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Kapitel 10

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Samstag, 08. August 1388

»Ihr reitet etwa eine halbe Stunde flussaufwärts durch den Wald, in Richtung Ternberg. Irgendwann kommt Ihr an einer Buche vorbei, in deren Stamm ein breiter Spalt klafft. Dort biegt Ihr rechterhand auf einen Pfad ein, der Euch auf die andere Seite des Waldes bringt. An seinem Rand liegt das Anwesen des Zeitlers, etwa hundert Fuß vom Fluss entfernt.«

Mit der einen Hand versuchte Christine, einen Mückenschwarm zu verscheuchen, mit der anderen kraulte sie dem Rappen, der sie ihrem Ziel entgegentrug, die Mähne. Der Ortsbeschreibung folgend, die Irmingard, die Obermagd, ihr gegeben hatte, war sie soeben auf den schmalen Pfad, der von der Straße abzweigte, in den Wald eingebogen. Nach einer Weile lichtete sich die grüne Dämmernis, und Christine blickte durch die Bäume hindurch auf einen breiten Wiesengürtel, der sanft zur Enns hin abfiel. Hell glitzerte der Flusslauf im Sonnenlicht.

Langsam ritt Christine weiter. Plötzlich hielt sie den Rappen an, denn nun erblickte sie auch das Anwesen Gundel Schreyers. Eine Gruppe hochgewachsener Hasel­sträucher am Waldrand hatte es ihrem Blick bis jetzt entzogen. Inmitten der Wiese, innerhalb eines geräumigen, von einem Lattenzaun eingefriedeten Platzes, erhob sich eine niedrige, teils aus Stein, teils aus Holz errichtete und mit Holzschindeln gedeckte Kate, an die sich ein fensterloser Schuppen anschloss, während sich in Richtung des Flusses eine Reihe kastenähnlicher Gebilde erstreckte – Bienenstände. Gemessen an deren Anzahl, musste Gundel Schreyer über eine beachtliche Menge Flugvieh verfügen.

»Komm, Brauner, lass uns weitergehen«, murmelte Christine und klopfte dem Pferd aufmunternd den Hals. Sie trat aus dem Schatten des Waldes auf die von Sonnenlicht erfüllte Wiese hinaus und umrundete das eingefriedete Anwesen auf der Suche nach dem Eingang. Ein windschiefes Gatter, das einen Spalt weit offen stand, verriet ihn schließlich. Er befand sich auf der dem Fluss zugewandten Seite.

Christine stieg aus dem Sattel und zwängte sich, den Rappen am Zügel führend, durch die schmale Öffnung, die das Gatter freigab.

Da sah sie ihn.

Der Zeitler befand sich ziemlich weit hinten auf dem Grundstück, hatte ihr den Rücken zugewandt und machte sich offensichtlich an einem der vielen Bienenstöcke zu schaffen, die sich in großer Menge am Zaun entlangreihten. Es waren sogenannte Rutenstülper, aus Zweigen geflochtene Körbe, die mit Lehm und Mist abgedeckt waren und eine ideale Behausung für die kleinen, Honig sammelnden Summer bildeten.

»Gott zum Gruß, Gundel Schreyer!«, rief Christine schon von Weitem.

Der Zeitler fuhr erschrocken herum.

»Wer seid Ihr; was sucht Ihr hier?«, fragte er misstrauisch, als Christine herangekommen war.

»Ich bin Christine von Falkenstein«, stellte sie sich vor und setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf. »Ich will Honig von Euch kaufen. Ihr sollt den besten weit und breit haben, wie man mir gesagt hat«, fuhr sie fort.

»So?«, brummte Gundel Schreyer gleich ein wenig freundlicher. Dennoch hatte Christine das Gefühl, einen unangenehmen Zeitgenossen vor sich zu haben. Der Blick, den der Mann ihr aus einem brauenlosen Augenpaar zusandte, war stechend und irgendwie unheimlich. Der Kopf war schmal, verfügte über eine platte Nase und einen Mund, der nur aus einem Strich zu bestehen schien. Die Ohren waren klein und standen ab. Nicht ein einziges Haar konnte Christine auf dem glatten, schweißnassen Haupt ausmachen. Das Gesicht war bartlos und mit roten Flecken übersät, die Figur des Mannes groß, aber extrem dünn. Besonders auffällig waren die Gliedmaßen: Arme und Beine unendlich lang und spindeldürr, ebenso die Finger.

Christine fühlte sich an eine Spinne erinnert und erschauerte trotz der Hitze.

»Wie viel wollt Ihr denn kaufen?«, fragte Gundel und wischte sich die dünnen Finger an seinem speckigen Wams ab.

»Nun, einen oder zwei Töpfe«, gab Christine zur Antwort.

»Kommt mit!«, sagte der Zeitler kurz angebunden und steuerte mit weit ausgreifenden Schritten auf seine Kate zu. Die Tür, die in die Behausung führte, war nur angelehnt; knarrend öffnete sie sich, als Gundel Schreyer Schultern und Kopf einzog und durch den für seine Größe viel zu niedrigen Eingang trat.

Christine folgte ihm ­und erblickte einen Raum, der sich in nichts von den meisten Behausungen seiner Art unterschied. Die Mitte nahm eine gemauerte Herdstelle ein, über der ein Rauchfang für den Abzug des Qualms sorgte. In ihm hingen einige Würste und eine Speckseite, die zum Räuchern bestimmt waren. Ein Fenster verlieh dem Raum einigermaßen Helligkeit; darunter lehnte ein Holzrahmen an der Wand, der mit dünn geschabter Schafshaut bespannt war; wurde es kühl, konnte man ihn in die Fensteröffnung einhängen, um die Holzläden dabei zu unterstützen, Regen, Wind und Kälte abzuhalten. Letztere befanden sich wie üblich auf der Außenseite der Hütte. Die kärgliche Einrichtung wurde von einem Tisch, zwei Schemeln sowie von einem Regal, das die gesamte Breite einer fensterlosen Wand einnahm, und einer davor befindlichen, mit einem Strohsack ausgestatteten Bettstatt gebildet; auf ihr lag, ordentlich zusammengefaltet, eine grobe Wolldecke.

Gundel Schreyer ging zum Regal hinüber und entnahm ihm zwei mit gewachstem Tuch verschlossene Töpfe, die er Christine überreichte.

»Hier, Euer Honig. Ihr könnt übrigens von Glück sagen, dass Ihr mich angetroffen habt. Ich muss nach Ternberg. Eigentlich hätte ich schon längst weg sein müssen.«

»Tja, da habe ich wohl in der Tat Glück gehabt«, entgegnete Christine lächelnd. »Was bekommt Ihr für den Honig?«

»Sagen wir zwölf Pfennige?«

»Zwölf Pfennige? Ein stolzer Preis.«

»Ihr sagtet doch selbst: Mein Honig ist der beste. Was besonders gut ist, hat seinen Preis.«

»Da habt Ihr allerdings recht.«

Christine kramte in ihrer Gürteltasche und zählte dem Zeitler zwölf Münzen auf den Tisch. Indessen überlegte sie fieberhaft, wie sie das Gespräch auf Klara bringen konnte.

»Woher wisst Ihr das mit dem Honig überhaupt? Ich meine, dass es bei mir den besten weit und breit gibt«, fragte Gundel, während er die Münzen einschob.

Es war die Gelegenheit.

»Ich bin zu Gast im Hause Ternberg. Dort schätzt man Euren Honig sehr, wie mir die Obermagd versichert hat«, log Christine prompt drauflos. »Die verstorbene … oder sagen wir besser … die ermordete Klara von Ternberg mochte ihn besonders.«

Gundel Schreyer stand wie vom Schlag gerührt und starrte sie ungläubig an. Dann aber ging er um den Tisch herum und baute sich drohend vor seiner Besucherin auf. In seiner Miene wetterleuchtete es.

»Wollt Ihr mich für dumm verkaufen? Irmingard, die Obermagd, soll behauptet haben, dass man im Hause Ternberg meinen Honig mag?«, bellte er heiser. »Sie heißt doch Irmingard, nicht wahr?«

Sofort wurde Christine bewusst, dass sie einen groben Fehler begangen hatte. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.

»Hat sie Euch auch erzählt, dass man mich vor über zwei Jahren wie einen räudigen Hund vom Ternbergschen Anwesen gejagt hat, nur weil ich darum bat, mir die Bienenstöcke zu ersetzen, die ein wild gewordener Hengst zerstörte, der dem Magistrat gehört hat? Ha, dass ich nicht lache; man mag dort meinen Honig!«, brach es aus Gundel Schreyer plötzlich voller Hass und Hohn heraus.

Christines Gedanken überschlugen sich. »Nun das hat mir Irmingard nicht gesagt. Sie … sie beschrieb mir lediglich den Weg zu Euch«, erwiderte sie mit belegter Stimme.

Die Augen Gundel Schreyers verengten sich. »Das heißt, sie weiß, dass Ihr hier seid?«, erkundigte er sich.

»Nicht nur sie. Die halbe Dienerschaft weiß es. Ich wer­de in zwei Stunden zurückerwartet«, log Christine weiter.

»Also dann will ich Euch nicht länger aufhalten. Ich denke, Ihr solltet jetzt gehen«, sagte Gundel und deutete zur Tür.

Missmutig und verärgert über sich selbst, ritt Christine den Weg zurück, den sie gekommen war. Durch ihr unbedachtes Verhalten hatte sie die Gelegenheit, mehr aus dem Zeitler herausholen zu können, gehörig verpatzt. Der Mann war nun gewarnt und einer weiteren Befragung gegenüber gewappnet. Was Falk wohl zu ihrem Alleingang sagen würde? …

Ich muss nach Ternberg. Eigentlich hätte ich schon längst weg sein müssen – schoss Christine die Bemerkung Gundels plötzlich in den Sinn.

Abrupt brachte sie ihren Rappen zum Stehen. Vorausgesetzt, der Mann hegte immer noch die Absicht, sich auf den Weg nach Ternberg zu machen – bot sich dann nicht die Möglichkeit, die Kate in seiner Abwesenheit nach irgendeinem Hinweis zu durchsuchen?

Christine überlegte nicht länger und schwang sich aus dem Sattel. Sie drang ein Stück weit in den Wald ein und band den Rappen an einem kräftigen Ast fest.

»Sei brav, Schwarzer, ich bin bald wieder da«, murmelte sie. Dann eilte sie durch das Walddickicht wieder zu der Stelle zurück, wo sie vom Pfad abgebogen war, und wartete, gut verborgen, im Unterholz.

Es dauerte nicht lange, bis sie das dumpfe Stapfen von Hufen auf dem Waldboden hörte, gleich darauf sah sie Gundel Schreyer auf einem alten Klepper den Pfad entlangkommen. Über dem Hals des Pferdes zusammengekauert, saß er mehr schlecht als recht im Sattel.

Christine wartete, bis der Mann hinter der Wegbiegung verschwunden und das Geräusch trabender Hufe verklungen war. Dann schlug sie sich rasch zurück zu der Stelle, wo der Rappe auf sie wartete …

Etwa eine halbe Stunde später zwängte sie sich erneut durch die Gatteröffnung. Das Pferd hatte sie diesmal außerhalb der Umfriedung hinter einigen Sträuchern festgemacht. Mit schnellen Schritten querte sie das Anwesen. Bei der Kate angekommen, drückte sie behutsam gegen die Tür – und atmete auf. Sie war nicht abgesperrt. Bevor sie sie ganz aufstieß, sah sie sich vorsichtig um. Unangenehme Überraschungen waren das, was sie jetzt am wenigsten gebrauchen konnte. Doch es lag ein einsamer Friede über dem Anwesen und ließ Christine die Befürchtung, dass Gundel Schreyer, aus welchem Grund auch immer, plötzlich auftauchen könnte, verdrängen.

Langsam trat sie über die Schwelle und ließ die Tür einfach hinter sich zu­fallen. Aufmerksam glitt ihr Blick durch das Hütteninnere …

… und ohne dass sie hätte sagen können, warum, schoss ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf.

Klaras Geldbörse!

Sie musste sich im Besitz des Mörders befinden.

Etwa im Besitz Gundel Schreyers?

Christine spürte, wie eine eigenartige Erregung von ihr Besitz ergriff.

Wenn es hier ein Versteck gab – wo hatte man es dann zu suchen? Von Falk hatte sie gelernt, wie man in solchen Situationen auch dem unscheinbarsten Hinweis nachging. Bedächtig schritt sie den Raum ab, während sie überlegte und kombinierte, in Gedanken jeden Winkel ausleuchtete und mit ihren Blicken Handbreit um Handbreit das Interieur abtastete.

Den Tisch. Die Bettstatt. Das Regal.

Und die gemauerte Feuerstelle.

Ein Bündel Sonnenstrahlen fiel durch das Fenster …

… und verlieh dem Gedanken, der im Bewusstsein Christines zunächst als verschwommenes Etwas aufgetaucht war, mit einem Mal eine klare Kontur.

Die unter einem Rauchfang gelegene Feuerstelle war von einer etwa hüfthohen doppelten Mauer aus Backsteinen umgeben. In ihr steckte ein Ziegel, dessen untere Kante einen deutlichen Schatten warf; dennoch hätte Christine ihn wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wäre das Licht der Sonne nicht darauf gefallen. So aber brachten sie wenige Schritte zum Herd, wo sie in die Hocke ging und die Stelle eingehend musterte. Sie hatte richtig vermutet. Der Ziegel ragte eindeutig ein kleines Stück weit aus der Mauer. Vorsichtig griff Christine danach, ruckelte daran – und stellte triumphierend fest, dass er sich tatsächlich bewegen ließ. Zuerst sanft, dann fester griffen Christines Finger zu und zogen den Stein mit leicht schürfendem Geräusch aus dem Mauerwerk. Vorsichtig legte Christine ihn auf den Lehm­fußboden, griff mit der Rechten in die entstandene Lücke und stellte überrascht fest, dass sie es mit einer verhältnismäßig geräumigen Höhlung zu tun hatte. Christine griff tiefer – und unterdrückte nur mit Mühe einen Ausruf der Überraschung. Ihre Finger hatten ein zusammengerolltes Pergament ertastet; ein Pergament allerdings, das sich etwas klebrig anfühlte. Im Nu hatte sie es zutage gefördert – und glaubte plötzlich, ihren Augen nicht zu trauen.

»Mein Gott!«, stieß sie hervor.

An der mit einer Hanfschnur zusammengehaltenen Rolle klebte ein Stück Stoff.

Das abgerissene Stück eines Kleiderärmels!

Christine spürte, wie ihr der Mund trocken wurde. Sie legte die Rolle beiseite und griff mit der Rechten noch einmal in die Höhlung, ohne allerdings von Neuem fündig zu werden. Keine Geldbörse! Dafür versuchte sie nun, die mit einem Knoten versehene Schnur von der Rolle abzustreifen, um das Pergament zu entrollen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Nein, jetzt nicht, später – verschwinde endlich, mahnte sie sich und steckte das Pergament unter ihr Wams. Zufall und Glück waren ihr bis jetzt hold gewesen, Letzteres weiter zu strapazieren, hätte bedeutet, das Schicksal über Gebühr versuchen zu wollen. Vorsichtig steckte sie den Ziegel in die Lücke zurück und spuckte einige Male kräftig in die Hand. Hastig tupfte sie mit der angefeuchteten Handfläche den weißen Staub auf, der beim Herausziehen des Ziegels auf den Lehmboden gerieselt war, und wischte sie an der Innenseite ihres Wamses sauber. Die klebrigen Finger vom Honig zu befreien, schaffte sie allerdings nicht ganz.

Sie erhob sich. Prüfend musterte sie noch einmal die Stelle der Esse, an der sie sich zu schaffen gemacht hatte, und unterzog auch den Fußboden einem letzten kritischen Blick. Dann nickte sie befriedigt. Nichts deutete mehr darauf hin, dass jemand das geheime Versteck entdeckt und ausgeräumt hatte. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Natürlich bekäme Gundel Schreyer – sollte er, aus welchem Grund auch immer, sein Versteck inspizieren, – einen gewaltigen Schrecken, und unter Umständen schöpfte er auch Verdacht. Wie er dann wohl reagieren würde? Christine zuckte die Schulter. Dieses Risiko musste sie eingehen.

Sie beeilte sich, nach Hause zu kommen. Es war auch höchste Zeit. Zum einen hatte sie das Gefühl, als ob das Schriftstück, das sie unter ihrem Wams verborgen hielt, geradezu auf ihrem Leib brannte. Zum anderen begann das Wetter umzuschlagen; scharfe Böen und eine dunkle Wolkenfront ließen nichts Gutes erwarten. Kaum, dass sie eine Stunde später nach einem scharfen Ritt auf dem Ternbergschen Anwesen angelangt war, gab sie den Rappen in die Obhut eines herbeigeeilten Stallknechtes und hastete zum Fondaco hinüber. Inzwischen hatte heftiger Regen eingesetzt, dennoch herrschte auf dem Hof wie jeden Tag lebhaftes Treiben. An Knechten und Fuhrleuten vorbei eilte sie in das Gebäude und die Treppen hinauf in ihre Kammer.

Noch ganz außer Atem, setzte sie sich aufs Bett und öffnete mit flinken Fingern den Knoten der um die Papierrolle geschlungenen Schnur. Vorsichtig entrollte sie das Schrift­stück, an dem immer noch das Stück Stoff klebte.

Doch gerade als sie angefangen hatte zu lesen, drohte ihr der Atem auch schon wieder zu stocken. In jener krakeligen, schnell dahingeworfenen Handschrift, die Christine mühelos als die Klaras erkannte, präsentierte sich ihr das schier Unglaubliche:

An Lamprecht Bürgel – Mein Geliebter komme in seinen Garten und genieße die herrliche Frucht. Ich liebe dich. – Klara.

Langsam ließ Christine das Schriftstück sinken. Das darf nicht wahr sein, dachte sie. Sie fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Die Worte, die da geschrieben standen, waren ihr nicht unbekannt, handelte es sich doch um einen Vers aus dem »Canticum Canticorum«, dem Hohen Lied Salomos. Was das Pergament allerdings offenbarte, war ungeheuerlich: Offensichtlich hatte Klara ein intimes Verhältnis zu Lamprecht Bürgel, dem ermordeten Fass- und Wagenmacher, unterhalten; zwischen beiden Morden bestand also ein ursächlicher Zusammenhang.

Und Gundel Schreyer wusste davon …

»Mein Gott, Klara, was hast du getan?«, flüsterte Christine. Verstört legte sie das Schriftstück beiseite und trat ans Fenster, das die Obermagd vorsorglich mit einem pergamentbespannten Rahmen hatte schließen lassen. Gegen die milchige Fläche, durch die diffuses Tageslicht drang, trommelte dumpf der Regen, während vom Hof her gedämpfter Lärm heraufdrang.

»Nein, ich glaub es nicht. Ich kann es einfach nicht glauben«, murmelte Christine störrisch und schüttelte entschieden den Kopf. Ihre einst beste Freundin – eine Ehebrecherin? Ihr integeres Verhalten, ihre Loyalität Wernher gegenüber – alles nur gespielt?

Ja doch, nimm es endlich zur Kenntnis!, rief die harte Stimme des Verstandes Christine zu.

Langsam ging sie zur Bettstatt zurück und warf sich aufs Lager. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte sie zur Decke empor. Was die Ermittlungen anging, war sie ungewöhnlich erfolgreich gewesen. Nicht nur, dass es ihr gelungen war, überraschend schnell in das geheimnisvolle Labyrinth seltsamer Beziehungen vorzustoßen, das Klara unterhalten hatte; unter Umständen hatte sie sogar ihren Mörder ausfindig gemacht. Und selbst wenn Gundel Schreyer für die Tat nicht verantwortlich war: Das enthüllende Papier mit dem daran befindlichen Stückchen Stoff, das sich in seinem Besitz befand, dokumentierte zumindest, dass er Dreck am Stecken hatte.

Was Wernher wohl sagen wird, wenn er von all dem erfährt? Und Sofia?

Christine fuhr hoch.

Sofia! – Hatte sie um das Geheimnis ihrer Mutter gewusst?

Erklärte sich daraus ihr seltsames Verhalten?

Christine seufzte. Zwar hatte sich der Nebel, der auf dem Verbrechen lag, ein klein wenig zu lichten begonnen. Doch gleichzeitig beschwor das, was er freigab, weitere Fragen herauf.

Was hatte Gundel Schreyer, so er überhaupt der Mörder war, bewogen, Klara zu töten?

Wie war das intime, an Lamprecht Bürgel gerichtete Schreiben in seinen Besitz gelangt?

Und was war der Grund, der Klara veranlasst hatte, Trost in den Armen eines anderen Mannes zu suchen?

Zeit, dass Falk zurückkehrte und sich des Zeitlers annahm. Dass dieser entscheidende Antworten würde geben können, lag auf der Hand. Vielleicht gelangte die Wahrheit nun doch schneller als gedacht ans Licht und sie würden Steyr bald wieder verlassen und nach Salerno zurückkehren können.

Ein sehnsuchtsvoller Seufzer entrang sich Christines Brust, als sie daran dachte.

Tochter der Inquisition

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