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Wo war er, verflucht? Die Welt, der er völlig ausgeliefert war, hüpfte ihm wie ein Megaveitstanz durch den Kopf, ekstatisch und wirr: Vor seinen Augen flirrte es kunterbunt und feuerwerksgrell, und in seinen Ohren tobte ein Hurrikan aus ultrahohen Sinustönen und Scheppern und Wummern wie musique concrète. Mit einem Mal sah er den Reklameirrsinn, der über die Wolkenkratzerfassaden raste. „4’37’’ blinkte es auf irgendeinem der Riesenscreens, hoch über ihm im Schneegestöber. Er fuhr zusammen, wischte sich fahrig übers schweißnasse Gesicht und konnte sich endlich wieder bewegen. Er rieb sich die roten Augen und blickte sich verwundert um – was machte er auf dem Times Square?

Frederik hatte einen totalen Filmriss: Das Letzte, woran er sich erinnerte, waren Fleischman und der Hausschlüssel, den er wie ein blinkendes Zeichen in der Luft schwenkte, ab dann war’s dunkel. Konfus fingerte er nach dem Schlüssel und betrachtete ihn – er musste ziellos durch die Stadt gelaufen sein, ohne auf irgendetwas zu achten, neben sich und abgedriftet wie ein Schlafwandler. Erst jetzt bemerkte er den Höllenlärm, der um ihn herum tobte. Er stolperte einige Schritte zurück, als er Autos auf sich zudonnern sah, riss den Körper herum und sah wieder nur Autos. Scheiße! Er stand auf dem Times Square, 7th Avenue, Ecke 43rd Street, mitten auf der Kreuzung im nächtlichen Weihnachtsverkehr.

„Hey, bist du lebensmüde?“, schrie ein Taxifahrer, der an ihm vorbeipreschte.

„Der weiß nicht, wo er ist, der ist total zugedröhnt“, hörte er aus anderer Richtung. Kopflos rannte Frederik im Slalom auf das sichere Trottoir zu – Reifenquietschen, Hupen, Flüche. Und atemlos auf dem Gehsteig angekommen, sah er sich einer Menschenmenge gegenüber, die seinen Auftritt fassungslos verfolgt hatte.

„Ist ja noch mal gut gegangen, Junge, siehst richtig durcheinander aus.“

„Der steht unter Koks.“

„Richtig geil, der Typ, wie ein Indianer“, widersprach eine Supermieze, die Frederik zuzwinkerte.

Frederik fuhr der Schreck in die Glieder – so nah war ihm ein Publikum noch nie gekommen. Unversehens packte ihn jemand am Arm und zog ihn zu sich. „Mensch, du bist doch der Typ da oben!“

„Wo?“, fragte er mit offenem Mund.

„Da, auf dem Video, Frederik, der Star unter den Pianisten, steht da, schau mal, du spielst in der Carnegie Hall … Wahnsinn, da sieht man den Typ oben auf dem Video und dann schaut man runter und er steht einfach vor einem … kannst mir ein Autogramm geben?“

Als die Mobiles aufblitzten, ergriff Frederik die Flucht. Er hastete in eine Seitenstraße und schnappte sich ein Taxi:

„Washington Square Park South!“, rief er gehetzt und riss sich seine Kapuze über den Kopf. Morgen wird es in der Zeitung stehen: Frederik total verwirrt auf dem Times Square!

Niemand war ihm gefolgt, da war er sich sicher. Erleichtert stand er Jacks Haus gegenüber. Den Park hatte er vorsichtshalber von Süden aus durchquert. Wie dumm, dass Fleischman das Licht unten in der Wohnhalle nicht angelassen hatte. Er hatte ihn doch ausdrücklich darum gebeten. Frederik bekam ein mulmiges Gefühl – das Haus eines Toten war sein einziger Zufluchtsort. Er dachte an das Gespräch mit Alice. Nein, er hatte keine Lust, zum Haus zu gehen.

Als er endlich vor der Tür stand und nach dem Schlüssel in seiner Jeanstasche griff, hörte er drinnen Stimmen. Er hastete über die Vortreppe wieder nach unten und spähte hinter einem Baum versteckt zur Villa hinüber. Leichter Schnee fiel und es war eiskalt. Vorsichtig rieb er sich Oberkörper und Schenkel durch Anorak und Jeans und trippelte leise auf der Stelle. Durch die Fenster war nichts zu sehen. Die Scheiben waren schwarz. In einigen spiegelte sich das Licht der Straßenlampen, als stünde gelber Dampf im Zimmer. Frederik lehnte sich erschöpft an den Baum. Was wollte er noch im Haus? Womöglich war Fleischman geblieben, um ihn abzupassen und in die Klinik zu verfrachten. Und dorthin wollte er im Augenblick nicht.

Eine Stretchlimousine war vorgefahren, aus der Susan sprang und zu Hunters Villa eilte, durch den Schnee trippelnd und schon in aller Herrgottsfrühe so aufgedonnert, als hätte sie endlich ihr Rendezvous. Wer wohl jetzt aufmachen würde. Susan hatte schon Sturm geläutet und wartete ungeduldig.

„Ist er endlich da?“, hörte er Susan Alice fragen, die bleich vor Kummer in der Haustür stand.

„Nein, ich mach mir große Sorgen. Hoffentlich ist nichts passiert!“

„In seinem Zustand kann so allerlei passieren!“

Ungeduldig blickte sich Susan um, trat einen Schritt zurück und schaute prüfend zu den Fenstern.

„Sie wollen ihn doch nicht vor mir verstecken, Mam? Hat er wieder mal über mich gelästert, sagen Sie‘s doch!“

Alice brach in Tränen aus.

„Rufen Sie mich sofort an, wenn er auftaucht, Frederik ist krank, es war Mr Hunters Wille, alles für ihn zu tun …!“

Während Susan auf Alice einredete, sah Frederik einen jungen Mann an einem der Fenster in Jacks Arbeitszimmer. Er schaute einen Moment lang prüfend auf die Straße und verschwand gleich darauf wieder. Es war der Typ, den er mit Alice auf der Straße im Gespräch überrascht hatte.

Als Susan in ihrer Limousine endlich wieder davonschwebte, sah er den schrägen Vogel aus der Mac Dougal Street schlendern, die links von Jacks Stadtvilla in den Washington Square North mündete. Sichtlich amüsiert blickte er dem Wagen nach, der sich langsam Richtung Broadway entfernte. Dann schüttelte er den Kopf, wechselte die Straßenseite und ging auf die 6th Avenue zu. Frederik folgte ihm.

Der Typ sah wirklich bizarr aus. Er trug schwarz-weiß gemusterte Jeans und hatte eine hellblaue Fliegerjacke an, die am Rücken mit einem glitzernden Konterfei von Mahatma Gandhi bestickt war. Bodybuilder war der keiner, dafür ging er zu leger und schnell, obwohl er rechts etwas hinkte, als hätte er sich den Knöchel verstaucht.

Frederik konnte gut mithalten. In sicherer Entfernung folgte er ihm, der ohne auf seine Umgebung zu achten, links in die 6th Avenue abgebogen war und sich jetzt über die Treppe zur Subway West 4th Street rasch den Blicken entzogen hatte.

Frederik sah sich um, wie hatte er ihn nur aus den Augen verlieren können? Es war eine stinknormale und vollkommen übersichtliche Subway-Station, ein paar Treppenabsätze, und man war schon unten an den Gleisen. Verlaufen konnte man sich hier nicht. Ratlos stand er in der niedrigen, schummrigen Halle auf dem Bahnsteig. Da standen nur ein paar Leute, die müde oder aufgekratzt warteten. Auf dem Gleis gegenüber stand eine junge Süße ... war das nicht die, die ihm auf dem Times Square zugeblinzelt hatte? Frederik drehte sich erschrocken um und tat so, als suchte er in seinen Taschen nach irgendwas. Verdammt, der Typ war ihm tatsächlich entwischt. Dabei hätte er zu gerne gewusst, was da am Kochen war. Und da war was am Kochen, das spürte er. Erst hatte Alice das Früchtchen abgewimmelt, als er die zwei vor Jacks Haus überrascht hatte, und dann hatte sie ihn auch noch ins Haus gelassen, wo er sich in Jacks Arbeitszimmer zu schaffen gemacht hatte – am frühen Morgen, wenn die anderen noch schliefen. Irgendwas ging da vor. Was, das sollte er offenbar nicht wissen. Mit lautem Rattern fuhr der Zug ein, und Frederik tat so, als wolle er einsteigen. Die paar Passanten die auf der Plattform standen, waren rasch verschwunden, und eine Sekunde lang herrschte Stille.

„Hey, was willst du?“, sagte plötzlich eine Stimme. Erschrocken drehte Frederik sich um und sah sich dem Typ gegenüber, der sich zuvor in Luft aufgelöst hatte. Ungläubig wich er zurück und geriet mit seinem Anorak in die sich schließende Zugtür. Blitzartig packte der Typ zu und riss ihn zurück.

Der Schrei

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