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7. Der Brief der Oberbürgermeister

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Die Grundsatzverständigung wurde von der großen Mehrzahl der ostdeutschen Städte jedoch abgelehnt. Denn sie führte dazu, dass die Kommunen gesellschaftsrechtliche Bindungen mit den Regionalversorgern, ihren Vorlieferanten, eingehen mussten. Sie konnten zudem wegen der 70 %igen Stromabnahmeverpflichtung die ökonomisch und ökologisch sinnvolle Kraft-Wärme-Kopplung in ihren fernwärmebeheizten Gebieten nicht ausbauen.

Die Stimmung wurde in einem Telex vom 27.2.1991 an den Bundeskanzler deutlich, das die Oberbürgermeister der neun größten Städte verfasst hatten. Die Oberbürgermeister beklagten, dass sie seit mehr als einem halben Jahr zeitaufwendige Verhandlungen betreffend die Übernahme der Energieversorgungsanlagen führten. Es bewege sich nichts; daher bilde sich eine Investitionsbremse sondergleichen.

Jede westdeutsche Kommune könne gem. Art. 28 Abs. 2 GG alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung regeln. Dies beinhalte die freie Entscheidung, wem sie die Energieversorgung übertrage. Für die ostdeutschen Kommunen werde dasselbe Freiheitsrecht begehrt.

Tatsächlich sollten jedoch die ostdeutschen Kommunen nur 49 % der Anteile an den Regionalversorgen erhalten; dies auf unabsehbare Zeit. Damit würden alle ostdeutschen Städte auf Dauer zu Kommunen minderen Rechts. So habe man sich die Vereinigung nicht vorgestellt.

Alle anderen Vermögenswerte, die Zuschussbetriebe der Städte seien, würden zu 100 % übertragen, die später rentable Energieversorgung wolle man überwiegend den westdeutschen Energiemonopolen zukommen lassen. Es gelte offenbar der Grundsatz: Was Geld bringt, erhält die Privatwirtschaft, was Geld kostet, erhält die Kommune.

Hintergrund dieser erstaunlichen Vorgehensweise seien die sog. Strom-Verträge. Die im Einigungsvertrag ergänzte Fassung des § 4 Abs. 2 KVG könnten die Oberbürgermeister nur als gesetzliches Mäntelchen werten, um die auf massiven ökonomischen Interessen der westdeutschen Energieversorgungsunternehmen beruhenden Strom-Verträge für alle Zukunft zu sichern. Dieser Weg sei jedoch ordnungspolitisch verfehlt. Es könne den Städten nicht zugemutet werden, aus dem Staatsmonopolsozialismus im Energiebereich in den Privatmonopolkapitalismus durch Zwang des Bundes überführt zu werden. Es interessiere, wer für diese eindeutige Fehlentscheidung verantwortlich sei.

Die Oberbürgermeister bestritten der Treuhandanstalt sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich, die 51 % Anteile am Energieversorgungsunternehmen ihrer Wahl zum eigenen ökonomischen Vorteil verkaufen zu dürfen. Mindestens die örtlichen Netze und weitere betriebliche Anlagen hätten regelmäßig bis 1950 den Städten oder ihren Stadtwerken gehört. Die von 1950 bis 1990 entstandenen Versorgungsanlagen hätten die Städte traditionsgemäß ebenfalls aus demselben Teil des Sozialprodukts errichtet, wie dies der unselige zentralistische SED-Staat getan habe.

Neuerdings verkünde die Treuhandanstalt, den Restitutionsanspruch, der nach Art. 21 Abs. 3 Einigungsvertrag eindeutig Naturalrückgabe der Netze, betriebliche Anlagen usw. bedeute, abgelten zu wollen. Damit seien die Städte natürlich nicht einverstanden.

Anzumerken sei auch, dass weder die zentralistische Treuhandanstalt, noch der Bund selbst angesichts des grundsätzlich geschützten föderativen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland das Recht habe, in derart fundamentaler und langfristig kaum noch revidierbarer Weise in kommunale Aufgaben einzugreifen. Sämtliche Rechte zur Regelung kommunaler Aufgaben stünden ausschließlich den Ländern und nach Maßgabe der Landesgesetze den Kommunen zu.

Im Ergebnis bleibe festzuhalten, dass die ehemalige DDR und die Treuhandanstalt (in ihren früheren Tagen) die Rechte der wiedererstehenden Städte schlicht vergessen hätten oder vergessen wollten und befürchteten, ohne den seltsamen Strom-Vertrag gingen im Lande die Lichter aus. Von Anfangsschwierigkeiten abgesehen könnten jedoch die Stadtwerke der ostdeutschen Städte die Energieversorgung gewährleisten.

Zusammengefasst sei das Konzept der Städte:

 – Unentgeltliche Übertragung der örtlichen Energieversorgungsnetze und zugehörigen betrieblichen Anlagen zu 100 %;

 – Aufnahme fremder Beteiligungen an Stadtwerken nach eigener freier Entscheidung der Kommunen hinsichtlich Partner und Quote;

 – die Städte/Stadtwerke schließen nach marktwirtschaftlichen Regeln freiwillig Lieferverträge mit überörtlichen Energieunternehmen, soweit sie nicht selbst erzeugen.

Reaktionen des Bundeskanzlers oder der Treuhandanstalt auf dieses Schreiben sind nicht bekannt geworden.

Vom Stromkartell zur Energiewende

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