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3. Go to the West

Das Erwachen nach einem traumlosen, tiefen Schlaf ist erleichternd und befreiend. Nackt und doch ohne Unterkühlung spüre ich den kühlen Morgen und das feuchte Gras und sehe die noch nieder stehende Sonne. Ich schätze, oder besser vermute, nach dem Sonnenstand, ungefähr zwanzig Stunden geschlafen zu haben.

Mein Umhang und besonders meine Stiefel sind natürlich immer noch tropfnass. Anstatt sie achtlos hinzuwerfen, hätte ich sie gestern aufhängen sollen. Aber wie hätte ich auch noch daran denken sollen?

Der erste Versuch meine tropfende Kleidung, möglichst in Richtung der noch schwachen Sonne, aufzuhängen, scheitert kläglich an der Auswahl eines zu schwachen Astes. Es ist unglaublich, wie schwer dieser nasse Umhang ist. Ich versuche erneut den Umhang über drei starke, parallel in Hüfthöhe gewachsene Äste zu spannen und zwei weitere Versuche später hängt er leidlich gegen die warme Sonne. Die hohen, von Nässe dunkel gefärbten Stiefel drapiere ich, beinahe kunstvoll, über einen kleinen Felsen.

Langsam wird mir bewusst: mein gestriges Hungergefühl war keine Träumerei, sondern die harte Wirklichkeit. Ernährung ist das wichtigste meiner unzähligen Probleme, um das ich mich kümmern muss.

Keine fünfzig Meter rechts neben mir entdecke ich einen dicht mit dunkelblauen, fast schwarzen Beeren bewachsenen Strauch. Der über zwei Meter hohe Busch ist dicht mit den beinahe kirschgroßen, exakt runden Früchten besetzt.

Ich gehe auf den Strauch zu; erst jetzt überfällt mich die Angst, die Beeren könnten giftig sein. Im Kampf gegen die aufkeimende Panik, ich könnte verhungern, versuche ich mich an eine alte Fernsehsendung von Malcolm Douglas, den Abenteurer und Überlebenskünstler, zu erinnern.

Wie war das noch?

Dann sehe ich Malcolm Douglas vor meinem inneren Auge und mache es ihm gleich.

Ich pflücke eine der saftigen Beeren und zerquetsche und zerreibe sie auf der unempfindlichen Außenseite meines Unterarmes. Nachdem sich nach mehreren Minuten, die mir wie Stunden erscheinen, keine Rötung zeigt, wiederhole ich den Versuch an der beträchtlich empfindlicheren Innenseite meines Unterarmes, nachdem ich auch hier nach einigen weiteren Minuten keine Hautreizung entdecke, verschärfe ich, wie im Fernsehen gezeigt, mein Experiment, indem ich eine neue Beere zerquetsche und diese unter meiner noch wesentlich empfindlicheren, linken Achsel verteile.

Auch die neue Wartezeit will nicht vergehen. Immer und immer wieder bin ich versucht, hilfesuchend auf meine längst zerstörte, ach so geliebte Rolex Imitation zu starren.

Da auch dieser Test hoffnungsvoll verläuft, entscheide ich mich jetzt zum Äußersten.

Ich lege mir, wie ein Zirkusartist, eine aufgeplatzte Beere auf meine weit ausgestreckte Zunge und balanciere sie einige Sekunden. Starr vor Anspannung, warte ich auf ein verräterisches Brennen, aber nichts geschieht bis ich schließlich, die Ewigkeit nicht mehr ertragend und voller Heißhunger, die Frucht ohne zu kauen, gierig hinunterschlucke. Gelähmt durch ängstliche Panik, sie könnte doch giftig sein, spüre ich erst nach einer Pause den vollsüßen saftigen Geschmack.

Welch ein Erfolg!

Guter, alter Malcolm Douglas, Du hast mir das Leben gerettet.

Die Beeren schmecken beinahe wie Brombeeren im Kleid einer Blaubeere. Die Struktur und das Fruchtfleisch erinnern mich an eine übergroße Johannisbeere, jedoch ohne Kerne, aber ihren Namen kenne ich nicht.

Gierig schlinge ich sicher Hunderte der kleinen Lebensretter in mich hinein. Später wasche ich mich, Saft- und Fruchtfleisch verschmiert, im nahen See. Satt und frei fühle ich mich, wie Adam im Paradies.

Langsam, mit dem gestillten Hungergefühl, konzentrieren sich meine Gedanken wieder auf andere Dinge.

Wo bin ich? Was ist geschehen? Was soll ich tun?

Mit immer höher steigender Sonne erwärmt sich auch die Umgebung merklich und meine Lebensgeister melden sich langsam zurück.

Nach einem abkühlenden Bad im See überprüfe ich meine zwischenzeitlich leidlich getrocknete Kleidung und schon stellen sich die nächsten Fragen:

Woher kommt diese Kleidung, die zweifelsfrei meiner Körpergröße entspricht, aber doch nicht die meine sein kann?

Was soll das riesige Schwert, das mich brutal aus seiner Scheide anstarrt und mir das Gewicht meines Umhanges nach dem Erwachen erklärt?

Trotz größter Mühen kann ich mich nicht mehr daran erinnern, ob das Schwert auch mein Begleiter im See war. Ich tröste mich damit, es könnte wohl so gewesen sein... Oder auch nicht.

Dunkle Gedanken lassen mich noch zögern meinen Umhang mit der schweren Waffe, einem römischen Gladiatoren gleich, zu tragen. Das ganze Bild erscheint mir als zu barbarisch.

Nach weiteren Minuten des Zweifelns entscheide ich mich schweren Herzens dann doch, mich vom nackten Adam zum furchteinflössenden Römischen Krieger zu verwandeln.

Wie zum Trotz ziehe ich die Waffe - kampfbereit - aus der dunklen erdfarbenen, zierlosen Scheide. Eine Scheide, die sich so unterscheidet von den goldbestickten, mit Edelsteinen besetzten Hollywood-Requisiten, die ich als Kind im Kino so fasziniert bestaunte.

Zum ersten Mal wage ich es, das Schwert genauer zu betrachten. Sitzend, es auf beide Beine legend, untersuche ich Zentimeter für Zentimeter den kalten Stahl. Ich ertappe mich bei dem lächerlichen Gedanken, ein Firmenemblem und den dazugehörigen Strichcode zu suchen, suche das Made in... und wundere mich über den dumpfen Glanz des tödlichen Stahls.

Das einzige, was es zu entdecken gibt, sind unzählige Riefen und Einschlagspuren. Diese barbarische Waffe hat sicher schon oft getötet oder einen Feind verstümmelt, um ihn dem langwierigen Tod durch Verbluten, oder Wundbrand preiszugeben.

Vor meinem inneren Auge laufen grausame Gemetzel, Ströme von Blut, schreiende Opfer, riesige Schlachtplätze, in bester Hollywood-Manier in Szene gesetzt, ab.

Da ist es wieder. Das Gefühl der Angst, wieder in endlose Tagträume, aus denen es kaum ein Entrinnen gibt, abzugleiten. Auch hier bin ich nicht sicher vor den Träumen, ich muss weiter!

Weiterziehen, ja - aber wohin?

Mit Schrecken erinnere ich mich an meinen mangelnden Orientierungssinn und meine Unfähigkeit, mich außerhalb einer ständig beschilderten Großstadt zurechtzufinden.

Bitter gestehe ich mir ein, gerade noch die vier Himmelsrichtungen zu kennen und bereits die Richtungsbestimmung stellt eine aufwendige Denksportaufgabe dar. Wie war das, die Sonne geht im Westen - nein im Osten auf, dann ist hier Süden. Erleichtert drehe ich mich im Kreis und zeige auf die Himmelsrichtungen, oder wo ich sie vermute.

Stolz wie ein Schüler nach einer gelungenen Schulaufgabe griene ich einsam vor mich hin und warte auf die Belobigung eines Lehrers, den es hier nicht gibt und wahrscheinlich auch nie gab.

Meine Marschrichtung ist damit immer noch ein Geheimnis. Ich überlege, welcher Richtung ich einfach folgen könnte und entscheide mich für Westen. Zugegeben, entscheidend waren die Amerikanischen Einwanderer, die ihre neue Heimat auch im Westen suchten.

Aber Westen ist gut.

Zur Proviantierung fülle ich meine Taschen randvoll mit saftigen Beeren, die mich, wie ich hoffe, auch genügend mit Flüssigkeit versorgen werden.

Lord Geward

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