Читать книгу Die Coltschwinger kommen: Extra Western Sammelband 7 Romane - Pete Hackett - Страница 11

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Chad Kelly blickte nicht auf, als die Reiter hinter ihm ihre Gäule zügelten. Er kauerte auf den Absätzen, die Leine seines Schwarzbraunen in der Linken. Mit den Fingerspitzen der rechten Hand betastete er vorsichtig die Ränder des Hufabdruckes, der deutlich zwischen den Felsbrocken am Fuß eines steilen Hanges eingegraben war. Der Schatten des breitrandigen verstaubten Stetsons lag über Chads angespanntem sonnenverbranntem Gesicht. Seine Stimme klang so ruhig, als würde er bei einem Glas Bier in einem kühlen dämmrigen Saloon sitzen und nicht seit achtundvierzig Stunden auf der Fährte einer Mörderbande reiten.

„Wir haben aufgeholt. Die Spur ist nicht älter als zwei Stunden.“

„Das heißt, dass wir sie bald haben – und dich nicht mehr brauchen, Kelly“, meinte eine gepresste höhnische Stimme hinter ihm. Revolverhähne knackten.

Chad machte nicht den Fehler, wild herumzuwirbeln und vielleicht sogar noch zum Colt zu greifen. In diesem Land bedrohte man einen Mann nur mit der Waffe, wenn man auch dazu bereit war, den Finger am Abzug zu krümmen. Und in so einer Situation besaß der schnellste und treffsicherste Schütze keine Chance mehr. Also erhob Chad sich langsam, spreizte die Hände vom Körper ab und drehte sich dann erst vorsichtig um.

Will Bancroft starrte ihn über den im Sonnenlicht glänzenden Lauf seines Sixshooters hasserfüllt an. Neben dem Ranchersohn saßen der gedrungene Jube Dwyer und ein fuchsgesichtiger, verschlagen wirkender Kerl namens Ben Osborne auf reglosen Pferden. Osborne war einer von denen, die Chad auf seiner eigenen Ranch überfallen hatten. Er und Dwyer, der sich etwas darauf einbildete, als Freund von Tom Bancrofts Sohn zu gelten, hielten ebenfalls die Schießeisen in den Fäusten. Vom Rest der Verfolger war nichts zu sehen, außer einem dünnen Staubschleier über einem entfernten Felsrücken. Es würde noch eine Weile dauern, bis Tom Bancroft mit seinen Männern den Vorsprung des vorausgerittenen Scouts aufgeholt haben würde. Will grinste hämisch.

„Eigentlich solltest du ja dankbar sein, dass wir dich von diesem Job erlösen. Sicher hast du schon Sehnsucht nach deiner hübschen Greaserin. Na los, Kelly, steig auf. Wir werden dich ein Stück begleiten, damit du dich auch ja nicht in der Richtung irrst.“

Chad runzelte die Stirn. „Dein Vater ist nicht so dumm, dir nicht auf die Schliche zu kommen, Will.

„Soll er doch! Ich hab es langsam satt, immer nur nach seiner Pfeife zu tanzen. Jube und Ben denken ebenso. Außerdem hat der Oldman ja doch nur Jess, Larry und das Geld im Kopf. Dem ist es im Grunde doch egal, was mit dir passiert, Hauptsache, er kommt an sein Ziel. Zwei Stunden Vorsprung für Jefford? Was ist das schon? Wir sind auch nicht von gestern. Versuch lieber erst gar nicht, wieder den Unentbehrlichen zu spielen. Ich hab die Nase voll davon, immer brav hinter dir her zu reiten. Du wirst jetzt tun, was ich dir sage, Kelly, sonst liefere ich dich mit einem Loch im Fell bei deiner mexikanischen Hure ab. Aufsteigen! Aber zuvor schnallst du dein Schießeisen ab, sonst kommst du noch auf dumme Gedanken. Versuch ja keinen faulen Dreh. Ich bin nicht mehr sehr geduldig.“

Will bluffte nicht. Seine Haltung, jede Silbe von ihm, jede Linie in seinem verkniffenen unrasierten Gesicht verrieten seinen kaum noch zu bändigenden Hass. Es war nicht nur Rachsucht, die ihn so aufpeitschte. Der tiefere Grund seines Hasses war ihm selbst sicher gar nicht bewusst: Eifersucht. Die Wut darüber, dass sein Vater so große Stücke auf Kelly hielt und ihn, Will, den eigenen Sohn, wie ein Stück Dreck behandelte. Seit ihrem Aufbruch ließ Tom Bancroft den jungen Kerl bei jeder Gelegenheit fühlen, dass er ihn für einen Versager und Taugenichts hielt, für eine Null im Vergleich zu seinem ehemaligen Sattelpartner Chad. Wills Entschlossenheit, endlich abzurechnen, galt nicht nur Chad, sondern auch seinem eigenen Vater. Das alles schoss Kelly binnen einer Sekunde durch den Kopf.

Widerwillig öffnete er die Schnalle seines Coltgurts. Gurt und Waffe klatschten auf die Erde. Chad wusste, was ihm bevorstand, wenn Will und seine Freunde sich mit ihm auf den Weg machten. Aber seine Miene blieb kalt und ausdruckslos. Noch hatten sie ihn nicht. Noch wartete er verbissen und ohne sich etwas anzumerken lassen auf eine Chance – oder wenigstens auf den Anschein einer Chance.

„Gut so“, lobte Will höhnisch. „Ich wusste ja, dass du nicht den Helden spielen, sondern vernünftig sein würdest. Steig jetzt auf. Lass die Finger vom Gewehrfutteral. Ben, Amigo, nimm du seine Winchester. Weiß der Teufel, auf was für Gedanken er sonst noch kommt. Pass auf, Ben, dass du nicht in meine Schusslinie kommst. Sieh ihn dir an, er wartet nur darauf, mir an den Kragen zu gehen, auch wenn er glaubt, ich merke das nicht.“

Will lachte aufreizend. Er wartete nur darauf, dass Chad die Nerven verlor. Aber der breitschultrige Smallrancher war nicht mehr jung und hitzig genug, sein Leben leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Es war lange her, dass er um seinen Skalp hatte kämpfen müssen. Doch die Erfahrungen von damals waren tief in ihm verwurzelt. Nur ein Mann, der eiserne Nerven behielt, hatte vielleicht die Chance, aus so einer heiklen Klemme herauszukommen. Und außerdem: Conchita wartete auf ihn!

Schweigend stieg Chad in den Sattel. Ben Osborne lenkte sein struppiges Rinderpferd neben ihn. In dem Moment als der Fuchsgesichtige die Hand nach Chads Winchester ausstreckte, peitschte auf der felsigen Höhe über ihnen ein Schuss.

Chad spürte für den Bruchteil einer Sekunde einen glühenden Luftzug am Hals. Der bösartig scharfe Knall lag ihm noch in den Ohren, da verwandelte sich Osbornes nur eine Armlänge entferntes Gesicht in eine grausige, blutüberströmte Maske. Wie der Bancroft-Reiter seitlich von seinem ausbrechenden Pferd stürzte, sah Chad schon nicht mehr. Hastig zerrte er seinen Schwarzbraunen herum. Da blitzte es droben wieder aus dem Schatten zerklüfteter Felsen.

Chad fuhr in den Bügeln hoch und griff sich mit einem heiseren Aufschrei an die Brust. Sein Pferd stürmte los. Der große breitschultrige Mann kippte wie eine Stoffpuppe aus dem Sattel, schlug dumpf in den Sand, rollte aufs Gesicht und rührte sich nicht mehr. Staub, von wirbelnden Hufen emporgerissen, wirbelte über ihn hinweg.

Will und Dwyer hatten ihre Revolver hochgeschwungen, sahen aber kein Ziel. Die nächste Kugel von der Höhe warf eine Sandfontäne vor den Hufen von Wills Pferd hoch. Der Ranchersohn riss mit verzerrter Miene den Gaul herum. „Weg hier!“, schrie er Dwyer zu.

Der gedrungene, derbgesichtige Cowboy feuerte blindlings, dann gab es nur das Dröhnen der wild davonrasenden Hufe zwischen den Felsmauern und Geröllhalden. Wie von Furien gehetzt, preschten Will und Dwyer auf ihrer eigenen Spur zurück. Danach vergingen fast drei Minuten, bis auf der Höhe über Chads reglos hingestreckter Gestalt Steine kollerten.

„Verdammt, das wäre beinahe schiefgegangen“, brummte eine raue, missmutige Stimme. „Geh hinab, Juan, und sieh nach, ob es ihn auch richtig erwischt hat.“

„Bestimmt gut genug, dass er Bancroft nicht mehr auf unsere Fährte führen kann.“

„Das will ich hoffen. Sieh trotzdem nach. Du weißt, wie Ringo reagiert, wenn es an einer Arbeit auch nur ‘n Haar auszusetzen gibt. Beeil dich, Hombre. Ich pass schon auf, dass dich keiner überrumpelt. Ich behalte den Finger am Drücker, bis du wieder hier oben bist. Los, geh schon.“

Chad verstand jedes Wort. Seine Muskeln und Sehnen spannten sich unmerklich, als er die knirschenden Tritte den Hang herabkommen hörte. Sporen rasselten dazu. Der Mann fluchte auf mexikanisch leise vor sich hin. Ein verflixt mulmiges Gefühl breitete sich in Chads Magengegend aus. Er hatte bei seinem vorgetäuschten Sturz vom Pferd versucht, möglichst nahe an seinen am Boden liegenden Coltgurt heranzukommen. Aber seiner Schätzung nach war die Waffe noch mindestens zwei Yard von ihm entfernt. Er konnte es unmöglich riskieren, den Kopf auch nur einen Zoll zu heben, über den angewinkelten Arm zu blinzeln und sich davon zu überzeugen. Die Schurken, die es auf ihn abgesehen hatten, würden bestimmt keinen Augenblick zögern, nochmals die Abzugshebel ihrer Gewehre durchzudrücken. Das waren Kerle, denen ein Menschenleben nichts bedeutete, solange es nicht ihr eigenes war. Wahrscheinlich waren ihre Schießeisen die ganze Zeit auf ihn gerichtet. Er verwünschte seine eigene Hilflosigkeit, und vor allem verwünschte er Will und Dwyer, die mir nichts, dir nichts Reißaus genommen hatten, obwohl es sich nur um zwei Gegner handelte. Für einen Mann allerdings, der sich tot stellte und außer dem Messer im Stiefel keine Waffe besaß, war schon einer dieser Banditen ein Gegner zu viel!

Die sporenklirrenden Tritte verstummten neben ihm. Chad hörte den gepressten Atem des Verbrechers. Er konnte seine Nähe förmlich spüren. Ihm war, als müsste der Halunke sehen, wie sich seine Nackenhaare sträubten, wie seine Muskeln vibrierten. Chad musste alle Willenskraft aufbieten, um sich jetzt noch nicht herumzuwerfen. Er biss die Zähne zusammen, dass die Wangenmuskeln schmerzten. Bäche von Schweiß strömten über sein halb in den Sand gepresstes Gesicht.

„Gut getroffen, Hooker“, rief der Mann neben ihm zur Höhe hinauf. „Der ist hinüber.“

„Dreh ihn um, du Narr!“, kam die wütende Antwort.

Chad spürte eine knochige, klauenartige Hand an der Schulter. Damit hatte der Mexikaner bereits den entscheidenden Fehler gemacht. In dieser gebückten Haltung konnte er unmöglich noch mit dem Gewehr auf den am Boden Liegenden zielen. Und Chad wusste genau, dass die Schufte auf diese Entfernung nicht mit Revolvern, sondern mit Karabinern geschossen hatten. Alles ging rasend schnell. Chad fühlte kaum die Berührung, da warf er sich herum.

Der Gewehrlauf war schräg über ihm. Chads Fäuste schnappten wütend zu, entrissen dem überraschten Verbrecher die Waffe und schmetterten den Kolben in das verzerrte gelbliche Gesicht. Mit einem dumpfen Aufstöhnen kippte der Kerl rücklings aus seinem Blickfeld weg. Chad rollte zwei-, dreimal um die eigene Achse, und wo er eben noch gelegen war, hieb ein Schuss von der Felskuppe in die Erde. Chad schwang das Gewehr herum, drückte den Kolben an die Schulter, sah die schattenhafte massige Gestalt zwischen den Felsblöcken auf dem Hang und den Mündungsblitz, der aus einer Pulverdampfwolke hervorglühte.

Der Karabiner in Chads Fäusten krachte um den Bruchteil einer Sekunde früher. Chad repetierte blitzschnell und jagte zwei weitere Kugeln zur Höhe hinauf, jeden Schuss je eine Handbreit links und rechts vom ersten, um eine eventuelle Ungenauigkeit der fremden Waffe auszugleichen. Die Detonationen verschmolzen zu einem einzigen lang hallenden Donnerknall.

Chad rollte weiter, hebelte die nächste Patrone in den Gewehrlauf und sprang auf. Der Kampf war bereits entschieden. Droben bei den Felsblöcken war der bärtige Hooker auf die Knie gesunken. Langsam neigte er sich vornüber, bis seine Stirn die Erde berührte, dann fiel er schwer auf die Seite. Vorsichtshalber behielt Chad dennoch den Finger am Abzug, als er zu ihm hinaufhastete. Aber der massige Verbrecher würde nie mehr einem Mann gefährlich werden. Alle drei Kugeln hatten ihn getroffen. Sein Oberkörper war blutüberströmt. Chad ließ ihn liegen. Dem Bärtigen würde es egal sein, ob er ein Grab bekam oder nicht. Bancroft mochte das entscheiden.

Als Chad zurückkehrte, kniete der sichelbärtige Mexikaner am Boden und streckte gerade die Hand nach Chads Revolvergurt aus. Bancrofts Scout richtete mit grimmiger Miene den Karabiner auf ihn. „Das würde ich an deiner Stelle hübsch bleiben lassen, Hombre!“

Erschrocken zog der Kerl die Hand zurück und stand schwankend auf. Schwergewichtig ging Chad auf ihn zu. „Wie heißt du?“

„Juan Ortiz. Hören Sie, Señor, ich verspreche Ihnen …“

„Gib dir keine Mühe. Ich werde dich nicht laufen lassen. Du hast höchstens eine Chance, wenn du mir verrätst, wo ihr euch wieder mit Ringo Jefford treffen wolltet.“

Ortiz Antwort bestand darin, dass er dem Americano hasserfüllt vor die Füße spuckte. Mit einer Mischung aus Furcht und Wut in den Augen wich er zurück. Doch Chad verzog keine Miene. Die Beleidigung eines so hinterhältigen feigen Mordschützen konnte ihn nicht treffen. Chad brauchte den Mexikaner nicht lange in Schach zu halten. In donnerndem Galopp preschten Bancroft und seine Reiter zwischen turmhohen Felsklippen hervor. Will und Dwyer ritten neben dem hageren Rancher. Ihre Gesichter verrieten nur zu deutlich die Enttäuschung darüber, dass Chad noch lebte.

Im Nu war Ortiz von den fluchenden hartgesichtigen Weidereitern umringt. Tritte und Schläge trafen ihn, so dass er zwischen den stampfenden, Staub aufwirbelnden Hufen niederstürzte. Bancroft zügelte seinen Rotfuchs vor Chad. Seine hellgrauen Augen funkelten wie Eissplitter im ledrigen Gesicht. „Was ist passiert?“

Chad blickte flüchtig auf Bancrofts Sohn und den gedrungenen Jube Dwyer, die ihn geduckt und mit verkniffenen Gesichtern anstarrten. Es hatte keinen Sinn, Tom auch noch mit seinem eigenen Ärger zu behelligen. Will und Dwyer würden ja doch alles abstreiten. Chad hob gelassen die breiten Schultern. Seine Ruhe wirkte unerschütterlich. „Hat Will es dir nicht erzählt? Wir sind in einen Hinterhalt geritten. Osborne hat es erwischt …“

Bancroft entspannte sich ein wenig, als hätte er eine andere Antwort erwartet. Er schaute Will an. „Dein Glück, dass du mich diesmal nicht belogen hast. Vergiss nur ja nie, dass Chad nicht nur mein Kundschafter, sondern auch mein Freund ist.“

Will grinste sauer, spuckte aus und lenkte seinen Gaul herum. Inzwischen waren mehrere Cowboys abgesessen, hatten Ortiz hochgezerrt und ihm die Handgelenke mit Lederriemen zusammengebunden. Bancrofts Miene vereiste, als sein Blick auf den keuchenden Gefangenen fiel. „Hängt ihn auf!“, befahl er mitleidlos.

Dies war ein Land, in dem sich jeder seine eigenen Gesetze machte, um nicht vor die Hunde zu gehen. Sicher hätte Bancroft nur verständnislos den Kopf geschüttelt, wenn Chad ihm geraten hätte, den Banditen beim nächsten Sheriff abzuliefern. Hier gab es auf hundert Meilen im Umkreis keinen Gesetzesvertreter. Und Bancroft gehörte noch zu der Sorte Männer, die dieses wilde Land erobert und halbwegs erschlossen hatten, und die daran gewöhnt waren, sich immer selbst zu ihrem Recht zu verhelfen. Keinem von Bancrofts Reitern fiel es ein, auch nur eine Sekunde lang über den Befehl ihres Bosses nachzudenken. Eine Lassoschlinge senkte sich über Ortiz‘ Kopf. Die Männer hielten Ausschau nach einem Baum.

Chad legte eine Hand auf die Kruppe von Bancrofts Pferd und blickte in das verkantete Gesicht seines ehemaligen Sattelgefährten hoch. „Tu‘s nicht, Tom. Vielleicht brauchen wir ihn noch, wenn es darum geht, deine Söhne aus Jeffords wilder Crew herauszuhauen. Jetzt ist er noch verstockt. Aber weiß der Kuckuck, vielleicht bringen wir ihn noch zum Reden …“

Bancroft atmete tief durch. „Du hast wieder mal recht, Chad. Wir nehmen ihn mit. Aber wenn Jefford und seine Halunken Jess und Larry auch nur ein Haar gekrümmt haben, dann rettet auch diesen Dreckskerl nichts mehr vor dem Galgen, das schwöre ich dir.“

Will Bancroft, den sein Vater zur zweiten Nachtwache eingeteilt hatte, drückte gähnend seine Zigarette aus, als er leise angerufen wurde. Der gefangene Mexikaner, der ein Stück abseits von den anderen lag, hatte den Kopf gehoben und starrte angestrengt zu ihm herüber. Der Schweiß auf seinem sichelbärtigen Gesicht glänzte im bleichen Licht des Mondes. Außer den gleichmäßigen Atemzügen der in ihre Decken gerollten Schlafenden war sonst nichts mehr zu hören. Will packte das neben ihm an einem Felsblock lehnende Gewehr und ging langsam zu dem Gefesselten hinüber. Ortiz war an Händen und Füßen gebunden. Obendrein lag eine Schlinge um seinen Hals, deren Ende am knorrigen Stamm einer Krüppelkiefer verknotet war. Mit einem misstrauischen Stirnrunzeln blickte Bancrofts Sohn auf den schnell und gepresst atmenden Banditen hinab.

„Was willst du?“ Er wusste selber nicht, warum er seine Stimme dämpfte, so dass die anderen nicht aufwachten.

„Es ist Zeit, dass du mich endlich losbindest, Muchacho“, flüsterte Ortiz hastig. „Weiß der Teufel, ob sich sonst noch die Gelegenheit dazu ergibt.“

Will starrte ihn an, als hätte er nicht richtig gehört. Dann tippte er mit dem Zeigefinger an die Schläfe und wollte sich wortlos abwenden. Der Gefesselte bäumte sich auf.

„Warte, Compadre! Du willst doch nicht, dass deine Brüder gehenkt werden, oder? Weißt du denn nicht, was in Wirklichkeit gespielt wird? Haben sie dich nicht eingeweiht?“

Einen Moment stand Will so reglos und verkrampft da, als spürte er ein unsichtbares Messer an der Kehle. Dann drehte er sich mit seltsam starrer Miene abermals dem Gefangenen zu. „Du redest chinesisch, Hombre … Bis jetzt versteh ich kein Wort.“

„Madonna mia! Nicht so laut, Muchacho!“, keuchte Ortiz. „Ich werde dir alles sagen, aber zuvor binde mich los. Du bist doch aus demselben Holz geschnitzt wie Jess und Larry. Du willst dir doch einen Anteil an den vierzigtausend Dollar nicht entgehen lassen. Also, mach schnell, und ich verspreche dir …“

„Na, na, nur nicht so ungeduldig!“, knurrte Will leise und kauerte sich neben dem Mexikaner auf die Hacken nieder. „Bis jetzt seh ich nicht ein, warum ich dich davor bewahren sollte, eines Tages doch an einem dicken Ast aufgeknüpft zu werden. Schließlich hast du meinen Freund Ben Osborne auf dem Gewissen.“

„Hooker hat geschossen, nicht ich. Die Kugel galt Kelly, eurem Scout. Menschenskind, Hombre, ich weiß doch, dass es dir auf der Ranch deines Vaters genauso dreckig geht wie Jess und Larry. Wenn du erst …“

„Rede, verdammt noch mal!“ Ein wildes Flackern war plötzlich in Wills Augen. Nun glänzten auch winzige Schweißperlen auf seiner Stirn. Ortiz streckte ihm die gefesselten Hände hin.

„Binde mich los!“

„Den Teufel tu ich, solange ich nicht weiß, um was es geht!“

„Hast du‘s noch immer nicht kapiert?“, zischte der Mexikaner. „Es geht um Geld, um eine Menge Geld! Auch für dich sind ein paar Tausender drin, wenn du dich auf die Seite deiner Brüder schlägst!“

Will brachte sein verkniffenes, zuckendes Gesicht noch näher an den Gefangenen heran. Seine Fäuste umklammerten mit aller Kraft das Gewehr. „Mann!“, keuchte Will. „Möchtest du mir etwa einreden, dass Jess und Larry mit Jefford gemeinsame Sache gemacht haben? Bist du verrückt?

„Der Narr bist du! Ich dachte, du würdest deine eigenen Brüder besser kennen. Ich sage nur die Wahrheit. Ja, zum Teufel, Jefford hat Jess und Larry nicht als Geiseln mitgenommen, wie dein Vater glaubt. Sie sind freiwillig bei ihm, denn sie wollen sich ihr Stück vom großen Kuchen nicht entgehen lassen. Wenn du so dumm bist, darauf zu verzichten, dann ist dir nicht zu helfen.“

„Du lügst, verdammter Greaser!“

„Und du hast Angst vor der Wahrheit! Angst, mich laufenzulassen, weil du denkst, dein Vater könnte dahinterkommen! Scheint, ich habe mich in dir geirrt. Du bist nicht so wie deine Brüder. Du kannst ihnen nicht das Wasser reichen.“

„Hölle und Verdammnis, wie redest du mit mir!“

„So, wie du‘s verdienst! Wenn du lieber unter der Knute deines Alten leben und dich auf eurer Ranch zu Tode schinden willst, anstatt in Mexiko als freier, reicher Hombre die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen, dann tust du mir direkt, leid. Jess und Larry waren schlauer. Denen war kein Preis zu hoch, um endlich alles abzuschütteln, was ihnen nicht in den Kram passte. Ohne sie wäre Jefford nie an den Zaster ‘rangekommen. Umgekehrt hätten deine Brüder allein mit dem Geld nie die Grenze erreicht, denn Jefford wäre wie der Teufel hinter ihnen her gewesen. Also einigten sie sich darauf, die Sache gemeinsam zu deichseln. Es hat sich für beide Seiten gelohnt, und es wird sich auch für dich lohnen, wenn du mitmachst.“

Will leckte sich den Schweiß von der Oberlippe. In seinem hageren Gesicht arbeitete es heftig. Er warf einen gehetzten Blick auf die Schläfer, aber keiner hatte etwas gemerkt. Ortiz raunte: „Diablo, worauf wartest du noch?“

Will schüttelte den Kopf. „Wenn ich gemeinsam mit dir verschwinde, weiß der Alte gleich, was es geschlagen hat.“

„Binde mich los, gib mir ein Pferd, und ich werde schon dafür sorgen, dass deine Brüder dich nicht leer ausgehen lassen.“

„Hm, da halte ich es schon für besser, du bleibst ebenfalls hier, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ich trau dir nicht, Greaser, auch wenn du die Wahrheit gesagt hast, was Jess und Larry betrifft.“

„Willst du riskieren, dass es deinem Oldman einfällt, mich morgen oder übermorgen doch noch aufzuknüpfen?“, keuchte der Mexikaner.

Will grinste tückisch. „Das ist dein Risiko, Freundchen, nicht meines. Ich weiß jetzt, was los ist. Das genügt mir.“

„So! Glaubst du! Aber was dann, wenn auch dein Vater erfährt, welches Spiel hier eingefädelt wurde, eh? Wenn ich ihm obendrein sage, dass ich dich eingeweiht habe, du aber geschwiegen hast? Willst du es auch darauf ankommen lassen, Gringo?“

„Der Teufel soll dich holen! Also gut, ich lasse dich frei.“

„Dann beeil dich. Nimm dein Messer und schneide mich los.“

„Damit jeder gleich merkt, dass noch einer die Finger im Spiel hat? Werd mich hüten! Ich werde deine Fesseln lockern, dass du selber freikommst. Dann sieh zu, dass du ‘n tüchtigen Gaul erwischt und verschwindest. Aber lass die Finger von dem Braunen mit der Stirnblesse. Der gehört mir. Mach dir nichts draus, wenn ich zum Schein hinter dir her schieße. Ich werde sowieso genug Scherereien haben, wenn du ausgerechnet während meiner Wache verduftest.“

„Bueno, bueno, mach endlich voran.“ Ortiz fieberte vor Ungeduld.

Will hantierte an seinen Fesseln. Dahn zog er sich lautlos zu seinem alten Platz bei dem Felsblock zurück. Er vergaß nicht, seine Spuren mit einem abgebrochenen Zweig zu verwischen. Seine Finger zitterten unmerklich, als er sich wieder eine Zigarette drehte. Die Blicke aus seinen im Hutschatten verborgenen Augen wanderten unablässig zwischen Ortiz dunkler geschmeidiger Gestalt und den wie Deckenbündel aussehenden Schläfern.

Es dauerte nicht lange, bis der Mexikaner sich geduckt aufrichtete. Er hatte seine Sporen abgeschnallt. Kein Laut war zu hören, als er auf den Zehenspitzen in Richtung Pferde schlich. Währenddessen brannte sich Will die Zigarette an. Ortiz blieb stehen, blickte zu ihm her und deutete mit einer fragenden Gebärde auf Bancrofts Rotfuchs. Will nickte zustimmend.

Kaum hatte sich der Bandit jedoch wieder in Bewegung gesetzt, da schwang der Ranchersohn sein Gewehr hoch. „Halt, du Schurke, stehenbleiben!“, brüllte er.

Die schlafenden Männer fuhren hoch und griffen zu den neben ihnen liegenden Waffen. Ortiz hatte entsetzt den Kopf herumgerissen. Ein Feuerstrahl peitschte aus Wills Gewehr. Der Mexikaner stieß einen gellenden Schrei aus, drehte sich um die eigene Achse und fiel. Die Pferde wieherten und stampften. Heisere, schlaftrunkene Rufe schallten. Ortiz versuchte sich aufzurichten. Blut lief über seinen Rücken. Will machte rasch einige Schritte auf ihn zu, hob abermals die Winchester und feuerte. Die Kugel durchschlug den Kopf des Mexikaners. Haltlos sackte der gekrümmte Körper zusammen.

Mit unbewegter Miene setzte Will die Waffe ab. Nur ein feiner, kaum sichtbarer Nerv zuckte unter seinem rechten Auge. Er blickte den Rancher an, der wie die anderen den Colt in der Faust hielt. „Der Bastard wollte türmen. Weiß der Satan, wie er es geschafft hat, von seinen Fesseln loszukommen.“

Chad, der sich über die niedergeschmetterte Gestalt des Banditen gebeugt hatte, richtete sich langsam auf.

Seine Stimme klang wie brechendes Eis. „Die erste Kugel hätte genügt. Er wäre nicht mehr weit gekommen.“

Als alle Blicke sich auf Bancrofts Sohn hefteten, zuckte der nur die Achseln.

Die Coltschwinger kommen: Extra Western Sammelband 7 Romane

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