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Prolog

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Mai, Anno Domini 1388

Herzogtum Österreich, Gegend um Steyr

Der Mann keuchte vor Anstrengung. Obwohl die Nacht kühl war, perlten Schweißtropfen auf seiner Stirn. Schon seit mehr als einer Stunde trieb er seinen Kahn mit harten Schlägen flussaufwärts. Im Takt der Ruderblätter, die in die dunklen Fluten der Steyr eintauchten, zischten Flüche von seinen Lippen. Auch wenn ihn das Fluchen seinem Ziel nicht eine Elle näher brachte, schien es doch Kraft in seine Arme zu schicken. Ließ doch jede einzelne Verwünschung die Blätter wütend in die Flut klatschen und Fetzen von Spritzwasser durch die Luft wirbeln, die im Mondlicht in unzählige glitzernde Tröpfchen zerstoben.

Nach einer weiteren halben Stunde ließ es der Ruderer etwas gemächlicher angehen, während sein Blick konzentriert das rechte Flussufer absuchte. Offenbar hielt er nach etwas ganz Bestimmtem Ausschau.

»Na endlich, verdammt noch mal!«, knurrte er, als er einer Trauerweide ansichtig wurde, die ihre Zweige bis tief auf die Wasser­oberfläche hinunter­schickte.

Er steuerte den Kahn unter die baldachinartige Krone des Baumes, holte die Ruder ein und machte den Nachen an einem der Äste fest. Dann schwang er sich über den Bootsrand ins knietiefe Wasser und watete ans Ufer, wo er zuerst einmal innehielt und sich umsah. Das Versteck für das Boot war gut gewählt, niemand würde es unter der Weide vermuten. Das war wichtig, denn der, den er in dieser Nacht zu treffen gedachte, brauchte nicht zu wissen, welchen Weg er genommen hatte. Befriedigt nickte er, die erste Etappe war geschafft. Dann aber verriet ihm ein prüfender Blick auf die bewaldeten Steilhänge, die den Flusslauf säumten, dass der schwierigste Teil der Strecke noch bevorstand. Erneut ließ er einen Fluch vom Stapel.

Nach einer weiteren Stunde hatte er nicht nur den Steilhang, sondern auch eine mit niedrigem Strauchwerk und Gras bestandene Hochebene hinter sich gebracht. Jetzt stand er am Fuß einer Erhebung, die über eine plateauähnliche Kuppe verfügte, welche von einer niedrigen, halb verfallenen Mauer gekrönt wurde. Dahinter ragten vor der hellen Scheibe des Mondes mehrere hohe Bäume sowie die Silhouetten einiger seltsam geformter Grabmäler in den Nachthimmel. Obwohl der Mond ziemlich hell schien, dauerte es eine Weile, bis seine scharfen Augen die von Gras und Unkraut überwucherten Stufen entdeckten, die zum alten Judenfriedhof hinaufführten.

Während er nach oben stieg, spielte ein hintergründiges Lächeln um seine Mundwinkel. Er dachte daran, wie schnell derjenige reagiert hatte, den er gleich treffen würde. Erst vor wenigen Tagen hatte er ihm ein anonymes Schreiben, gespickt mit bestimmten Infor­mationen, zukommen lassen und prompt einen Tag später die Antwort darauf erhalten. Man habe sehr wohl Interesse an dem Wissen, das er gegen einen bestimmten Betrag preisgeben wolle, hatte man ihm mitgeteilt und ihn aufgefordert, in dieser Nacht zum alten Judenfriedhof zu kommen, damit man über die Sache reden könne.

»Endlich«, keuchte der Mann, nachdem er das Plateau erreicht hatte. Zögernd trat er an die marode Mauer heran, die das verwilderte Areal des Friedhofs umschloss.

Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, während er die unregelmäßig verstreuten Grabmäler hinter der Mauer betrachtete, die inmitten alter Bäume und üppig wuchernder Gräser aus dem Boden wuchsen. Vom Zahn der Zeit zu zerspellten, formlosen Gebilden zernagt, ragten sie kreuz und quer empor. Vielleicht war es der Anblick dieser uralten Steine, die selbst zu sterben schienen und im Mondlicht seltsam schimmerten, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Vielleicht aber auch der Umstand, dass er sich an einem Ort befand, der fremd und unheimlich wirkte und so gar nichts mit einem christlichen Gottesacker gemein hatte. Schon allein die seltsamen Schriftzeichen auf den Steinen konnten einen das Fürchten lehren. Was nicht verwunderte. War das nicht die Schrift derer, die den Herrn ans Kreuz hatten nageln lassen, die Schrift der Gottesmörder, Brunnenvergifter und Hostienschänder, kurzum: der ewig Verfluchten, die – so sie sich nicht zum christlichen Glauben bekehrten – in der Hölle schmoren würden? Ausgerechnet diesen Treffpunkt hatte man ihm genannt.

Kiwitt, kiwitt. – Erschrocken sah der Mann nach oben. Der Ruf des Käuzchens, das sich als dunkler Schatten aus einer nahen Baumkrone löste und mit lautlosem Flügelschlag entschwebte, jagte erneut einen Schauer über seinen Rücken.

»Verdammt! Sei kein Hasenfuß und bring’s hinter dich«, schalt sich der Mann. Er betrat den Friedhof durch eine Bresche in der Mauer, doch er musste sich geradezu zwingen weiterzugehen, um nach der Gruft zu suchen, die man ihm als Treffpunkt genannt hatte.

Es dauerte nicht lange, bis er sie gefunden hatte. Sie befand sich in der Nähe einer Eiche, deren mächtiger Wurzelstock zum Teil aus der Erde ragte und sich bis zur Gruft erstreckte. Vorsichtig stieg der Mann eine zerborstene Steintreppe hinunter und gelangte zu einem Eingang, der nur mit einer Brettertür verschlossen war.

Zuerst zögerte er. Dann aber stieß er die Tür auf und betrat ein stockdunkles, niedriges Gewölbe. Offenbar war die Gruft leer, dennoch roch es nach Moder und Tod. Ihn schauerte, er fror. Das Dunkel, das sich vor ihm auftat, schien undurchdringlich. Er beschloss, keinen einzigen Schritt weiterzugehen, und drückte die Tür so weit auf, dass das Licht des Vollmonds zumindest den Eingangsbereich ausfüllen konnte.

Dann wartete er mit angehaltenem Atem.

»Verdammt, wo er nur bleibt«, murmelte der Mann, nachdem er eine Weile ins Dunkel gestarrt hatte. Er wandte sich um und sah die Steintreppe empor; auf den Stiegen glänzte matt das Mondlicht.

»Keine Sorge, ich bin längst da. Ich ziehe es vor, immer als Erster bei einem Treffen zugegen zu sein. – Halt! Dreh dich nicht um, wenn dir dein Leben lieb ist!«, ertönte plötzlich eine dunkle Stimme in seinem Rücken.

Bereits bei den ersten Worten wollte sich der Mann erschrocken umwenden, doch die unmissverständliche Aufforderung, es nicht zu tun, stoppte seinen Reflex gerade noch rechtzeitig.

Er spürte einen warmen Atem im Nacken.

»Oh, Herr, seid Ihr es?«, fragte er stockend und begann auf einmal zu zittern.

»Wer ich bin, tut nichts zur Sache. Aber ich sehe, ich habe dich erschreckt. O, wie bedauer­lich«, erwiderte die Stimme. Sie triefte geradezu vor Hohn. »Aber sei sicher: Dein Schrecken wird noch größer werden, wenn du erfährst, was dir blüht, sollte das Wissen, über das du zu verfügen behauptest, für mich nicht zu verwerten sein. Insbesondere jenes, das von einem gewissen … Sprüchlein handelt«, – die Stimme hielt kurz inne –, »wie lautete es doch gleich?«

Die Stimme war plötzlich ins Zischen geraten. Gleichzeitig fühlte der Mann, wie sich der linke Arm des hinter ihm Stehenden um seinen Hals legte, während seine rechte Hand nach vorn schnellte und ihm ein Messer unter die Nase hielt.

Zu Tode erschrocken, schielte der Mann auf das matt glänzende Metall.

»Wie … wie das Sprüchlein lautete? … Ihr meint … jenes Verslein, … das ich in dem Brief nannte?«, röchelte er.

»Ja. Nenn es mir. Ich will es aus deinem eigenen Mund hören«, zischte die Gestalt.

»›Die … die Glöckchen aus Akkon, … wie lieblich ihr Klang … So nehmt denn ihr Schönen … den Tod in Empfang‹«, rezitierte der Mann stockend den seltsamen Spruch.

»Ja, das ist richtig. So lautete der Vers. Aber nur ganz wenige kannten ihn. Woher ist er dir bekannt? Sag es mir!«, flüsterte die Stimme.

»Ich will es Euch ja auch sagen. Aber Ihr wisst, dass meine Informationen ihren Preis haben. Außerdem habe ich noch Weiteres in Erfahrung gebracht, das Euch nützlich sein dürfte. In dem Brief, den ich Euch schrieb, stand nicht alles. Ihr werdet mich also am Leben lassen müssen«, entgegnete der Mann und verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. Ungeachtet der Klinge, auf die er starrte, war seine Kaltblütigkeit zurückgekehrt.

Der Mann fühlte, wie der Arm, der sich um seinen Hals gelegt hatte, zurückgezogen wurde. Doch der Stahl vor seinen Augen blinkte noch immer.

»Du lässt dich nicht so schnell ins Bockshorn jagen, das muss man dir lassen«, tönte die Stimme erneut. Dann folgte ein leises Lachen. »Wie ich schon sagte: Voraus­gesetzt, das Wissen, das du anzubieten hast, ist echt, nützt du mir tatsächlich. – In diesem Fall wäre das hier für den Anfang.« Die eine Hand schnellte wieder nach vorne. Diesmal umfasste sie einen prall gefüllten Beutel. Ein leises Klirren ertönte, als sie ihn schüttelte, und ließ das Herz des Mannes höher schlagen. Gierig griff er nach dem Beutel.

Doch sogleich schnellte die Hand wieder zurück.

»O nein. Erst die Ware, dann das Geld, mein Lieber. Wir wollen die guten Kaufmannssitten doch nicht schnöder Gier opfern, nicht wahr?«, spottete er.

Der Mann leckte sich die Lippen.

»Natürlich, Herr, Ihr habt recht. Also lasst Euch berichten.«

Tochter der Inquisition

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