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Angst um mein Leben

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Ich hatte nicht nur Angst um meine Mama, ich hatte auch Angst um mich. Was würde aus mir werden? Ich wollte gerne ein zweites Kind bekommen. Konnte ich das jetzt noch? Durfte ich es? War da genug Kraft für zwei Kinder ohne die Unterstützung einer Oma? Hatte ich genug Kraft für zwei Kinder und eine kranke Mutter? Ich hatte eine Stelle mit mehr Verantwortung übernommen, würde ich das in Zukunft weitermachen können, wenn meine Mama Pflege bräuchte? Hätte ich genug Kraft und Zeit, um weiter so ehrgeizig arbeiten zu können? Wie sollte ich alles schaffen? Ich, die ihre Arbeit als Journalistin so sehr mochte, dass sie kaum in Elternzeit gegangen war und nun den täglichen Spagat zwischen Beruf und Kind lebte.

Meine Eltern wohnten weit weg, aber wenn ich Hilfe brauchte, hatten sie mir oft ihre Unterstützung gegeben. Wenn die Kita geschlossen hatte und ich arbeiten musste, kamen sie schon mal, um auf meine Kleine aufzupassen. Noch wichtiger war für mich jedoch immer gewesen, dass ich meine Mama um Rat fragen konnte, wenn ich nicht weiterwusste. Ob das nun ein Rezept für die Kohlrouladen war oder mein Gejammer über fehlende Krippenplätze, ich konnte sie anrufen und sie war für mich da. Wie sollte das jetzt werden? Sie brauchte mich doch, jetzt, wo der Alzheimer in ihr Leben gekommen war. Durfte ich da überhaupt noch ein Kind bekommen? Konnte ich tatsächlich weiterarbeiten? Würde ich Karriere machen können? Wieder einmal lange und weit weg reisen? Wie konnte ich mein Leben leben und gleichzeitig eine pflegende Tochter sein? Ich hatte all diese Fragen im Kopf und sie machten mir Angst.

Die große Panik befiel uns alle in den ersten Wochen und Monaten nach der Diagnose. Kopfschütteln, Tränen, Verzagen? Mir half das Weinen. Und es tat gut, dass wir als Familie zusammenkamen. Mein Bruder war da mit seiner Frau, ich mit meiner Familie. Wir saßen alle im Wohnzimmer, in stiller Erwartung, ein bisschen wie Heiligabend bei der Bescherung, bloß dass wir dieses Geschenk wirklich gerne zurückgegeben hätten. Ich saß neben Mama und hielt ihre Hand. Papa sprach. Meine Tochter turnte auf dem Sofa herum. Ich weinte, Mama weinte, bis auf meine kleine Tochter hatten wir alle Tränen in den Augen. ‚Wie soll es nun weitergehen?‘, das war die Frage, die wir versuchen wollten zu beantworten. Wir waren immer noch geschockt von der Diagnose. Wir weinten zusammen, aber doch jeder für sich. Wir sprachen nicht über die Gefühle, die uns zu Tränen rührten, und nicht über die Hoffnungen und Erwartungen, die wir damit begruben. Papa hatte sich darauf gefreut, mit Mama zu reisen, wenn sie in ein paar Jahren in den Vorruhestand gegangen wäre. Vielleicht hätten sie sein Traumland Island besucht, möglicherweise sogar wieder eine Lapplandwanderung gemacht und ganz bestimmt hätten sie Zeit in ihrem Lieblingsurlaubsland Schweden verbracht. Ich wünschte mir Unterstützung für meinen Alltag als berufstätige Mutter, mein Bruder wünschte sich eine eigene Familie. Und nun das: Alzheimer. Wir ließen unseren Gefühlen nicht so viel Raum, schließlich waren wir zusammengekommen, um meine Eltern zu unterstützen und mit ihnen über eine Lösung nachzudenken. ‚Wie soll es weitergehen?‘, diese Frage wollten wir beantworten. Aber wie will man Antworten auf eine Frage finden, wenn man keinen blassen Schimmer davon hat, wie genau die Umstände und Bedingungen sein werden? Was würde die Alzheimerkrankheit für Mama bringen? Die Zukunft war etwas, das hinter einem grauen Schleier lag.

In meinem Kopf tanzten die Gedanken Pogo. Soll ich zu meinen Eltern ziehen? Eine erfahrene Kollegin, deren Ratschläge ich sehr schätze, hatte gesagt: „Du darfst auf keinen Fall deinen Job aufgeben.“ Dieser Satz hämmerte in meinem Kopf. Ich hatte nicht ernsthaft daran gedacht, meinen Beruf aufzugeben. Ich lebte und liebte meinen Job als Journalistin: interessante Menschen treffen, Interviews führen und schreiben. Ich hatte immer selbstständig sein wollen. Ich wollte das nicht aufgeben. In meinem Kopf war aber auch der Wunsch und ein wenig die Verpflichtung: ‚Ich kann Mama nicht im Stich lassen, ich bin doch ihre Tochter.‘ Das Gedankenkarussell drehte sich in einem fort: Was ist mit meiner Arbeit? Was mit meiner Tochter? Was mit dem Leben, das ich mir in München eingerichtet habe? Ich kann doch nicht so einfach umziehen – und meiner eigenen kleinen Familie diese Entscheidung aufdrücken. Oder konnte ich doch? War es nicht sogar meine Pflicht als Kind?

Wir waren innerlich alle voller Panik und Sorge – und doch versuchten wir, einen Plan für das Ungewisse zu machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben aufzugeben. Und meine Eltern sagten klar, dass sie das auch nicht wollten. Aber ich wollte doch auch für sie da sein und ihnen zeigen, dass ich mich kümmern möchte und sie nicht alleinlasse. Aber mit der Distanz, die zwischen uns liegt, ist das natürlich nicht so einfach. Wir sprachen sehr vage über mögliche Lösungen. Sollten sie zu mir und meiner Familie ziehen? Oder zu meinem Bruder und seiner Frau? Keiner von uns hatte eine Wohnung oder ein Haus, in dem genug Platz gewesen wäre. Könnten sie weiter zu Hause bleiben, irgendwann mit entsprechender Unterstützung? Über einen möglichen Umzug in ein Pflegeheim sprachen wir nicht. Ich traute mich nicht einmal, das auszusprechen, und versuchte, diesen Gedanken zu ignorieren. Ich hatte kein schönes Bild von einem Pflegeheim im Kopf – und das, obwohl ich doch keine Erfahrung damit hatte. Wenn ich an ein Heim dachte, sah ich meine Mama vor mir, die alleine, hilflos und verwirrt im Gang eines Pflegeheimes umherirrte. Wir sprachen nicht über alternative Wohnformen wie ein Betreutes Wohnen oder Senioren-WGs, diese Möglichkeiten kannten wir damals noch nicht. Meine Mama war doch noch so jung. 55 Jahre alt – es wirkte absurd, dass wir über Altenheime entscheiden sollten. „Wir helfen euch“, versprachen mein Bruder und ich.

Papa wollte das Haus verkaufen, dann irgendwo in meine Nähe ziehen. Das hatten wir uns überlegt und es schien für alle eine Möglichkeit. Konkreter wurde dieser vage Plan nie, bis heute nicht. Vielleicht war das auch gar nicht wichtig in der Situation damals. Wichtig war, dass wir uns versichert hatten, dass wir eine Familie sind und uns unterstützen. Ja, die Diagnose Alzheimer war schrecklich. Aber: Mama war nicht allein und wir wollten sie unterstützen.

Mamas Alzheimer und wir

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