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1. Vorspiel I in Deutschland

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Monopole für die Energiemärkte waren eigentlich durch das Kartellverbot des Art. 85 und das Missbrauchsverbot des Art. 86 im EWG-Vertrag von 1956 von Anfang an verboten. Denn einen Ausnahmebereich für die Energiemärkte gab es – anders als im deutschen Kartellrecht – nicht. Erst im Jahr 1988 packte die „Iron Lady“, die britische Premierministerin Thatcher, ermutigt durch die US-amerikanische Vorreiterrolle, in England die Liberalisierung der Energiemärkte an. Das wichtigste Instrument war der „Third Party Access“ (TPA), der Netzzugang für Dritte. Die Eigentumsrechte der Netzbetreiber sollten zurückstehen. Mit dem „Utilities Act“ wurden die Privatisierung der staatlichen Energieversorger und das Unbundling, die Entflechtung der Handels- und Netzaktivitäten, angeordnet. OFFER, ein Elektrizitätsregulierer, und OFFGAS wurden installiert, die sich in jeden Geschäftsbereich des Versorgungsunternehmens einmischen könnten. Die Erfahrungen waren allerdings nicht durchweg positiv. Die Interessen der Kunden zu schützen und gleichzeitig den Wettbewerb zu entwickeln, sei, so OFFGAS, nicht immer möglich.71

Die entscheidenden Anstöße zur Liberalisierung der Energiemärkte gingen von der EU aus. Schon mit Art. 37 EWG-Vertrag waren Einfuhr- und Ausfuhrmonopole ab dem 1.1.1970 verboten worden. Auf ihrer Grundlage hatte die Kommission gegen eine Reihe von Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen der Beibehaltung von Einfuhr- und Ausfuhrmonopolen für Elektrizität und Gas eröffnet. Auf Basis des britischen Beispiels setzte die Europäische Kommission 1990 bzw. 1991 die Transitrichtlinien für Elektrizität72 und Gas73 mit Beschlüssen des Ministerrates durch. Am 22.1.1992 folgten Vorschläge für eine Elektrizitäts- und eine Erdgasrichtlinie.74 Vorgesehen wurden drei Schwerpunkte nach dem britischen Beispiel: Zwangsdurchleitung per Netzzugang für Dritte, Kostentransparenz und Unbundling.75 Pluge76, Geschäftsführer des Bundesverbandes Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), prangerte das als „Umkrempelung fast des gesamten ordnungspolitischen Rahmens beider Branchen und durch die kafkaesk anmutenden Detailregelungen“ an. Totale Liberalität und totale Regulierung gingen in ihren Extremen ineinander über.

Zuvor hatte Kurt Markert, der Vorsitzende der 8. Beschlussabteilung für die Energiemärkte beim Bundeskartellamt, in einem Vortrag77 „gewisse grundsätzliche Vorkehrungen“ von der EG-Kommission gefordert. Dazu gehörte z.B. schon die Frage, ob ausschließliche Konzessionsverträge für die Strom- und Gasversorgung, nach denen die Versorgung in einem bestimmten Gebiet ausschließlich einem Versorger vorbehalten war, überhaupt unter Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag fielen und ob und ggf. in welchem Umfang die Kommission zu Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 EWGV in diesem Bereich bereit sei. Dahinter stand die Befürchtung, dass die Kommission möglicherweise ein Vorpreschen einer nationalen Kartellbehörde durch eine derartige Freistellung ins Aus schicken könnte.

Markerts Hilferuf wurde erhört. In einem Vortrag78 erläuterte Ehlermann, der (deutsche) Leiter der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission, die Richtlinien: Monopole für Übertragung und Verteilung von Energie seien nicht zu rechtfertigen, ebenso wenig ausschließliche Rechte für die Erzeugung von Elektrizität und den Bau von Leitungen. Insbesondere sei die Funktionentrennung (Unbundling) geboten, die schon mit der Telekommunikationsendgeräte-Richtlinie der Kommission vom Mai 1988 vorgeschrieben worden war. Diese hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ausdrücklich gebilligt.79 Vor allem verwies er darauf, dass die Wettbewerbsbehörden schon vor dem Erlass eines „gesetzgeberischen Aktes“ des Rates zur Anordnung von Durchleitungen berechtigt seien. Die Verweigerung der Durchleitung stelle einen Missbrauch nach Art. 86 dar. Auch Konzessionsverträge, die das ausschließliche Recht zur Verlegung und zum Betrieb von Leitungen einräumten, seien wettbewerbsbeschränkend und fielen unter Art. 85 EGV. Zwar könnten nach Art. 85 Abs. 3 wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen vom Kartellverbot freigestellt werden. Jedoch sei es „undenkbar, dass sie ein Verhalten freistellt, das als missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zu qualifizieren wäre“. Die Richtlinien schüfen daher nicht neues Recht, sondern sollten lediglich „politischen Konsens an die Stelle einer Vielzahl von langwierigen juristischen Auseinandersetzungen vor dem Gerichtshof in Luxemburg treten lassen“.

Das war der Startschuss für das Bundeskartellamt. Aufgegriffen werden sollten Konzessionsverträge an der Bundesgrenze, die die Einfuhr billigerer Energie aus Mitgliedstaaten nach Deutschland behinderten. Der erste Angriff auf den Gebietsschutz sollte an der deutsch-französischen Grenze in Kehl starten. Er wurde aber wegen der bekannten Abneigung der Electricité de France gegen Direktbelieferung deutscher Verbraucher aufgegeben. Aufgegriffen wurde vielmehr ein Konzessionsvertrag des RWE-Konzerns mit der Stadt Kleve aus dem Jahr 1971, mit dem die ausschließliche Belieferung der 50.000 Einwohner und der Industrie Kleves über 55 Jahre festgelegt worden war. Der wirtschaftliche Vorteil für die Kunden in Kleve wäre bemerkenswert gewesen: Industriekunden mussten seinerzeit fast 28 Pf/kWh bezahlen, während der angrenzende niederländische Versorger nur 19,1 Pf/kWh verlangte. Es sollte „ein Pilotfall“ werden, sagte Markert. Erstmalig habe sein Haus auf Art. 85 des EWG-Vertrags zurückgegriffen. Bundeskartellamts-Präsident Wolf sekundierte, es handele sich um ein „wichtiges und grundsätzliches Pilotverfahren mit Domino-Effekt“. Mit der EG-Kommission habe man sich abgesprochen. Allerdings lief der attackierte Konzessionsvertrag wie alle sogenannten „Altverträge“ nach § 103a Abs. 4, der mit der 4. GWB-Novelle eingeführt worden war, nur bis Ende 1994. Hieran scheiterte schließlich das Bundeskartellamt: RWE meldete nämlich den Konzessionsvertrag – trotz der Ankündigung des EG-Wettbewerbs-Hüters Ehlermann – bei der Kommission an, um nach Art. 85 Abs. 3 EWGV eine Freistellung zu erreichen. Das führte zu einem Wechsel der Zuständigkeit; das Bundeskartellamt musste den Fall nach Brüssel abgeben. Der Vertrag wurde dann 1994 nicht mehr verlängert, weil Kleve eigene Stadtwerke gründete. Der Versuch war gescheitert.

Der nächste Fall, mit dem Markert eine andere Grundsatzfrage der Energieversorgung aufgriff, war der Demarkationsvertrag zwischen den Gasversorgern Ruhrgas und Thyssengas. Diese hatten am 27.9.1927 einen „Gemeinschaftsarbeitsvertrag“ geschlossen, mit dem sie sich die Versorgung von Köln, Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen mit Gas aufgeteilt hatten. Der Vertrag sollte am 19.1.1993 erneuert werden. Die Anmeldung wurde vom Amt untersagt. Rechtsgrundlage war wiederum Art. 85 Abs. 1 EGV in Verbindung mit Vorschriften des deutschen Kartellrechts. Diese Abmahnung betraf mit der Ruhrgas das führende deutsche Gas importierende und vertreibende Handelsunternehmen: Es war mit ca. 83 % an der gesamten Gasabgabe in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Thyssengas war mit einem Anteil von 10 % dabei. Insgesamt betraf also diese Gebietsaufteilung deutlich über 90 % des deutschen Gasabsatzes, wäre sie wirksam geworden. Aber das Amt scheiterte beim Berliner Kammergericht: Das Gericht beanstandete die Verfügung mit der an den Haaren herbeigezogenen Begründung, das Amt habe die Bundesländer nicht angehört. Diesen Mangel heilte das Amt mit einer neuen Entscheidung. Diesen Fall legte das Kammergericht nunmehr dem EuGH vor.80 Aber nunmehr war der Gesetzgeber schneller: Mit dem Gesetzespaket zur Liberalisierung des Energierechts von 1998 wurde § 103, der den Gebietsschutz zuließ, aufgehoben. Man sieht: Auch einer energischen Wettbewerbsbehörde wird von den Konzernen, denen Gerichte häufig sekundieren, der Erfolg schwergemacht. Außerdem lieferten die Auseinandersetzungen zwischen Wirtschaft und Staat die Argumente für die Ebene, auf der die Weichen gestellt wurden, der europäischen Gesetzgebung.

Vom Stromkartell zur Energiewende

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