Читать книгу Lord Geward - Peter P. Karrer - Страница 4
Оглавление1. Freiheit und Abenteuer
Der Morgen beginnt wie auch Hunderte davor.
Ein Morgen vor einem endlosen Tag im Büro. Saubere, klimatisierte Tage, aber doch im Büro.
Eingesperrt zwischen Arbeitsbeginn und Feierabend, Erfolg und Niederlage, Neidern und Spöttern, Kollegen nennt man sie wohl.
Der tägliche Kampf im Büro. Ach nein, Erfolg wird er genannt.
Ein Morgen, der bereits im Bett seinen ganzen Schrecken entfaltet. Der fahle Geschmack nach Nikotin und Alkohol: Zigaretten und Biere, die am Abend zuvor nicht genug sein konnten.
Ein unerträglicher Durst beherrscht mein Denken. Nicht einmal die Leere in meinem Magen kann stärker sein. Ich begreife meine Eingeweide nicht mehr als die meinen, nur noch als einen rumorenden, sich sträubenden Fremdkörper.
Der Schlauch, der durch unzählige Zigaretten und Unmengen kalten Pils ausgetrocknet und für immer geschädigt ist: nicht mehr weich und geschmeidig, nicht mehr Teil meines Körpers. Nein, diese Speiseröhre gehört nicht mir, kann nicht mir gehören!
Vielleicht hat mein Hausarzt, der Gott in Weiß, doch Recht. Bestimmt hat er Recht... leider.
Weniger Alkohol und keine Zigaretten mehr. Nie mehr! Heute höre Ich auf.
Ein verstohlener Blick zum Wecker, ein Ungetüm aus Blech und Messing. Wer hat den wohl erfunden? Ein Folterknecht, mindestens aber ein Sadist, wahrscheinlich aber doch nur ein penibler Mechaniker, Tüftler und genialer Erfinder.
Lieber Gott, lass es erst 7:00 Uhr sein oder besser noch 6:30 Uhr.
Aber auch Gott muss wohl ein Frühaufsteher gewesen sein. Es ist schon 7:45 Uhr.
Ich muss raus, Kaffee machen.
Mein klebriger, nach Schweiß und Rauch stinkender Körper, kaum zu bewegen und nur schwer zu steuern, ekelt mich an.
Die Dusche ist garstig nass. Kaltes Wasser lässt mich frösteln, warmes Wasser regt meine verstopften Schweißdrüsen an, weiter zum Himmel zu stinken. Das seit Tagen nasse und muffige Handtuch birgt auch keine Erfrischung.
Kaffee, endlich Kaffee!
Kaffee, welch eklige Brühe, heiß nicht runter zu bekommen, kalt ungenießbar. Mediziner machen das Koffein für die belebende Wirkung verantwortlich, sicher ist es aber nur der unendliche Ekel vor dem mit verbrannten oder besser gebrannten Bohnen, gefärbten heißem Wasser.
Gestern war noch alles gut. Ja gestern. Gestern habe ich mich noch auf ein herrliches Frühstück, mit saftigem Schinken, weichen Käse und einem Ei, gefreut.
Ja gestern, da war die Welt noch in Ordnung: bei Bier und Zigaretten, bei Pizza und späten Pommes. - Ja gestern!
Aber heute, heute muss ein Marmeladenbrot reichen: Kirsche oder doch Erdbeere? Hauptsache rot und süß!
Das monotone Glucksen, unterbrochen durch ein bösartiges Fauchen, erinnert mich daran, endlich den erlösenden Entkalker zu kaufen. Aber nicht heute, vielleicht morgen oder - wenn die Faulheit mich übermannt - überhaupt nicht. Meine treue Kaffeemaschine, kaffeeverklebt und ungepflegt, hat es unter größten Anstrengungen auch heute wieder geschafft.
Treue Kaffeemaschine, kämpfst klaglos jeden Tag deinen kleinen Krieg und wirst doch nie siegen, wirst nie den Genuss des Gewinnens ernten und nie den Lorbeerkranz des Siegers tragen. Arme kleine Kaffeemaschine.
Ich wusste es doch, der Kaffee ist zu heiß! Verdammte schwarze Brühe!!!
Die erste Marlboro schmeckt widerlich, aber vertreibt die Zeit, bis der Kaffee genießbar wird.
Rauchen aufhören. Ja natürlich, aber nicht jetzt. Nicht jetzt, nachdem der widerliche Geschmack nach Tod und Verwesung, Pommes und Bier in meinem geschwollenen Mund endlich verschwindet und das Nikotin seine Wirkung entfaltet.
Marlboro, der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.
Ja, Freiheit. Ich nehme mir die Freiheit und entscheide mich gegen das so aufwendig zu bestreichende Marmeladenbrot; Butter oder Margarine habe ich sowieso wieder vergessen einzukaufen und entscheide mich für eine zweite Marlboro.
Jetzt ist der Kaffee kalt, ungenießbar: als hätte ich es gewusst! Diese garstige braune Brühe, will mich wie jeden Morgen triezen.
Der Weg in den Ausguss ist unausweichlich. Ein unanständiges Gurgeln und Glucksen in meinem Spülbecken, das seit Jahren keinen Glanz mehr kennt, beendet ein erst so junges Kaffeeleben.
Ein Kaffeeleben wird durch Glucksen geboren und durch Glucksen beendet!
Eigentlich ein ganz vernünftiger Kreislauf.
Finde Ich heute einen Parkplatz? Bestimmt nicht, es ist schon 8:15 Uhr.
Freiheit und Abenteuer, wer hat sich den Slogan wohl ausgedacht?
Sicher ein hochbezahlter Werbeprofi mit nach dem neuesten Trend gestylten und gegelten, tief schwarz gefärbten Haaren.
Ob der auch täglich eine Stunde auf Parkplatzsuche ist? Eher stellt er seinen Porsche wohl auf einen eigenen Parkplatz, gekrönt durch eine weiße Tafel mit dem Kennzeichen des ach so edlen Fahrzeuges. Dann schmettert er dem Pförtner ein überhebliches »Ich grüße Sie!« zu, versteckt sich möglichst schnell im nächsten Fahrstuhl, um die Reste, unter seinen ansonsten makellos manikürten Fingernägeln mit den Schneidezähnen, zu beseitigen und mit deutlicher Freude in die Ecke zu spucken.
Ein Mann, der sich in letzter Sekunde bis sich die Aufzugtüren öffnen schnell den auf Maßanzug getrimmten Anzug, der doch nur von der Stange ist, glatt streicht und jedem einen Vortrag über die ausgezeichnete Qualität hält: »So eine Qualität gibt es bei uns gar nicht und Falten kennt so ein Material sowieso nicht!«, während er sich selbstverliebt im Spiegel betrachtet.
Egal, es ist 8:20 Uhr. Ich muss los.
Im Lift empfängt mich der vertraute Geruch nach Schweiß, Parfüm und nassen Hundehaaren. Warum müssen nasse Hunde eigentlich immer so stinken? Nasse Katzen stinken doch auch nicht.
Mir ist flau, ich hätte doch frühstücken sollen!
Der grüne Knopf mit dem unverkennbaren Lüftersymbol grinst mich an: „Drück mich, drück mich!“ aber ein merklicher Ruck zeigt mir an, dass die Tiefgarage erreicht ist.
Die Aufzugtüren gleiten, wie durch wundersame Magie, mit einem leichten Summen zurück.
Endlich, der befreiende kühle Geruch nach Gummi, Benzin und Abgase. Ich atme tief durch. Wenigstens nicht mehr der nasse Hundegeruch und das süße Parfüm meiner Nachbarin, die heute scheinbar wieder ein Bad in der süßen Gemeinheit genommen hat.
Endlich frei!
Wie immer, das vertraute Bild, Auto an Auto, jedes der Stolz seines Besitzers und doch nur rostende Statussymbole: »Freiheit und Abenteuer.«
Und doch, heute ist etwas anders, oder ich bin anders!
Endlose Reihen stolzer Automobile. Warum steht gerade mein Stolz am Ende der Tiefgarage? Ja ich erinnere mich an die Worte des Maklers. »Wenn sie den hinteren Platz neben der Gitterbox des Hausmeisters nehmen, kann ich ihnen noch etwas nachlassen.«
Jetzt! Da: endlich, mein Stolz: mein Daimler!
Mir ist übel, unendlich übel. Die Leere in meinem Magen bläht sich zu einem Inferno gigantischen Ausmaßes auf.
Nie wieder Alkohol, nie wieder!
Wie groß kann so ein Magen eigentlich werden? Wie ein Handball, ein Fußball, oder noch größer?
Mein Gott, mein Magen kann diesem Druck nicht mehr lang standhalten. Der Brechreiz wird übermächtig.
Oh Gott, die Stoßstange, nicht auf die Stoßstange, das herrliche Stück Chrom, nicht auf meinen Daimler, nicht auf meinen ganzen Stolz.
Zu spät, das Überdruckventil ist gebrochen.
Dieses Fassungsvermögen ist nicht zu begreifen. Unglaublich! Nach zehn Stunden im Magen grinsen mir immer noch riesige Pizzastücke entgegen, oder sind es nur die Oliven? Auch die Erdnüsse scheinen die langen Stunden der Verdauung unbeschadet überstanden zu haben. Wie kleine Schiffchen treiben die Hälften in einem See aus Erbrochenem.
Endlich lässt der Druck nach.
Ein Geräusch, ein bekanntes Geräusch, das schlimmste Summen, das ich mir jetzt vorstellen könnte, lässt mich erstarren. Der Lift, der verdammte Lift.
Mein Gott, die Türen öffnen sich schon.
Jetzt nur keinen Fehler machen: kein Geräusch verursachen, gebückt bleiben, langsam hinters Auto kriechen. Nur nicht entdeckt werden! Der See aus Bier, Pizza und Erdnüssen ist kaum zu überwinden.
„Freiheit und Abenteuer“, was für ein Witz!
Die Lücke hinter meinem Daimler, natürlich zu klein. Warum muss Ich nur immer so knapp an der Wand parken? Klar, mein Stolz. Ich parke auf den Zentimeter genau ein. Mein Stolz, mein verdammter Stolz.
Der Druck in meinem Magen baut sich schon wieder auf. Mein Gott, endet der Terror in meinen Eingeweiden denn nie mehr?
Ein Inferno wie Tausend Feuerwerkskörper tobt in meinem Magen.
Nicht jetzt, bitte nicht jetzt!
Oh, ist mir schlecht.