Читать книгу Gesetz der Banditen: Western Bibliothek 15 Romane - Pete Hackett - Страница 57

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Knarrend bewegt sich die Tür. Eine lange Lichtbahn durchbricht die Nacht. Das zerschmetterte Windradgerüst wird jäh aus der Dunkelheit gerissen.

Sharleen tritt neben der Tür an die Wand, hebt das Gewehr und repetiert es, wobei ein schnappendes, hartes Geräusch entsteht.

„Wer ist da?“, fragt sie.

Stiefel schleifen durch den Sand. Dann taucht eine abgerissene, zusammengesunkene Gestalt in der Lichtbahn neben dem Brunnen auf. Zuerst ist im Licht nur ein ausgefranster Stiefel zu sehen. Dann zwei. Dann die Beine und die durchlöcherte Hose eines Mannes. Und dann steht er ganz in der Helligkeit; zusammengesunken, stoppelbärtig und schmutzig. Fast nur noch ein kleiner Rest des Mannes, der vor Monaten fortgeritten ist, ohne zu wissen, was er eigentlich will.

„Jim?“, fragt Sharleen ungläubig und lässt das Gewehr ein paar Zoll sinken. Schwankend bleibt er stehen.

„Ja“, sagt er. „Ich bin es, Sharleen.“

Sie stellt das Gewehr vorsichtig an die Wand, als hätte sie Angst, ein zu lautes Geräusch zu verursachen. Dann geht sie auf ihn zu und greift nach seiner Hand, als müsste sie sich erst davon überzeugen, ob noch Leben in ihm ist.

„Ja, Sharleen, ich bin es“, sagt er noch einmal. Und dann lässt er sich von ihr ins Haus führen, steht im grellen Licht der Hurrikanlaterne und hört sie rufen: „Du bist verletzt!“

Er spürt, wie er nickt, während er daran denkt, dass ihm die Fußsohlen wahnsinnig brennen. Zugleich glaubt er aber auch, hier in Sicherheit zu sein. Und dieses Gefühl verdrängt alles andere, auch die Anspannung der letzten zwei Tage, in denen er sich wie ein Tier auf der Flucht befand, ohne Pferd und ohne Waffe, ständig von der Furcht begleitet, von ihnen gesehen und eingeholt zu werden.

Jim Durbin sieht noch die Nebelwand, die scheinbar direkt aus der Wand kommt und auf ihn zurast. Da knicken seine Beine schon ein und seine Sinne verwirren sich. Den Schlag, mit dem sein Körper den Boden berührt, spürt er nicht mehr. Und auch Sharleens Schrei weht an seinen Ohren vorbei.

Als er zu sich kommt, ist es draußen heller Tag. Sonnenstrahlen irren durch das Fenster und spielen in seinem Gesicht. Zuerst spürt er das Brennen in den Fußsohlen wieder. Dann sieht er Sharleens Gesicht und vergisst alles andere.

„Du bist krank, Jim“, hört er sie sagen.

Seine Blicke suchen durch den Raum, tasten die offene Tür ab und kehren zum Gesicht des Mädchens zurück. Er bemerkt auf einmal die Linien, die sich rechts und links ihrer Mundwinkel eingegraben haben.

„Wo ...?“ Er bricht ab, als sie den Kopf senkt und Tränen über ihre Wangen rinnen. Ein Schauer jagt über seinen Rücken. Mit einem Sprung steht er auf den Beinen. Heftige Schmerzen durchzucken ihn. Er sieht, dass die Tränen von ihrem Kinn tropfen und in dem groben Kattunkleid unsichtbar verschwinden. Es beginnt in seinen Ohren zu rauschen und er denkt, dass er nun gleich wieder umfallen wird. Er sieht, dass sie den Mund bewegt und etwas sagt, das er aber nicht versteht.

Plötzlich verklingt das Rauschen und er hört Sharleen noch sagen: „... es ist schon über einen Monat her, Jim.“ Sie hat den Kopf gehoben und schaut ihn an. Die Tränenströme auf ihren Wangen sehen wie silberne Bäche aus. Er geht taumelnd an ihr vorbei, durchquert den vorderen Raum und steht draußen im Hof. Hinter dem Corral, in dem vielleicht fünfzig junge Rinder stehen, sieht er einen abgeflachten, bemoosten Stein und daneben zwei Präriehunde, die vor ihrem Bau sitzen und gegen die Sonne blicken. Ein paar Meter links davon steckt schief ein aus zwei Latten und mit einem Rohlederriemen zusammengebundenes Kreuz in der Erde.

„Ja, dort“, sagt Sharleen hinter ihm und er spürt ihren warmen Atem, der seinen Nacken streift. Seine Beine schmerzen nicht mehr, als er weitergeht. Er sieht die Präriehunde eilig im Büffelgras verschwinden. Als er vor dem flachen länglichen Grabhügel stehenbleibt, weiß er, dass er damals hätte hierbleiben müssen. Alles war Wahnsinn gewesen. Er war hinter vier Männern her gewesen, um ihnen fünfzig Dollar abzujagen. Ja, um fünfzig Dollar war es gegangen. Heute und jetzt vor diesem Grabhügel weiß er es ganz genau. Und nun hat er die fünfzig Dollar nicht einmal bekommen. Aber wahrscheinlich sind sie auch sehr unwichtig.

„McBee war schon dreimal hier“, sagt Sharleen, die ihm gefolgt ist.

Jim nickt, ohne etwas zu entgegnen.

„Ich habe ihn immer wieder fortgeschickt“, redet das Mädchen weiter. „Vorgestern bot er mir zweitausend Dollar für alles an.“

Er wendet sich um, greift nach ihrer Hand und geht mit ihr zum Haus zurück.

„Und was hast du ihm geantwortet?“

„Er soll in einem Monat wiederkommen. Aber er meinte, dass er nicht so lange warten kann. Sein Vieh würde die Wasserstellen auf unserem Land brauchen, die nur brachliegen. Er will in ein paar Tagen wiederkommen, und dann soll ich mich entschieden haben.“

Als sie im Haus sind, setzt sich Jim an den Tisch und starrt zum Fenster hinaus.

„Ich habe immer gehofft, dass du zurückkommen würdest“, spricht das Mädchen weiter. „Jim, hörst du nicht?“

„Doch, Sharleen.“

Sie kommt an den Tisch und stellt sich so, dass er nicht an ihr vorbeischauen kann.

„Du bleibst doch?“

Er möchte ihr sagen, dass da noch eine Sache dringend zu erledigen ist, die nur er erledigen kann. Zugleich weiß er, dass sie das wie ein Keulenschlag treffen muss.

„Ja, Sharleen, ich bleibe“, hört er seine Stimme und fragt sich, ob er das wirklich ist. Doch als er sieht, wie sich der Ausdruck ihres Gesichts aufhellt, da weiß er, dass er es wirklich gesagt hat und nun nicht mehr zurückholen kann.

Er hat das Windradgerüst erst zur Hälfte aufgerichtet, als sie kommen. Sie sind ein Dutzend Reiter. Allen anderen voran kommt McBee, der Mann, der sich hier im südlichen Kansas ein Weideimperium aufgebaut hat. Er sitzt auf einem großen Fuchswallach, die schrankbreiten Schultern nach oben gezogen und den eckigen Kopf gereckt. Die silbernen Nägel, mit denen sein prächtiger McClellan Sattel verziert ist, funkeln im Sonnenlicht. Der Ausdruck seines Gesichts ist finster und verschlossen, als er auf Jim Durbin blickt.

Sie kommen genau bis zum Brunnen, dann hebt George McBee die Hand. Seine Reiter halten an, ziehen die Hüte von den Köpfen und schlagen sie über die ledernen Chaps, so dass ihre Gesichter in erdbraunen Staubwolken verschwinden. McBee ist noch eine Länge näher herangekommen, hält an und stützt sich auf die Sattelhornplatte. Er blickt von Jim auf Sharleen, die in der Tür aufgetaucht ist. Dann schaut er zu Jim zurück, und plötzlich stößt er ein glucksendes Lachen aus, das abrupt endet. Danach scheint sich sein Gesicht zu versteinern.

„Da bist du also wieder“, knurrt er. „Warum bist du nicht gekommen, um dich in mein Buch schreiben zu lassen? Du weißt doch, dass ich im Frühjahr immer gute Reiter suche.“

„Vielleicht will ich nicht mehr in deinem Buch stehen, McBee“, gibt Jim kühl und gedehnt zurück.

McBees gewaltige Gestalt reckt sich höher. Der große Fuchswallach beginnt unruhig zu tänzeln, aber ein Schlag des Ranchers lässt ihn sofort wieder stillstehen. Ein Blitzstrahl schießt aus McBees Augen.

„Warum willst du nicht mehr?“, keift er.

„Ich habe hier meine Arbeit, McBee.“

McBee steigt langsam aus dem Sattel, macht die kurze Reitgerte vom Horn los, wo sie in einer Schlaufe hing, und schlägt sich gegen den linken Texasstiefel, während er näherkommt.

„Ich dachte, du hättest vielleicht etwas gegen mich“, murmelt er scharf. „Vielleicht wegen Clint. Oder sagen wir wegen Tyren, dem kleinen Bastard.“

Jim spürt, wie sich seine Haltung versteift. Und auf einmal liegt seine rechte Hand auf dem Colt Alan Stewarts, den er an der Hüfte trägt.

„Ty ist tot“, sagt er gefährlich leise. „Wenn du ihn noch einmal einen Bastard nennst, werde ich dich töten, McBee.“

Der Rancher macht einen Schritt rückwärts. Es scheint, als würde er nichts an der Drohung lächerlich finden.

„Woher weißt du denn das?“

„Das spielt doch keine Rolle, McBee. Ich weiß es eben.“

„Dann weißt du wohl auch, wer in der vorletzten Nacht Dynamit zwischen meine Herde am Arkansas River geworfen hat, wie?“

Jim zuckt zusammen. Er sieht, dass Sharleen bleich geworden ist. Seine Hand, die immer noch auf dem glatten Kolben des Frontiercolts liegt, ist feucht, und auch auf seiner Stirn brennt Schweiß, der ihm in die Brauen rinnt.

„Davon weiß ich nichts“, stößt er gepresst hervor.

„Dann will ich es dir sagen, Durbin: Es war dein Bruder! Dein sauberer Bruder, der ein Bandit geworden ist! Wo hast du ihn getroffen? Du weißt doch, dass sich eine Menge Leute für den Ort interessieren, an dem er sich versteckt hält. Ich gehöre zu diesen Leuten, denn am Arkansas habe ich fast hundert Rinder verloren.“

Jim sieht den Fleischberg von einem Mann wieder näherkommen. Er möchte zurückweichen, aber es ist, als wären seine Stiefelsohlen an den sandigen heißen Boden festgenagelt. Und dann bleibt McBee dicht vor ihm stehen. Sein Atem weht Jim direkt ins Gesicht, und die funkelnden Augen scheinen ihn verbrennen zu wollen.

„Wo?“, schreit McBee. Es klingt, als hätte einer seiner Reiter mit der Bullpeitsche geknallt.

Jim hat den Colt schon halb aus der Halfter. Und als McBee das sieht, geht er rückwärts. Er wendet sich an das Mädchen und sagt: „Wie ist es nun?“

„Ich verkaufe nicht, Mister McBee.“

„Das dachte ich mir.“ Er steigt auf sein Pferd, wendet sich wieder an Jim und fährt fort: „Da ist noch etwas, das du anscheinend vergessen hast, mein Junge. Ich habe dir fünf Dollar Vorschuss gegeben. Die musst du bei mir noch abarbeiten. Und zwar musst du dafür vier Tage für mich reiten. Ich erwarte dich morgen bei Sonnenaufgang vor meinem Bunkhaus. Wenn du nicht kommst, holen dich meine Leute. Es kann sein, dass ihnen das Spaß machen würde.“ McBee wirft sein Pferd auf der Hinterhand herum und jagt an seinen Männern vorbei. Die wenden die Pferde ebenfalls und folgen ihrem Boss.

Jim stößt den Colt in die Halfter zurück. Er bückt sich nach der Axt und schlägt sie in den Cottonwoodstamm, den er abgeschält hat.

„Das ist ja furchtbar“, sagt Sharleen mit zitternder Stimme. „Jim, was wirst du tun?“

Er geht auf sie zu, lehnt sich an die Hauswand und schaut der Staubwolke nach, vor der sich der Reiterpulk herschiebt.

„Das einzige, was ich tun kann, Sharleen. Zu ihm reiten und die vier Tage arbeiten. McBee ist ein guter Hasser.“

„Ja. Er hasst dich dafür, dass du einen Bruder hast, der Clint heißt. Ob er es wirklich war, der Dynamit in McBees Herde warf?“

„Ich weiß nicht.“

„Jim, wie war das damals? Du bist ohne Pferd und ohne Waffe hier angekommen. Du hast sie getroffen, nicht wahr?“

„Ja. Da drüben in den Bergen. Das heißt, sie haben mich getroffen. Sie wollten, dass ich bei ihnen bleibe. Und sie wollten es so machen, dass ich keinen anderen Weg gehen kann. Dabei ist Ty abgestürzt. Ich war daran schuld.“

„Du meinst, er selbst?“

„Ty hat McBee im letzten Sommer einen Stier erschossen. Hätte er das nicht getan, würde ich nicht mehr leben, Sharleen.“

„Du musst das endlich vergessen, Jim! Hier draußen hat fast jeder Mann einem anderen viel zu verdanken. Man kann nicht sein Leben lang nur an so etwas denken. Sie haben ihren Weg gewählt. Es ist nicht dein Weg!“

„Vielleicht hast du recht.“

„Hast du ... hast du zu Clint etwas wegen der fünfzig Dollar gesagt?“

„Ja, Sharleen.“

„Und?“

„Er hat sie mir nicht weggenommen.“

„Hat er das gesagt?“

„Ja, Sharleen. Und ich glaube es ihm. Cook ist es gewesen. Er sah damals gleich so komisch aus. Aber ich kann mir das erst jetzt erklären.“

„Cook?“

„Es gibt gar keinen Zweifel daran. Zuerst wollte ich gleich zu ihm hinreiten. Dann sagte ich mir, dass es vielleicht besser ist, alles zu vergessen.“

„Ja, Jim. Das ist besser.“


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