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Auf der Suche nach Informationen

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Ich wollte gerne einen Plan haben. Ich wollte wissen, was da auf uns zukommen würde mit der Krankheit Alzheimer. Ich wollte wissen, was wir tun konnten. Also tat ich das, was ich als Journalistin am besten konnte: Ich recherchierte. Und ich recherchierte so gründlich wie nie zuvor. Ich suchte im Verlagsarchiv nach Artikeln über Alzheimer und Demenz und las, wie sich die verschiedenen Demenzformen unterscheiden. Ich bestellte Bücher und las bis in die Nacht hinein. Ich lernte, was die Unterschiede sind zu der normalen Vergesslichkeit, die im Alter bei fast jedem Menschen irgendwann auftritt. Dass sich Alzheimer nicht nur durch den Verlust der Erinnerungen und der Merkfähigkeit zeigt, sondern auch durch Probleme bei der Orientierung und Konzentration. Ich wollte all das wissen und saugte die Informationen auf wie ein Taschentuch, das man auf einen Wasserfleck legt. Ich hoffte, dieses Wissen würde mir einen Halt geben. Je mehr ich wusste, desto besser würde ich helfen können – und umso sicherer fühlte ich mich.

Ich wollte wissen, wie Alzheimer verläuft. Ärzte teilen den Verlauf in drei Stadien ein – von leicht über mittel bis schwer. Ich suchte nach Angaben zur Dauer der Phasen und fand ganz unterschiedliche und vage Aussagen. Ich wollte wissen, wie lange meine Mama mit Alzheimer leben könnte. Wie viel Zeit würden wir noch miteinander haben?

Ich suchte im Internet nach Medikamentenstudien und wollte wissen, welche Arzneimittel es gibt. War das, was Mama nahm, wirklich gut? Die Frage war eigentlich nicht, ob es gut war, sondern eher die: Gibt es etwas Besseres? Und die winzige Hoffnung, die jeder Betroffene, jeder Angehörige hat: Gibt es nicht vielleicht doch ein Wundermittel, das Alzheimer heilen kann? Mamas Arzt war klar gewesen: Medikamente können nicht heilen. Aber zu schön war die Vorstellung von einer Erfindung, die den Alzheimer verschwinden lassen könnte. Ich hing diesem Gedanken nicht sonderlich nach, ich wusste, dass er nur eine Fantasie war. Die Anwendung von Mamas Mittel schien simpel: Nicht geschluckt wurde es – sondern geklebt. Jeden Tag musste sie das Arzneipflaster wechseln und entweder auf dem Rücken, einem Arm oder dem Oberkörper platzieren.

Ich telefonierte mit einem Arzt, dessen Nummer ich über drei Ecken bekommen hatte und der in der Forschung bei einem großen Pharmaunternehmen arbeitete. Vielleicht wusste er ja von Mitteln, die gerade in der Erprobung waren und bald auf den Markt kommen würden. Wir sprachen lange über Behandlungsmöglichkeiten, und er bestätigte, was Mamas Arzt auch gesagt hatte: dass sie ein gutes Medikament erhielt, das sich in Studien bewiesen hatte. Das war einerseits enttäuschend, weil ich doch einen kleinen Hoffnungsschimmer hatte in puncto Wunderheilmittel, andererseits bestätigte es uns, dass diese Therapie geeignet war. Wir sprachen auch über solche Themen wie Umziehen. Ich wollte wissen, wie wichtig es für meine Mama wäre, in ihrer Heimatstadt zu leben, oder ob ein Umzug doch die bessere Variante sein könnte. Ich erinnere nicht mehr so viel von diesem Gespräch, aber der Satz „Irgendwann ist es egal, wo sie wohnen – sie suchen ihr Zuhause, finden es aber nicht mehr, auch wenn sie zu Hause sind“ hat mich lange beschäftigt. War das die Aussicht? Bislang war ich davon ausgegangen, dass das Zuhause immer ein sicherer Ort sein würde. Aber was, wenn meine Mama sich da nicht mehr wohlfühlen würde? Könnte sie es dann woanders?

Ich las über die Erfahrungen von anderen Betroffenen. Das gab mir ein bisschen Zuversicht. Zum einen zeigte es, wie konkret Menschen mit ihrer Demenz leben, und dass es ihnen auch gut geht. Bücher, die von Betroffenen selber geschrieben sind, imponierten mir besonders, denn irgendwie zeigte das ja, dass die Alzheimererkrankung vielleicht doch nicht so schlimm war. In jedem Fall merkte ich, dass Alzheimer nicht sofort Pflegeheim bedeutet. Dass sich das Leben trotz Alzheimer einfach weiterdreht.

Aber wie würde es weitergehen? Was müssten wir planen? Wie viel gemeinsame Zeit würde uns bleiben? Wie langsam oder schnell würde die Krankheit voranschreiten? Müsste Mama in ein Pflegeheim? Während ich mir diese Fragen stellte, schien meine Mama gesünder als zuvor. Ihre Augenringe und ihr Ausschlag um die Augen waren verschwunden, die sie in den vergangenen Monaten begleitet hatten. Es waren die Symptome, die uns denken ließen, dass irgendetwas nicht stimmte. An Alzheimer dachten wir allerdings nicht. Mama hatte viel gearbeitet, sie schien uns erschöpft und überarbeitet. Sie hatte sogar die Sommerferien abgewartet, um sich gründlicher untersuchen zu lassen. Sie wurde für zwei Tage ins Krankenhaus aufgenommen, aber das beunruhigte mich nicht besonders. Ich war mir sicher, dass die Ärzte die Diagnose Burn-out oder Depression stellen würden. Und ich war überzeugt, dass Ruhe und Entspannung das Einzige war, was Mama brauchen würde.

Doch nun: Alzheimer. Auch Wochen später hatte ich es noch nicht verstanden. Mama war manchmal sehr traurig, aber sie hatte auch Phasen, da war sie gelöst und fröhlich. Sagte das irgendetwas über die Prognose aus? Ich hoffte es. Mamas Arzt hatte sich sehr zurückgehalten. Auch erfahrene Ärzte könnten kaum den individuellen Krankheitsverlauf vorhersagen, meinte er. Manche Patienten leben 20 Jahre mit Alzheimer, andere nur zwei Jahre. Mit dem Medikament, so hatte Mamas Arzt erklärt, schreite die Krankheit langsamer voran. Man könne „ein bis zwei gute Jahre gewinnen“, sagte er. Aber was hieß das genau? Müsste sie für den Rest ihres Lebens diese Medikamente nehmen, für „ein gutes Jahr“? Und was war eigentlich „ein gutes Jahr“, wenn man die Krankheit Alzheimer hatte und das Vergessen und Zerfallen die Zukunft war? Mamas Leben würde sich verlängern, aber um welchen Preis? Würde sie ein schönes Leben haben können, trotz Alzheimer? Ich hatte so viele Fragen – und versuchte für mich, Antworten zu finden.

Mamas Alzheimer und wir

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