Читать книгу Brennender Sommer - Peter Pachel - Страница 10

Alex Gräfe Hamburg, März 2018

Оглавление

Alex hasste die Enge seiner Zweizimmerwohnung, in der seit einem halben Jahr lebte. Er war die letzten Jahre Größeres gewohnt gewesen, aber nach der Scheidung hatte ihm seine Ex klar zu verstehen gegeben, dass er das gemeinsame Haus schnellstens zu verlassen hatte. Rückendeckung bekam sie dabei von ihrem Vater, der ihnen nach der Heirat mit einer großzügigen Geldsumme erst die Möglichkeit für dieses Einfamilienhaus geboten hatte. Ihm blieben zwei Wochen Zeit, sich um eine neue Bleibe zu kümmern, eine nahezu unmögliche Herausforderung bei dem knappen Wohnungsangebot in Hamburg. Er hatte es selbst verbockt und nachdem seine Frau hinter die langjährige Affäre mit seiner Sekretärin gekommen war, hatte sie alle Register gezogen. Es war nicht sein erster Fehltritt gewesen in den vielen Jahren seiner Ehe. Jetzt wohnte er beschränkt auf lediglich 60 Quadratmetern und selbst die Miete für die bescheidene Wohnung lag schon über seinem Budget. Er verdiente zwar nicht schlecht als Vertriebsingenieur in einer großen Firma, aber seine beiden Kinder befanden sich noch mitten im Studium und da war finanzielle Unterstützung angesagt. Seine Ex hatte ihm das ohne Umschweife klargemacht.

Ein einziger Lichtblick in der verfahrenen Situation war sein Sexualleben, das seit seinem Auszug um einiges bunter geworden war. Je länger er jedoch darüber nachdachte, kamen ihm Zweifel, ob das tatsächlich der Weg war, den er für den Rest seines Lebens gehen wollte. Allerdings war es jetzt zu spät für Reue. Umso erfreulicher hatte er die Einladung begrüßt, die vor ein paar Tagen bei ihm eingegangen war.

Viele schöne Erinnerungen schwirrten ihm fortan durch den Kopf, von jenem Sommer Ende der Achtziger in Griechenland mit Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll. Und natürlich Lisa, mit der er rückwirkend betrachtet den besten Sex in seinem Leben gehabt hatte. Wäre da nicht dieses furchtbare Erwachen gewesen nach einer unvergesslichen Nacht am Strand auf Paros. Tagelang war keiner imstande gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie wollten nur noch weg nach diesem schrecklichen Erlebnis. Aber die Polizei hatte ihnen untersagt, die Insel zu verlassen, bis man einen genauen Ablauf der besagten Nacht skizziert hatte. Zusammen mit Sven, einem ehemaligen Kommilitonen, den er in diesem Sommer von einer anderen Seite kennengelernt hatte, war er abgereist. Was wohl aus ihm geworden war?

Sie wohnten zu jener Zeit im selben Studentenwohnheim und kannten sich von einigen Partys. Auf einer dieser Zusammenkünfte war auch der gemeinsame Trip nach Griechenland besiegelt worden. Alex musste schmunzeln bei dem Gedanken, wie naiv er damals gewesen war. Dass Sven sich von dem Urlaub mit ihm mehr versprochen hatte, war ihm erst später klar geworden. Es musste eine herbe Enttäuschung für ihn gewesen sein.

Nach ihrer Rückkehr traf man sich immer seltener, man sah sich zwangsläufig hin und wieder in der Uni, aber Sven war kurze Zeit später nach Köln umgezogen. Seitdem hatten sie sich aus den Augen verloren.

Alex brannte darauf, die einzelnen Mitglieder der Clique noch einmal wiederzusehen. Es kam gerade recht nach der ganzen Schlammschlacht der vergangenen Monate. Daher hatte er auch keine Sekunde gezögert und sofort Urlaub eingereicht. Er konnte es kaum erwarten, noch einmal nach Paros aufzubrechen. Sie würden sogar in derselben Pension wohnen, so stand es in der Einladung. Zwecks Reservierung der Zimmer wurde um eine kurze Bestätigung gebeten.

Noch am gleichen Abend hatte er angerufen. Der Besitzer des Christianos hatte ihm bestätigt, dass bereits zwei Mitglieder der Clique zugesagt hätten. Ob das immer noch der Mann war, bei dem sie damals gewohnt hatten? Er wusste es nicht.

Seitdem fieberte er den freien Tagen entgegen. Er war mehr als urlaubsreif und nach dreißig Jahren noch einmal in Erinnerungen zu schwelgen, war eine wunderbare Vorstellung.

Der Pensionswirt hatte ihm sogar die Namen derjenigen genannt, mit denen er in drei Monaten ein paar unbeschwerte Tage auf der Kykladeninsel verbringen würde. Daraufhin hatte er sich von Frank und Sylvia schon die Telefonnummern besorgt. Ob denn auch die vierte Person kommen würde, wollte der Betreiber des Gästehauses wissen, Alex hatte jedoch keine Ahnung.

Einen kurzen Augenblick war er geneigt gewesen, Sven anzurufen und ihn danach zu fragen. Aber dreißig Jahre waren eine lange Zeit und da rief man nicht mal eben so an.

Er versuchte sich die einzelnen Gesichter in Erinnerung zu rufen, versuchte sich vorzustellen, wie sie sich verändert hatten. Ob alle noch gesundheitlich auf der Höhe waren, auch das ging ihm durch den Kopf. Die Fünfzig hatten sie alle überschritten, da musste man schon mit dem ein oder anderen Tiefschlag rechnen. Schnell verwarf er den Gedanken wieder. Selbst wenn nicht alle der Einladung folgen sollten, würde er sich ein paar schöne Tage machen.

Ob ein Wiedersehen nach drei Jahrzehnten überhaupt funktionieren konnte? Er hatte keine Antwort darauf. So unbeschwert wie damals würde es bestimmt nicht werden, da machte er sich keine Illusionen. Aber alleine die Geschichten zu hören, was alles in der Zwischenzeit passiert war, interessierte ihn brennend. Seit er die Einladung in seinem Briefkasten vorgefunden hatte, versuchte er, sich jene Tage in Erinnerung zu rufen.

Ob Frank wohl immer noch sauer auf ihn sein würde, nachdem Lisa sich für ihn entschieden hatte? Der Schreiner aus Frankfurt war total verknallt in die flippige Kunststudentin gewesen. Er hätte alles dafür getan, sie für sich zu gewinnen. Es musste hart für den Handwerker in den schwülen Nächten auf Paros gewesen sein, ständig vom Liebesrausch seines Rivalen mit seiner Angebeteten konfrontiert worden zu sein. Frank war am Strand mehrfach ausgerastet. Sylvia konnte gerade noch eine Prügelei zwischen den Männern verhindern.

Die alte Quasseltante mit ihrem Psychotrip hatte es immer verstanden, bei Streitigkeiten zu schlichten und die Clique zusammenzuhalten. Nie würde er vergessen, wie sie versucht hatte, die Todesnacht von Lisa zu rekonstruieren. Sie hatte alle angefleht, das Geschehene aufzuarbeiten. So wie die Polizei es auch versucht hatte, nur im Kreise enger Freunde. Keiner war darauf eingegangen, traumatisiert hatten sie dagesessen und darauf gewartet, endlich die Insel verlassen zu dürfen.

Ihn hatten sie sogar zwei Tage in der Gefängniszelle in Parikia festgehalten. Es war ein furchtbares Erlebnis gewesen, das ihm zugesetzt hatte. Aber was konnte er dafür, dass Lisa sich ständig Drogen reingezogen hat, war sein trotziger Kommentar gewesen. Geahnt hatte er es schon, aber nie darüber gesprochen. Für ihn zählte an erster Stelle der Sex mit ihr und da war die Kleine einfach unschlagbar. Erst nachdem man in seinem Zimmer keinerlei Drogen gefunden hatte, wurde der Arrest aufgehoben.

Danach hatte er sogar kurz überlegt, seinen Aufenthalt auf Paros fortzusetzen. Sven konnte es nicht fassen und hatte ihm fehlende Empathie vorgeworfen. Wortkarg waren sie mit der Fähre nach Piräus zurückgekehrt. Sven hatte sich von ihm zurückgezogen und das nicht nur wegen seines fehlenden Einfühlungsvermögens. Nach seiner Abfuhr, die er ihm erteilt hatte, war es ihm peinlich, wie sich im Nachhinein herausstellte. Bei ein paar Bieren wenige Wochen später hatten sie die Angelegenheit geklärt. Da konnten sie darüber lachen, auch wenn Sven immer noch daran zu knabbern hatte. Aber er war nun mal nicht schwul und stand absolut auf Frauen. Es war ihm rätselhaft, in was Sven sich da verrannt hatte.

Vielleicht sollte er ihn doch anrufen, überlegte er. Aber wie sollte er anfangen, den zerrissenen Faden wiederaufzunehmen?

Brennender Sommer

Подняться наверх