Читать книгу Mamas Alzheimer und wir - Peggy Elfmann - Страница 14
Über Alzheimer (nicht) sprechen
ОглавлениеIch informierte nicht nur mich, sondern auch den Rest der Familie. Ich schickte Zeitschriftenartikel an meinen Bruder und meine Eltern. Ich bestellte Broschüren über Alzheimer für sie. Es waren nicht nur medizinische Fragen, sondern auch jede Menge bürokratische, die uns beschäftigten und meinen Papa sorgten. Da war die Krankenversicherung, die die Kosten für das Medikament zunächst nicht übernehmen wollte – und wer sich damit auskennt, weiß, dass das deutlich höhere Kosten sind als eine Packung Kopfschmerztabletten. Da war ein Arbeitgeber, der diverse Atteste und Bescheinigungen forderte. Da waren weiterhin finanzielle Verpflichtungen von dem Haus meiner Eltern und die Sorge, ob und wie sie die in den kommenden Jahren begleichen könnten.
Wir sprachen viel über diese Art der Probleme und Papa fragte uns nach Rat. Wir fanden weniger Worte für unsere Gefühle und Gedanken. Und wenn wir sprachen, war da noch immer eine große Trauer und Hilflosigkeit. War es Unfähigkeit? Oder einfach der Versuch, so normal wie möglich weiterzuleben und der Alzheimererkrankung die Stirn zu bieten?
Wenige Wochen nach der Diagnose war ich auf einer Hochzeit eingeladen. Ein Studienfreund feierte und viele gute Freunde waren da, die ich aber schon länger nicht mehr gesehen hatte. Ich freute mich auf das Treffen, auch wenn ich tief innen traurig war. Ich freute mich auf die Ablenkung. Es war eine Trauung unter freiem Himmel. Es war ein Ort wie in einem Märchen, auf einer kleinen Anhöhe inmitten einer Klosterruine umsäumt von Bäumen. Es hatte etwas Magisches. Ich genoss es, meine Freunde so glücklich zu sehen. Aber nach ein paar Minuten fühlte es sich wie eine Trauerfeier an. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass es wie auf einer Beerdigung war, und von da an dachte ich nur noch an meine Mama. Ich konnte mich den ganzen Tag nicht mehr richtig entspannen. Auf dem Fest waren jede Menge Freunde, aber nur meine beste Freundin und mein Mann wussten von der Krankheit meiner Mama. Ich wollte den anderen nicht davon erzählen, wie es mir ging, und antwortete mit Banalitäten, wenn mich jemand fragte, wie es mir gehe und was ich so mache. Ich wollte nicht die Feier zerstören, vor allem wollte ich nicht weinen. Ich wollte einfach mal wieder fröhlich und unbeschwert sein.
Wie soll es weitergehen? Was heißt Alzheimer genau? Wir alle machten uns diese Gedanken, jeder machte sie mit sich aus. Dass Mama Alzheimer hat, erzählten meine Eltern nur engen Freunden und im Familienkreis. War es Scham oder Sorge, dass sie nicht weiter damit in die Öffentlichkeit gingen? Die Reaktionen auf Mamas Krankheit waren ganz unterschiedlich, aber sie zeigten, dass es den meisten unfassbar schwerfiel, damit umzugehen. Der Großteil sprach meiner Mama gegenüber liebe Worte aus, immer rücksichtsvoll und mit Vorsicht. Aber so mancher fand keine Worte. Meine Oma etwa, also die Mutter meiner Mama, sprach nicht darüber. Natürlich, auch sie hatte sich Sorgen um Mama gemacht, aber zwischen ihnen herrschte nicht diese zärtliche Nähe, die zwischen mir und meiner Mama immer war, und daran änderte auch die Diagnose Alzheimer nichts. Aber meine Oma und ich, wir waren uns immer nah gewesen. Wenn ich sie besuchte, versuchte ich die Vermittlerrolle zu übernehmen und erklärte, was Alzheimer ist. Ich hoffte, dass sie nicht nur verstehen würde, sondern dass meine Mama und ihre Mama einen Weg zueinander finden würden. Wenn ich meine Oma besuchte, brachte ich ihr Zeitschriften mit und erzählte von anderen Menschen, die Alzheimer haben. Meine Oma fragte wenig. War ihr bewusst, was Alzheimer war? Oder wollte sie nicht verstehen? Kam sie vielleicht gar nicht mit der Tatsache klar, dass ihre Tochter erkrankt war und sie, die doch viel älter war, bei bester geistiger Gesundheit? Mir fiel es ja schon schwer zu akzeptieren, dass meine Mama Alzheimer hatte, wie sollte es dann einer Mutter gehen, deren Tochter erkrankt ist? Was für eine verfehlte Laune der Natur.
Ich lenkte mich ab. Ich arbeitete viel. Ich wollte ganz dringend ein zweites Kind. Weil es ein Stück Normalität wäre inmitten der schrecklichen Diagnose, die auch mich getroffen hatte. Ich hoffte, dass es ganz schnell klappen würde mit dem Schwangersein, auch, damit meine Mama noch viel Zeit als Oma hätte. Damit sie eine Oma sein könnte, eine die kocht, spielt, strickt, vorliest – eine Oma, die sich kümmern kann, und nicht eine, um die man sich kümmert.
Mein Wunsch wurde wahr. Es waren keine drei Monate nach der Diagnose meiner Mama vergangen – und ich war schwanger. Die Zweifel kamen sofort: Wie sollte das werden mit dem Baby? Kann ich mich um Mama und Papa kümmern, wenn ich zwei Kinder habe? Durfte ich das überhaupt und war es nicht egoistisch, mein Leben weiterzuleben, wenn doch klar war, dass meine Eltern Hilfe bräuchten? Ich hatte Schuldgefühle deswegen und die Zweifel nagten an mir. Als ich von der Schwangerschaft erzählte, wurde das besser. „Ich freue mich so, dass du dich trotzdem getraut hast“, jubelte meine beste Freundin. Wie würden meine Eltern reagieren? Würden sie enttäuscht sein, dass ich sie im Stich lasse und ein Kind bekomme? Ich weiß nicht, warum ich das dachte, denn Papa hatte immer klargemacht, dass wir unser Leben weiterleben und uns nicht wegen ihnen einschränken sollten. Aber dennoch: Ich machte mir viele Gedanken um meine Pflichten als Tochter. Denn ich wollte so unbedingt eine gute, ja die perfekte Tochter sein. Meine Sorgen waren unbegründet. Als ich von meiner Schwangerschaft erzählte, freuten sich meine Eltern. Mama weinte vor Freude, mein Papa fand vor Rührung keine Worte. Ich nahm mir vor, die Zeit bis zur Geburt so gut wie möglich zu nutzen und Mama und Papa zu unterstützen. Vielleicht würde das auch für meine Eltern ein gutes Zeichen sein, das darauf hinwies: Alles wird gut.