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Bruderzwist im Hause Habsburg
ОглавлениеDie Suche nach Sündenböcken machte selbst vor den Angehörigen des Herrscherhauses nicht halt. Nachdem der Feldmarschall Hermann Christoph von Rußwurm – ein Calvinist wie Bocskai – für den Verlust der Festung Gran aufs Schafott geschickt worden war, gingen die Erzherzöge aufeinander los, kaum dass Frieden herrschte. Der nun folgende Bruderzwist verschärfte den Schaden, den der Krieg angerichtet hatte. Die ohnehin angeschlagene Dynastie wurde weiter geschwächt; radikale Kräfte in den Ständeversammlungen sahen sich bestärkt und hielten die Zeit für gekommen, durch gewaltsame Konfrontation ihre konfessionellen und politischen Ziele zu erreichen. Entscheidend war dabei, dass durch besagte Familienfehde die Aufmerksamkeit des Kaisers zu einer denkbar ungünstigen Zeit vom Reich abgelenkt wurde, wodurch auch noch der letzte Rest an Wohlwollen seitens der Reichsstände aufgezehrt wurde und die Bemühungen aller Friedwilligen um eine verträgliche Lösung des Konflikts zunichtegemacht wurden. Die Interpretation dieses sprichwörtlich gewordenen „Bruderzwists im Hause Habsburg“ ist maßgeblich durch Franz Grillparzers Drama Ein Bruderzwist in Habsburg beeinflusst worden. In diesem Meisterwerk der österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts tritt Erzherzog Matthias in der Rolle des rücksichtslosen, machthungrigen Usurpators auf, während Rudolf trotz all seiner Fehler als gütiger, friedliebender Monarch dargestellt wird. Tatsächlich war Matthias’ Haltung wesentlich komplexer, und auch die anderen Erzherzöge spielten in dem Drama, das die Wirklichkeit entfaltete, mehr als nur eine Nebenrolle.
Die von allen Seiten erhobenen Vorwürfe wegen des Krieges zwangen die Herrscherfamilie dazu, sich gründlich mit der ansonsten gern ignorierten – und durchaus problematischen – Frage der österreichischen Erbfolge auseinanderzusetzen. Rudolf kam im April 1578 mit seinen fünf Brüdern überein, es auf keinen Fall wie ihr Großvater Ferdinand zu machen, der bei seinem Tod 1564 die österreichischen Erblande aufgeteilt und sie damit – wie es nun erschien – zersplittert hatte. Als ältester Vertreter der habsburgischen Hauptlinie würde Rudolf Österreich, Böhmen und Ungarn erhalten, während seinen Brüdern standesgemäße Apanagen sowie Posten als Provinzstatthalter zustehen sollten – solange sie nicht anderswo etwas Besseres fanden. Misslicherweise hatte die Ausbreitung der Reformation im Heiligen Römischen Reich dafür gesorgt, dass die Anzahl geeigneter Posten in der Reichskirche drastisch geschrumpft war; schon in den 1580er-Jahren waren zahlreiche Bistümer lutherisch geworden. Nach dem frühen Tod des Erzherzogs Wenzel im September 1578 waren immerhin noch vier Brüder zu versorgen. Ernst, der nächstälteste, schien mit seinem Posten als Statthalter in Österreich und Befehlshaber an der ungarischen Militärgrenze ab 1577 durchaus zufrieden; durch seinen Tod 1595 trat aber auch er von der Bühne des Bruderzwistes ab. Albrecht, der jüngste überlebende Bruder, blieb nach 1571 in Spanien, wo ihn schließlich Philipp II. zum Gatten seiner Tochter Isabella erkor (die zu heiraten sich Albrechts Bruder Rudolf ja zuvor geweigert hatte). Obwohl sein Name von verschiedenen Seiten ins Spiel gebracht wurde, verhinderte Albrechts enge Bindung an die spanische Krone doch von vornherein, dass er einen ernst zu nehmenden Anspruch auf Österreich und das Reich erhob.
Eine Erkrankung im Kindesalter hatte Erzherzog Maximilian, den mittleren der Brüder, davon abgehalten, die bei den österreichischen Habsburgern traditionelle Bildungsreise nach Spanien anzutreten. Stattdessen war er von seiner Mutter auf eine Karriere in der Reichskirche vorbereitet worden, zeigte aber eigentlich eher militärische Ambitionen. Ein Kompromiss wurde gefunden, und ab 1585 amtierte Maximilian zuerst als Koadjutor, dann als Hochmeister des – als Ritterorden noch aus der Zeit der Kreuzzüge stammenden – Deutschen Ordens. Bei der umstrittenen Wahl von 1586/87 wurde Maximilian zwar als Kandidat der Minderheit zum polnisch-litauischen König erwählt, konnte sich aber nicht gegen den Favoriten, Sigismund III. Wasa aus Schweden, durchsetzen, der ihn in der Schlacht gefangen nahm. Obwohl Rudolf ihn 1589 freikaufte, gab Maximilian seinem Bruder, der ihn nicht genügend unterstützt habe, die Schuld am letztendlichen Scheitern seiner Kandidatur. Der Ausbruch des Langen Türkenkrieges eröffnete Maximilian ein neues Betätigungsfeld, und nach Aussage seiner Zeitgenossen erwies er sich tatsächlich als der fähigste Feldherr unter den Erzherzögen. Bei Mezőkeresztes kostete ihn jedoch die Disziplinlosigkeit seiner Truppen den Sieg, und auch ein kurzes Gastspiel im Sumpf der siebenbürgischen Politik trug zu seiner Desillusionierung bei. Erst der Zusammenbruch Rudolfs im Jahr 1600 veranlasste, wie es scheint, Maximilian zu neuem Handeln. Von allen Erzherzögen unterhielt er die umfassendsten Kontakte zu den deutschen Reichsfürsten, was er wohl vor allem seiner Stellung als Hochmeister des Deutschen Ordens verdankte. Auch nach der Reformation blieb nämlich der Orden gewissermaßen „ökumenisch“, indem er sich nicht der einen oder anderen Konfession anschloss. Das entsprach ganz Maximilians eigener, pragmatischer Haltung in Glaubensfragen sowie seinem ausgeprägten Friedenswillen nach innen. So wurde er, den seine früheren Enttäuschungen derart entmutigt hatten, dass er an die Nachfolge seines Vaters keinen Gedanken verschwendete, zum ehrlichen Makler zwischen Fürsten und Erzherzögen. Zudem konzentrierte er sich auf die Festigung der habsburgischen Macht in Tirol, dessen Statthalter er 1602 wurde.73
Also blieb nur noch Matthias, nächstältester der Brüder nach Ernst und ab 1595 Hauptanwärter auf die Kaiserkrone.74 Auch er war der spanischen Erziehung entgangen, weshalb ihm die steife Förmlichkeit seiner Brüder fehlte. Auf den ersten Blick mag er dennoch als der unsympathischste unter den Erzherzögen erscheinen, der das Leben eines Playboy-Prinzen führte, mit allen Ausschweifungen und zunehmender Trägheit. Freilich besaß er einen gewissen Charme, und in einer Familie, die ansonsten für ihre mürrisch-düstere Veranlagung bekannt war, muss sein so ganz und gar untypischer Sinn für Spaß und Geselligkeit eine erfrischende Abwechslung bedeutet haben. So überraschend es scheinen mag: Zumindest ein wenig verkörperte er auch die gemäßigte Denkungsart seines Vaters, Kaiser Maximilians II., und fühlte sich deshalb zur Beilegung konfessioneller Streitigkeiten berufen. Eines Nachts im Jahr 1577 brach Matthias auf, ohne irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen von seinen Reiseplänen gesagt zu haben, und tauchte wenig später in den Niederlanden auf, als die dortige Krise gerade ihren schrecklichen Höhepunkt erreicht hatte. Gern nahm Matthias die Einladung der Aufständischen an, ihr Statthalter zu werden. Nur war dieser Posten, so viel wurde bald deutlich, gleich ein paar Nummern zu groß für ihn. Die Anführer des Aufstands bedienten sich seiner bloß, um das Gesicht zu wahren, und nur so lange, bis sie ihre Kräfte mobilisiert hatten; dann trieben sie ihn 1581 umstandslos außer Landes. Das war eine ernüchternde Erfahrung und noch dazu eine, die ihn zur Untätigkeit verdammte – denn seine Verwandten trauten ihm nun nicht mehr über den Weg. Dennoch war er der einzige verfügbare Erzherzog, der 1595 Ernst als Statthalter von Österreich ersetzen konnte, während der Türkenkrieg reichlich Gelegenheit bot, militärische Kommandoerfahrung zu sammeln. Bei Anbruch des neuen Jahrhunderts mehrten sich die Anzeichen dafür, dass der einstige Lebemann merklich gereift war; zum Teil war das wohl auf den Einfluss des Bischofs Khlesl zurückzuführen, mit dem er in Österreich eng zusammenarbeitete: zur Förderung des Katholizismus und zur Befriedung des Bauernaufstands.
Erzherzog Ferdinand und sein Bruder Leopold aus der jüngeren Tiroler Linie erhoben ihre eigenen Ansprüche auf das österreichische Erbe. Als junge Männer der „Generation Gegenreformation“ verkörperten sie eine attraktivere Alternative zu Spanien oder Bayern als die älteren Erzherzöge, die sich an die Hoffnung ihrer Väter auf einen konfessionellen Ausgleich klammerten. Ferdinand war mit Bayern durch Heirat verbunden und hatte in Spanien sowie beim Papst mit seiner tiefen Frömmigkeit und seiner Hingabe für die Sache der Gegenreformation einigen Eindruck hinterlassen. Leopold war, als ein jüngerer Bruder, für die geistliche Laufbahn bestimmt gewesen – ein Schicksal, für das er zutiefst ungeeignet erschien. Obwohl er Bischof von Passau (1605) und Straßburg (1607) wurde, empfing er doch nie die höheren Weihen und blieb somit ein „Joker“ unter den Erzherzögen, der ohnehin viel mehr Interesse am Krieg und an der großen Politik zeigte als an seinen Bistümern.
Die Auftaktrunde Das zunehmend erratischere Verhalten Rudolfs II. brachte die Erzherzöge zu der Überzeugung, dass es Zeit war zu handeln. Der spanische Botschafter hatte bereits 1603 die Möglichkeit zur Sprache gebracht, den Kaiser ganz einfach abzusetzen, aber der Papst hatte gezögert, einem solchen Vorgehen seinen Segen zu geben – immerhin war es alles andere als ausgemacht, dass Rudolf tatsächlich unzurechnungsfähig war. Der Ausbruch des Bocskai-Aufstandes zerstreute derartige Bedenken im Handumdrehen. Im April 1605 traten die Erzherzöge in Linz zusammen und vereinbarten, dass sie Rudolf, gleichsam als ersten Schritt, zur Abtretung Ungarns zwingen würden. Bischof Khlesl war bemüht, Matthias zu lenken, damit dieser nicht irgendetwas Unüberlegtes anstellte – aus den Händen der ungarischen Aufständischen die Stephanskrone entgegennehmen, beispielsweise –, und gab außerdem sein Bestes, um die Spanier günstig zu stimmen, die Matthias noch immer für die Eskalation des Niederländischen Aufstandes verantwortlich machten. Als ein Experte in Public Relations wusste der Bischof ganz genau, wie er Matthias zu präsentieren hatte: als einen Mann, der die Sorgen und Nöte seiner Untertanen verstand – im Gegensatz zu Rudolf, der ein traditionelles, distanzierteres Herrschaftsverständnis verkörperte.75 Am 25. April 1606 rief Khlesl die Erzherzöge noch einmal zusammen, diesmal in Wien, und gewann ihnen die Zusage ab, Matthias als alleinigen Nachfolger Rudolfs zu unterstützen. Dieser wurde für regierungsunfähig erklärt, was Matthias den Zugriff auf die habsburgischen Erblande eröffnete: Dergestalt ausgestattet konnte er aus einer Position der Stärke heraus mit den Kurfürsten verhandeln, die ihn ja schließlich zum „König der Römer“ (rex Romanorum) wählen sollten, was Matthias zugleich den Kaisertitel sichern würde.
Spanien unterstützte den Plan und ließ Albrecht im November seine Zustimmung dazu geben. Nun spielte aber Ferdinand ein doppeltes Spiel, indem er vorgab, Matthias zu unterstützen, insgeheim jedoch hoffte, Rudolf würde ihn selbst als seinen Nachfolger benennen. Als Matthias dies zu Ohren kam, machte er den Wortlaut der Vereinbarung vom April 1606 öffentlich, wodurch er Rudolfs Vertrauen in Ferdinand erschütterte und seinen Rivalen auf diese Weise kurzzeitig aus dem Rennen warf. Rudolfs beherzter Widerstand gegen den Plan verunsicherte die Kurfürsten, die sich ungern auf einen Nachfolger einigen wollten, solange der amtierende Kaiser noch am Leben war. Ohnehin zogen, was die Nachfolge als Kaiser betraf, der pfälzische Kurfürst und die protestantischen Reichsstände den Erzherzog Maximilian seinem Bruder Matthias vor. Als im Oktober 1607 die Heiducken einen Aufstand anzettelten – sie fühlten sich nach dem Ende der Bocskai-Revolte im Stich gelassen –, steuerte die Sache auf ihre Entscheidung zu. Die ungarischen Magnaten hatten Rudolf im Verdacht, den Heiducken-Aufstand angestiftet zu haben, um den Wiener Frieden vom Juni 1606 zu sabotieren. Jedenfalls zerschlug die Krise die Hoffnungen Khlesls auf eine unkomplizierte Erbfolgeregelung ohne weitere Zugeständnisse an die Stände, weshalb der Bischof sich nun auf die hochriskante Strategie verlegte, Rudolf mit ungarischer Unterstützung zum Einlenken zwingen zu wollen.
Matthias wiederum wandte sich, nachdem es ihm im Juni 1607 endlich gelungen war, sich den Posten des Statthalters von Ungarn zu sichern, offen gegen Rudolf und berief im Januar des darauffolgenden Jahres die ungarischen Stände nach Pressburg. Auch die Stände Ober- und Niederösterreichs schickten Abgesandte und schlossen sich der im Februar zwischen Matthias und den Ungarn geschlossenen Allianz an. Vordergründig ging es darum, die nach dem Ende des Bocskai-Aufstandes gefundene Regelung zu stützen und sicherzustellen, dass Rudolf den Waffenstillstand mit den Türken einhielt. In der Praxis jedoch wurde Matthias die Krone Ungarns übertragen, wofür dieser im Gegenzug den ungarischen Protestanten weitere Garantien zusagte und dem Adel Zugeständnisse auf Kosten der Bauern machte.
Rudolf genoss zwar noch immer den Rückhalt der katholischen Minderheit Ungarns, die sich weigerte, der Allianz gegen den Kaiser beizutreten; aber mit seinen wenig feinfühligen politischen Manövern schien er hart am Werk, auch noch seine letzten Unterstützer zu verprellen. Eine ungeschickte Intervention Rudolfs in die inneren Angelegenheiten Mährens brachte das Fass dort zum Überlaufen, und im April traten die mährischen Stände geschlossen Matthias’ Bündnis bei. Der wiederum tat nun alles, um die Situation weiter eskalieren zulassen, weil er hoffte, dass eine große Krise ihm auch die böhmischen Stände zutreiben und Rudolf vollkommen isoliert zurücklassen würde. Mit Unterstützung der protestantischen Mehrheit im mährischen Landtag zog Matthias bei Znaim (Znojmo) in Südmähren, nahe der Grenze zu Niederösterreich und unweit Wiens, ein Heer von 20 000 Österreichern und Mährern zusammen. Weiter im Osten, am Ufer der March, versammelten sich 15 000 weitere Bewaffnete aus Ungarn. Matthias plante offenbar, in voller Stärke beim Generallandtag der habsburgischen Stände zu erscheinen, den er in das mittelböhmische Tschaslau (Čáslav) einberufen hatte, eine Königsstadt genau auf halbem Weg zwischen seinem Heerlager und Prag. In einem an die deutschen Fürsten gerichteten Manifest rechtfertigte er sein Vorgehen mit der Wiederherstellung der Stabilität sowohl in den habsburgischen Ländern als auch im Reich.
Nun hielten die Böhmen den Trumpf in der Hand. Wenn sie sich Matthias ebenfalls anschlössen, dann würden Schlesien und die beiden Lausitzen nachziehen – Rudolf stünde allein da. Ermuntert durch ihre militanter auftretenden Glaubensgenossen in Deutschland, ergriffen die Anführer der böhmischen Protestanten die Gelegenheit, ihrem Glauben endlich jene offizielle Anerkennung zu verschaffen – wenn nötig mit Gewalt –, die ihm die Habsburger 1575 durch ihre Ablehnung der Confessio Bohemica verweigert hatten (siehe Kapitel 3). Dem Kaiser standen gerade einmal 5000 unbesoldete Freiwillige unter ihrem Obristen Tilly zur Verfügung, die sich allerdings bereits auf dem – schleunigen – Rückzug in Richtung Prag befanden. Das Vertrauen des spanischen Botschafters hatte er verloren; dieser riet dem Kaiser, er solle rasch eine Vereinbarung treffen, solange dies noch möglich sei. Durch sein Stillschweigen gestattete es Rudolf den böhmischen Ständen, in Prag zusammenzukommen und im Mai mit ihren eigenen militärischen Vorbereitungen zu beginnen. Als sie jedoch merkten, dass auch Matthias’ Geld zur Neige ging, legten die Böhmen ihre Karten auf den Tisch, indem sie die kaiserliche Ladung nach Tschaslau abwiesen und stattdessen offen für Rudolf Partei ergriffen.
So wurden beide, Matthias wie Rudolf, von ihren vermeintlichen Unterstützern ausmanövriert, die mit dem am 25. Juni 1608 geschlossenen Frieden von Lieben unter dem Deckmantel innerhabsburgischer Versöhnung ihre je eigenen Ziele verfolgten. Rudolf wurde gezwungen, seine Pläne für einen erneuten Krieg gegen die Türken aufzugeben, die Stephanskrone an seinen Bruder Matthias abzutreten und ihn überdies als Herrscher über Mähren, Ober- und Niederösterreich anzuerkennen. Die Mährer erhielten größere Autonomie innerhalb des böhmischen Kronverbandes und setzten eine neue Regierung unter Karl von Žerotin ein, einem klugen, aufrichtig um Frieden bemühten Anhänger der Böhmischen Brüder.
Die Österreicher, Mährer und Ungarn nutzten die Gelegenheit ihres Treffens in Matthias’ Lager, um am 29. des Monats ihre eigene Allianz zu schmieden; sie wollten in Zukunft zusammenarbeiten, um den Habsburgern weitere Zugeständnisse abzupressen. Matthias und Bischof Khlesl hatten so etwas schon erwartet, weshalb sie nun versuchten, durch Einzelverhandlungen mit den jeweiligen Landständen Schadensbegrenzung zu betreiben. Im August 1608 empfing Matthias die Huldigung der mährischen Stände, denen er im Gegenzug die Freiheit von religiöser Verfolgung zusagte. Das blieb zwar weit hinter der völligen rechtlichen Gleichstellung zurück, wie sie den radikalen Protestanten vorschwebte, doch Žerotin hielt sie in Schach: Er war schon froh, dass sein Land nun überhaupt zu größerer politischer Autonomie gelangt war. In Österreich stellte die Lage sich gänzlich anders dar, denn hier dominierten in den Ständevertretungen zunehmend Männer wie der Freiherr Georg Erasmus von Tschernembl, der seit 1598 auf der Herrenbank des oberösterreichischen Landtags saß. Als ehemaliger Student der radikalprotestantischen Universität Altdorf bei Nürnberg hatte Baron Tschernembl schon in den 1580er-Jahren das gesamte protestantische Europa bereist, sich mit führenden Gelehrten und Reformern getroffen und mit ihnen über den Widerstand gegen die Tyrannei der Fürsten diskutiert. Obwohl er dem Bauernaufstand von 1595–97 ablehnend gegenübergestanden hatte, war Tschernembl doch eher als viele seiner Standesgenossen bereit, auch dem „gemeinen Mann“ ein Widerstandsrecht einzuräumen. Daher erklärt sich auch das große Interesse, auf das Tschernembl in der späteren Forschung gestoßen ist (die seine Bedeutung freilich oft überschätzt hat).76 Als Calvinist gehörte er einer Minderheit unter den österreichischen Protestanten an, aber die inneren Streitigkeiten der Habsburger hatten ihm die Chance eröffnet, sich nach oben zu kämpfen und Wortführer der oberösterreichischen Stände zu werden. Allerdings sollte es ihm nie gelingen, auch die lutherischen Stände restlos auf seine Seite zu ziehen, und sein Radikalismus sorgte dafür, dass die wenigen Übereinstimmungen, die bislang zwischen gemäßigten Katholiken und Protestanten noch bestanden hatten, schon bald Geschichte waren.
Georg Erasmus von Tschernembl war der Ansicht, Rudolfs Verzicht auf seine österreichischen Länder habe ein Interregnum geschaffen, wodurch die Macht so lange in die Hand der Stände gefallen sei, bis diese Matthias als Thronfolger akzeptiert haben würden. Mit dieser ganz auf Formalien und Verfahrensfragen abgestellten Argumentation gelang es Tschernembl, 166 protestantische Herren und Ritter aus Ober- und Niederösterreich in der niederösterreichischen Protestantenhochburg Horn zu versammeln und am 3. Oktober 1608 zum feierlichen Bundesschwur zu bewegen: Die Anhänger der Horner Bewegung sagten sich endgültig von den Katholiken und den moderaten Protestanten los und riefen eine unabhängige Regierung ihrer beiden Länder aus. Sie bewilligten Gelder (die freilich ihre Pachtbauern aufbringen sollten), um Truppen auszuheben, und schickten Gesandte nach Ungarn sowie an den Hof des calvinistischen Pfälzer Kurfürsten. Um ihnen zuvorzukommen, zog Matthias rasch nach Pressburg, um seinerseits mit den ungarischen Ständevertretern zu verhandeln. Er willigte ein, den Vereinbarungen des Wiener Friedens Taten folgen zu lassen, und musste zusehen, wie der ungarische Landtag den Protestanten Illésházy erneut zum Palatin wählte. Nachdem sie die ungarische und die siebenbürgische Autonomie bekräftigt hatten, erkannten die Ständevertreter endlich, am 19. November, Matthias als neuen König von Ungarn an.
Angesichts der noch immer aufsässigen Österreicher auf der einen sowie seines in Prag Intrigen spinnenden Bruders auf der anderen Seite war Matthias’ Position alles andere als gesichert. In einer von vielen schlaflosen Nächten, heißt es, soll er ausgerufen haben: „Mein Gott, was soll ich tun? Halte ich nicht, was ich ihnen bewilligt, so komme ich um Land und Leute. Halte ich’s dann, so bin ich verdammt!“77 Am 19. März 1609 willigte er in die meisten von Tschernembls Forderungen ein, setzte alle gegenreformatorischen Maßnahmen aus, indem er die Assekuration von 1571 erneuerte, und fügte alldem noch das mündliche Versprechen hinzu, für die freie Religionsausübung in den Kronstädten sorgen zu wollen. Auf einen Schlag waren sie wie weggefegt, die akribischen Bemühungen der letzten 30 Jahre, habsburgische Autorität und katholische Konformität zugleich durchzusetzen. Während die österreichischen Stände ihn nun als Erzherzog anerkannten, hatte Matthias die katholische Minderheit, die sich von ihrem Herrscher im Stich gelassen fühlte, gründlich vor den Kopf gestoßen. Der listenreiche Bischof Khlesl hielt sich diskret im Hintergrund. Er war in Wien zurückgeblieben, als sein Fürst 1608 zu seinem provokanten Einmarsch nach Böhmen aufgebrochen war. Zu Ostern 1609 verweigerte er Matthias öffentlich die heilige Kommunion – und hatte doch hinter verschlossenen Türen selbst zu den Zugeständnissen geraten, die in seinen Augen nicht mehr als ein taktisches Mittel zum Zweck darstellten. Von Tschernembl gedrängt, den „Erzverschwörer“ Khlesl von seinem Hof zu verbannen, erwog Matthias, diesen zur Wahrung seines Ansehens nach Rom zu entsenden, um ihn – dazu wollte freilich der Papst überredet sein – zum Kardinal erheben zu lassen. Doch da sich die Beziehungen zwischen Matthias und seinem wichtigsten Berater eintrübten, konnte der Erzherzog gegenüber den Ständen kein Stückchen Boden gutmachen.
Die Majestätsbriefe von 1609 Die Böhmen hatten indessen keine Zeit verloren, den Kaiser zur Einhaltung seines nachgerade faustischen Paktes zu drängen. Durch den Machtkampf mit seinem Bruder war Rudolfs verbliebenes Ansehen ruiniert worden, und er hatte niemanden mehr, der ihm gegen die unaufhaltsame Erosion seiner kaiserlichen Würde beistehen wollte. Nachdem die böhmischen Stände 1608 vertagt worden waren, traten die Protestanten unter ihnen im April 1609 auf eigene Faust wieder zusammen und erzwangen sich Zutritt zum „Allerheiligsten“ des Kaisers in der Prager Burg – gegen seinen ausdrücklichen Befehl, er wolle von niemandem gestört werden. Wie schon in Österreich waren es vor allem die radikalen Kräfte, die in der aufgeladenen Atmosphäre ihre große Chance witterten und sich entsprechend in den Vordergrund drängten. „Dieser König taugt nichts!“, schrien manche; „Wir brauchen einen neuen!“ Graf Thurn wiederum erntete Applaus, als er zur Mobilmachung aufrief, diesmal freilich gegen den Kaiser.78 Die Familie des Grafen – ursprünglich als „della Torre“ bekannt – stammte aus Oberitalien, hatte aber, wie so viele ihrer adligen Landsleute, Grundbesitz in Österreich und Böhmen erworben. Der Graf von Thurn, um den es hier geht, Heinrich Matthias, ist in der Geschichtsschreibung fast ausnahmslos schlecht weggekommen. Ohne Frage war er ein außergewöhnlich unfähiger Politiker – und ein schlechter Stratege obendrein. Zwar war er Lutheraner, doch lässt sein Verhalten eher persönlichen Ehrgeiz denn religiösen Eifer als Hauptantrieb seines Handelns vermuten. Sein radikales Auftreten im Frühjahr 1609 rührte vornehmlich daher, dass er dem Kaiser mangelnde Erkenntlichkeit für seine Dienste im Langen Türkenkrieg vorwarf.
Thurn sorgte dafür, dass in den kommenden Wochen ein gnadenloser Hagel immer neuer Forderungen auf den labilen Kaiser einprasselte, der schließlich am Abend des 9. Juli entnervt aufgab und jenen berühmt-berüchtigten Majestätsbrief unterzeichnete, der den böhmischen Protestanten religiöse und politische Freiheiten gewährte, die weit über die entsprechenden Privilegien ihrer österreichischen und ungarischen Glaubensbrüder hinausgingen. Von nun an sollten die Herren, Ritter und Königsstädte Böhmens frei wählen dürfen, welcher Konfession sie angehören wollten. Außerdem sollte jede Glaubensgemeinschaft zehn „Defensoren“ (Verteidiger) ernennen, die für die Wahrung aller verbrieften Rechte eintreten würden. Auf diese Weise entstand de facto eine Parallelregierung unter dem Vorsitz des Václav Budovec von Budov, die neben der offiziellen habsburgisch-böhmischen Verwaltung unter dem Oberstkanzler Lobkowitz existierte. Thurn sowie Leonhard Colonna von Fels – ein weiterer militärischer Dilettant italienischer Abstammung – wurden zu Oberbefehlshabern der protestantischen Miliz ernannt. Andere Protestanten übernahmen die Prager Universität und das utraquistische Konsistorium, wodurch der institutionelle Rahmen für die Schaffung einer eigenen protestantischen Landeskirche geschaffen wurde.79 Am 20. August 1609 erzwangen die schlesischen Stände einen ganz ähnlichen Majestätsbrief, durch den auch die Lutheraner und Katholiken Schlesiens gleichgestellt wurden.
Seit 1599 waren die böhmischen Katholiken im Aufstieg begriffen gewesen, doch nun wurden sie von der Dynastie fallen gelassen, die ihr einziger Schutz war. Slavata verlor seinen Posten als Burggraf von Karlstein, der traditionell für den Schutz der Reichsinsignien (Kaiserkrone, Schwert und Heilige Lanze, dazu viele weitere Kostbarkeiten) des Heiligen Römischen Reiches verantwortlich gewesen war und noch immer die böhmischen Kronjuwelen bewachte. Neuer Burggraf von Karlstein wurde Heinrich Matthias von Thurn. An der Spitze einer Gruppe von Katholiken, die sich weigerten, den Majestätsbrief durch ihre Unterschrift anzuerkennen, stand Fürst Lobkowitz, der Oberstkanzler von Böhmen. Diese Weigerung isolierte den Kaiser noch weiter. Das Prestige der Habsburger stürzte auf einen neuen Tiefpunkt ab, was Tschernembl in Österreich und seine radikalen Verbündeten in Deutschland davon überzeugte, der Zusammenbruch des Herrscherhauses stehe unmittelbar bevor. Ihre Hoffnungen schienen sich zu erfüllen, als Rudolf nun auch den österreichischen Protestanten einen Majestätsbrief anbot – vorausgesetzt, sie liefen zu ihm über.
Diese tiefe Krise fiel zusammen mit der Herausbildung untereinander verfeindeter Lager unter den protestantischen und katholischen Fürsten des Reiches. Dazu kamen internationale Spannungen rund um den Jülich-Klevischen Erbfolgestreit (dazu weiter in Kapitel 7). Der große Krieg blieb dennoch aus, und die unmittelbare Bedrohung des Hauses Habsburg ging bald zurück. Das verlangt nach einer Erklärung, bevor wir uns dem Geschehen in anderen Gegenden Europas zuwenden.
Die Radikalen wurden Opfer ihres eigenen Erfolgs. Zwar bedeuteten die Zugeständnisse von 1608/09 auf den ersten Blick nicht weniger als die Erfüllung eines lang gehegten Traums, die eine Mehrheit der Protestanten tief befriedigen musste und ihr Verlangen, engere Verbindungen zu den Glaubensgenossen im Reich und darüber hinaus zu knüpfen, deutlich dämpfte. Weil diese Wunscherfüllung jedoch mit vorgehaltener Klinge erzwungen worden war, wollten die meisten deutschen Protestanten nichts mit jenen österreichischen und böhmischen Radikalen zu tun haben, die sie erwirkt hatten und die man landläufig als treulose Verräter am kaiserlichen Herrscherhaus betrachtete. Geblendet von ihrem vermeintlichen Erfolg, bemerkte die radikale Minderheit überhaupt nicht, wie rapide sie an Akzeptanz verlor. Eine Gesandtschaft, die bei den protestantischen Reichsständen um ein Darlehen nachsuchen sollte, kehrte gegen Ende des Jahres 1608 mit leeren Händen zurück, und bis Februar 1610 mussten die Böhmen einsehen, dass sie ihre kostspielige Miliz am besten auflösten.80 Während in Mähren das gütige Wesen Karls von Žerotin weiterhin für einen Ausgleich zwischen Protestanten und Katholiken sorgte, redeten in den restlichen habsburgischen Ländern zu diesem Zeitpunkt beide Lager schon nicht mehr miteinander. Der radikalprotestantische Boykott der offiziellen Landtage ermöglichte es der katholischen Minderheit, die Kontrolle über die Ständeversammlungen zurückzuerlangen, wogegen sich ihre Gegner in sektiererischen Privatversammlungen trafen, denen jegliche Verfassungsgrundlage fehlte.
Der Ausbruch des Türkenkrieges hatte 1593 zahlreiche Gefahren mit sich gebracht – aber auch günstige Gelegenheiten. Rudolf II. fand zu einem neuen Lebenssinn, während die deutschen Fürsten und die habsburgischen Stände sich geschlossen hinter ihn stellten und große Geldsummen für seinen glorreichen „Kreuzzug“ bewilligten, Militante und Extremisten aller Couleur jedoch ins Abseits gedrängt wurden. Das Unvermögen, im ungarischen „Burgenkrieg“ gegen die Osmanen bleibende Fortschritte zu erzielen, führte unter Rudolfs Verwandten und Untertanen allerdings zu wachsender Frustration. Die Situation wurde immer heikler, nachdem zuerst der innerösterreichische Erzherzog Ferdinand, später dann Matthias und Rudolf selbst in ihren jeweiligen Herrschaftsbereichen die radikale Gegenreformation zur Richtschnur aller Politik gemacht hatten. Das Wiedererstarken des Katholizismus war aufs Engste mit den gleichzeitigen Bemühungen um eine Festigung der habsburgischen Herrschaftsgewalt und Autorität verknüpft. Das war ein entscheidender Umschwung, denkt man an die Zeit vor 1576 zurück, als Ferdinand I. und Maximilian II. ihren ganzen Einfluss geltend machten, um eine Versöhnung der rivalisierenden Konfessionen herbeizuführen. Durch die Verquickung konfessioneller und dynastischer Interessen wurde die habsburgische (Religions-)Politik immer rigider und doktrinärer, bis es am Ende unmöglich geworden war, der einen Gruppierung in der einen Gegend Zugeständnisse zu machen, ohne damit die Position und das Ansehen des Herrscherhauses an anderem Ort und bei anderen Frommen zu untergraben. Diese Schwierigkeiten traten klar zutage, als Rudolf um 1600 begann, seine rigorose Rekatholisierungspolitik auf Oberungarn und Siebenbürgen auszuweiten. Angesichts des noch immer tobenden Türkenkrieges war dies der Gipfel der Torheit. Rudolfs unbedachtes Handeln provozierte den Bocskai-Aufstand, der wiederum Matthias zum Eingreifen zwang und zu dem in gleich mehrerlei Hinsicht unbefriedigenden Friedensschluss mit den Osmanen führte. Vor noch Schlimmerem bewahrte die Habsburger einzig und allein die Tatsache, dass der Sultan in den Jahren nach 1606 mit anderen Problemen zu kämpfen hatte; und doch taumelten die Habsburger nun vom Regen des Türkenkrieges in die Traufe ihres Bruderzwistes, der rasch als Bürgerkrieg außer Kontrolle geriet. In der riskanten Partie, die nun folgte, setzten die rivalisierenden Erzherzöge Rudolf und Matthias auch noch den letzten Rest ihres familiären Ansehens aufs Spiel – undverloren am Ende beide. Während Matthias sich zwar spätestens 1609 ansehnlicher Gewinne in Österreich, Mähren und Ungarn brüsten konnte, hatte er dafür doch den hohen Preis einer Stärkung der protestantischen Stände in den dortigen Landtagen gezahlt. Die Zugeständnisse, die Rudolf in seinen Majestätsbriefen den Böhmen und Schlesiern machte, sollten sich sogar als noch verhängnisvoller herausstellen. Tirol kam wohl einzig und allein deshalb unbeschadet davon, weil es dort seit 1595 keinen erblichen Erzherzog mehr gegeben hatte, und der zeitweilige „Ausstieg“ des Bruders Ferdinand aus der Familienfehde hielt auch Innerösterreich aus zumindest dieser Phase der Streitigkeiten heraus. Trotz alledem sollte diese Periode von 16 Jahren ununterbrochener Kriege, im Inneren wie im Äußeren, nicht spurlos an der Donaumonarchie vorbeigehen, ja die Habsburger im Gegenteil deutlich geschwächt zurücklassen. Den Nutzen trugen ihre reichen spanischen Vettern davon.