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Die Spanische Straße
ОглавлениеObwohl sie insgesamt als „Straße“ bezeichnet wurde, bedeutete eine Reise auf der Spanischen Straße doch erst einmal eine Reise auf dem Seeweg: von der spanischen Mittelmeerküste nach Genua, das – wie Rom – zum informellen Imperium der Spanier gehörte. Truppen, Geld und Nachschub wurden vom Galeerengeschwader der Genuesen transportiert, das auf diese Weise zum ebenso inoffiziellen Bestandteil der spanischen Mittelmeerflotte wurde. Von Genua aus marschierten die Soldaten in Richtung Norden, nach Mailand, dem Zentrum der spanischen Macht in Oberitalien, wo sie sich erholen konnten und ihre Reihen oft durch Rekruten aus den italienischen Besitzungen der Spanier verstärkt wurden. Die Hauptroute führte dann von der Festung Alessandria im Südwesten des Mailänder Territoriums hinüber nach Asti im Piemont, das dem Herzog von Savoyen gehörte, einem Verbündeten der Spanier bis 1610. Hier teilte sich der Weg: Der eine Abzweig führte in nordwestlicher Richtung über Pinerolo auf den Alpenpass am Monte Cenisio und von dort hinunter in das eigentliche Savoyen und an den Oberlauf der Rhône, der die Soldaten flussaufwärts nach Norden bis in die Franche-Comté folgten. Eine Nebenstrecke lief durch das Susatal westlich von Turin und über den Pass am Mont Genèvre. Wahlweise konnten die Truppen auch von Mailand aus direkt nach Norden marschieren, das Tal von Ivrea hinauf, dann durch das Aostatal, um über den Großen oder den Kleinen Sankt Bernhard auf die andere Seite des Gebirgsmassivs zu gelangen, wo sie durch das Tal der Arve in Obersavoyen hinunter nach Genf kamen und dann, in nordöstlicher Richtung am Kamm des Jura entlang, ebenfalls in die Franche-Comté. Hier liefen die drei Streckenvarianten wieder zusammen und nahmen Kurs nach Norden, durch das Herzogtum Lothringen nach Luxemburg hinein, womit bald auch das Kampfgebiet erreicht war. Die Seereise aus dem nordspanischen La Coruña um die Iberische Halbinsel herum nach Genua erfolgte über Tagesdistanzen von bis zu 200 Kilometern – fast zehnmal schneller als der mühsame Marsch über die Alpen und weiter über Land, bei dem die rund 1000 Kilometer von Mailand nach Flandern mit immerhin 23 Kilometern am Tag zurückgelegt wurden. Dennoch war der Überlandweg die sicherere Wahl, und so marschierten zwischen 1567 und 1620 mehr als 123 000 Soldaten auf der Spanischen Straße nach Norden, während im selben Zeitraum nur 17 600 auf dem Seeweg nach Flandern gelangten.121
Die Hugenottenkriege Die Sorge um „ihre Straße“ zog die Spanier in den 1580er-Jahren immer tiefer in die inneren Angelegenheiten Frankreichs und Savoyens hinein – in etwa so, wie die Niederländer und andere Nachbarn in die innerdeutschen Streitigkeiten hineingezogen wurden. Im Fall der Spanier kam es jedoch nicht zum Ausbruch eines Großkonflikts, da Frankreich für Spanien eine wesentlich größere Bedrohung darstellte, als dies irgendein deutsches Fürstentum vermocht hätte.
Frankreich war nach seinem Sieg über die Engländer im Hundertjährigen Krieg in eine Phase dynamischer Expansion eingetreten. Die französischen Könige aus dem Haus Valois konsolidierten ihre Herrschaft in den Kernprovinzen des Landes und zwangen auch vormals autonome Grenzregionen unter ihre Kontrolle: die Normandie (1450), Provence (1481) und Bretagne (1491), das Bourbonnais und die Auvergne (1523) sowie die piemontesische Markgrafschaft Saluzzo (1548). Bestrebungen, nach dem Tod des letzten Herzogs von Burgund 1477 auch dessen Erbe einzuziehen, führten zu einem langwierigen Krieg mit den Habsburgern, der nach der Invasion Italiens durch Karl VIII. von Frankreich im Jahr 1494 auf neue Schauplätze übergriff. Zwar endete dieser Konflikt schließlich, 1559, mit einer französischen Niederlage, aber die Bevölkerung Frankreichs hatte sich über das vergangene Jahrhundert hinweg verdoppelt und wuchs sogar noch weiter, sodass sie um 1600 die Zahl von 19 Millionen Einwohnern erreichte. Das Vermögen der französischen Krone, aus diesem Potenzial Nutzen zu ziehen, wurde jedoch durch den tödlichen Unfall Heinrichs II. bei einem Turnier 1559 stark eingeschränkt. Die französische Krone ging an seine Witwe, Katharina de’ Medici, die nacheinander als Regentin für eine ganze Reihe minderjähriger Söhne des verstorbenen Königs fungierte: Franz II. (1559–60), Karl IX. (1560–74) und Heinrich III. (1574–89). Die französische Aristokratie und überhaupt alle, die während des vergangenen Jahrhunderts zunehmender Königsmacht andauernd zu kurz gekommen waren, bemühten sich nun, ihren Einfluss wieder geltend zu machen, und schlossen sich unter der Führung diverser Prinzen von Geblüt gegen die Krone zusammen. Diese waren Angehörige des Hochadels, die durch Heirat mit dem Königshaus verschwägert, durch die Prinzipien der Erbfolge und das Verlangen der Krone, alle Macht bei sich zu konzentrieren, jedoch von der Herrschaft ausgeschlossen waren. Durch die Religion wurde die Sache kompliziert, da viele Angehörige des französischen Hochadels und ihre Klientel in den Provinzen um 1560 Hugenotten wurden, also die französische Spielart des calvinistischen Glaubens annahmen, während ihre Rivalen katholisch blieben. Nach 1562 kam es deshalb zu einer Reihe erbitterter Auseinandersetzungen, die als Hugenottenkriege in die Geschichte eingegangen sind und die königliche Autorität der Valois nachhaltig beschädigten, weil sie allen zeigten, dass dieses Königshaus keinen Frieden garantieren konnte.122
Der europäische Frieden wurde nun nicht mehr durch eine mögliche französische Aggression nach außen bedroht, sondern vielmehr von der Gefahr, eine Implosion des Königreiches könnte die umgebenden Länder in seinen Bürgerkrieg gleichsam „hineinsaugen“. Diese Gefahr drohte insbesondere dem Heiligen Römischen Reich, dessen Fürsten schließlich als eine ihrer „teutschen Libertäten“ das Recht ansahen, verbündeten christlichen Mächten im Bedarfsfall Waffenhilfe zu leisten. Obwohl die Reichsverfassung einer Aushebung von Soldaten zu diesem Zweck durchaus Grenzen setzte – sie durfte nicht gegen den Kaiser oder den Landfrieden gerichtet sein –, konnte man aufgrund der starken Zersplitterung der Reichsterritorien nur schlecht kontrollieren, welcher Fürst gerade irgendwo Truppen zusammenzog, um sie seinen Verwandten oder sonstigen Verbündeten jenseits der Reichsgrenze zur Verfügung zu stellen.123 Bereits im April 1562 hatten sich die Anführer der Hugenotten mit der Bitte um Unterstützung an die protestantischen Reichsstände gewandt – und diese auch prompt erhalten: 4000 Mann Kavallerie waren nach Frankreich gezogen, das erste von sieben deutschen Expeditionsheeren, die in den Hugenottenkriegen zum Einsatz kamen und insgesamt über 70 000 Soldaten umfassten. Auch den aufständischen Niederländern leisteten die protestantischen Fürsten des Reiches militärische Unterstützung, was nicht heißen soll, dass die katholischen Reichsstände in dieser Hinsicht weniger aktiv gewesen wären: Allein zwischen 1567 und 1575 stellten sie den Spaniern 57 200 Mann zur Verfügung, während im sogenannten Dreikronenkrieg zwischen Schweden und Dänemark (1563–70) auf beiden Seiten rund 25 000 Deutsche dienten. Diese Zahlen belegen das große Gewicht, das den Interventionen der Reichsfürsten in auswärtigen Konflikten zukam; insgesamt stellten sie mehr Truppen für die Kriege in Frankreich und den Niederlanden zur Verfügung als irgendeine andere „inoffizielle“ Konfliktpartei.
Zwischen 1562 und 1591 dienten in den Heeren der Hugenotten und der Niederländer rund 20 000 Briten, im (annähernd) selben Zeitraum 50 000 Schweizer für die französische Krone und 20 000 weitere aufseiten der hugenottischen Aufrührer. Treibende Kraft hinter den deutschen Rekrutierungsanstrengungen für die Sache der Hugenotten war die Kurpfalz, deren Landesfürst ja 1560 zum Calvinismus konvertiert war und die zudem mit Teilen ihres Territoriums direkt an die „Endstation“ der Spanischen Straße angrenzte. Das Bevölkerungswachstum in Deutschland sorgte dafür, dass den Fürsten die Rekruten nicht ausgingen; für die Finanzierung der benötigten Truppen hingegen waren die Hugenotten selbst sowie deren internationale Gönner zuständig. Allerdings trafen diese Gelder stets verspätet ein und deckten die entstandenen Kosten niemals ganz. Aus diesem Grund beschränkte sich die deutsche Intervention in die Hugenottenkriege denn auch auf ein sporadisches Eingreifen von höchstens einigen Monaten am Stück, wonach die meisten dieser kurzlebigen Expeditionen in blutigem Chaos endeten.
Lothringen und Savoyen Ihre Einmischung trug den protestantischen Reichsfürsten die Feindschaft und damit potenzielle Vergeltung der französischen Katholiken ein, die 1584 eine – wie sie selbst sagten – „Heilige“ Liga (Sainte Ligue) gegründet hatten, als klar wurde, dass der einzig plausible Erbe Heinrichs III., des letzten Valois, kein anderer als Heinrich von Bourbon sein würde, König von Navarra und Anführer der Hugenotten. Die Liga war ein Vehikel für das mächtige Haus Guise, das mit den Valois verwandt war und neben der Champagne und ihrem Umland im Nordosten Frankreichs auch über das größtenteils frankophone Herzogtum Lothringen herrschte, das formell zum Heiligen Römischen Reich gehörte. Die Herzöge von Guise betrachteten sich als Hüter des französischen Katholizismus und waren zu allem bereit, damit nur kein König auf Frankreichs Thron komme, der womöglich ihre politische Autonomie hätte beschneiden wollen. Durch die Lage ihrer Territorien spielten sie im strategischen Denken der Habsburger eine zentrale Rolle, denn wenn es darum ging, den letzten Streckenabschnitt der Spanischen Straße zu sichern oder französische Aggressionen in Richtung Elsass und Rhein zu kontern, war die Kooperation der Guise unerlässlich. Die Entscheidung Philipps II., die Liga ab Dezember 1584 mit Geldzahlungen zu unterstützen, verwandelte eine Abfolge von sieben heftigen, aber kurzen Bürgerkriegen in einen langwierigen, internationalen Konflikt, der bis 1598 andauern sollte. Die Situation innerhalb Frankreichs wurde allerdings überschaubarer, weil die diversen Splittergruppen sich rasch zu zwei verfeindeten Lagern formierten, die jeweils auf mächtige Verbündete im Ausland bauen konnten. England ergänzte sein Engagement im Niederländischen Aufstand 1585 durch eine Allianz mit Heinrich von Bourbon-Navarra und finanzierte außerdem das bislang größte deutsche Expeditionsheer, das ab August 1587 fünf Monate lang gegen die Liga der französischen Katholiken ins Feld zog. Diese wiederum rächten sich, indem sie in die protestantischen Territorien westlich des Rheins einfielen und allein in der Grafschaft Württemberg-Mömpelgard 62 Dörfer niederbrannten.
Ähnlich engagiert wie die Lothringer zeigte sich das Herzogtum Savoyen, ein weiteres auf seine gefährdete Autonomie bedachtes Territorium an der westlichen Peripherie des Reiches.124 Im früheren 16. Jahrhundert war Savoyen um Haaresbreite dem französischen Expansionsdrang entgangen – dank einer habsburgischen Intervention, die die Franzosen 1559, nach einer Besatzungszeit von 23 Jahren, zur Rückgabe des Territoriums zwang. Herzog Emanuel Philibert von Savoyen sah in den anschließenden inneren Wirren Frankreichs eine Chance, endlich der Bevormundung durch fremde Könige zu entfliehen. Er verlegte 1560 seine Residenz von Chambéry in Savoyen auf die andere Seite der Alpen, in das vergleichsweise sichere Turin im Piemont, und begann in der Folge, die Herausbildung einer eigenen, deutlicher savoyischen Identität zu befördern. Italienisch wurde zur offiziellen Sprache des Herzogtums erklärt, und 1578 kam das kostbare Heilige Grabtuch nach Turin (weshalb es heute als Turiner Grabtuch bekannt ist). Schriftstellern zahlte man ein hübsches Sümmchen dafür, dass sie einen Gründungsmythos des Herzogtums Savoyen ausfabulierten – so sei die neue Hauptstadt Turin etwa, wie es nun hieß, von einem umherwandernden ägyptischen Prinzen gegründet worden und somit älter als Rom und Troja. All diese Aspekte überzogen die savoyischen Autoren des 19. Jahrhunderts dann noch mit einer gehörigen Schicht von nationalistischem Zuckerguss, insbesondere nachdem das Haus Savoyen 1860 die Krone des frisch vereinten Königreiches Italien erlangt hatte. Im 16. Jahrhundert hatte die Familie freilich noch keine ganz so hochfliegenden Pläne, sondern konzentrierte sich zunächst voll und ganz darauf, von den anderen Herrscherhäusern Europas als ebenbürtig anerkannt zu werden und ein ausreichend großes Territorium zu gewinnen, um die Unabhängigkeit Savoyens auch in Zukunft wahren zu können. Die Rückeroberung Genfs wurde den Herzögen von Savoyen zu einer Frage der Ehre. Die Stadt war während der französischen Invasion 1536 verloren gegangen und zur unabhängigen calvinistischen Republik Genf geworden, während ihre abhängigen Gebiete im umliegenden Waadtland sich der Schweizerischen Eidgenossenschaft angeschlossen hatten. Außerdem plante man in Turin, über den ligurischen Apennin nach Süden vorzustoßen, Genua einzunehmen und damit Zugang zum Mittelmeer zu erlangen. Auch auf mögliche Vorstöße nach Westen, in die Provence und die Dauphiné, sowie nach Osten, auf das Territorium des Herzogtums Mailand, setzte man gewisse Hoffnungen. Derart ambitionierte Pläne ließen sich allein jedoch nicht umsetzen, und das politische Kalkül der Herzöge von Savoyen bestand vor allem darin, aus ihrer strategischen Position als „Torhüter der Alpen“ Kapital zu schlagen: Neben dem Tendapass zwischen Nizza und dem südlichen Piemont kontrollierte Savoyen auch den südlichen Abschnitt der Spanischen Straße, die in allen drei Streckenvarianten über savoyisches Territorium führte.
Als 1580 Karl Emanuel I. Herzog von Savoyen wurde, war das der Startschuss für eine aggressivere Politik des kleinen Herzogtums. Man hat diesen Herzog als einen Opportunisten abgetan, der sich über die nächsten 40 Jahre hinweg immer dort – und nur dort – in die Kriege Europas einmischte, wo es für ihn etwas zu holen gab. Allerdings muss man auch sehen, dass dem Herzog seine häufigen Kurswechsel auf dem internationalen Parkett gewissermaßen aufgezwungen wurden, denn er konnte es sich schlicht nicht leisten, die stets gefährdete Selbstständigkeit seines Territoriums allzu eng an das Schicksal einer einzigen Großmacht zu binden, zumal er dabei ja fortwährend noch auf einen Machtzuwachs für das Haus Savoyen spekulierte. Ein gescheiterter Versuch, Genf zurückzuerobern, überzeugte Karl Emanuel 1582 von der Notwendigkeit eines mächtigen Bündnispartners, und so heiratete er 1585 die spanische Infantin Katharina Michaela, eine Tochter Philipps II., dem der frischgebackene Schwiegersohn versprach, im Rahmen seiner Möglichkeiten die spanische Intervention in Frankreich zu unterstützen. 1588 eroberte Savoyen die im oberen Po-Tal am Ostrand der Cottischen Alpen gelegene Markgrafschaft Saluzzo zurück, die 40 Jahre zuvor an Frankreich gefallen war. Im Jahr darauf marschierten savoyische Truppen im Waadtland ein; eine erneute Belagerung Genfs scheiterte wie zuvor, was Karl Emanuel veranlasste, seine Aufmerksamkeit auf die Provence und die Dauphiné zu lenken, von denen er annahm, dass sie eine leichtere Beute sein würden.
Unterstützt durch eine savoyische Invasion aus Richtung Süden gelang es der Heiligen Liga im Mai 1588 – gegen den ausdrücklichen Befehl Heinrichs III. –, Paris einzunehmen. Die Ermordung des Königs durch einen katholischen Extremisten am 2. August 1589 beseitigte das letzte Hemmnis der Liga, die nun eine grausame Hugenottenverfolgung begann. Jedoch war der vermeintliche Sieg für die Liga zugleich der Anfang vom Ende, denn einen eigenen Kandidaten für den nun verwaisten französischen Thron hatte sie nicht. Die meisten moderaten Katholiken betrachteten Heinrich von Navarra als den legitimen Thronfolger, aber die Aussicht, dass er diesen Thron tatsächlich besteigen könnte, war für die Spanier – und deren mit Stolz gepflegte reputación – ein Schlag ins Gesicht. Schließlich war dieser Heinrich nicht nur ein „Ketzer“, sondern befand sich bereits in einer Auseinandersetzung mit den Spaniern, die 1512 die Hälfte seines Königreichs Navarra besetzt hatten. Nachdem er sich bislang der Liga und Savoyens bedient hatte, um einen Stellvertreterkrieg gegen Navarra zu führen, griff Philipp II. nun direkt in die französische Politik ein, indem er 1590 dem Herzog von Parma befahl, mit seiner Flandernarmee im Artois einzumarschieren. Wie wir bereits gesehen haben, sollte dieser Schritt erheblichen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Krieges in den Niederlanden haben. Der sächsische und der pfälzische Kurfürst stellten 1591/92 das siebte und letzte deutsche Expeditionsheer zur Unterstützung Heinrichs von Navarra auf, doch die französische Königskrone verdankte dieser wohl zum größten Teil seinem im Juli 1593 erfolgten Übertritt zum Katholizismus – ein Entschluss, den Heinrich in den berühmten Worten geäußert haben soll: „Paris vaut bien une messe“ – „Paris ist eine Messe wert!“ Während Heinrichs Konversion die radikaleren Hugenotten vor den Kopf stieß, erlaubte sie den – wesentlich zahlreicheren – moderaten Katholiken, sich ihm anzuschließen, und so konnte auf seine förmliche Krönung als Heinrich IV. von Frankreich im Februar 1594 einen Monat später sein Einzug nach Paris folgen. Philipp II. befand sich zu dieser Zeit schon nicht mehr bei bester Gesundheit, weshalb er sich – nach etlichen anderen Rückschlägen – im August 1595 außerstande sah, Papst Clemens VIII. von einem Treffen mit Heinrich abzuhalten, bei dem der französische König gewissermaßen offiziell in den Schoß der Kirche aufgenommen werden sollte. Heinrich IV. hatte offenbar einiges von den Spaniern gelernt, was deren Umgang mit den Päpsten betraf, denn er gab sich einerseits nachsichtig in puncto päpstlicher Einflussnahme und Jurisdiktion in der französischen Kirche, schuf sich im Gegenzug aber rasch eine „Eingreiftruppe“ von etwa 20 Kardinälen, die sich in Rom für Frankreichs Interessen einsetzten. Obwohl Spanien in Rom die dominierende Macht blieb, war es nun doch nicht mehr die einzige, insbesondere da der wachsende französische Einfluss es dem Papst erlaubte, die eine Macht gegen die andere auszuspielen und auf diese Weise größeren Handlungsspielraum zu erlangen.
Nachdem Heinrich IV. erst einmal als König von Frankreich anerkannt war, wirkte die Heilige Liga immer mehr wie eine Marionette der Spanier, und so setzten sich ihre Anführer einer nach dem anderen ab, bis Spanien mit seinen Interessen allein zurückblieb. Im Januar 1595 erklärte Heinrich der spanischen Krone offiziell den Krieg, marschierte in Burgund ein und schnitt damit die Spanische Straße ab. Spanien musste auf diesem Streckenabschnitt also für eine „Umleitung“ sorgen, die weiter im Osten über Saarbrücken verlief – und damit über Reichsgebiet. Zwei Jahre später vertrieb der Feldmarschall Lesdiguières die Savoyer aus der Dauphiné und eroberte die Täler der Maurienne und der Tarantaise für Frankreich, wodurch die Heerstraße auch in ihrem südlichen Abschnitt unterbrochen wurde. Der spanische Gegenangriff erfolgte aus den Niederlanden und endete nach erbitterten Kämpfen mit der Einnahme von Amiens; dennoch war klar, dass die Intervention der Spanier in Frankreich sich alles in allem als kontraproduktiv erwiesen hatte. Beide Seiten akzeptierten ein Vermittlungsangebot des Papstes, das schließlich im Mai 1598 in den Frieden von Vervins mündete, in dem Spanien den Anspruch Heinrichs IV. auf den französischen Thron anerkannte, Amiens und Calais an Frankreich zurückgab und Lothringen zwang, die von ihm besetzten Städte Metz, Toul und Verdun aufzugeben. Die Franzosen zogen als Gegenleistung aus Savoyen ab und willigten ein, die strittige Frage der Markgrafschaft Saluzzo durch ein päpstliches Schiedsgericht klären zu lassen.125
Savoyen bot an, seine frankophonen Territorien zwischen Rhône und Saône aufzugeben, wenn es im Gegenzug Saluzzo behalten dürfte – denn dieses war ein wesentliches Puzzlestück des savoyischen Herrschaftsbereichs im Westalpenraum. Der Vorschlag beunruhigte die Spanier, weil die Spanische Straße damit nach der Alpenquerung ungeschützt daliegen würde, und das ausgerechnet in der Nähe des calvinistischen Genf. Heimlich redete man Karl Emanuel von Savoyen zu, er solle auf besseren Konditionen bestehen, und versprach ihm dafür spanische Militärhilfe. Heinrich IV. verlor die Geduld und entsandte erneut Truppen nach Savoyen, 20 000 Mann, bevor die versprochene Unterstützung aus Spanien eintreffen konnte. Am 17. Januar 1601 besiegelte Karl Emanuel seine Abmachung mit Heinrich im Vertrag von Lyon und überließ dem französischen König das frankophone Savoyen im Gegenzug für Saluzzo. Die Spanische Straße verengte sich nun auf das Tal von Chézery zwischen dem Monte Cenisio und der zweibogigen Rhônebrücke von Grésin, westlich von Genf; ihre Anfälligkeit wurde deutlich, als Frankreich sie im Juli 1602 vorübergehend sperrte. Die Spanier versuchten, die Route nach Genf tiefer in das Gebirge hinein zu verlegen, und stellten im Dezember desselben Jahres Karl Emanuel die nötigen Mittel für einen Angriff auf die calvinistische Stadtrepublik zur Verfügung. Die berühmt gewordene „Escalade de Genève“ – eine Anspielung auf die Ersteigung der Stadtmauern mittels Leitern – scheiterte jedoch, Genf blieb unabhängig und die Beziehungen zwischen Spanien und Savoyen verschlechterten sich rapide. Da den Savoyern vor allem an einem guten Verhältnis zu dem erstarkenden Frankreich gelegen war, schränkten sie die spanische Nutzung der Route über Grésin immer weiter ein und verwiesen schließlich 1609 die permanenten Streckenposten der Spanier des Landes. Im Jahr darauf wurde die Neuausrichtung in der savoyischen Außenpolitik durch den Abschluss eines formellen Bündnisses mit den Franzosen abgeschlossen. Die Spanier mussten sich also einen anderen Weg über die Alpen suchen.
Die Schweizer Pässe Die Sorge um ihre westliche Marschroute hatte die Spanier bereits im Mai 1587 dazu veranlasst, mit fünf der sieben katholischen Kantone der Eidgenossenschaft einen Vertrag über die Nutzung des Gotthardpasses zu schließen. Auf diese Weise sicherten sie sich den einzig praktikablen Weg durch das schweizerische Mittelland, der durch die katholischen Kantone an den östlichen Ufern des Vierwaldstätter und des Zuger Sees verlief, dann von Luzern aus dem Tal der Reuss hinunter zur Aare folgte und vor dort aus hinab zum Rhein. Ab hier marschierten die spanischen Truppen durch die oberrheinischen Besitzungen der verbündeten Österreicher, den Breisgau und die Landgrafschaft Oberelsass, bevor sie auf der ursprünglichen Strecke der Spanischen Straße durch das nördliche Lothringen nach Luxemburg gelangten. Die einzige Alternativstrecke durch die Innerschweiz – über den Simplonpass an den Oberlauf der Rhône – war lang und beschwerlich und konnte zudem durch den mächtigen (und protestantischen) Kanton Bern versperrt werden. Dem spanischen Gouverneur von Mailand gelang es 1604, den 1587 geschlossenen Vertrag zu erneuern, aber die katholischen Schweizer wurden langsam unruhig, was den wiedererstarkten Einfluss der französischen Krone betraf, und so verweigerte einer der ursprünglich beteiligten Kantone die Erneuerung des Abkommens. Zwar hatten die katholischen Kantone 1586 ihre eigene Liga geschlossen; einen Krieg gegen ihre protestantischen Eidgenossen wollten sie indes nicht beginnen. Die Schweizer Politik war ein Gewirr lokaler Beziehungen, vergleichbar den Verhältnissen im Reich, wobei der vielfältige Widerstreit der Interessen einen Ausbruch konfessioneller Gewalt zumindest hemmte. Der neue Vertrag verpflichtete die Spanier, ihre Soldaten in Trupps von höchstens 200 Mann mit zwei Tagen Abstand marschieren zu lassen. Ihre Waffen durften sie nicht am Leib tragen, sondern mussten diese gesondert auf Wagen transportieren. Zwischen 1604 und 1619 nutzten die Spanier die Gotthardroute sechs Mal, aber die katholischen Kantone Uri und Schwyz sperrten die Durchfahrt 1613 vorübergehend, was den Gouverneur von Mailand daran hinderte, in seinem Krieg gegen Savoyen deutsche Söldner einzusetzen. Das war kein Zustand, den eine Großmacht lange hinnehmen konnte.126
Es war durchaus möglich, Truppen auf dem Seeweg über die Adria nach Triest und dann über Innerösterreich und Tirol an den Rhein zu bringen. Allerdings war dies nicht nur ein riesiger Umweg, sondern hatte auch den Nachteil, dass die Venezianer den Truppentransport stören konnten – und Venedig stand der spanischen Italienpolitik oft feindselig gegenüber. Außerdem kontrollierten die Venezianer den Brennerpass und damit den besten Zugang nach Tirol von Italien aus. Zwischen diesen östlichen Varianten und den Pässen durch das schweizerische Mittelland verblieben nur drei mögliche Routen: Eine Straße verlief von Mailand aus nach Norden, über den (östlich des Gotthardpasses gelegenen) Splügenpass und durch das Hinterrheintal hinab, an Chur und dem Bodensee vorbei in den Breisgau. Östlich des Splügen wiederum lag das Engadin, ein Hochtal, durch das der Oberlauf des Inn nach Tirol hineinführte. Schließlich gab es noch das Veltlin, ein 120 Kilometer langes Tal, das vom Comer See aus in Richtung Nordosten ebenfalls nach Tirol führte, entweder über das Stilfser Joch (begehbar von Juni bis September) oder den etwas tiefer gelegenen Umbrailpass (Wormser Joch), der in der Regel ganzjährig genutzt werden konnte. Das Veltlin lag zwar weiter im Osten als der Gotthardpass, bot aber – mit vier gegenüber zehn Tagen – die schnellere Route über die Alpen.
Alle drei zuletzt beschriebenen Alpenübergänge befanden sich in der Hand des Rätischen Freistaats, besser bekannt als Graubünden oder die Drei Bünde (bestehend aus dem später namengebenden Grauen Bund, Gotteshausbund und Zehngerichtebund). Es handelte sich dabei um einen Zusammenschluss von Gerichtsgemeinden auf dem Gebiet des heutigen Kantons Graubünden, der sich lose mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft verbunden hatte, zumindest nominell aber auch mit den österreichischen Habsburgern verbündet war. Wie die Eidgenossenschaft war auch der Rätische Freistaat aus einem Netzwerk von Allianzen hervorgegangen, das einzelne Alpengemeinden im 14. und 15. Jahrhundert im Rahmen ihres Freiheitskampfes gegen die habsburgische Herrschaft gesponnen hatten. Der Graue Bund herrschte über die Hinter- und Vorderrheintäler. Der Gotteshausbund umfasste das Engadin sowie die Stadt Chur, deren Bischof sich einem offiziellen Beitritt jedoch widersetzte, während der kleinere Zehngerichtebund an Tirol im Nordwesten grenzte. Alle drei Bünde setzten sich aus „Dörfer“ genannten selbstverwalteten Gerichtsgemeinden zusammen, die Vertreter in einen „Allgemeinen Bundstag“ entsandten, der unter anderem die Drei Bünde nach außen vertrat. Der Graue Bund war die stärkste Kraft auf den Allgemeinen Bundstagen, jedoch war für einen verbindlichen Beschluss die Zustimmung von mindestens zweien der drei Bünde nötig. Die strategische Bedeutung des Freistaats verdankte sich einer Reihe von Gebietseroberungen auf Kosten des Herzogtums Mailand in den Jahrzehnten zwischen 1500 und 1532. Während dieser Zeit hatten die Bergler nicht nur das Veltlin für sich erobert, sondern auch die Grafschaft Chiavenna in ihren Besitz gebracht, die sich am südlichen Ende des Tales erstreckte. Dadurch kontrollierten sie nun sowohl den Zugang nach Mailand im Süden als auch die nördlich gelegenen Alpenquerungen über den Splügenpass und durch das Engadin.
Die Regierung des Rätischen Freistaats war, wie übrigens die der Schweizerischen Eidgenossenschaft auch, nach heutigen Maßstäben keine demokratische. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung war politisch geradezu entrechtet, denn während man den Einwohnern Chiavennas und des Veltlins immerhin ihre Selbstverwaltung gelassen hatte, betrachteten die Drei Bünde ihre Heimat als „Untertanengebiete“, die auf den Allgemeinen Bundstagen des Freistaats keine Stimme hatten. Durch ein Bevölkerungswachstum, das die vergleichsweise dürftigen Ressourcen bald überforderte, nahmen die sozialen Spannungen in der Region ab den 1570er-Jahren zu. Die kommunale Verwaltung geriet in die Hände von einigen „großen Hansen“ und deren Familien, die sich nicht nur Mehrheiten in den Dorfräten sicherten, sondern auch Adelstitel und -angewohnheiten annahmen. Wie in der Eidgenossenschaft sorgte die dezentralisierte politische Struktur dafür, dass Kontrollgewalt auf lokaler Ebene zu immer größeren Chancen auf Reichtum und Einfluss führte, je weiter man die hierarchische Leiter hinaufstieg. Auswärtige Mächte waren bereit, für günstige Beschlüsse des rätischen Bundstages hohe Summen zu zahlen – zur Öffnung der Alpenpässe etwa, oder um die Rekrutierung in den übervölkerten Untertanengebieten zu genehmigen. Die Einflussnahme von außen führte jedoch zur Lagerbildung im Inneren, wobei die einzelnen Parteien verschiedenen auswärtigen Mächten zuneigten, was die bestehenden Spannungen weiter verschärfte. Konflikte im Bundstag wirkten auf die Ebene der Dörfer zurück, da die „großen Hansen“ ihren Einfluss in den Dorfgerichten geltend machten, um persönliche Rachefeldzüge zu führen. Diese Entwicklung traf das Gemeinschaftsideal, auf dem die rätische (und auch die eidgenössische) Gesellschaft gründete, ins Mark; war es doch der oberste Zweck aller frühneuzeitlichen Vergesellschaftung, den öffentlichen Frieden zu wahren – und dafür waren die Gerichte ja gerade gedacht gewesen. Ab den 1520er-Jahren machte die Ausbreitung des Luthertums die Sache noch einmal komplizierter, da viele Familien zu dem neuen Glauben übertraten, während andere katholisch blieben. Die Protestanten sahen ihren Glauben als Ausdruck der Unabhängigkeit von der Herrschaft der (katholischen) Habsburger und des (katholischen) Bischofs von Chur. Ihre entrechteten Untertanen (sudditi) im Veltlin hielten am Katholizismus fest, der ihnen Ausdruck der eigenen Identität schien. Unterschiedliche Sprachen vertieften die Spaltung, da die Menschen im Norden Deutsch und Rätoromanisch sprachen, im Süden aber Italienisch.
Die Lage verschärfte sich, als die Kirche des Rätischen Freistaats unter calvinistischen Einfluss geriet und eine strenge Kirchenaufsicht und eine Besserung des Lebens auf der Ebene der einzelnen Gemeinden einforderte, während zugleich Kapuziner und andere katholische Missionare in der Region eintrafen, die der Kardinal Borromäus aus Mailand und der Ortsbischof aus Chur geschickt hatten, damit sie die Rekatholisierung des Alpenraumes vorantrieben. Die Führungsriege des Rätischen Freistaats fühlte sich zunehmend unter Druck gesetzt, nicht zuletzt, weil die Einwohnerschaft der Drei Bünde gegenüber ihren sudditi in der Grafschaft Chiavenna und im Veltlin weit in der Unterzahl war. Diese wurden nämlich immer unruhiger und erhoben sich 1572 und 1607 gegen die Bündner Herrschaft. Noch verzwickter wurde die Lage dadurch, dass die meisten Einwohner im Gebiet des tonangebenden Grauen Bundes ebenfalls katholisch geblieben waren, während im Veltlin immerhin 4000 Protestanten um ihr Leben fürchten mussten. Es überrascht kaum, dass die (calvinistische) politische Führung der Drei Bünde im Katholizismus eine subversive Kraft sah und ihren Einfluss in den Dorfgerichten dahingehend geltend machte, dass nach 1617 eine groß angelegte Verfolgungskampagne gegen die katholische Bevölkerung einsetzte.
Der spanische Gouverneur von Mailand, Graf Fuentes, brachte die Bündner dahin, dass sie von 1592 an den Durchmarsch zumindest kleiner spanischer Truppenkontingente durch das Veltlin erlaubten, aber dann versprach im Dezember 1601 der Allgemeine Bundstag den Franzosen alleinigen Zugang zu diesem so wichtigen Tal – und schloss noch einmal zwei Jahre später ein ganz ähnliches Abkommen mit den Venezianern. Der Gouverneur rächte sich, indem er ein Getreideembargo gegen die Drei Bünde verhängte und zudem 1603 hoch über Colico am Comer See die Festung Fuentes errichten ließ, die den Zugang nach Chiavenna und ins Veltlin blockierte. Die Bündner zeigten sich unbeeindruckt, was zur Folge hatte, dass den Spaniern bis 1610 keine einzige zufriedenstellende Alpenquerung mehr geblieben war. Glücklicherweise war das nun, nach Abschluss des Zwölfjährigen Waffenstillstands mit den Niederländern 1609, nicht mehr so wichtig.