Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg - Peter H. Wilson - Страница 32
Polen-Litauen
ОглавлениеDie polnisch-litauische Adelsrepublik (Rzeczpospolita) war der größte – und potenziell mächtigste – der drei Konkurrenten um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Bis 1618 hatte sie sich auf rund 900 000 Quadratkilometer ausgedehnt, war also zweimal so groß wie Frankreich, und umfasste nicht nur das Gebiet der heutigen Staaten Polen und Litauen, sondern auch Lettlands und Weißrusslands sowie die westliche Hälfte der Ukraine. Obgleich sie nur dünn besiedelt war, brachte sie doch elf Millionen Einwohner auf – etwa dreimal so viele wie ihre Rivalen Dänemark und Schweden zusammen. Wie diese war die Adelsrepublik ein Unionsstaat, aber einer, in dem die einzelnen Bestandteile ein höheres Maß an Autonomie behielten und in dem die monarchische Zentralgewalt erheblich schwächer war als in den skandinavischen Ländern.157
Auch nach der Union von Lublin 1569 blieben das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen als eigene Staatsgebilde erhalten; sie einigten sich jedoch auf einen gemeinsamen Monarchen, den die Ständeversammlung des Sejm wählte, der alle zwei Jahre auf einem Feld in der Nähe von Warschau zusammentrat. Wie auch im Heiligen Römischen Reich schloss das Wahlprinzip eine Defacto-Erbmonarchie nicht aus. Die Dynastie der Jagiellonen hatte von 1386 bis 1572 die polnischen Könige gestellt; nach einer kurzen Unterbrechung folgte ihr von 1587 bis 1668 das Haus Wasa nach. Allerdings entwickelte sich das politische System in Polen-Litauen anders als in Mitteleuropa, wo die adlige Elite ihre verfassungsmäßigen Rechte durch den Besitz ererbter Ländereien und Titel legitimierte. Die Angehörigen des polnischen Kleinadels, der szlachta, verstanden sich als Abkömmlinge der Lachiten, eines ehrwürdigen Stammes von Kriegern, und regierten ihr Land gemeinsam und als Gleiche. Von einigen wenigen Litauern abgesehen führten sie keine Titel, sondern ihr Status beruhte allein auf dem (erblichen) Besitz bestimmter Ämter, die unterhalb der beiden Provinzen Großpolen und Kleinpolen angesiedelt waren: als Palatin oder Woiwode einer Woiwodschaft, Starost (etwa: Landvogt) eines Bezirks (powiat) oder Kastellan einer Stadt oder Burg. Während einige Posten in der Verfügungsgewalt des Königs verblieben, wurden andere – wie etwa das Amt des Großhetmans, der die polnische Armee kommandierte – dem einmal zum Zuge gekommenen Kandidaten auf Lebenszeit übertragen. Die Beteiligung des polnischen Adels an der Regierung entzog sich somit weitgehend dem königlichen Einfluss. Was ihr Vermögen betraf, bestanden unter den Angehörigen der szlachta große Unterschiede. Einige wenige Familien, wie etwa die Radziwills, besaßen riesige Landgüter, während die große Mehrheit der polnischen Adligen vergleichsweise arm war und mitunter eher wie bessere Bauern lebte. Unabhängig von ihrem Vermögen betrachteten jedoch alle Angehörigen des Adels sich selbst als „die Nation“ und die polnisch-litauische Verfassung als Ausdruck ihrer ständischen Freiheiten. Ehrgeizige Adlige nutzten ihren Landbesitz, um sich über den Sejm eine Rolle in der Landespolitik zu erspielen, oder bildeten regionale Allianzen oder Konföderationen, die bei einem rokosz genannten Adelstreffen geschlossen werden konnten. Das Recht, im rokosz zusammenzutreten, sah die polnisch-litauische Verfassung zum Schutz gegen einen tyrannischen König vor.
Die inneren Konflikte der Adelsrepublik waren eher politischer als religiöser Natur. Ihre dezentralisierte Struktur und konsensorientierte politische Kultur begünstigten eine entspanntere Haltung in Sachen religiöser Pluralismus, als diese in Mittel- oder Westeuropa verbreitet war. Wie die Obrigkeit in Siebenbürgen, so waren die Verantwortlichen in der Rzeczpospolita bestrebt, den Ausbruch konfessioneller Gewalt durch Vereinbarungen zu verhindern, welche die Gleichheit aller beteiligten Parteien sowie deren Jurisdiktionen und Rechte festschrieben. Den politischen Konsens begleitete das irenische, also auf die Sicherung des Friedens gerichtete Bestreben, theologische Differenzen zu überwinden und Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen zu betonen. So wurde etwa die griechisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft in Litauen nach 1563 den Katholiken völlig gleichgestellt, und 1596 fusionierten beide sogar zur unierten oder griechisch-katholischen Kirche, die den orthodoxen Ritus beibehielt, zugleich aber die Autorität des Papstes anerkannte. Insbesondere in den deutschsprachigen Städten des Königlichen Preußen verbreitete sich auch das Luthertum; allerdings distanzierten sich diese Lutheraner bewusst von ihren Glaubensbrüdern im römisch-deutschen Reich, indem sie das Konkordienbuch von 1580 ablehnten und stattdessen lieber engere Beziehungen zu den polnischen Protestanten knüpften. Zu Letzteren zählten neben Calvinisten und Böhmischen Brüdern auch Lutheraner. Ihre Vertreter schlossen 1570 den Consensus von Sandomir, in dem eine überkonfessionell akzeptable Formulierung wesentlicher Glaubensinhalte festgehalten wurde, um künftige dogmatische Streitigkeiten zu vermeiden. Die polnische Krone bestätigte den Consensus trotz gewisser Bedenken der katholischen Bischöfe, womit die Protestanten und deren Rechte in die Verfassung der Adelsrepublik aufgenommen waren.158
Die Macht des polnisch-litauischen Wahlkönigs hing wesentlich davon ab, dass er auf dem langen Verfahrensweg durch die repräsentativen Institutionen das Vertrauen seiner führenden Adligen gewann. Die regionalen Adelsversammlungen (Sejmiki) entsandten Delegierte zum Sejm, wo die Zustimmung aller dieser „Landboten“ nötig war, um die gefassten Beschlüsse verbindlich werden zu lassen. Diese Regelung bedeutete in der Praxis, dass jedem einzelnen Adligen ein Vetorecht zukam, das sogenannte Liberum Veto, und so wurde der Sejm allein zwischen 1576 und 1606 sechsmal aufgelöst, ohne auch nur eine einzige Entscheidung getroffen zu haben. Nachdem er erfolglos versucht hatte, den polnischen Adel zur Unterstützung seiner Ambitionen auf die schwedische Krone zu bewegen, ging Sigismund III. immer mehr dazu über, im Verborgenen zu handeln. Aber anders als etwa Christian IV. von Dänemark hatte er eben keine unabhängigen Einnahmequellen, aus denen er sein Vorhaben hätte finanzieren können. Zuletzt verlegte er sich darauf – ähnlich wie die österreichischen Habsburger –, bei der Ämtervergabe Katholiken zu bevorzugen, um auf diese Weise eine loyalere Klientel innerhalb der Ständeversammlung aufzubauen. Nach der Vertreibung der Schweden aus Livland 1605 plante Sigismund die Einführung weitreichender Reformen, darunter ein Mehrheitswahlrecht für den Sejm und ein System regelmäßiger Besteuerung. Das Ergebnis war ein Adelsaufstand im Jahr 1606 (der „Rokosz“), der sich zeitlich mit dem ungarischen Bocskai-Aufstand überschnitt und wie dieser die Verteidigung von Adelsprivilegien zum Ziel hatte. Anders als in Ungarn fehlte dem polnischen Aufstand jedoch eine starke konfessionelle Prägung, denn die polnischen Protestanten waren zu wenige, als dass sie ohne katholische Unterstützung hätten einen Aufstand beginnen können. Ihren konfessionellen Unmut mussten sie vielmehr hinunterschlucken, um die Konföderation von Sandomir schließen zu können, deren Grundlage eine gemeinsame Abneigung gegen Sigismunds Reformpläne war. Diese Abneigung war allerdings nicht so weit verbreitet, wie die Aufständischen gehofft hatten: Die großen Grundbesitzer blieben ihrem König, trotz all seiner Fehler, treu ergeben, denn er hatte sie immer mit Respekt behandelt. Die Basis der Konföderation beschränkte sich somit weitgehend auf den unzufriedenen Kleinadel, der den Magnaten ihren wachsenden Reichtum verübelte. Schon 1607 brach der Aufstand in sich zusammen.
Polens Stärke Dieses ungestüme Zwischenspiel scheint das Klischee von der chaotischen „Polenwirtschaft“ im politischen System der Adelsrepublik zu bestätigen. Wie das Alte Reich auch ist die Rzeczpospolita immer wieder als ineffizient und veraltet kritisiert worden – als Relikt in einem Europa, dessen politische Entwicklung hin zu einem stärkeren, vor allem auch stärker zentralisierten Staat tendierte. Letztlich zahlte der polnisch-litauische Adel einen hohen Preis für seine Freiheiten, als sein Königreich zwischen 1772 und 1795 von den drei absoluten Monarchien Österreich, Preußen und Russland „totgeteilt“ wurde. Jedoch sollte man das Polen des 17. Jahrhunderts nicht durch die Brille jener späteren Entwicklungen betrachten; vorerst nämlich blieb die Adelsrepublik einer der mächtigsten und erfolgreichsten Staaten in Europa. Nachdem Sigismund ab 1613 erst einmal das Vertrauen seiner Adligen zurückerlangt hatte, bewilligte der Sejm ihm regelmäßige – und regelmäßig ansteigende – Steuerzahlungen; nur bei einer Zusammenkunft im Jahr 1615 konnte keine Einigung erzielt werden. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Zeit gelang es Polen-Litauen, seine Kriege ohne Überschuldung zu führen. Außerdem besiegte es so gut wie jeden Feind, auf den es traf – zumindest bis in den Jahren 1648–54 der große Aufstand der Saporoger Kosaken eine ganze Epoche einläutete, die als „Sintflut“ in die polnische Geschichte eingegangen ist: Nacheinander wurde das Land von den Schweden, Russen, Siebenbürgern und Brandenburgern überfallen, ausgeplündert und besetzt. Selbst diese Krise jedoch meisterte die Rzeczpospolita und stellte ihre Zähigkeit unter Beweis, indem sie zum Sieg über die Osmanen vor Wien 1683 einen gehörigen Beitrag leistete.159
Man hat die militärische Stärke der Adelsrepublik unterschätzt, weil ihre Truppen nicht nach dem Muster westeuropäischer Heere organisiert waren. Es gab ein kleines, stehendes Kontingent leichter Kavallerie (etwa 3000 bis 5000 Mann), das „Viertelsheer“ (wojsko kwarciane) genannt wurde, nach dem Anteil des königlichen Steueraufkommens, das zu seinem Unterhalt aufgebracht werden musste. Es patrouillierte entlang der südöstlichen Grenzen des polnischen Territoriums, um Überfälle der Tataren abzuwehren, und konnte nur dann vergrößert werden, wenn der Sejm die entsprechenden Steueraufstockungen bewilligte. Allerdings verfügte der König über seine eigene Leibwache und konnte unter der Bauernschaft seiner Kronländer eine Miliz von etwa 2000 Mann einberufen, die sogenannte Auswahl (wybranka, ähnlich den bereits erwähnten Wibranzen). Außerdem konnte er auf die Privatarmeen seiner Magnaten zurückgreifen, die als Adelsaufgebot (pospolite ruszenie) für die Landesverteidigung mobilisiert wurden. Meistens dauerte es freilich Monate, bis diese Aufgebote tatsächlich zur Verfügung standen, und selbst dann zogen sie mitunter nicht gleich ins Feld, sondern wurden von den Adligen als Plattform genutzt, um ihrem Unmut über bestimmte Missstände Luft zu machen. Andererseits bot die auf Reitertrupps und Überfallkommandos basierende Art der Kriegführung, wie sie in Osteuropa praktiziert wurde, reichlich Gelegenheit zum Plündern und zog deshalb zahlreiche Freiwillige an, die sich der leichten Kavallerie anschlossen. Ab 1578 verpflichtete die Rzeczpospolita auch ukrainische Kosaken für eine Grenzmiliz, die jener an der habsburgischen Militärgrenze ähnelte. Um 1619 zählten diese Kosakeneinheiten rund 11 000 Mann. Die Polen selbst verließen sich auf ihre Husaren oder Panzerreiter, die von mittlerer Kavallerie (den sogenannten pancerni) unterstützt wurden; zusammen machten sie mindestens die Hälfte eines typischen polnischen Feldheeres aus. Sogar gegen Soldaten, die nach der modernsten niederländisch-oranischen Methode ausgebildet worden waren, konnten derartige Reiterheere überaus effektiv sein. In der Schlacht von Kirchholm boten die Schweden 10 900 Soldaten auf, darunter eine große Zahl deutscher und anderer Söldner bei der Infanterie. Gegen ein vergleichsweise kleines Heer von 2600 polnischen Reitern mit nur rund 1000 Fußsoldaten als Verstärkung hatten sie dennoch keine Chance und wurden aufgerieben.160
Allerdings verschloss sich auch die Adelsrepublik nicht den neuesten militärischen Entwicklungen, rekrutierte sogenannte „deutsche“ Fußsoldaten und Reiter, die das disziplinierte Schießen in der Formation gelernt hatten. Viele dieser Söldner waren tatsächlich Deutsche oder andere Ausländer, aber der Kriegsausbruch in Mitteleuropa sorgte – zusammen mit dem Misstrauen des polnischen Adels gegenüber Fremden in der Armee ihres Königs – dafür, dass spätestens in den 1630er-Jahren selbst solche Einheiten vorwiegend aus der eigenen Bevölkerung rekrutiert wurden. Die Heere der polnisch-litauischen Krone verbanden also taktische Elemente aus Ost und West – und das mussten sie auch, wollten sie sich erfolgreich gegen ihre Feinde aus beiden Himmelsrichtungen zur Wehr setzen.
Kriege mit Russland und Schweden Der polnisch-schwedische Machtkampf wurde nach 1605 durch die Implosion des Moskauer Zarentums gleichsam auf Eis gelegt. Dort im Osten hatte sich eine ganze Reihe von angeblichen Thronerben und „falschen Dimitris“ die Klinke in die Hand gegeben. Allesamt gaben sie vor, der Zarewitsch Dimitri, jüngster Sohn Iwans des Schrecklichen und damit letzter Spross der Rurikiden-Dynastie, zu sein – dieser war jedoch schon 1591 gestorben. Die auf seinen Tod folgende „Zeit der Wirren“ bot sowohl Schweden als auch Polen-Litauen eine Gelegenheit, sich am russischen Territorium gütlich zu tun. Sigismund intervenierte 1609 in dem östlichen Nachbarland und beabsichtigte, seinen Sohn Władysław IV. Wasa zum neuen Zaren zu machen. Stattdessen einigten sich die verfeindeten Parteien innerhalb Russlands nach langem Hin und Her 1613 auf Michail Fjodorowitsch Romanow, als Zar Michael I. genannt, dessen Dynastie bis 1917 Bestand haben sollte. Mit dem Vertrag von Deulino endete im Dezember 1618 Sigismunds Intervention in Russland. Jedoch blieb das Gebiet um Smolensk, mit dessen Eroberung 1611 die Adelsrepublik ihre weiteste Ausdehnung – bis weit über den Dnjepr hinaus – nach Osten gefunden hatte, in polnischer Hand. Diesem Gewinn stand ein schwedisches Vorrücken auf russischem Boden gegenüber, seit der Friedensschluss mit Dänemark Gustav Adolf 1613 freie Hand zur Ausnutzung der russischen Wirren gegeben hatte. Der neue Zar trat im Frieden von Stolbowo (März 1617) die Provinzen Ingermanland und Karelien an die schwedische Krone ab, wodurch diese den gesamten Finnischen Meerbusen unter ihre Kontrolle brachte und Russland bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein von der Ostsee abgeschnitten wurde. Allerdings gelang es den Schweden auch damit nicht, den Russlandhandel vollkommen an sich zu reißen, denn noch hielt Dänemark die Nordroute nach Archangelsk in seiner Hand. Obgleich die von Anbeginn hohen Erwartungen niemals nachließen, machte der Handel mit Russland die Schweden nicht reich, und schon bald nach 1617 richtete Gustav Adolf seine Aufmerksamkeit weiter nach Westen und an der Südküste der Ostsee entlang in Richtung Polen.161
Nach dem Friedensschluss von Stolbowo war der Schwedenkönig sich seiner Sache ein wenig zu sicher und versuchte noch im selben Jahr 1617, aus dem noch andauernden Kampf der polnischen Adelsrepublik gegen Zar Michael Kapital zu schlagen, indem er von Estland aus südwärts nach Livland einrückte. Im darauffolgenden Frühjahr entsetzte der litauische Hetman Christoph Radziwill mit einer großen Streitmacht Riga, was die Schweden zwang, einen zweijährigen Waffenstillstand zu akzeptieren. Ein dauerhafter Friedensschluss blieb in weiter Ferne, weil Sigismund sich weigerte, seine Ansprüche auf die schwedische Krone aufzugeben. Seine Kriege gegen das lutherische Schweden und das orthodoxe russische Zarenreich mehrten das Ansehen des polnischen Königs in der katholischen Welt und brachten ihm wohlwollende Grußschreiben aus Spanien und vom Heiligen Stuhl ein. Sigismund revanchierte sich, indem er die Beziehungen zu den österreichischen Habsburgern verbesserte, die 1587 versucht hatten, seine Königswahl zu hintertreiben. Wegen Interessenkonflikten in Siebenbürgen, der Walachei und Moldau war das polnisch-österreichische Verhältnis in der Folge angespannt geblieben, aber Sigismund hatte nach 1592 eine enge Verbindung zum innerösterreichischen Familienzweig der Habsburger geschaffen.162 Dynastische Heiraten führten schließlich zu einer Formalisierung des Bündnisses im März 1613. Man versprach sich gegenseitigen Beistand gegen „Rebellen“ – was zunächst auf die schwedische Wasa-Dynastie gemünzt war, nach dem Ausbruch des Böhmischen Aufstands fünf Jahre später indes eine ganz neue Bedeutung bekommen sollte.