Читать книгу entre dos tierras - Peter Geipel - Страница 15

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Im kleinen Hotelzimmer sieht es gar nicht mehr so heimelig aus

In dem kleinen Hotelzimmer sieht es gar nicht mehr so heimelig schön aus, es ist laut, unten eine kleine Diskothek mit schlechter Live-Musik, da zieht der Geschmack von schlechter Luft, gemischt mit Tabak und fahlem Bier, durch meine Nase - Gejohle und schnödes Geplapper - plipper, plapper, plipper, plapper, helle junge, zu junge Stimmchen schlippern und schlappern da fröhlich und lustig drauflos, noch nicht ahnend, worauf die sich da einlassen, verloren und verlogen klingt das alles, falsche, unerfahrene, nach wilder Bestätigung suchende Stimmchen plappern da Sinnloses in die schlechte Luft hinein, und wollen doch so gute reine Luft atmen.

Ich bin müde von den hellen Stimmchen, dem Geplapper und Geplipper, müde von den vielen gelben und den orangegelben Laternen unten an Pier. Auch von dem Geklickse und Geklackse der Wanten an die hölzernen und metallenen Masten. Ich habe zu viel von dem allen. Müde von der Suite und ihrem Balkon und den großen Schiebetüren, und von mir. Ich bin ganz arg müde von mir, so dass ich den längsten Schlaf der Schläfe, einen bezaubernden Sinkschlaf jetzt bevorzugen will. Schlafen und schlafen, so müde bin ich, jetzt nur noch schlafen, danach ist mir jetzt. Das zu große Bett ist mir geblieben. Ich sitze am geöffneten Fenster und gucke auf die gegenüberliegende Hauswand ohne Fenster, Dunkelheit, milde, weiche, aber schöne Dunkelheit starrt mich da an. Noch habe ich mich nicht ganz ausgezogen, und sitze so still und versunken an meinem Fenster in der Suite, in der Rue Villefranche-sur-Mer, und blicke auf die milde, weiche Dunkelheit, da kriecht ganz langsam ein Gefühl in mir hoch, das mich befreit, es befreit mich von den hohlen Stimmchen und dem blöden Geplapper, von dem Tabakgeruch und dem fahlen, abgestandenen Biergeruch und von der fensterlosen dunklen Hauswand gegenüber.

Es öffnet sich eine endlose Weite, eine Weite, die mir bekannt ist, der Himmel mit seinen Abertrilliarden Sternen scheint immer stärker in die enge Gasse hinein, er drückt die Wände auseinander, er schiebt sie behutsam auseinander, die Häuser, bis auch die Gasse nicht mehr eine Gasse, sondern eine weite, breite Straße geworden ist, mit vielen, vielen Bäumen und Sträuchern und Mücken und Grillen, die in ihnen hocken. Sie zirpen laut und deutlich in die klare Septembernacht. Ein wahres Streichkonzert in den tollsten Tönen hoch und höher, tief und langanhaltend. Kurz und hoch mit deutlichen Pausen, schrill, fast zerrend und hoch, leise und nur zip-zip, kurz und knapp, mit vielen Pausen, zip-zip, Pause, zip-zip. Ganz so, als wollte die Grille gar nicht auffallen in dem ganzen Stimmengewirr. Alles in klingenden Septemberfarben, es mischen sich viele Menschen in diese abendliche Atmosphäre zwischen Promenade und Spaziergang. Um noch ein wenig frische, milde, weiche Septemberluft zu schnappen, bevor sie sich in ihre Wohnungen und Häuser begeben, in denen sie die späte, leise Sommerwärme erwartet.

Langsam drückt das Sternenlicht mit dem Mondlicht zusammen vorsichtig und behutsam die Häuser zur Seite, eins ums andere, ganz langsam, damit die Menschen, die sich vielleicht noch in ihren Häusern aufhalten, nicht erschreckt werden. Damit bei all dem vorsichtigen Geschiebe auch nichts vom Tisch fällt. Es ist nichts mehr da, was mir den klaren Blick auf das Wasser verstellen könnte. Da ist es in seinem dunklen, murmelnden, leisen Gerausche - tschschsch, tschschsch, tschschsch, wieder und wieder. Fast klingt es wie eine beruhigende Hand, die mir leicht über die Stirn streicht, leicht und sanft, wieder und wieder. Als wolle mich das Wasser trösten und mir Mut zusprechen, leicht und sanft, wieder und wieder.

Ich glaube, ich bin längst eingeschlafen über dem ganzen leisen Gerausche da. Träume schon längst vom Saxofonspieler und dem Gitarrenspieler.

Es pikt mich etwas an meinem Fuß, es drückt nicht wie ein verirrter Kieselstein, es pikt richtig, ich kann es einfach nicht ignorieren, denn es scheint sich zu einem deutlichen Schmerz auszuweiten, nicht nur ein einfaches Piken, das man überfühlen könnte, nein. Ich muss nachsehen – und als ich da so richtig nachsehe, ich hätte es fast übersehen können, da finde ich ein kleines Stückchen, ein klitze-, klitzekleines Stückchen, so klein, dass ich es fast übersehen könnte, es aber nicht übersehen kann. Wie ich das Piken nicht überfühlen kann, weil es mehr ist als nur ein einfaches Drücken eines Kieselsteinchens, weil es zu sehr pikt, da finde ich ein klitze,- klitzekleines Stückchen Stroh, es klebt so an meiner Ferse und pikt. Es ist gepresst, geknickt und pikt. Ich nehme meinen Fuß und halte dann ganz still und gucke so mit richtigen Stielaugen auf die Stelle, auf die Ferse, auf das gepresste und geknickte Stückchen Stroh, auhhh, auhh, das renkt und zieht an den einzelnen Fasern und Muskeln, Beuteln und Gelenken. Ich muss es aber noch genauer sehen, ich löse eine Hand, fast schnappt der Fuß wieder in seine gewöhnliche Lage zurück, da wende ich noch einmal vorsichtig alle Kraft auf, um ihn mit nur einer Hand zu halten, mit der anderen Hand forme ich mit Daumen und Zeigefinger ein kleines O, die drei anderen Finger strecken so in die Höhe, damit sie ja nichts Unbedachtes berühren können, und fasse vorsichtig und langsam an die pikende Stelle; plötzlich ein lautes schrilles Lachen von unten aus der Bar.

Ich bin so erschrocken, dass ich fast den Fuß losgelassen hätte, oh Gott, all diese gedehnten Sehnen und Beutel und Bänder, das wäre fatal, wenn sie so auf einmal zurückschnappten. Ich starte einen neuen Versuch, dieses Mal gelingt er mir, tirili, tirilo, tirili. Mit der einen Hand halte ich meinen Fuß, den verdrehten, versehnten, verbeutelten, so ganz arg dicht vor meine Nase, mit der anderen bilde ich zwischen Zeigefinger und Daumen ein O, die anderen drei Finger halte ich so, dass sie nichts Unbedachtes anrichten können. Ich halte in meiner Hand ein klitze-, klitzekleines gepresstes, geknicktes Stückchen Stroh. Die andere Hand lasse ich nun los. Vorsichtig, langsam, damit sich Verbeuteltes, Versehntes wieder entspannen und in seine ursprüngliche Lage bewegen kann. Langsam stehe ich auf, ganz langsam, behutsam stehe ich auf, damit ich es nicht verliere, das kleine, das liebe, das böse, das Pikchen, und gehe vorsichtig und langsam an mein zu großes Bett, langsam und vorsichtig setzte ich mich auf das Bett, sinke etwas in die etwas zu weiche Matratze hinein - es fühlt sich gut an, das feine Leinen an meinen Beinen; noch halte ich das kleine O ganz fest verschlossen mit dem Daumen und dem Zeigefinger, die drei anderen Finger halte ich immer noch bedeutsam in die Höhe, so dass nichts Unbedachtes passieren kann.

Jetzt bekomme ich so richtig Lust, Lust, das O endlich zu öffnen, es mir doch endlich anzusehen, das Pikchen, das gemeine. Ich führe meine Hand ganz dicht vor meine Augen, ganz dicht, und freue mich noch mehr auf das liebe Pikchen, das ich nun gleich zu Gesicht bekommen werde, es bestaunen und begucken kann, so ganz gemütlich. Ich gehe mit den Augen also ganz dicht an das kleine O, ganz dicht ist es jetzt vor meinen Augen, ach, mit erwartungsvoller Lust öffne ich langsam und leicht, zuerst den Zeigefinger, das kleine O, am Anfang nur ein kleines winziges bisschen, nur ein klein wenig öffne ich das O, und gucke so zwischen dem kleinen Spalt, zwischen Zeigefinger und Daumen, hindurch, als ob es da was Neues zu entdecken gilt. Auwei, da liegt es, das böse, böse Pikchen, das liebe, das da so böse auf die blanken Nerven gepikt hat. Nun liegt es in seiner ganzen Größe vor mir, so dicht, so nah, so unendlich nah. Auweia, so blank und bloß.

Ei, ei, mit der anderen Hand straffe ich das auf dem Nachttisch liegende rote Deckchen, damit in den Falten nichts verloren gehen kann. Die andere Hand führe ich vorsichtig und behutsam in Richtung Deckchen, lege das Pikchen schließlich auf das rote Deckchen. Zufriedenheit löst die Spannung und wie ein erfolgreicher Bombenentschärfer betrachte ich nun Vollbrachtes. Ich lehne mich etwas zurück und betrachte erfolgreich und zufrieden das Liebe, das Böse. Zufrieden wie ein Gewinner, der mit stolz geschwellter Brust auf seinen Gewinn blicken kann, der keiner ist.

Oh, ich schrecke hoch, ich bin wohl eben etwas eingedöst, etwas nachdenklich sitze ich auf dem Bett. Ich hatte eben einen sehr merkwürdigen, seltsamen Traum.

Ich ziehe mich langsam aus und lege meine Kleider auf den Stuhl neben mir. Jetzt höre ich die schlecht gespielte Live-Musik wieder ein wenig und auch das Gröhlen der Stimmchen und der Stimmbrüchchen ein wenig, auch rieche ich wieder die Luft mit dem verbrauchten Rauchgeschmack und dem fahlen Biergeruch. Auf dem kleinen Schrein neben mir steht eine Vitrine, mit einer Glashaube drüber aus dickem, festen Glas, innen mit rotem Samt ausgeschlagen und mitten drin, so ganz in der Mitte drin, liegt ein kleines Stückchen Etwas, liegt ein kleines Stückchen gepresstes und geknicktes Stroh. Es ist schon merkwürdig - träume ich noch oder bin ich schon wach?

Ich lege mich etwas nachdenklich zurück und krieche mit den Beinen unter die leichte Decke, decke mich langsam zu. Dann strecke ich mich zufrieden in meinem zu großen Bett und spüre mich selbst, recke und strecke mich so richtig. Meine Augen fallen langsam zu, mein Blick wird langsam klar, es ist ganz, ganz still um mich geworden, jetzt, jetzt sind sie wieder da, die Bilder, die so klar und präsent sind. Es herrscht die größte Stille der Stille und da beginnt es wieder, ein wahrlich phantastisches Orchester, eine phantastische Phantasie der Töne, nie Gehörtes und nie Geahntes, nie Gesehenes, nie Gespürtes, Gefühltes bricht da los.

Man könnte meinen, das Weltenorchester setzt ein - spielt in seiner Weise wunderbar. Das Weltenorchester - neben mir die Vitrine mit dem roten Samt und seinem Böschen, drinnen. Das Rauschen des Wassers, die Wellen kratzen zaghaft über mir - über den Sand, Temperaturen mischen sich unter Temperaturen, schieben sich behutsam übereinander, wallen noch einmal auf, die eine will sich der anderen noch nicht so recht ergeben - die Zeit geht mit der Nichtzeit Hand in Hand durch den Pinienwald. Wetter neigen sich zu Wetter und Wetter gegen Wetter, Nass verdrängt das Trockene, Tropfen des Regens mischen sich unter Tropfen des Regens, die Tropfen mischen sich mit der Nichtzeit entlang der Zeit.

Bald legt sich Weihnachten an Silvester und Silvester, der gute, lehnt sich an Weihnachten, das brave. Sie neigen sich beide den Wellen entgegen. Die Wellen des Meeres im Zwielicht, die Wolken folgen dem Zwielicht, Wolkenfetzen treiben Wolkenfetzen, die Sonne ist noch droben, die grauen, schwer behangenen Klumpenwolken ziehen zäh ihren mühsamen Gang, bäumen sich auf und stellen sich zwischen mich und das Licht, stellen sich zwischen die Zeit und die Nichtzeit. Als hätten sie einen Preis zu gewinnen, der keiner ist. Oben sind die Wolken noch schneeweiß, unten fast schwarz, manchmal lassen sie eine leichte, feine Lücke zwischen mir und dem Licht, ich sehe in die blaue, klare Nichtzeit hinaus. Ganz so, als sei es ein Privileg ganz für mich allein.

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