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Kapitel 13

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Schon seit Stunden bewegte sich der Tross, dem acht Berittene und ein schwerer, von zwei Pferden gezogener Reisewagen angehörten, in Richtung Steyr. Früh am Morgen, noch im Dunkeln, hatte er die Herberge verlassen und war trotz der schlammigen Straße gut vorangekommen. Man hatte bereits die Ortschaft Wolfern passiert, als sich zum eintönigen Rumpeln der Räder mit einem Mal ein verdächtiges Ächzen gesellte – offenbar schickte sich die gepeinigte Vorderachse an, ihren Geist aufzugeben.

Der Befehlshaber der Berittenen – er führte den Zug an und war ein Stück weit vorausgeritten – brachte sein Pferd zum Stehen und wartete, bis das Gefährt auf gleicher Höhe mit ihm war.

»Verdammt, Anton, glaubst du, die Achse wird halten? Seit einer halben Stunde ächzt und stöhnt sie wie meine Alte beim Kinderkriegen«, wandte er sich mit verhaltener Stimme an einen der beiden Männer auf dem Kutschbock. Die Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben, schließlich war er für die Sicherheit des einzigen Fahrgastes, den der Wagen mit sich führte, persönlich verantwortlich.

Anton zuckte die Schultern. »Wer weiß das schon. Hoffen wir’s. Bert behauptet, er sei mit einer solchen Achse schon mal ’nen ganzen Tag lang gefahren. Als sie brach, war er fast am Ziel, nich wahr, Bert?«, sagte Anton und stieß den neben ihm sitzenden Kutschgefährten in die Seite.

»Ja, aber da war die Straße nicht so beschissen schlammig gewesen. Kostet die Achse ganz schön Kraft, wenn der Boden so durchgeweicht is’.«

Offenbar schien die Achse Berts Worte augenblicklich bestätigen zu wollen, denn gleich darauf bereitete ein dumpf-berstendes Geräusch dem Ächzen ein jähes Ende. Die beiden Vorderräder knickten zur Seite weg, was das klobige Fahrzeug abrupt zum Halten brachte und nach vorne neigen ließ. Die Pferde, durch den plötzlichen Ruck irritiert, wieherten laut und stampften mit den Hufen.

»Zum Teufel, da haben wir die Bescherung!«, fluchte Anton und sprang vom Kutschbock.

»Mist, als ob die verdammte Achse es gehört hätte«, schimpfte auch Bert und sprang hinterher.

Fast gleichzeitig wurde ein Vorhang an einem der beiden Fenster des Wagenkastens zur Seite geschoben und das strenge Gesicht eines Mönchs erschien.

»Was gibt es? Könnt Ihr denn nicht acht geben?«, fragte er ungehalten.

»Verzeiht, hochehrwürdiger Herr, aber es ist die Achse. Sie ist gebrochen. Dafür können die Männer nichts«, antwortete der Anführer der Berittenen.

Das tonsierte Haupt verschwand hinter dem Vorhang, gleich darauf öffnete sich auf der Rückseite des Wagens die Einstiegsklappe. Offenbar beabsichtigte der Mönch auszusteigen. Das aber war in diesem Fall nicht so einfach; der Bruch der Achse hatte das Gefährt in eine Schieflage gebracht, sodass der Aufsatz, der zum Ein- und Aussteigen diente, sich deutlich höher über dem Boden befand als gewöhnlich.

»Helft mir herunter, Hauptmann!«, forderte der Mönch deshalb mit einer Stimme, der man anhörte, dass sie das Befehlen gewohnt war.

Der Anführer sprang aus dem Sattel. »Bitte, ehrwürdiger Vater«, sagte er und trat mit ausgestreckter Hand an den Wagen heran.

Der Mönch raffte seine Gewandung zusammen, ergriff die Hand des Hauptmanns und sprang heraus. Schlamm spritzte unter seinen Stiefeln und beschmutzte sowohl den schwarzen Reiseumhang als auch die weiße Kutte, die sich darunter verbarg.

»Was gedenkt Ihr nun zu tun, Grasser?«, fragte er; der Ärger von vorhin schien verflogen.

Hans Grasser, Hauptmann einer bewaffneten Abteilung, die dem Bischof von Passau zu Diensten stand, sah zu der Anhöhe links des Weges hinauf. Dort duckten sich die Gebäude eines Bauernhofs unter die tiefhängende Wolkendecke; dunkle, massige Silhouetten, deren Konturen sich im verwaschenen Grau des Morgens auflösten.

»Ich denke, da oben gibt es einen Hof, wo Ihr vorübergehend Quartier einfordern könntet, hochehrwürdiger Herr. So lange, bis wir das Malheur behoben haben. Die Leute dort werden uns bestimmt dabei helfen«, schlug der Hauptmann vor und deutete mit der Hand zum Hügel hinauf.

Petrus Zwicker, Cölestinerpater und vom Bischof zu Passau bestellter Inquisitor der ketzerischen Verderbtheit, ausgezogen, um der allein wahren Kirche und dem rechten Glauben zum Sieg gegen die Häresie zu verhelfen, blickte kurz zur Anhöhe hinauf.

»Nun denn, reiten wir«, stimmte er zu und stülpte sich die Kapuze seines Reisemantels über den Kopf. »Welches Pferd werde ich nehmen?«

»Natürlich das meine, hochehrwürdiger Herr. Ihr seid es schon gewohnt. Ich schlage vor, dass ich und einer meiner Leute Euch begleiten. Die anderen bleiben vorerst hier beim Wagen.«

Jos, der Knecht, war gerade damit beschäftigt, eine Ladung frischen Mist zum Dunghaufen hinüberzukarren, als er die Anhöhe hinunterblickte und drei Reiter den Weg zum Seimerhof hinauftraben sah. Verdutzt hielt er inne. Besucher, so früh am Morgen? Und bei diesem Wetter? Trotz seines Alters verfügte Jos noch immer über ein bemerkenswert scharfes Augenpaar, und da das Licht des Tages sich inzwischen immer mehr gegen den dämmrigen Morgen behauptete, erkannte er schnell, wer sich von da unten näherte. Einer davon war eindeutig ein Mönch, die anderen beiden – konnte es sein? – bewaffnete Reiter.

Jos erbleichte, sein Blick wurde starr. Ein Mönch und zwei Berittene in Waffen! Das Zeitenrad in Jos Gedächtnis begann sich auf einmal rückwärts zu drehen, bis es bei einem Ereignis stehen blieb, das weit in Jos’ Leben zurückreichte. Damals, vor mehr als vierzig Jahren, war es gewesen. Da hatte es schon einmal so begonnen. Mit einem Mönch und zwei Waffenknechten. Sie hatten seine Frau und seine Tochter geholt. Und am Ende von allem waren Qual und Feuer und Tod gestanden. Und eine nie enden wollende Trauer.

»Herr, hilf und gib uns allen Kraft!«

Mit einem mächtigen Schwung ließ Jos das Zeitenrad in seinem Kopf wieder in die Gegenwart zurückwirbeln. Er stellte die Mistkarre einfach ab und schlurfte, so schnell er es vermochte, zum geräumigen Haupthaus hinüber.

»Sie kommen, Peter. Gleich … gleich werden sie da sein!« Nicht nur das Gebrüll des Knechtes, auch der laute Knall, mit dem die Tür hinter Jos ins Schloss fiel, ließen Peter Seimer samt Frau und Kindern regelrecht zusammenfahren. Insbesondere die beiden Jüngsten, Konrad und Lea, die gerade ihren morgendlichen Brei löffelten, sahen verstört zu Jos empor, der mit fahlem Gesicht und zitternden Gliedern am Tisch neben dem Vater stand; Lea, die Kleinste, fing an zu weinen.

Der Bauer sprang auf. »Aber Jos, was soll das? Wer wird gleich da sein?«, fragte er ungehalten.

»Komm! Komm mit und sieh selbst«, stieß Jos hervor und war mit einem leise gemurmelten »O, mein Gott!« auch schon wieder zur Tür draußen.

Peter Seimer folgte dem Knecht auf den Hof hinaus. Dort gab es eine Stelle, von wo aus der Weg, der zu seinem Anwesen führte, ein gutes Stück weit eingesehen werden konnte. Er blickte den Abhang hinunter – und fühlte eisige Starre in sich hochsteigen.

»Gott sei uns gnädig – die Wölfe des Antichristen«, stieß er entsetzt hervor. Gleichzeitig fragte er sich, wie die, die da heranritten, von seiner Zugehörigkeit zu denjenigen wissen konnten, die man als Ketzer ansah. Hatte irgendjemand während der Gerichtsverhandlung Verdacht geschöpft, weil er um das Leisten des Eides herumgekommen war?

Wie eine von Wölfen bedrohte Schafherde jagten die Gedanken durch Seimers Kopf. Dennoch wusste er sofort, welche Entscheidung er zu treffen hatte.

»Schnell, Jos, du weißt, was nun geschehen muss. Wir gehen genau so vor, wie wir es tausendmal geübt haben. Du holst das Getäusche und ich bringe die Kleinen ins Versteck – nicht, dass sie sich verplappern.«

»Ja, aber …«

»Kein Aber. Los, komm schon! Bis sie hier sind, vergeht noch ein wenig Zeit. Gut, dass die anderen vom Gesinde nicht da sind; so brauchen wir uns nicht auch noch um sie zu kümmern.«

Sie hasteten ins Haus zurück. Während Jos in einer der Kammern verschwand, in die man vom Gang aus gelangte, eilte der Bauer in die Stube, in der Lisbeth und die Kinder versammelt waren. Ein Blick genügte, um seine Frau sowie Marie und Josef, die älteren der vier Kinder, sofort den Ernst der Lage begreifen zu lassen.

Peter wandte sich an seine beiden Jüngsten. »Konrad und Lea, kommt her zu mir«, bat er, darum bemüht, trotz der Aufregung so sanft wie möglich zu sprechen.

Die Kinder sprangen von der Bank und traten zu ihrem Vater.

Peter Seimer ging in die Hocke und legte den Arm um sie. »Hört genau zu, was ich euch sage. Wir werden jetzt Verstecken spielen. So wie wir es immer getan haben. Josef geht mit euch hinunter, er bleibt bei euch. Ihr wisst, ihr müsst mucksmäuschenstill sein, und ihr dürft erst wieder herauf­kommen, wenn ihr das Klopfzeichen hört. Wie oft ertönt das Zeichen, Lea?«

Die Kleine sah ihren Vater mit großen Augen an. Dann stampfte sie mit dem Fuß viermal auf den Boden. »So viele Male«, sagte sie. Dann aber fügte sie ängstlich hinzu: »Diesmal ist es böse, Vater, nicht wahr?«

Betroffen musterte Peter Seimer zuerst Lea, dann Konrad. Der Junge hatte zwar nichts gesagt, dennoch spiegelte sich auch in seinen Augen das Wissen um die Gefahr, in der sie schwebten.

Der Bauer fühlte einen Kloß in seiner Kehle aufsteigen. Er drückte die beiden fest an sich und strich ihnen zärtlich übers Haar. »Es wird bestimmt alles gut«, kam es gepresst über seine Lippen. »Und nun geht mit Josef. Ich geh voran und mach euch die Luke auf.« Er nickte seinem Zweitältesten aufmunternd zu, worauf Josef seine beiden Geschwister energisch an die Hand nahm und dem Vater durch den Hinterausgang ins Freie folgte. Nur wenig später waren sie in dem geräumigen Schuppen verschwunden, in der die Schnitzwerkstatt untergebracht war. In dem kellerartigen Raum, der sich unter der Werkstatt verbarg, hofften die Kinder inständig darauf, dass ein viermaliges Klopfen sie bald wieder nach oben rufen möge.

»Herr im Himmel, bitte hilf …«

Peter sandte ein Stoßgebet zum Himmel und versuchte bewusst jeden Eindruck von Unruhe zu vermeiden, als er aus dem Haus trat und langsam auf die Reiter zuging, die soeben herbeigetrabt kamen. Erst ganz nah vor ihm brachten sie ihre Pferde zum Stehen.

»Seid Ihr der Besitzer dieses Hofes?«

Einer der beiden Bewaffneten hatte die Frage gestellt, sie klang herablassend, aber nicht unfreundlich. Der andere sah ihn neugierig an, wie Peter aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm. Der Blick auf den Mönch blieb ihm vorerst verwehrt, da er sich unmittelbar hinter den beiden befand.

»Ich bewirtschafte ihn. Er gehört zum Besitz des Klosters zu Garsten.«

»Euer Name?«

»Peter Seimer, Herr.«

»Peter Seimer, Ihr werdet der Kirche sicherlich gern einen Dienst erweisen wollen, nicht wahr?«

Dem Bauern schnürte es den Hals zu. Sie kommen zur Sache, dachte er, doch außer einem Nicken war er zu keiner Antwort fähig.

Der Fragesteller ließ seinen Rappen etwas zur Seite tänzeln und gab so den Blick auf den dritten Reiter frei, dessen Gewandung ihn unzweifelhaft als Cölestiner auswies.

»Ihr seht hier unseren hochwürdigsten Herrn Petrus Zwicker vor Euch, Inquisitor der ketzerischen Verderbtheit, ausgesandt von seiner Eminenz, Georg von Hohenlohe, dem Bischof zu Passau, um den Umtrieben des Teufels, der hier in der Gegend viele Anhänger besitzt, ein Ende zu bereiten«, stellte der Waffenknecht seinen Herrn förmlich vor.

Peter Seimer erschrak bis in die Grundfesten seiner Seele. Der Inquisitor! Nicht sein Abgesandter, nicht nur einer seiner geistlichen Handlanger war gekommen, um ihn zu holen; o nein, er stand dem Leitwolf höchstpersönlich gegenüber.

Der Bauer sah zu ihm auf – und verspürte plötzlich das Gefühl, als ob ein Stück Eis über seinen Rücken strich. Er musste zugeben, dass der hochgewachsene Cölestiner eine respekteinflößende Erscheinung war. Der kurz gestutzte schwarze Bart und der sorgfältig gepflegte Haarkranz gleicher Farbe, der die Tonsur rahmte, sowie die römisch geformten Züge gaben dem Gesicht etwas Vornehmes, Unnahbares. So sahen manche der geschnitzten und gemalten Heiligenfiguren aus, die vielerorts die Kirchen schmückten – wären da nicht die kühn gebogene Nase und der stechende Blick der Augen gewesen, unnatürlich groß und grün und wie dazu geschaffen, sich bis auf den Grund der Seele hinabzubohren.

Ein Geier, schoss es Peter durch den Sinn. Trotz der bedrohlichen Situation rief der Anblick des Inquisitors den Künstler in ihm wach. Hätte er den Auftrag bekommen, einen Raubvogel mit menschlichem Antlitz zu schnitzen – genau so hätte er aussehen müssen.

Tief verbeugte er sich. »Seid herzlich willkommen auf unserem Hof, hochehrwürdiger Herr. Ich stehe Euch selbstverständlich gern zu Diensten. Was kann ich für Euch tun?«, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen und wunderte sich über die Festigkeit seiner Stimme. Sie ließ nicht im Entferntesten die Verzweiflung ahnen, die in seinem Innern wogte.

»Wir benötigen Eure Hilfe, Peter Seimer. Unser Wagen hat einen Achsbruch erlitten und blockiert den Weg. Der Rest meiner Eskorte befindet sich bei ihm, um ihn zu bewachen. Wir benötigen Werkzeug und paar geschickte Hände, um das Malheur zu richten. Das wird sicherlich einige Stunden in Anspruch nehmen. Bis dies geschehen ist, bitte ich angesichts des scheußlichen Wetters um Eure Gastfreundschaft. Vielleicht gibt es ja eine Kammer, in der ich die erzwungene Pause ein wenig zum Ausruhen nutzen kann; ich bin sehr müde«, ließ sich der Inquisitor mit tiefer, wohlklingender Stimme vernehmen.

Nur ein Achsbruch! Und er ist müde! Gott im Himmel, ich danke dir …

Peter merkte, wie sich die aufgestaute Angst durch ein zwanghaftes Lachen zu entladen drohte, und mühte sich, den gebührenden Ernst in seine Miene zu zwingen.

»Wenn’s weiter nichts ist, ehrwürdiger Vater. Mein Knecht Jos und ich stehen zu Eurer Verfügung. Und über das geeignete Werkzeug verfügen wir natürlich auch. Habt die Güte und betrachtet solange mein Haus als das Eure.«

Etwas mehr als drei Stunden später war Peter Seimer wieder zur Stelle. Der Wagen sei einsatzbereit und man könne weiterreisen, unterrichtete er den Inquisitor. Erfrischt durch einen ausgiebigen Schlaf und ein kräftiges Mahl, das ihm die Frau Seimers bereitet hatte, trat Petrus Zwicker in Begleitung Peters in den Hof hinaus. Der Hauptmann und ein weiterer Bewaffneter erwarteten ihn bereits mit den Pferden.

Er richtete einen wohlwollenden Blick auf den Bauern. »Habt nochmals herzlichen Dank. Ihr habt uns einen großen Dienst erwiesen. Der Herr wird es Euch vergelten, zumal Ihr ein frommes Glied der Kirche seid, wie ich an der schönen Muttergottes erkennen konnte, die in Eurer Stube steht. Ihr habt sie selbst geschnitzt, wie Euer Weib mir berichtete?«

Seimer nickte wortlos.

»Ihr seid ein Künstler, Peter Seimer. Und Ihr preist den Herrn mit Eurer Kunst, das ist löblich«, bemerkte der Mönch wohlgefällig.

Das Getäusche. Er ist tatsächlich darauf reingefallen.

Peter Seimer richtete ein inniges Dankgebet an den Herrn, der ihm geholfen hatte, sich unschuldig wie eine Taube und listig wie eine Schlange zu erweisen. Vor Jahren hatte er einmal davon gehört, wie einer seiner Glaubensgenossen, ein Bauer wie er selbst, die bevorstehende Inspek­tion seines Hauses durch einen der Inquisition nahestehen­den Priester verhindert hatte. Ein Nachbar hatte ihn denunziert und behauptet, er verachte die Heiligen. Worauf­hin sich der Mann schnurstracks eine holzgeschnitzte Muttergottes besorgt und sie in seiner Hütte aufgestellt hatte. Als der Priester erschien, wurde er von dem Denunzierten mit größter Freundlichkeit empfangen und im Angesicht der Heiligen­figur reich bewirtet. Der Priester – verunsichert durch den freundlichen Empfang und überrascht vom Anblick der Muttergottes – war fest davon überzeugt, einem übelwollenden Denunzianten aufgesessen zu sein, und entschuldigte sich wortreich bei dem Denunzierten, bevor er sich – gestärkt durch einen großen Humpen Wein – wieder auf den Rückweg machte. Dem Beispiel seines pfiffigen Glaubensbruders folgend, hatte auch Peter Seimer schon vor geraumer Zeit eine große Madonnen­figur mit dem Jesuskind im Arm für den Fall der Fälle geschnitzt. Heute nun war er eingetreten und das »Getäusche« – wie man innerhalb der Familie das Schnitzwerk nannte – hatte seinen Zweck erfüllt. Wie geplant, hatte der Inquisitor aus dem, was er sah, seine Schlüsse gezogen, ohne dass es eines einzigen Wortes seitens der Seimers bedurft hätte. So war er zwar überlistet, aber nicht belogen worden. Letzteres hatte ein Angehöriger der »Armen« tunlichst zu vermeiden – selbst im Angesicht des Todes. Natürlich würde die Figur nach der Abreise des Inquisitors gleich wieder in der Versenkung verschwinden, wo sie hoffentlich vergeblich darauf harrte, erneut eingesetzt zu werden. Die »Armen Christi« hielten nichts von Heiligenfiguren und schon gar nichts davon, dieselben anzurufen.

»Zu gütig, hochehrwürdiger Herr. Es war mir eine Ehre«, murmelte Peter, und meinte damit natürlich nicht das, was Petrus Zwicker meinte, das er meinte. Heilfroh, den Klauen des römischen Jägers unerkannt entronnen zu sein, jubelte sein Herz darüber, dass Gott diesen offenbar mit Blindheit oder besser gesagt mit Müdigkeit geschlagen hatte. Mit einer für sein Alter ungewöhnlichen Behändigkeit schwang sich der Cölestiner in den Sattel und ritt, gefolgt von seinen Adjutanten, ohne ein weiteres Wort davon.

Tochter der Inquisition

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