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Filippos Panos Parikia, Paros, Südliche Ägäis, 3 Monate später, Juni 2018

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Filippos Panos drückte Irini zum Abschied einen Kuss auf die Wange und schlich sich aus der Wohnung, darauf bedacht, seinen Sohn Dimitri nicht zu wecken. Er hatte keine Lust an diesem Morgen, sich auf nicht endende Diskussionen einzulassen, warum er nicht mit in die Polizeistation nach Parikia fahren durfte. Der kleine Racker war mit seinen fast drei Jahren beharrlich und ließ nicht locker, wenn es darum ging, seinen Willen durchzusetzen. Irini hatte später immer alle Hände voll zu tun, seine Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema zu lenken. Auch wenn Dimitri noch nicht alle Zusammenhänge verstand, war ihm bewusst, dass sein Vater eine wichtige Aufgabe auf der beliebten Kykladeninsel zu erledigen hatte. Er erzählte das überschwänglich allen Freunden in seiner Spielgruppe. Vieles hatte er von seiner Mutter aufgeschnappt, die immer noch mit Stolz die neue Rolle ihres Mannes zum Besten gab. Vor knapp zwei Jahren hatte Filippos die Leitung der Polizeidienststelle in Parikia übernommen.

Es hatte einige Zeit gedauert, bis er seine neue Aufgabe in seiner vollen Funktion ausüben konnte. Es war ein hartes Stück Arbeit, gleichermaßen für Katharina, seiner langjährigen Chefin, wie auch für Filippos. Nach und nach hatte die erfahrene Kriminal-Hauptkommissarin die Zügel gelockert und Filippos freie Hand gelassen. Stück für Stück hatten sie ihre Rollen getauscht. Jetzt war Filippos ihr Chef und sie stand ihm als geschätzte Beraterin und Freundin in brenzligen Situationen mit Rat und Tat zur Seite.

Auch seine Frau Irini war der Meinung, an dem Gelingen dieses Projekts einen erheblichen Beitrag geleistet zu haben. Ohne eine tatkräftige Frau im Rücken könne kein Mann erfolgreich seinen Job machen, so ihre Worte. In der Tat war ihr Interesse an Filippos’ Arbeit, seitdem er die Führung übernommen hatte, gestiegen. Ihre Neugier an der kriminalistischen Arbeit ihres Mannes brachte den Kommissar manchmal in Bedrängnis. Er musste aufpassen, nicht zu viel preiszugeben, wenn es um sensible Ermittlungen ging. Als wäre ein unentdecktes Potential mit einem Schlag freigesetzt worden, beurteilte Filippos ihren Tatendrang, an der Aufklärung von Straftaten mitwirken zu wollen. Mittlerweile hatten die beiden einen gesunden Weg gefunden und Irini, als eine von der Insel, konnte manch hilfreichen Hinweis zusteuern. Auch in Filippos’ Team war Irinis Eifer aufgefallen und Xenia, die zweite Frau in seiner Truppe, hatte ihr den Spitznamen Miss Marple verpasst. Irini verbuchte das als Erfolg und belohnte die Mannschaft regelmäßig mit selbstgemachten Spezialitäten. Als Frau des Chefs war das für sie eine Selbstverständlichkeit.

Die Bezirksregierung in Ermoupoli hatte den Führungswechsel mit Skepsis verfolgt. Es war ein Ansporn für das erfahrene Kriminalisten-Duo, diesen Veränderungsprozess erfolgreich zu Ende zu bringen. Zugestimmt hatten die hohen Herren aus der Behörde nur, nachdem der routinierte Kriminalbeamte zugesagt hatte, zwanzig Prozent seiner Arbeitszeit für eine neu ins Leben gerufene Sondereinsatztruppe zur Verfügung zu stellen. Diese hatte man im Athener Polizeipräsidium gegründet, um bei zunehmenden Einsätzen auf den kleineren Inseln Unterstützung aus der Zentrale anbieten zu können. Filippos, der vor seinem Wechsel nach Paros mehrere Jahre in der Mordkommission in Athen gearbeitet hatte, gehörte neben weiteren Kollegen zu diesem Team.

Katharina passte diese Maßnahme nicht. Sofort nach Bekanntwerden hatte sie ihre Bedenken schriftlich eingereicht. Schließlich musste sie in der Polizeistation in Parikia schon länger mit einem Mann weniger auskommen. Ihre Befürchtung war, dass sie wieder stärkerer Arbeitsbelastung ausgesetzt sein würde. Mit äußerster Hartnäckigkeit kämpfte sie seitdem um eine weitere Stelle.

Zum Glück war der Wechsel reibungslos verlaufen. Wenn sie auch nie darüber gesprochen hatten, kannten beide das Erfolgsrezept ihrer gemeinsamen Arbeit. Ohne die Vertrautheit, die sie pflegten, wäre das ehrgeizige Projekt wahrscheinlich gescheitert.

Inzwischen fühlte sich jeder wohl in seiner neuen Funktion und das Team, bestehend aus Konstantinos, Spyros und Xenia, stand hinter ihm. Katharina musste lernen, mit der geringeren Verantwortung umzugehen, was ihr anfangs schwergefallen war. Dawid, der Mann an ihrer Seite, hatte es eingefordert. Jetzt in der zweiten Reihe genoss sie die neu gewonnene Freiheit.

Nun war zum Glück auch Filippos’ gewohnte Lockerheit zurück, die zu Beginn etwas auf der Strecke geblieben war. Selbstverständlich war er morgens der Erste in der Dienststelle. Meist sogar vor Xenia, der seit vielen Jahren die Leitung des Sekretariats oblag. An diesem Morgen begrüßte sie ihn mit einer ungewohnt ernsten Miene und einem frisch zubereiteten Kaffee Metrio.

»Gut, dass du kommst«, erklärte sie und stellte ihm die Tasse Kaffee auf den Schreibtisch.

»Was gibt’s so früh?« Filippos überlegte, ob er gestern etwas Wichtiges vergessen hatte.

»Ein Unfall! Mich hat gerade der Anruf erreicht. Es muss auf der Strecke von Marpissa nach Drios passiert sein.« Xenia griff nach einem Zettel und reichte ihn ihrem Chef.

»Gibt es Personenschäden und …«, er überflog die wenigen Zeilen,»… hast du die Ambulanz informiert?«

»Ist wohl nicht mehr nötig, es muss furchtbar aussehen.«

Filippos hob seine Augenbrauen. »Erzähl!«

»Ein Taxifahrer hat ihn gefunden. Ein Mann liegt im Straßengraben, muss überfahren worden sein.« Xenia verzog angewidert ihren Mund.

»Was ist mit dem Mann? Ist er tot?«

»So berichtete es der Taxifahrer. Der Arme war vollkommen fertig. Ich habe ihm gesagt, dass er auf dich warten soll.«

Filippos nickte. »Was ist mit dem Fahrer des Unfallfahrzeugs?«

»Von einem Auto keine Spur. Der muss geflüchtet sein.«

Filippos’ Miene verfinsterte sich, während er sein Handy zückte. »Ich werde Konstantinos zur Unfallstelle bestellen und ruf du Dr. Spanopoulos an. Ein Arzt muss den Tod bestätigen.«

»Jawohl Herr Oberlehrer, aber das weiß ich. Ich bin schon länger bei der Polizei.« Xenia schüttelte ungläubig ihren Kopf. »Spanopoulos ist schon auf dem Weg.«

Seitdem Filippos die Leitung der Dienststelle übernommen hatte, war Xenia wesentlich forscher geworden. Eine neue Allianz zwischen ihr und Katharina hatte sich positiv entwickelt und die beiden Frauen waren enger zusammengerückt. So band Katharina ihre Kollegin öfter mit in ihre kriminalistische Arbeit ein, im Gegensatz zu früher. Als sie noch die Chefin gewesen war, hatte sie sich die Sekretärin eher auf Distanz gehalten. Für den neuen Polizeichef war das nicht immer ganz einfach, mittlerweile wusste er das Damen-Duett aber durchaus zu schätzen.

»Gut so«, antwortete er und griff nach seinem Autoschlüssel. Auf Spanopoulos, den erfahrenen Inselarzt, war Verlass. Mit seinen 68 Jahren war er immer noch im Dienst und, wenn die Polizei seine Hilfe benötigte, stets zur Stelle.

Der Ruf ging durch, Konstantinos war auf dem Weg nach Parikia, als Filippos ihn zur Unfallstelle beorderte. Filippos folgte mit einem der neuen Dienstfahrzeuge, die sie bekommen hatten. Die Bezirksregierung in Ermoupoli hatte sich für ein Modell der Marke KIA entschieden. Er schaltete sein Blaulicht ein, um schneller aus der Stadt herauszukommen, vermied es jedoch, die Sirene einzusetzen. Zügig legte er die Strecke bis nach Naoussa zurück und bog auf die Umgehungsstraße in Richtung Marpissa. Als er den Abzweig nach Drios erreichte, drosselte er die Geschwindigkeit. Schon von Weitem konnte er die Fahrzeugkolonne am Unfallort erkennen.

Ein graues Taxi parkte neben den Fahrzeugen von Konstantinos sowie Dr. Spanopoulos. Der junge Polizist holte gerade ein Absperrband aus dem Kofferraum, Spanopoulos hielt Schaulustige davon ab, zu nahe an den Leichnam zu gelangen. Filippos parkte am Straßenrand und sprang aus dem Fahrzeug.

»Der muss sofort tot gewesen sein«, begrüßte ihn der Arzt. »Volle Breitseite, sieht schlimm aus.«

Er deutete auf den Graben neben der Fahrbahndecke. Dort glänzte eine circa zweimal ein Meter große Kältefolie, die der Mediziner über den Toten ausgebreitet hatte. Filippos zögerte nicht lange, stieg hinunter und hob die goldfarbene Folie etwas an. Es war kein schöner Anblick, sodass er sich zwingen musste hinzusehen. Der gesamte Kopf war nur noch eine breiige, blutige Masse, dazwischen stachen grau-schwarz die Haare des Mannes hervor. Bruchstücke einer zersplitterten Brille steckten in dem übel zugerichteten Gesicht.

»Wissen wir schon, wer es ist?« Filippos hob die Folie weiter an. Ein Arm hing nur noch an ein paar Sehnen, der ganze Oberkörper schien zerschmettert zu sein.

»Wir haben zumindest einen Namen.« Konstantinos war neben seinen Chef getreten. Seine Hände steckten in Gummihandschuhen, in der rechten Hand hielt er eine Geldbörse, darin befanden sich Kreditkarten und ein Führerschein.

»Xenia soll prüfen, ob man den Mann als vermisst gemeldet hat«, erwiderte Filippos und zu Spanopoulos gewandt sagte er: »Wie lange ist der Mann schon tot?«

Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Genau kann ich es nicht bestimmen, aber die Totenstarre ist bereits stark ausgeprägt. Ich schätze, der Mann wurde vor acht bis neun Stunden überfahren.«

Filippos schaute auf seine Uhr, es war kurz vor acht in der Früh. »Das bedeutet gegen Mitternacht. Was hat er um diese Zeit hier gemacht?« Die Unfallstelle lag einige hundert Meter hinter dem Abzweig nach Drios. Auf der gesamten Strecke bis zum Ortseingang gab es nur ein paar verstreute Häuser.

»Vielleicht war er auf dem Heimweg und hat in Drios gewohnt«, gab Konstantinos zu bedenken.

»Auch das soll Xenia prüfen.« Filippos zückte eine Kamera und begann, den Unfallort von allen Seiten zu fotografieren. »Merkwürdig, es gibt keinerlei Bremsspuren«, stellte er erstaunt fest, während er die Straße ablief. »Ich sehe keine Straßenbeleuchtung in der Nähe. Das heißt, es muss ziemlich dunkel gewesen sein.« Er streifte sich auch ein Paar Gummihandschuhe über und bückte sich nach einem Stück Kunststoff. »Sieht nach einem zersplitterten Blinklicht aus.« Er betrachtete das orangefarbene Fragment aus der Nähe. Das circa zwei mal drei Zentimeter messende Bruchstück zeigte eine Seriennummer, die jedoch nicht vollständig war. Außerdem waren an einer scharfkantigen Ecke Reste der Lackierung zu erkennen.

»Der Aufprall muss enorm gewesen sein, so wie der Tote ausschaut«, bemerkte Konstantinos und begann akribisch, die Straße nach weiteren Spuren abzusuchen. Winzige Scherben lagen verstreut im Straßengraben.

»Die Plastikteile müssen in die KTU nach Athen. Die sollen ermitteln, von welchem Fahrzeug sie stammen.«

Der Polizist holte einen Plastikbeutel aus seinem Kofferraum, in dem er sie verstaute.

»Die müssen heute noch raus. Wenn wir den Fahrzeugtyp kennen, können wir gezielt nach dem Unfallwagen fahnden«, bemerkte Konstantinos zutreffend.

»Nicht nur die Plastiksplitter. Der Tote muss auch in die Gerichtsmedizin«, ergänzte Filippos scharf. »So sind die Vorschriften bei Tod durch Fremdeinwirkung. Es handelt sich um Fahrerflucht.«

Konstantinos nickte zustimmend, auch er kannte die Regeln.

Mittlerweile hatte sich von beiden Seiten eine lange Schlange von Fahrzeugen gebildet. Ungeduldig warteten die Fahrer auf die Freigabe der Straße. Die beiden Polizisten ließen sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Erst nachdem sie mehrfach den Streckenabschnitt abgeschritten waren, gaben sie den Verkehr wieder frei. Spanopoulos kümmerte sich um den Abtransport der Leiche. Sie sollte auf sofortigem Weg zum Flughafen gebracht werden. Die Polizeibeamten würden sich um den Flug nach Athen kümmern.

»Wie kann ich ein Unfallopfer einfach so im Straßengraben liegen lassen?« Filippos stellte die Frage.

»Vielleicht war Alkohol im Spiel? Das wäre nicht der erste Fall von Fahrerflucht, bei dem der Verursacher stark betrunken war.« Konstantions zählte ein paar Fälle aus den vergangenen Jahren auf. Bis auf wenige Ausnahmen war es ihnen immer gelungen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Er war sich sicher, dass es ihnen auch diesmal gelingen würde, den Fahrer des Unfallfahrzeugs dingfest zu machen.

Brennender Sommer

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