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Kapitel 1

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Montag, 01. Juni 1388 / Freitag, 19. Juni 1388

Nebelschwaden waberten über die Flussauen, als der Fischer Hermann Luger zur Enns hinunterging, um seine Reusen zu inspizieren. Er hoffte auf einen guten Fang. Den benötigte er auch, sollte er doch heute den Küchenmeister auf der Styraburg mit besonders fetten Forellen versorgen. Sie würden einen Teil des üppigen Festmahls bilden, das der Burggraf am Abend wieder einmal auszurichten gedachte.

Wie jeden Morgen stieg Luger aber erst einmal in sein Boot, das am Ufer vertäut lag, um in gewohnter Weise den mitgebrachten Imbiss zu verzehren: einen Kanten Brot, etwas gesalzenen Fisch und einen Krug Bier.

Gerade hatte er den ersten Bissen hinuntergeschlungen, als der zweite auch schon drohte, ihm im Halse stecken zu bleiben! Sein Blick war plötzlich an einer dunklen Masse hängen geblieben, die sich auf den trägen Fluten flussabwärts bewegte.

»Jesus Christus! Nicht schon wieder«, murmelte er entsetzt, während das seltsame Treibgut an ihm vorüberglitt.

Hastig löste er das Tau, mit dem das Boot am Steg befestigt war, ergriff die Ruderblätter und paddelte mit kräftigen Schlägen hinterher. Gleich darauf hatte er es eingeholt. Ohne sich lange zu besinnen, griff er nach der hakenbewehrten Stange zu seinen Füßen und zog damit nur wenige Augenblicke später eine männliche Leiche an Bord. Weil der Tote mit dem Gesicht nach unten auf die Planken zu liegen kam, vermochte Luger ihn zunächst nicht zu erkennen. Dann aber drehte er die massige Gestalt auf den Rücken – und bekreuzigte sich unwillkürlich.

»Bei allen Heiligen, der Bürgel!«, entfuhr es ihm. Entsetzt blickte er auf den Leichnam, um dessen Hals sich ein tiefer, wulstartig geränderter Schnitt zog. Irgendjemand hatte seinem Nachbarn, dem Fass- und Wagenmacher Lamprecht Bürgel, die Kehle durchgeschnitten.

Kaum eine Stunde später pochte die schwielige Hand des Enns­fischers Hermann Luger an das Tor des Stadt­richterhauses zu Steyr.

Keine drei Wochen später bewegten sich auf der Straße, die das Tal der Steyr mit dem nördlichen Ennstal verband, zwei leicht bewaffnete Reiter in Richtung Süden. Die Gerichtsknechte Bodo Schachen und Siegbert Penzlein waren, einem Befehl des Stadtrichters zu Steyr, Georg von Panhalm, folgend, auf dem Weg nach Ternberg. Auf dem dortigen Friedhof sollten sie unter der Aufsicht von Abt Nikolaus, der dem Konvent des Klosters zu Garsten vorstand, ein Grab öffnen. Es barg die Leiche eines unlängst verstorbenen Mannes, von dessen ruchloser Vergangenheit man erst jetzt erfahren hatte. Der Mann war ein Ketzer gewesen. Ketzer aber hatten in geweihter Erde nichts zu suchen. Also hatten Bodo und Siegbert die wichtige Aufgabe, die sterblichen Überreste des Elenden zu bergen, sie in eine Kiste zu verfrachten und diese nach Garsten zu überbringen, wo sie auf dem Schindanger unter reger Anteilnahme der Bevöl­kerung verbrannt werden sollten. Den Gläubigen zur Warnung und dem Herrn zum Zeugnis, dass seine Kirche sehr wohl über die wahre Lehre wachte und sich ihrer Widersacher erwehrte – wenn es sein musste, selbst über deren Tod hinaus.

»Warum der Panhalm ausgerechnet uns diese Drecks­arbeit machen lässt; einen halb verfaulten Ketzer ausgraben«, maulte Bodo und ließ vorüber­gehend die Zügel fahren, um sich die klammen Finger zu reiben.

»Das fragst du noch?«, entgegnete Siegbert und sah seinen Begleiter verdrießlich an. »Denk doch an die Sache mit dem entflohenen Waldenser. Glaubst du, dass der Stadtrichter den Ärger vergessen hat, den er mit dem Burg­grafen deswegen hatte? Ganz schön schlecht sieht der Panhalm seitdem aus. In uns sieht er nach wie vor die Schuldigen. Er is’ immer noch der Meinung, dass sich einer von uns beiden draußen vor dem Kerker hätte postieren sollen, direkt unter dem verfluchten Fenster. Dann hätte der verdammte Ketzerbas­tard gar nicht erst fliehen können, behauptet er.«

»So’n Quatsch. Die Wache versieht ihren Dienst stets im Wachraum, so steht’s in der Verordnung. Der Stadtrichter hat gewusst, dass der Kerker nicht gescheit gesichert war. Er hätte dem Seipold ordentlich in den Hintern treten müssen. Der ist schließlich der Aufseher für das Schergenhaus. Hätte er nämlich beizeiten das Gitter wieder angebracht, dann wäre nichts geschehen. So aber war das Kerkerfenster nur mit dem hölzernen Laden verschlossen. Und der war gerade mal mit einem Eisenriegel und einem Schloss gesichert. Das aufzukriegen, war ’n Kinderspiel. Ich frag mich sowieso, warum er das Gitter entfernt hat. Er hätte es ja noch dran lassen können, bis das neue fertig is’.«

»Warum, warum. Weil das alte nichts mehr taugte, du Hornochse; ’n paar von den Gitterstäben waren schon fast durchgerostet und die anderen saßen so locker in der Mauer wie die faulen Zähne im Maul meiner Schwiegermutter. Es war höchste Zeit, das Gitter zu entfernen. Der Laden hätte seinen Zweck schon erfüllt, wenn der Schmied ganze Arbeit geleistet hätte. Das Schloss war viel zu schwach«, belehrte Siegbert seinen Genossen mit Nachdruck.

Der Straße folgend, waren sie inzwischen in ein kleines Wäldchen eingedrungen, als Bodo plötzlich sein Pferd anhielt und angestrengt nach vorn starrte. Mit einer Geste bedeutete er seinem Begleiter, ebenfalls stehen zu bleiben.

»Was ist, was hast du?«, wunderte sich Siegbert.

»Da … sieh doch nur …! Da liegt jemand … Könnte ’ne Frau sein«, flüsterte Bodo aufgeregt und wies mit der Hand nach vorn.

»Wo? Ich seh nichts.«

»Hast du Kuhfladen auf den Augen? Dort, rechts vom Wege, neben dem Gebüsch!«

Seit einigen Monaten waren Siegberts Augen nicht mehr die besten; es dauerte ein wenig, bis er endlich, wenn auch nur verschwommen, die dunkle Silhouette eines Körpers wahrnahm, der etwa dreißig Schritte weiter vorn am Wegrand lag.

»Zum Teufel, du könntest recht haben«, murmelte er.

Sie gaben den Pferden die Sporen, sprengten auf die Stelle zu und sprangen aus dem Sattel.

»Bei allen Heiligen – die Ternbergerin! Sie ist tot!«, rief Bodo, der als Erster bei der Frau anlangte. Ein Schauer rann über seinen Rücken, als er den glasigen, aus der Ferne einer jenseitigen Welt kommenden Blick auf sich gerichtet sah, wie ihn fast jeder Leichnam aufwies, dessen Augen im Tod weit aufgerissen waren. Über den Oberkörper der Frau war ein grobes Sackleinen gebreitet. Ihr bleiches Gesicht wurde von langem, schwarzem Haar umrahmt, das wie dahingegossen den Boden bedeckte.

»Tatsächlich. Klara von Ternberg. Ich glaub’s nicht!«, bestätigte gleich darauf auch Siegbert. Im Gegensatz zu Bodo, der einfach nur dastand und auf die Frau herabsah, ging er neben ihr in die Hocke und legte prüfend die Finger an ihren Hals.

»Kein Zweifel, sie ist tot«, bemerkte er.

»Sag ich’s doch. Was hast du denn gedacht. Dass sie vor Müdigkeit eingeschlafen is’?«

»Spar dir deine blöden Bemerkungen«, knurrte Siegbert und hob das Sackleinen hoch. »Sieh mal, hier, man hat sie erstochen.« Siegbert deutete auf einen glatten Riss, den die Cotte der Toten auf der linken Brustseite aufwies, drum herum hatte sich ein riesiger schwarz-roter Fleck ausgebreitet. Unmittelbar über der rechten Hand, auf dem unteren Ende des Kleiderärmels, krabbelten seltsamer­weise unzählige Ameisen.

Bodo starrte betroffen auf die Frau herunter. »Hm«, brummte er. »Vor Kurzem erst die beiden Mädchen, dann der Bürgel und jetzt die Ternbergerin. Ich sag dir, der Teufel geht um im Ennstal.«

»Ob es der Leibhaftige war oder einer seiner menschlichen Handlanger, das herauszubekommen, obliegt dem Stadt­­­richter«, entgegnete Siegbert trocken.

»Ja, wenn ihm der Burggraf nicht wieder dazwischenfährt.«

»Den geht das Ganze nichts an. Die offizielle Juris­diktion über die Stadt und ihre Bürger obliegt dem Stadtrichter. Andererseits …«, er hielt kurz inne, um zu überlegen, »… ich glaub, diesmal könnten sie durchaus an einem Strang ziehen. Wenn sie sich auch sonst immer um die Zuständig­keiten zanken.«

»An einem Strang? Die beiden? Das glaubst du wohl selbst nicht!«

»Vergiss nicht: Hier geht’s um keinen Geringeren als Wernher von Ternberg, seines Zeichens Magistrat der Stadt Steyr und …«

»… und der hat schon lange die Nase voll von den ständigen Stänkereien des Burggrafen. Er steht eher auf der Seite des Stadtrichters«, unterbrach Bodo.

»Schon; trotzdem dürfte ihm diesmal einiges daran liegen, den Grafen mit ins Boot zu holen. Schließlich geht’s hier nicht nur um irgendein Verbrechen, sondern um den Mord an seinem Eheweib. Er wird den Täter schnellstens auf dem Richtplatz sehen wollen. Also wird er die beiden dazu bringen, die Sache gemeinsam anzugehen, und ich glaube nicht, dass sie sich ihm widersetzen werden.«

»Stimmt. Dazu ist der Ternberger zu mächtig. Schließlich is’ er stinkreich und hat verdammt gute Beziehungen zum Herzog«, räumte Bodo ein.

An ihre ursprüngliche Mission war nun nicht mehr zu denken. Der tote Ketzer würde warten müssen. Sie kamen überein, dass Bodo bei der Leiche wachte, während Siegbert so schnell wie möglich nach Steyr zurückreiten und den Stadtrichter informieren würde.

Tochter der Inquisition

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