Читать книгу Pepi, lass mi eine ...! - Peter Elstner - Страница 8
4 Warum, Pepi?
ОглавлениеIch genierte mich. 60 000 Zuschauer im Praterstadion pfiffen am 15. November 1989 wie wild, als die österreichische Fußballnationalmannschaft zum Aufwärmen aufs Spielfeld kam. Die Zuschauer pfiffen beim »Match des Jahrhunderts« – obwohl sie eigentlich gekommen waren, um ihre Mannschaft im letzten, alles entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen die DDR für Italien 1990 siegen zu sehen. Und jetzt diese Pfiffe!
Als dann die Spieler einzeln vorgestellt wurden, verdreifachte sich das Pfeifkonzert, als Toni Polsters Name aufgerufen wurde. Er hatte in der letzten Zeit leistungsmäßig nicht das zustande gebracht, was seine Anhänger von ihm mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit erwarteten. Ich schämte mich für jeden Zuschauer – so unfair darf man keinem Sportler gegenüber sein, absichtlich hat der Toni sicher nicht danebengezielt.
Das sogenannte Schicksalsspiel sollte also in wenigen Minuten beginnen, und da ich unten auf der Laufbahn stand, spürte ich auch förmlich den Druck, der auf den Spielern und auf Teamchef Josef »Pepi« Hickersberger physisch und psychisch lastete.
In den Vorschauberichten der Zeitungen war dieses Spiel unglaublich hochstilisiert worden: Dass die Mannschaft von Hickersberger einfach siegen musste, war offenbar eine Selbstverständlichkeit für die Fans; und anscheinend auch für die Journalisten.
Ich hatte dies nur aus der Ferne wahrgenommen, weil ich im Ausland war und nach all der Hysterie vor dem Spiel keine Ahnung hatte, wie die Vorberichte meiner Kollegen im TV ausgerichtet waren. Ich wusste nur, dass ich 2,5 Stunden vor Spielbeginn im Stadion sein musste und gleich nach dem Match Live-Interviews von der Laufbahn und aus den Kabinengängen machen sollte.
Ich hoffte, dabei Erfreuliches berichten zu dürfen, weil dass wir über die DDR »hinwegfahren« würden, war ja kaum zu erwarten.
An dieser Stelle muss man aber zurückblenden: Mit Teamchef Josef Hickersberger hatte ich ein gutes, ja freundschaftliches Einvernehmen. Das lag auch sicher daran, dass der »Pepi« ja lange Zeit (3 Jahre) in der ORF-Teletext-Redaktion gearbeitet hatte und wir einander im ORF-Zentrum öfters getroffen hatten. Außerdem hatte uns auch die österreichische Fußball-Journalisten-Auswahl von Hans Hofstätter zusammengeführt – der gute »Hicke« konnte hier mitspielen, weil er eben auch als Sportredakteur beim Teletext tätig war.
Diese Truppe hat im Laufe ihres Bestehens auf allen Kontinenten in über 100 Ländern gespielt – von Brunei über den Vatikan und von Grönland bis Bora Bora.
Pepi und ich waren die ältesten in dieser Mannschaft, und so war’s eigentlich klar, dass wir bei den Fußball-Reisen ein Zimmer teilten. Da kommt man natürlich ins Reden, das Vertrauen zueinander steigt. Und daher war Fußball klarerweise immer ein Gesprächsstoff.
Ich kann mich noch gut erinnern: Auf einem Fußball-Trip in Malta spielten wir gegen die Reservemannschaft von Sliema Wanderers (einem dortigen Erstdivisionär) und gewannen 2:1 – Hicke verschoss dabei einen Elfer, aber erzielte auch den Siegestreffer. Das Spiel war in den Schlussminuten hektisch und hart geführt worden. Es gab einige Reibereien zwischen den Spielern, unter denen sich auch mein Sohn Alexander befand. Er hatte gegen seinen »Mann«, einen kleinen, flinken Gegenspieler, schon während des Spiels Schwierigkeiten, weil der Malteser ununterbrochen stänkerte. Als wir das Spielfeld Richtung Kabinen verließen, kam es plötzlich zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden, der Gegenspieler hatte Alexander zu Boden gedrückt, und plötzlich – ich weiß gar nicht, wie ich das gemacht hatte – kniete ich über dem Linksaußen, hatte ihn beim Kragen und rief immer wieder: »Don’t hold my son!« Die etwas besonnenen Spieler, unter ihnen auch Hicke, rissen mich von dem Stänkerer weg. Langsam kalmierte sich die Situation.
Nach dem Abendessen war natürlich das Match Thema Nummer eins, und als wir endlich in unsere Zimmer gingen, diskutierte ich noch im Zimmer mit Pepi über die möglichen Facetten eines Fußballspiels.
Unter anderem kamen wir zu der Frage »Teambetreuung, das Verhältnis zwischen Presse und Sportler, über die Neugierde und Zudringlichkeit der Journalisten«. Dabei wurde auch die Frage aufgeworfen, ob man Sportreportern erlauben solle, nach einem Match in die Kabine zu kommen.
Was früher möglich war – ich stand beispielsweise im Wiener Stadion beim Europacup-Finale 1964 Real Madrid gegen Internationale Mailand in der Kabine des Siegers Inter (3:1), machte mit Facchetti, Mazzola, Suárez & Co. Interviews, gerade dass ich nicht mit ihnen duschte –, ist heute unmöglich, auch weil mehr Journalisten über die Spiele berichten. Pepi hielt dagegen: »Da wäre es zu voll in einer Kabine. Und es wäre auch nicht gut. Das würde zu einem heillosen Wirrwarr der Kompetenzen jeder Mannschaft zu den Journalisten führen. Also, bei mir würde keiner reinkommen«, schloss Hicke. Meine Frage darauf: »Und was ist, wenn du einmal mit einer großen Mannschaft gegen eine andere große Mannschaft gewinnst? Und zwar in einem wichtigen Spiel. Dürfte ich dann hinein?« Hickersberger trocken: »Na, das wäre zu überlegen. Aber nur, wenn es ein entscheidender Sieg wäre, dann könnt ich mir vorstellen, dass du hineindürftest.«
Zurück ins Praterstadion: Der Regisseur der Übertragung, Lucky Schmidtleitner, hielt, wie gewohnt, die letzte aktuelle Konferenz bei den Ü-Wagen zwei Stunden vor Anpfiff ab, in der noch einmal die wichtigsten Dinge des Ablaufes besprochen wurden. Dabei tauchte auch die Frage auf: »Was und wie berichten wir, wenn wir gewinnen?« »Es wär schon klass«, meinte Lucky, »wenn wir da in unsere Kabine könnten, um Bilder einzufangen, die man nicht jeden Tag sieht.«
Diese Frage blieb offen.
Mir war es immer wichtig, vor einem Match zu kontrollieren, ob alles funktionierte, denn ich wusste, wenn das »Werkl« einmal live rennt, und es gibt auch nur einen kleinen Fehler, dann verdirbt man die beste Sendung. Also kontaktierte ich nochmals die Kameraleute, die mit mir am Abend die Live-Interviews machen sollten.
Dabei schlummerte im Hintergrund eine Gefahr, von der ich nichts wissen konnte – ich war von Samstag an ja nicht in Wien gewesen und nach meiner Ankunft direkt vom Flughafen ins Stadion gedüst. Ich bekam daher auch nicht mit, was sich in diesen Stunden und Tagen vor dem immer wieder zitierten »Schicksalsspiel des Jahrhunderts« von Seiten der Berichterstattung ereignet hatte. Empört hatten die Teamspieler registriert, dass in der »Sport am Montag«-Sendung, im Gegensatz zu allen anderen Meldungen, die sich vor lauter Vorberichten überschlugen, vom ORF, im Speziellen aber von »Sport am Montag«, zwei Tage vor dieser besonderen Begegnung eigentlich nichts berichtet wurde.
Mein alter Freund Sigi Bergmann hatte, was Fußball betrifft, eine einzige Story in der Sendung, die die Frage aufwarf: »Wer ist der Fußballer mit dem größten Sexappeal!?«
Dazu hatte man extra die »Sexpertin der Nation«, Dr. Gerti Senger, als Expertin der Jury eingeladen.
Am Montagabend, als sich die Truppe vor den Fernseher versammelte, um »Sport am Montag« zu schauen, waren sie dann von den Socken: »Ja gibt’s des? Nicht ein Wort über unser Match.« Was sie sahen, verdoppelte dann ihren Ärger – bei der Wahl zum Mr. »Fußball-Sex« gewann ein Spieler aus Oberösterreich; und ein wirklich fescher Fußballer wie Michael Konsel landete nur auf dem enttäuschenden fünften Platz.
Das schlug dem Fass den Boden aus. Man beschloss, bei einem Sieg als Revanche dem ORF keine Interviews zu geben.
Von all dem hatte ich keine Ahnung.
Dann kam das Match, der ausgepfiffene Toni Polster schoss alle drei Tore, machte aus seinem Gegenspieler, dem renommierten Matthias Sammer, einen »Fetzn«, wie man in Wien sagt, und rächte sich damit auf sportliche Weise für die Pfiffe der Fans vor dem Spiel.
3:0 – Österreich fährt zur WM nach Italien! Das »Spiel des Jahrhunderts« wird in die Geschichte des Fußballs in Österreich eingehen.
Dementsprechend der Jubel nach dem Abpfiff. Die Spieler begaben sich auf eine Ehrenrunde, ließen sich feiern, nur Toni Polster verweigerte die Ehrenrunde. Er hatte schon nach seinem dritten Tor in Richtung Publikum geschimpft.
Irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl – da stimmt was nicht. Kam aber nicht drauf, was es war. Auf alle Fälle, weil ich die Meriten der Live-Berichterstattung kannte, nahm ich mir vor, sicherheitshalber, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, Interviews mit den Spielern aufzuzeichnen – was teilweise auch geplant war, um sie bei Bedarf einzuspielen.
Im Hinterstübchen hatte ich auch noch mein Malta-Gespräch mit Hickersberger, und ich dachte daran, zu versuchen, in die Kabine zum großen Jubel und Trubel zu gelangen. Ich wollte was fürs Publikum tun, damit man daheim diesen Triumph hautnah miterleben könnte. Und der Pepi hatte ja gesagt, dass er bei einem wirklichen Triumph nichts dagegen hätte.
So versuchte ich vorerst, Spieler, die von der Ehrenrunde zu den Kabinen liefen, am Gang aufzuhalten. Was mir auch gelang. Ich informierte über die Gegensprechanlage die Regie, dass ich vier Mann aufgezeichnet hätte – Andi Herzog, Christian Keglevits, Alfred Hörtnagl und Toni Pfeffer.
Das »Unheil« nahm jetzt langsam, aber sicher seinen Anfang – ich bekam nämlich die Nachricht: »Hearst, da san nur zwa Interviews reinkumma!« »Au weh«, dachte ich mir, »was ist da passiert?« Ich bat die Techniker, noch einmal alle Geräte zu kontrollieren. Und siehe da, bei zwei Aufzeichnungsgeräten waren die Stecker aus der Wand gezogen, es konnte also nicht funktionieren.
Neuer Anlauf. Auf ein Zeichen von Lucky: »Jetzt kannst probieren, in die Kabine zu kommen!«, startete ich meinen Versuch.
»Da kennan S’, glaub i, net eine«, sagte mir ein Sicherheitsbeamter vor der Türe, »die wolln ihr Ruah habn von der Presse.«
»Lucky«, rief ich zum Ü-Wagen, »i glaub, do stimmt wos net!«
Die trockene Antwort: »In sechs Sekunden Rotlicht!«
Na ja – und so probierte ich also, hineinzukommen –, wie man heute weiß, bin ich damals »ang’rennt«, völlig schuldlos. Was ich gesehen hatte, als die Tür einen Spalt offen war: Hickersberger wurde einen Meter vor mir von zwei Spielern zurückgehalten, im Hintergrund Pressechef Palme, auf einer Bank stehend, mit schreckgeweiteten Augen, und Andi Ogris, der die Tür zuschlug. Auch ein zweiter Versuch live auf Sendung ging in die »Hosn«.
»Pepi, lass mi eine!«, rief ich, mich nochmals zur Tür drängend, »i bin’s, der Peter! Bitte kann wenigstens a Spieler herkommen. Wir san noch zwei Minuten auf Sendung!« Reaktion beim Team negativ: »Danke, wir lassen euch mit dem Jubel allein. Schade, dass die Zuschauer nicht dabei sein dürfen.«
Das Einzige, was mich nach dieser skurrilen Szene ärgerte war, dass der Pepi – nachdem sich dieser Vorfall unter den Journalisten herumgesprochen hatte – erklärte: »Wenn ich gewusst hätt, dass der Peter reinwill, hätt ich ihm ja aufgemacht.« Dabei hatte er mir ja aus knapp einem Meter in die Augen geschaut.
Diese sonderbare Szene ist vielen Fernsehzuschauern im Gedächtnis geblieben, weil sie zeigt, dass es gar nicht so einfach ist »hinter die Kulissen« zu blicken, und so können Sie sich vorstellen, warum das Buch diesen Titel erhielt.
Seltsam: Hätte man uns, wie geplant, in die Kabine gelassen, kein Mensch könnte sich heute an diesen Teil der TV-Übertragung erinnern …