglich durchgeführt werden müsse. Er erklärte, 200 Kameraden stünden auf einer Liste zum Abtransport und aus dem Sonderkommando führe nur ein Weg: ins Jenseits. Deshalb müsse der Aufstand sofort beginnen. Wir erklärten ihm, dass das unmöglich ist, weil noch nicht alles vorbereitet war, dass der Aufstand keinesfalls chaotisch und vom Plan abweichend durchgeführt werden darf. Das würde ein absoluter Fehlschlag werden, mit letztlich sehr vielen Opfern.

Nach langem Einreden ging Handelsman zurück, mit dem Versprechen, mit dem Aufstand zu warten, um die ganze Sache nicht zu gefährden. Wir unsererseits mussten alles Mögliche tun, damit die Kameraden aus dem Sonderkommando nicht abtransportiert würden.

Um drei Uhr nachmittags hörten wir plötzlich mehrere Explosionen. Bald darauf brannten die Gaskammer und das Krematorium IV. Schreie waren zu hören. Das waren die Kameraden aus dem Sonderkommando, die den Stacheldraht um das Lager des Krematoriums herum durchgeschnitten [haben] und rausgesprungen sind. Sie sind in alle möglichen Richtungen weggelaufen. Bald aber wurden die Jagdtruppen und die SS alarmiert. Sie haben die Jagd nach den Flüchtigen begonnen und das Feuer eröffnet. Die Wachposten der anderen Lager wurden sofort verstärkt, sodass man nichts unternehmen konnte. Rund 200 Menschen wurden erschossen – die Verletzten auch, weil sie schwiegen. Unsere Leute, Jankiel Handelsman und Josef Warszawski, waren unter den Verwundeten. Sie haben niemanden verraten und wurden erschossen.

Später haben wir erfahren, dass Bombenexplosionen im Krematorium als Startschuss dienten. Das waren Bomben, die unsere Leute für den Aufstand bereits vorbereitet hatten. Getan hat es Warszawski, unser Mann im Sonderkommando. Er konnte mit den Phosphorzündern umgehen. Durch sein undiszipliniertes Verhalten hat Warszawski den ganzen Plan zum Scheitern gebracht. […] Der Plan war anhand dessen erarbeitet worden, was wir über das Lager wussten. Und wir gingen davon aus, dass wir erfolgreich sein würden, obwohl auch offensichtlich war, dass es viele Opfer geben würde. Leider wurden unsere Pläne zusammen mit unseren Hoffnungen durch die Eile zunichtegemacht.“

Von diesem Bild unterscheidet sich jenes, das Miklós Nyiszli in seinem Buch aus dem Jahre 1946 entwirft, wesentlich. Demnach begann der Aufstand nicht am 7., sondern am 6. Oktober, nachdem Mengele befohlen hatte, den Leichnam eines am Morgen bei einem Fluchtversuch erschossenen Sowjetoffiziers zu obduzieren. Im Krematorium II, in dem sich der Obduktionsraum befand, ging alles seinen gewohnten Gang, das Sonderkommando aber verhielt sich auffällig: Die Männer arbeiteten gemächlich, tuschelten und trugen warme Kleidung. Es hatte sich nämlich rumgesprochen, dass am folgenden oder übernächsten Tag eine Selektion337 des Sonderkommandos zu erwarten war und dass ein Massenausbruch des Sonderkommandos noch in der Nacht angesetzt war mit dem Ziel, es bis zur Weichsel zu schaffen, sie im flachen Oktoberwasser an einer seichten Stelle zu überqueren und in die Partisanenwälder zu fliehen, die schon acht Kilometer vom Flussufer entfernt begannen und sich bis zur slowakischen Grenze erstreckten. Schon kurz vor zwei Uhr nachmittags aber erschallte eine Explosion, Schüsse aus Maschinengewehren waren zu hören, alle Krematorien waren von SS-Männern umzingelt. In den Krematorien II und IV stieß die SS auf bewaffneten Widerstand, wobei das Krematorium IV nicht gesprengt, sondern in Brand gesteckt wurde.

Im Krematorium II überlebten nur sieben Leute: der Bedienungsingenieur für die Dynamos und Ventilatoren, der Oberheizer mit seinem Pipel338 und, auf Mengeles Befehl, Nyiszli sowie drei seiner Assistenten. Von einem Unteroffizier der SS erfuhr Nyiszli dann, dass die SS aus der Politischen Abteilung nachmittags um halb zwei zum Krematorium IV gekommen war und mit der Selektion angefangen hatte: Hunderte ungarische Juden wurden in den Block 13 des Lagerbereichs B II d geschickt, den ehemaligen Block des Sonderkommandos. Danach wurden die griechischen Juden herausgegriffen. Als die SS aber anfing, die Nummern der polnischen Häftlinge auszurufen, wurde sie mit Molotowcocktails beworfen. Die SS-Männer eröffneten sogleich das Feuer, schossen auch auf die Griechen – die polnischen Juden verbarrikadierten sich indes im Krematorium und jagten es in die Luft. Alle griechischen und ungarischen Juden im Krematorium IV wurden erschossen und später auch alle anderen in allen vier Krematorien, wie Nyiszli berichtet.

Nur das Krematorium II schloss sich den Aufständischen an, wenn auch erst mit Verzögerung. In diesem Krematorium lagerten die meisten Waffen, die die Rebellen dann auch eingesetzt haben. Sie alle starben im ungleichen Gefecht oder wurden nach dem Kampf erschossen – alle außer den besagten sieben und weiteren zwölf Männern, die es doch tatsächlich geschafft hatten, die Weichsel zu durchqueren, bevor sie von einem polnischen Bauern verraten wurden. Sie wurden umzingelt und gefangen genommen. Offenbar setzten sie sich zur Wehr und wurden wahrscheinlich daraufhin erschossen. Nyiszli zufolge starben an dem Tag 853 Mitglieder des Sonderkommandos und 70 SS-Männer, darunter 18 Offiziere.

Nyiszlis Version unterscheidet sich von den anderen deutlich und in wichtigen Details: in der Art und Weise, wie die Rebellen ihre Waffen erhielten (laut Nyiszli wurden sie von polnischen Partisanen bei wilden nächtlichen Überfällen auf das Lager besorgt, die es in Wirklichkeit nie gegeben hatte), und in der Anzahl der Opfer339. Nehmen wir deshalb jene Version zum Ausgangspunkt, die Andreas Kilian mit Koautoren in „Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz“ auf Grundlage mehrerer Zeugnisse zeichnet. Dieses Bild ergänzen wir jedoch durch Details aus anderen Quellen, die von den Autoren nicht einbezogen wurden.

Das Wetter an jenem Samstagmorgen, dem 7. Oktober, war sonnig, der Himmel wolkenfrei. Um Mittag versammelte sich im Krematorium II, wo alle sowjetischen Kriegsgefangenen wohnten und zuvor auch Kaminski gewohnt hatte, der Planungsstab. Der Oberkapo Karl Töpfer hatte davon Wind bekommen und drohte, sie alle zu verpfeifen. Er wurde aber an Ort und Stelle gefasst, getötet und in den Ofen geschoben340. Am frühen Nachmittag, circa um 13.25 Uhr, sind auf dem Gelände des Krematoriums IV rund 20 SSMänner unter der Führung von SS-Oberscharführer Busch, SS-Scharführer Kurschuß und SS-Unterscharführer Gorges aufgetaucht. Sie machten sich an die angesetzte Selektion, der Reihe nach gemäß der Liste, angefangen mit den höchsten Nummern. Auf der Liste standen 170 Männer aus dem Krematorium IV und 154 aus dem Krematorium V, hauptsächlich griechische und ungarische Juden. Zum Appell erschienen nur 286 Menschen, weil acht Männer aus dem Krematorium V – unter ihnen Jakov Silberberg und Henryk Mandelbaum – damit beschäftigt waren, die unverbrannten Knochen zu zerstoßen. Circa 30 weitere Männer wurden noch vor Beginn der Selektion ausgegliedert und in einer Kammer des Krematoriums IV eingesperrt (unter ihnen Eliezer Eisenschmidt und zwei ungarische Ärzte: Havas und Peters, die sich aus Angst vor der Folter das Leben nahmen).

Als die SS mit der Liste fast durch war, wurde plötzlich klar, dass ein Teil der Gelisteten gar nicht da war. Die Schützen stürmten los, sie zu suchen. Und just in diesem Moment fiel der polnische Jude Chaim Neuhof, mit schätzungsweise 54 Jahren einer der Ältesten des Sonderkommandos, mit Hurrageschrei und einem Hammer über sie her. Sogleich klinkten sich andere ein und halfen Neuhof mit Hämmern, Äxten und Steinen. Zur gleichen Zeit fing das Krematorium IV Feuer: Jossel aus Bendzin341 hatte es in Brand gesetzt.

Um 13.50 Uhr wurde schließlich die Lagerfeuerwehr alarmiert. Um diese Zeit wurde die SS bereits durch anrückende Kräfte aus den Kasernen verstärkt und schoss gezielt auf die Aufständischen von geschützten Stellungen aus; viele der Männer im Hof des Krematoriums IV starben. Einem einzigen Häftling gelang es sogar, unter dem Stacheldrahtzaun in das benachbarte „Kanada“-Lager hindurchzukriechen und sich dort in dem Sortierblock 14 zu verstecken, er wurde aber von einem dort als Kommandoführer eingesetzten SS-Unterscharführer gefasst342. Als sie die Lage im Krematorium IV unter Kontrolle gebracht hatten, drängten die SS-Männer alle Sonderkommando-Mitglieder, die sich noch dort und im Krematorium V befanden, in den Hof und befahlen ihnen, sich reihenweise mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen: Jeder Dritte wurde erschossen, von den 324 Männern der beiden kleinen Krematorien überlebten am Ende nur 44.

In den beiden anderen Krematorien passierte Czech zufolge erstmal nichts. Dies lag teils daran, dass der Aufstand zu spontan ausbrach, als dass die anderen Krematorien hätten vorgewarnt oder benachrichtigt werden können. Der andere Grund war, dass die SS die Lage schnell, innerhalb einer halben Stunde, unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Als sie in der Ferne das brennende Krematorium sahen und die Schüsse hörten, dachten die Mitglieder des Sonderkommandos von Krematorium II – und allen voran die Russen –, dass der Gesamtaufstand begonnen hatte. Sie revoltierten und schoben den verhassten Oberkapo Karl Töpfer aus Majdanek in den brennenden Ofen343. Einen Weg zurück gab es danach für niemanden mehr. Ihr Krematorium in Brand zu stecken, ist ihnen aber nicht gelungen: Vielleicht war das Pulver feucht geworden. Sie durchtrennten den Stacheldraht und liefen in Richtung Königsgraben, am Frauenlager B I b vorbei. Sie schnitten auch dort den Stacheldraht durch, aber die gefangenen Frauen begriffen überhaupt nicht, was passierte344. Andere flohen indes und nahmen unterwegs noch Häftlinge aus jener Gruppe mit, die in der Kläranlage arbeitete, unter anderen den Bruder des Kapos Lemke Pliszko.

Derweil zog die SS ihre Kräfte am großen Krematorium zusammen. Allen, die aus dem Krematorium II geflohen waren (rund 100 Menschen), wurde der Weg nach Raisko abgeschnitten. Also verbarrikadierte ein kleiner Teil von ihnen, der bis dahin noch nicht erschossen worden war, sich in einer Scheune und machte sich kampfbereit. Dort starben sie schließlich, nachdem die SSMänner die Scheune angezündet hatten.

Geflohen waren nicht alle: Vier Angehörige des Sektionskommandos unter der Leitung von Nyiszli blieben im Krematorium II, ebenso einige Sonderkommando-Häftlinge – unter ihnen drei Männer (von Elusz Malinka befehligt), die versuchten, das Krematorium zu sprengen. Am Leben gelassen wurden nach Mengeles Einmischung ausschließlich dessen Häftlinge. Alle Mitglieder des Sonderkommandos aus diesem Krematorium – 171 Männer – starben entweder im Gefecht oder wurden später erschossen, egal, ob sie sich am Aufstand beteiligt hatten oder dem ausgewichen waren. Außer Handelsman starben alle Organisatoren des Aufstands bei dessen Durchführung. Er beobachtete den Hergang der Ereignisse aus dem Krematorium III gemeinsam mit Lewenthal, Langfuß, Buki, Venezia und anderen Mitgliedern des Sonderkommandos345. Dov Paisikovic ging zusammen mit sechs weiteren Männern an jenem Tag nach Birkenau, um die Suppe zu holen. Was sie da in dem Essensbehälter mitbrachten, war jedoch keine Suppe, sondern Benzin346. Das Benzin seinem Zweck entsprechend einzusetzen, gelang aber offenkundig nicht: Alle Mitglieder des Sonderkommandos unter der Führung von Kapo Lemke347 – insgesamt 85 Mann – waren vorher in der Goldgießerei und Werkstatt eingeschlossen worden.

Da entschloss sich Lewenthal, die Rolle eines echten Chronisten zu übernehmen: Am 10. Oktober beschrieb er nach Art eines Tagebuchs alle wesentlichen Ereignisse dieser heldenhaften drei Tage348. Angefangen hat er dabei mit der Betonung jener besonderen, wenn auch nicht eindeutigen Rolle, die in alledem die Russen spielten. Zu Beginn erzählt er von dem Vorfall, als wenige Tage vor dem Aufstand einer der sowjetischen Kriegsgefangenen349 von einem Unterscharführer der SS am Krematorium III erschossen wurde, nachdem er betrunken den SS-Mann angegriffen hatte. Danach machte das Gerücht die Runde, die Tage der anderen russischen Mitglieder des Sonderkommandos seien gezählt: Sie würden bei der nächsten Dezimierung des Sonderkommandos liquidiert.

Laut Cohen, Gabai, Venezia und anderen hatten sich die Handlanger aus dem Krematorium III am Aufstand nicht beteiligt350 und wurden auch nicht bestraft, jedoch gezwungen, die Leichen der anderen Mitglieder des Sonderkommandos zu verbrennen, die am Krematorium II ums Leben gekommen waren351. Die aufmerksame Lektüre Müllers und Lewenthals bringt einen indes auf den Gedanken, dass es nicht nur einen dritten Aufstandsherd gab – das Krematorium V, mit dessen Selektion ja alles seinen Anfang genommen hatte –, sondern auch einen vierten: das Krematorium III (ein Umstand, der bislang aus dem Blickfeld der Forschung geriet).

In der Nacht auf den 10. Oktober hatten die in dem Krematorium verbliebenen Rebellen unter der Führung von Handelsman und Wrobel offensichtlich versucht, vom Sprengstoff Gebrauch zu machen und das Krematorium II zu sprengen – sehr wahrscheinlich zusammen mit sich selbst352. Erst nachdem ihnen das misslungen war (möglicherweise ließ sie das feucht gewordene Schießpulver im Stich), wurden sie gefasst und mit den letzten sowjetischen Kriegsgefangenen aus Krematorium III zu vierzehnt353 ins Gefängnis der Lagergestapo im Stammlager354 geworfen.

Um das Feuer im Krematorium zu löschen, kam aus dem Stammlager eine aus neun Häftlingen bestehende Löschgruppe355. Sie wurden unfreiwillig Zeugen der letzten Phase der Niederschlagung des Aufstands und der Hinrichtung festgenommener Rebellen. Danach wurden diese Feuerwehrmänner in Richtung Raisko geschickt, um die Scheune zu löschen356.

Am Abend wurden die Leichen der geflüchteten Aufständischen auf das Gelände des Krematoriums II sowie V gebracht. Ein Vertreter des Lagerkommandanten hielt eine Ansprache, in der er allen mit Erschießung drohte, sollte erneut der Versuch einer Rebellion unternommen werden. Danach wurde in den Krematorien II und V die Arbeit wieder aufgenommen357.

Drei SS-Offiziere mussten an dem Tag sterben: die SS-Unterscharführer Rudolf Erler, Willi Freese und Josef Purke. Weitere zwölf SS-Männer wurden verwundet358. Mitte Oktober erhielten fünf Mitglieder der SS Eiserne Kreuze wegen Tapferkeit beim Verhindern eines Massenaufstands – der erste Fall, dass KZ-Personal mit dieser Auszeichnung geehrt wurde359.

Hier einige weitere Zeugnisse des Aufstands; jedes davon enthält Details, die in anderen Zeugnissen fehlen. So gab Dov Paisikovic 1964 im Frankfurter Auschwitz-Prozess an, es seien Sprengstoff, Handgranaten und Waffen vorbereitet worden und es habe einen einheitlichen Aufstandsplan für alle vier Krematorien gegeben. Der Aufstand habe jedoch im Krematorium IV spontan angefangen, vor der vereinbarten Zeit, ohne Absprache oder Koordination mit den anderen.

Meir Przemyslawski360 beschrieb den Aufstand, wie er davon von Genoch (Enoch) Kadlobski, ebenfalls Sonderkommando-Mitglied, gehört hatte. Als Signal zum Aufstand diente demnach angeblich eine Handgranate, mit der ein SS-Mann getötet wurde, der die Mitglieder des Sonderkommandos zur Arbeit trieb. Dann wurde der deutsche Kapo bei lebendigem Leib verbrannt, wonach die Aufständischen angeblich ins Lager stürmten und die Polen aufriefen, sich dem Aufstand anzuschließen (der Appell fand keinen Zuspruch). Von den 900 Männern des Sonderkommandos haben sich 200 am Aufstand beteiligt. 140 von ihnen starben bei Schusswechseln, einige flohen oder ertranken beim Versuch, den Wassergraben zu überqueren, der am Lager vorbeiführte, andere wurden getötet. Von außen wurde das Lager bewacht und stand unter ständiger Aufsicht: Unmittelbar um das Lager herum lebten keine Polen, sondern Deutsche. Nur zwölf Männer konnten sich retten, andere wurden hingerichtet361.

Eine weitere Quelle, wonach einige Mitglieder des Sonderkommandos sich vor den Verfolgern haben retten können, ist die Aussage von Karl Höcker, Adjutant des Lagerkommandanten Baer. Er behauptete, es seien die Griechen gewesen, die sich um circa zwei Uhr einen Schusswechsel mit der SS lieferten, um sie vom Krematorium fernzuhalten, das sie teilweise gesprengt hatten. 15 von ihnen schafften es demnach durch die Absperrungen in die Freiheit, 13 von ihnen waren bereits verwundet. Die Verletzten wurden natürlich gefasst und getötet – von den anderen beiden fehlte jede Spur, gefunden wurden sie nicht mehr362.

Zuverlässige Informationen bietet auch die Fluchtmeldung vom „Stadtrevier Auschwitz“ an die Gestapo-Dienststelle in Auschwitz. Am 7. Oktober um 19.15 Uhr waren demzufolge immer noch vier Sonderkommando-Männer auf der Flucht363. Den Tag des Aufstands hatten 169 Häftlinge aus dem Krematorium III überlebt, jedoch wurden kurz darauf 14 von ihnen festgenommen und im Lagergefängnis zu Tode gefoltert. So gab es nach dem 14. Oktober alles in allem 198 Überlebende – 155 aus dem Krematorium III sowie 43 aus den Krematorien IV und V364. Insgesamt belief sich die Anzahl toter Aufständischer auf 452 Menschen365.

Nach der recht eigentümlichen Ansicht von Werner Renz kann der Auschwitzer Aufstand nur mit Mühe und Not als heldenhaft bewertet werden – nach dem Motto: Die Juden aus dem Sonderkommando hätten sich nur aus purer Verzweiflung und Ausweglosigkeit erhoben, weil sie sowieso keine Lebenschance mehr hatten366. Auch Bruno Baum und Raul Hilberg warfen den Juden vor, der Aufstand sei zufällig, spontan und, wenn man so will, aus niederen Beweggründen ausgebrochen: Erst als der Tod den Männern aus dem Sonderkommando auf die Pelle gerückt sei, seien sie in den Kampf gestürmt; aus Solidarität mit den Opfern in den Gaskammern habe sich aber niemand erhoben.

Vorwürfe an das Sonderkommando richtet auch Hermann Langbein367: Der Aufstand möge zwar heroisch gewesen sein, doch sei er isoliert und allzu unorganisiert verlaufen. Zwar habe die Rebellion den Kampfgeist der jüdischen Häftlinge gestärkt, die Schlagkraft des polnischen Untergrunds habe sie (warum auch immer) indes geschwächt: Die von den Polen sorgfältig vorbereitete Flucht am 27. Oktober 1944 sei gescheitert und habe mit Hinrichtungen geendet368. Und deshalb, so der unerwartete Schluss von Langbein, seien die Waffen, die es im Lager gegeben habe (mögen sie auch primitiv gewesen sein), im Januar 1945 in Auschwitz ungenutzt geblieben. Wie nett es doch ist, die Juden auch noch dafür verantwortlich zu machen …

Briefe aus der Hölle

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