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Das Essen verlief zum größten Teil schweigend. David versuchte zwar hin und wieder, die Atmosphäre etwas aufzulockern, aber seine Tante quittierte das nur mit eisigem Schweigen.

Schließlich erkundigte sie sich: "Gibt es eigentlich in der Geschäftsführung von Carson Industries so wenig zu tun, dass du es dir leisten kannst, deine Tage hier zu vergeuden?"

David wirkte ziemlich erstaunt.

"Na, hörmal! Das hört sich ja fast so an, als wolltest du mich nicht hier haben!"

"Du weißt, dass ich das nicht so meine."

"Naja, das beruhigt dann aber..."

"Trotzdem - auch wenn ich mich für das aktuelle Tagesgeschäft nicht interessiere, weil ich nichts davon verstehe... Ich wüsste schon ganz gerne, wie es zur Zeit so läuft."

David hob die Schultern.

"Ich denke, dass die Krise bis Ende des Jahres überwunden sein wird", erklärte er. "Die Konjunktur erholt sich wieder. Du weißt ja, wie das ist. Es geht mal bergauf und mal bergab..."

Genaueres schien David nicht preisgeben zu wollen. Seine Tante versuchte noch ein paarmal, ihm weitere Informationen zu entlocken, aber David wich immer - wenn auch sehr charmant aus. Er war sehr diplomatisch darin. Aber schließlich erklärte er dann seufzend: "Tante Dorothy, du brauchst dir um deinen monatlichen Scheck, den du aus den Gewinnen des Unternehmens bekommst, keine Sorgen zu machen. Du würdest ihn auch dann noch bekommen, wenn mein Gehalt schon um die Hälfte gekürzt würde..." Er lachte.

"Ich finde das nicht zum Lachen, David. Und ich mag es auch nicht, wenn du dich darüber lustig machst."

"Entschuldigung."

"Gut."

"Aber du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen."

Damit schien das Thema erledigt.

Nachdem Charles, der Butler, angefangen hatte abzuräumen, war David so freundlich den Raum zu verlassen.

"Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mein übliches Zimmer hier beziehe, Tante Dorothy?"

"Nein, natürlich nicht."

David wandte sich dann an Sally. "Vielleicht sehen wir uns ja nachher noch. Ich nehme doch an, dass meine Tante nicht so unmenschlich ist, Sie die ganze Nacht durcharbeiten zu lassen."

Einen Augenblick später war er verschwunden. Dorothy wartete, bis seine Schritte im Flur verhallt waren. Man hörte ihn die Treppe hinaufgehen. Dann schickte sie auch Charles hinaus, der noch damit beschäftigt war, den Tisch abzuräumen. Sally fragte sich unwillkürlich, was die ganze Geheimnistuerei wohl sollte.

Jetzt saß die alte Dame ihr gegenüber und der falkenhafte Blick, der ihr zu eigen war, schien bis auf den Grund ihrer Seele blicken zu können. Sally fühlte sich unbehaglich.

"Ich möchte die Gelegenheit nutzen, eines klarzustellen, Miss Rogers: Ich bin es, der Ihr Auftraggeber ist. Ich und niemand sonst."

Sally war etwas verwirrt. "Sicher", nickte sie.

"Gleichgültig, was es auch sei: Sie werden meinem Neffen David nichts über Ihre Arbeit sagen."

"Wenn Sie es so wünschen."

Mrs Carson nickte. "Ja, ich wünsche es so", erklärte die alte Dame sehr unmissverständlich. "David braucht nicht zu wissen, wie viel die Bücher wert sind..."

"Von mir wird er nichts erfahren", versicherte Sally.

Währenddessen bedachte Dorothy ihr Gegenüber mit einem kalten abschätzenden Blick, der Sally ein wenig frösteln ließ. Es war ein eisiger, durchdringender Blick, mit dem die alte Dame sie bis den Grund ihrer Seele zu prüfen schien...

Aber Sally hielt dem Blick stand.

Dann entspannte sich das Gesicht der Herrin von Carson Manor ein wenig. Sie versuchte ein Lächeln, was ihr nicht sonderlich gelang.

"Sie werden sich vermutlich über mein Ansinnen etwas wundern, habe ich recht?"

Sally zuckte die Achseln.

"Es ist Ihre Sache. Sie brauchen mir keine Rechenschaft darüber abzulegen."

"Ich möchte aber", erklärte Dorothy. "Auch um Ihretwillen..."

"Um meinetwillen?" Jetzt war Sally perplex. Was sollte das denn heißen?

"David ist nicht der charmante junge Mann, als der er Ihnen vielleicht bis jetzt erschienen ist. Ich habe gesehen, wie er Sie angeblickt hat..." Die alte Dame sah Sally sehr ernst an und beugte sich etwas vor. "Wissen Sie, alle Welt wartet eigentlich nur darauf, dass ich sterbe und endlich dieses Anwesen unter den Hammer kann... Alle, die sich irgendeinen Vorteil davon versprechen, insbesondere meine Verwandtschaft."

"Aber David...", wollte Sally einwenden.

"Gerade David!", erwiderte Dorothy kalt. "Er sähe mich lieber heute als morgen tot oder in einer Irrenanstalt..."

"Nun, ich kenne Ihren Neffen noch nicht allzu lange..."

"Lange genug offenbar, dass er Sie bereits für sich eingenommen hat, Miss Rogers", war die düstere Erwiderung der alten Dame. Ihre Hände waren dabei wieder so sehr zusammengekrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten. "Das ist so seine Art. Aber lassen Sie sich davon nicht täuschen. Hinter seiner lächelnden, herzlichen Fassade steckt eiskalte Berechnung. Er ist ein Mann, der sehr talentiert ist - deshalb hat Arthur ihn auch seinerzeit bereits in sehr jungen Jahren in die Firma geholt. Aber er sucht nur seinen eigenen Vorteil. Und dafür würde er über Leichen gehen, wenn Sie diesen Ausdruck verzeihen..."

Sally konnte nichts sagen.

David, dieser nette, charmante Sunny-Boy in Wahrheit ein eiskaltes Monstrum? Kaum vorstellbar. Nein, Sally bildete sich einiges auf ihre Menschenkenntnis ein. Sie musste Menschen einschätzen können, wenn sie ihre Geschäfte für Jackson & Graves machte. Das war fast so wichtig wie die Sachkenntnis in Bezug auf Antiquitäten, wenn man Erfolg haben wollte. Und alles, was sie an Erfahrung hatte, sagte ihr, dass zumindest Davids Zuneigung ihr gegenüber ehrlich gewesen war...

"Haben Sie gerade zugehört, als ich David danach fragte, wie es mit der Firma geht?", fragte Dorothy.

"Ja."

"Er sagte, dass die Krise bald vorbei sei und ich mir keine Sorgen zu machen brauchte..."

"Das ist richtig."

"Aber es war eine Lüge, Miss Rogers! Im Wirtschaftsteil der Zeitung steht etwas ganz anderes! Carson Industries ist in Schwierigkeiten! Ich verstehe nichts von den Dingen, aber wenn man dem vertrauen kann, was in der Zeitung steht, dann haben diese Schwierigkeiten mit der Wirtschaftslage nichts zu tun, sondern mit Missmanagement!" Sie hob die Schultern und setzte dann bitter hinzu: "Sie sehen, er verkauft mich für dumm! Hat er Ihnen erzählt, dass er sogar schon einmal mit einem Psychiater hier war, um mich untersuchen zu lassen?"

"Nein."

"Charles, mein treuer Butler konnte das Schlimmste verhindern, sonst würde ich jetzt in einer Anstalt vor mich hindämmern - und David wäre fein raus. Man würde ihn vermutlich zu meinem Vormund bestimmen. Nach meinem Tod bekäme er ohnehin alles. Das hat Arthur leider so in seinem Testament bestimmt..."

Sally wusste nicht, was sie von alledem halten sollte, was Dorothy ihr da erzählte. Möglich, dass sie sich alles nur einbildete und unter Art Verfolgungswahn litt. Andererseits, wenn David tatsächlich versucht hatte, die alte Dame in eine Irrenanstalt zu bringen, dann warf das natürlich kein gutes Licht auf ihn.

Dorothy mochte etwas seltsam sein und ihre Ansichten darüber, ob man mit Verstorbenen in Kontakt treten konnte, waren sicher etwas unkonventionell. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass man sie nicht so leben lassen konnte, wie sie selbst dies wollte.

"Also - Schweigen Sie, Miss Rogers", hörte sie die Stimme ihrer Auftraggeberin. "Sagen Sie ihm nicht, wie viel die Büchersammlung wert ist. Das geht niemanden etwas an. David denkt ohnehin nur, dass ich sein zukünftiges Erbe sinnlos verprasse, wenn ich einen kleinen Teil davon zu Geld mache... Aber ich brauche nunmal dringend Geld..." Ein Ruck ging durch Dorothy Carson. Danmn sagte Sie: "Ich danke Ihnen, Miss Rogers, das war alles. Ich bin sehr müde und möchte mich jetzt zurückziehen."

"Gute Nacht, Mrs Carson", sagte Sally und sah der alten Dame nach, die bei der Tür noch einmal kurz stehenblieb und Sally einen Blick zuwandte, von dem diese nicht so recht wusste, was sie davon halten sollte.

Krimi Paket 10 Thriller: Mord ist kein Vergnügen

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