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Kapitel 14

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Entgegen seiner ursprünglichen Absicht, kam Falk erst um die fünfte Tagesstunde dazu, das Haus des Stadtrichters aufzusuchen, um sich das Schreiben aus Melk abzuholen. Gleich nach seiner Rückkehr war er ins Fondaco geeilt, um Christine über den Verlauf der morgendlichen Expedition zu unterrichten, hatte sie jedoch nicht angetroffen. Schon ziemlich früh sei sie ohne Angabe eines Grundes weggegangen, wollte jedoch spätestens zur Mittagszeit wieder zurück sein, war er von Irmingard in Kenntnis gesetzt worden. Falk hatte sich daraufhin kurz in die Gästekammer zurückgezogen, um ein wenig auszuruhen, war dann aber vor Erschöpfung eingeschlafen und verhältnismäßig spät erwacht.

»Hier, das Päckchen aus Melk, Herr von Falkenstein.«

Nachdenklich nahm Falk eine mit Leder umwickelte, gut verschnürte Rolle entgegen, die ihm der Schreiber des Stadtrichters überreichte.

»Wer überbrachte das Schreiben?«

»Ein Rotelbote des Klosters zu Melk, Herr. Er kam schon gestern Nachmittag an und ritt dann weiter nach Garsten. Er hatte eine Nachricht für Euch und den Stadtrichter im Gepäck. Ich vergaß, es bereits gestern auszurichten, und bitte dafür um Nachsicht.«

Also doch nichts besonders Eiliges, dachte Falk; nichts jedenfalls, was den Boten veranlasst hatte, nur seinetwegen nach Steyr zu kommen. Falk kannte den Auftrag eines Rotelboten. Von Kloster zu Kloster ziehend, hatte er den jeweiligen Konventen die Botschaft zu überbringen, wer von den Mönchen der heimatlichen Abtei das Zeitliche gesegnet hatte. Ihre Namen waren auf einer auf einen Stab aufgewickelten Rolle, auch Totenrotel genannt, verzeichnet, was es ermöglichte, ihrer zu gedenken und sie der Fürbitte der Heiligen anzuempfehlen. Je mehr Klöster der Bote besuchte, desto länger wurde die Rolle, denn jedes der aufgesuchten Häuser war verpflichtet, durch einen kurzen schriftlichen Hinweis den Empfang der Nachricht zu bestätigen. Die Abtei zu Garsten, eine halbe Reitstunde von hier entfernt, war das eigentliche Ziel des Boten gewesen, da bot es sich geradezu an, ihm auch eine Nachricht mitzugeben, die an einen Adressaten im nahen Steyr gerichtet war.

»Sagt, ist der Stadtrichter im Haus? Ich muss ihn unbedingt sprechen«, wandte Falk sich an den Schreiber.

»Nein. Soviel ich weiß, wollte er zum Burggrafen, um ihn über das Ergebnis der Untersuchung von heute Morgen in Kenntnis zu setzen. Wart Ihr nicht dabei gewesen?«

Falk nickte. »Er hätte gut getan, damit noch zu warten, bis ich zurück bin«, bemerkte er finster.

»Wie meint Ihr das, Herr von Falkenstein?«, fragte der Schreiber neugierig.

Falk zog es vor, ihm die Antwort schuldig zu bleiben. Noch bevor der Schreiber nachhaken konnte, hatte er die Amtsstube verlassen.

Eine Bö fegte über den Stadtplatz und peitschte Falks Gesicht mit Nässe; zu dem nicht enden wollenden Nieselregen hatte sich ein unangenehm kühler Wind gesellt. Er wehte aus Richtung des bei Ennsdorf außerhalb der Stadtgrenzen gelegenen Gerber- und Färberviertels (dort wohnten die »Grauslichen«) und stülpte eine Glocke bestialischen Gestanks über die Stadt. Ansonsten war Steyr erfüllt vom typischen Alltagslärm betriebsamer Geschäftigkeit. Fuhr­werke lärmten über den Stadtplatz; Bauern aus der Umgebung, Handwerker, edle Bürgersfrauen und reiche Kaufherren, aber auch Bettler und Mönche drängelten sich in den Gassen, während freilaufende Hunde und einige Schweine in den mit Abfall und Kot gefüllten Ablaufrinnen nach Fressbarem wühlten; kurz: es war ein Tag wie jeder andere.

Den Blick nachdenklich nach unten gerichtet, strebte Falk dem Ternbergschen Anwesen zu. Er fragte sich, was das Päckchen wohl enthalten mochte, das der Rotelbote für ihn abgegeben hatte; es im Beisein des neugierigen Schreibers zu öffnen, hatte er keine Lust verspürt.

Seine Grübeleien wurden von Hufgeklapper und dem schürfenden Geräusch eisenbereifter Räder unterbrochen, die über das Pflaster rollten. Das Lärmen auf dem Stadtplatz verebbte und wich einer geradezu unheimlich wirkenden Stille. Gleich darauf bemerkte Falk auch den Grund dafür – und erblasste. Ein von zwei Pferden gezogener schwerer Reisewagen, eskortiert von einer Schar bewaffneter Reiter, war soeben auf den Stadtplatz eingebogen. Es war vor allem der Wagen, der die Leute in seinen Bann zog. Tatsächlich genügte schon der bloße Anblick des Gefährts, Furcht und Entsetzen auszulösen, kündeten doch zwei große, weiße Kreuze auf dem ansonsten in Schwarz gehaltenen Wagenkasten davon, dass der vielleicht schärfste unter den »Wölfen des Herrn«, der Inquisitor Petrus Zwicker, Angehöriger des Cölestinerordens und beheimatet im Kloster zu Oybin, nach Steyr gekommen war. Schon bald würde er sich auf die Fährte all derer setzen, von denen er glaubte, dass sie sich dem allerheiligsten Glauben entgegenstellten, würde sie jagen und jeden zur Strecke bringen, der es wagte, seine eigenen Gedanken über die der Mutter Kirche zu stellen.

Falk reihte sich in die gaffende Menge ein und schlang, einem plötzlichen Impuls folgend, das zu einem Zipfel verlängerte Ende seiner Gugel um Nase und Mund, um sein Gesicht zu verbergen. Gerade noch rechtzeitig – denn just in dem Augenblick, da der Wagen an ihm vorbeirollte, wurde der Vorhang, der das Fenster des Gefährts verschloss, zur Seite geschoben, und das Gesicht Petrus Zwickers erschien. Für die Dauer eines Wimpernschlags nur kreuzten sich ihre Blicke, doch es reichte aus, Falk fast körperlich jenen stechenden Blick verspüren zu lassen, der ihm vor Jahren schon einmal durch Mark und Bein gefahren war.

»Gott züchtigt uns; der Sünder sind viele in dieser Stadt. Deswegen schickt er seine Wölfe, die die Reuelosen zerfleischen werden, ja, ja, zerfleischen werden«, hörte er jemanden hinter sich murmeln. Er wandte sich um und sah einen kleinen, buckligen Mann, der seinen Mund zu einem schiefen Grinsen verzogen hatte. In seinen Augen flackerte der Irrsinn. Als fühlte er sich ertappt, schlug der Alte plötzlich die Hand vors Gesicht und hinkte hastig davon.

Der Wagen fuhr an der Menge vorbei den Stadtplatz hinunter, um vor dem Haus Dietrichs von Steyr, dem für die Stadt zuständigen Pfarrer, anzuhalten. Der Inquisitor stieg aus dem Wagen und verschwand mit einem seiner Begleiter im Haus des Geistlichen.

Mit einem flauen Gefühl im Magen wandte sich Falk zum Gehen; er hatte genug gesehen. Was Christine befürchtet hatte und von ihm als unwahrscheinlich abgetan worden war, war nun also doch eingetreten: Petrus Zwicker war nach Steyr gekommen. Ein Umstand, der sie dazu zwang, ihre Situation neu zu überdenken.

Auch das Wetter hatte es sich anders überlegt. Als er im Fondaco ankam, war aus dem feinen Nieseln stark schlagender Regen geworden.

Tochter der Inquisition

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