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Die Prämoderne

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Begriff der Prämoderne

Das ändert sich mit der Prämoderne zweifellos. Wohlgemerkt, die philosophische Betrachtung des Politischen im Sinne der anthropologischen Wahrheitsfragen bleibt selbstverständlich, aber sie bekommt nunmehr eine systematische Untermauerung, indem man die Fragen zur Legitimation von politischer Ordnung dann auch bündelt mit den institutionellen Aspekten und verfahrensorientierten Auswirkungen von politischer Praxis. Gemeinhin wird der Zeitraum, um den es bei den folgenden Darlegungen geht, als Frühe Neuzeit oder Frühmoderne bezeichnet. Beides sind stilistische Festlegungen, auf die sich Historiker eingelassen haben, um die Neuzeit als sogenannte Moderne besser von dem abgrenzen zu können, was man vielleicht fälschlicherweise immer noch das medium aevum nennt. Alle diese Festlegungen stammen aus dem bürgerlich-liberalen Geschichtsschreibungsprogramm des 19. Jahrhunderts, sind also Festlegungen im Nachhinein, die abgrenzen wollen von dem, was man dann als eigentliche Moderne, als Hier und Jetzt thematisch vorfindet – oder auch nicht. Der Begriff der Frühen Neuzeit erlaubt in einer solchen Dechiffrierung eine bessere Beschreibung des Übergangs vom Mittelalter in die Neuzeit. Damit wird aber ein teleologischer Impetus konstruiert, der sich zwar deutlich an den Fortschrittserwartungen der Moderne orientiert, der aber in der Sache, nämlich der perspektivischen Festlegung, selbst nicht unproblematisch ist. Was ist, wenn es diesen Fortschritt so gar nicht gibt? Was, wenn es z.B. ein Voranschreiten gibt, aber keineswegs damit verbunden immer auch eine jeweils qualitative Optimierung?

Fragen dieser Art, die im Kontext der Debatte um die sogenannte Postmoderne gestellt werden, verweisen somit deutlich auf die Brüchigkeit all dieser Festlegungen. Allein ohne nominale Festlegungen und konstruktive Stilisierungen geht es aber auch nicht, erst recht wenn alles in den modernen Wissenschaften zu Historisierungen neigt. Insofern muss man für das, um was es bei Themen in den Geistes- und Sozialwissenschaften geht, einen temporalisierenden Begriff haben. Die Bezeichnung der Pämoderne erscheint hier in Bezug auf den Zeitraum zwischen Mittelalter und Moderne mittlerweile passender als der Begriff Frühe Neuzeit. Denn im Gegensatz zum letztgenannten Begriff formuliert das Verständnis von Prämoderne einen Kontext der thematischen Vorgelagertheit zur Moderne – ohne in diesen Zeitraum zugleich zielgerichtete Implikationen der Moderne hineininterpretieren zu müssen. Ein Verständnis von einer prämodernen Welt bleibt somit auch offener für Traditionsreste und -weiterentwicklungen aus dem mittelalterlichen Gedankengut. In der Zurückweisung der teleologischen, um nicht zu sagen auch historizistischen Zuordnungen, die vom modernen Staat, dem säkularen Verständnis von Politik und Gesellschaft hier allzu oft gemacht werden, liegt zugleich die hermeneutische Chance, sich der Antinomien der Aufklärung mit dem Begriff der Prämoderne deutlicher als bisher zu stellen. Vielleicht, so stellt man dann fest, hat unsere heutige Situation in der Theorie des Politischen durchaus mehr zu tun mit prämodernen Attributionen und Theoremen über Politik und Gemeinschaft als Gesellschaft denn mit den gängigen Referenzkriterien, wie sie sich im Gefolge der Aufklärung eingespielt haben.

Klassiker politischen Denkens in der Prämoderne

Das bedeutet dann aber zunächst, dass man eine Einführung in die politische Theorie der Prämoderne letztendlich immer auch in Referenz zur eigenen Gegenwart schreibt und liest. Sie ist jedenfalls davon nicht abzukoppeln, zumal Klassiker politischen Denkens für uns heute (wie für andere Generationen auch) jeweils nur dann als Klassiker erscheinen, wenn und weil sie etwas über Zeit und Raum hinweg mitzuteilen haben. Insofern ist gerade der Zeitraum der Prämoderne hierfür hochrangig relevant, formuliert sich doch in der Zeit zwischen 1500 und 1800 ein Großteil dessen, was für die Herleitung des demokratischen Verfassungsverständnisses heutzutage nicht nur die ultima ratio, sondern auch die unumgängliche Voraussetzung darstellt. In den zeitlichen Eckgrenzen zwischen Renaissance und Reformation auf der einen und Aufklärung und Französischer Revolution auf der anderen Seite ist ein Großteil der Basistheoreme zu verorten, mit denen in der Moderne, aber auch in der Postmoderne demokratische Ordnung konstituiert und legitimiert wird. Autoren wie Niccolò Machiavelli, Jean Bodin, Hugo Grotius, Thomas Hobbes, Baruch de Spinoza oder John Locke, David Hume und Jean-Jacques Rousseau formulieren in genau den knapp dreihundert Jahren, um die es im Folgenden geht, die Basisparameter von moderner politischer Theorie. Sie dechiffrieren ihre jeweiligen Kritikpunkte an der eigenen Epoche nicht immer systematisch im Sinne einer klaren Theorie, oft sind die philosophischen Anteile, die stets zu einer guten politischen Theorie gehören, noch sehr viel ausschlaggebender als das pure System. Doch unzweideutig lässt sich nun der Trend zu einer Rationalisierung im Sinne der systemischen Formalisierung von Aussagen feststellen. Das Bemühen um logische Konsistenz überwiegt bei den meisten Autoren vor rein spekulativen Argumenten, die man im Gefolge der klassischen Scholastik des Mittelalters zunehmend für obsolet hält, obwohl dennoch – das wird sich zeigen lassen – es gerade auch scholastische Reflexe sind, wenn nun in der Prämoderne auf das System von der Politik gedrungen wird. Die Verwissenschaftlichung des Politischen im Sinne einer Wissenschaft von der Politik hat in diesen drei Jahrhunderten zweifellos ihren ersten Siegeszug aufzuweisen. Das Streben nach rationalen Standards in systematischer Kongruenz wird nicht zuletzt vorangetragen und untermauert durch die politischen Herausforderungen und Deformationen, denen sich Alteuropa in diesen drei Jahrhunderten ausgesetzt sieht.

Die Epochenperspektive

Die Prämoderne ist die Zeit des fundamentalen Schismas im christlichen Abendland, das mit Reformation und Gegenreformation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation seine besondere Ausprägung findet, wofür nicht zuletzt das gewaltige militärische Szenario im Dreißigjährigen Krieg paradigmatisch steht. Dieser erste europäische Bürgerkrieg geht einher mit den nationalen Bürgerkriegsorgien in Italien, in Frankreich und in England. In all diesen blutig geführten Konflikten verschleißt sich das traditionelle Referenzbild von politischer Ordnung, das seit dem Hochmittelalter aus der Dualität von imperium und sacerdotium bestanden hat, in zunehmendem, für viele Zeitgenossen äußerst erschreckendem Maße. Darauf gilt es Antworten zu finden und die müssen logischerweise jenseits der traditionellen Klischees gesucht werden. Insofern ist die Prämoderne die radikale Umbruchszeit für das politische Denken. Was in der Moderne als gesichert gilt, muss hier erst erkannt und als logisch richtig gefiltert werden. Dabei gibt es – wie in jeder Gegenwart – zunächst keine eindeutigen Antworten. Vieles bleibt daher offen für weitere Bausteine in der Argumentation. Manches bleibt (noch) unreflektiert, wird anders akzentuiert als später in der moderneren Debatte. Oft gibt es noch andere Konnotationen – vor allem in Bezug auf den Stellenwert der Religion. Erstaunlich vieles hat zunächst einen anderen Sinn, als die spätere Lesart des 19. und 20. Jahrhunderts hier interpretieren will. Insofern gibt es Sprünge in der Argumentation von politischer Theorie in der Prämoderne, die auf Inkongruenzen, sogar strukturelle Antinomien hindeuten, die später nicht mehr verstanden worden sind oder (fälschlicherweise im Sinne irgendeiner Ideologie) zugeschüttet wurden. Im Endeffekt gipfelt zwar vieles in der Französischen Revolution und lässt sich durchaus bündeln in der amerikanischen Verfassung, aber eben nicht alles. Die politische Theorie der Prämoderne findet mitnichten ihren logischen Abschluss im Aufklärungspathos dieser beiden politischen Revolutionen. Wenn auch zeitlich hiermit die Eckpunkte für die vorliegende Einführung erreicht sind, dann gilt dies nicht für die Implikationen, welche die diversen Theoreme von politischer Theorie in der Prämoderne bis auf den heutigen Tag hinterlassen. Das aufzuzeigen und gerade auf die inkongruenten Kapitel in der Theoriegeschichte hinzuweisen, ist Sinn der vorliegenden Konzeption. Das bedeutet aber zugleich auch, dass der methodologische Ansatz hier eingangs kurz dechiffriert werden muss.

Politische Theorie der Prämoderne 1500-1800

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